Wäschmangel zu Wissenschaftslehre - die fast vollendete Vernunftkritik Wie wir in einem der
letzten der vorigen Paragraphen gesehen haben, so ist Grund alles
ob-jektiven Denkens mein eigner Zustand. Nun soll das Denken eines
Objekts objektiv sein, es muss sich daher auf meinen Zustand beziehen.
(Der Wahrheit gemäß vorstellen heißt so vorstellen, dass mein Zustand
daraus erklärt werde.) Die Ortsbestimmung ist ein objektives Denken, sie
muss daher einen Zustand von mir erklären, und alle Ortsbestimmung
muss von mir ausgehen.
Die Erfahrung sagt hierüber: Man ordnet die Dinge im Raume nach der
geringern oder größern Entfernung und Lage von sich selbst, d.h. nach
der geringern oder größern Kraft-äußerung, deren man bedürfte, um sich
selbst in den Ort zu versetzen, in dem das Objekt sich befindet (Der
Raum lässt sich nur durch die Zeit messen und umgekehrt), und dann, ob
es uns links oder rechts, vor- oder seitwärts liege. Diese Aussage der
Erfahrung soll uns aber nicht als ein Beweis gelten.
Wenn alle Ortsbestimmung von mir ausgehen, alle Objekte im Raume durch
mich bestimmt werden sollen, so muss ich selber aller Vorstellung vorher
als ein alle Vorstellungen im Rau-me Bestimmendes im Raume sein. Ich
müsste mir im Raume gegeben sein.
Nota. - 'Mein Zustand' ist bestimmt durch die Gesamtheit meiner Gefühle; ist die momen-tane Verfassung meines 'Systems der Sinnlichkeit'. (Ich bin schlechterdings tätig, da ich tätig bin, stoße ich auf einen Widerstand; dies erzeugt ein Gefühl.) So weit, so gut. Das ist schlicht sensualistisch.
Aber um die Vorstellungstätigkeit in 'meinen Zustand' mit aufneh-men (und die Brücke vom Sinnlichen zur Intelligenz schlagen) zu können, hat er die Erfah-rung des Denkzwangs - nämlich die Erfahrung, dass ich, wenn ich ein Ding 'der Wahrheit gemäß' vorstellen will, es so und nicht anders vorstellen muss - ebenfalls als ein Gefühl be-stimmt: ein "intellektuelles Gefühl", wie er andernorts sagt. Das ist bislang ein rein verbales Kunststück geblieben. Wenn er es nicht bald auflöst, aber weiterhin Schlüsse daraus zieht, wird man sagen müssen: ein fauler Trick.
*
Ja, ich glaube, Fichte
hat mit der Gleichsetzung des 'Denkzwangs' mit dem sinnlichen Ge-fühl ein
krummes Ding gedreht. Es war aber systematisch ganz überflüssig. Das
Materielle dem Geistigen assimilieren oder - in diesem Fall - umgekehrt,
ist nur nötig in einem System, wo sie vorab dogmatisch unterschieden
waren, aber gerade das ist in der Wissenschaftslehre ja nicht der Fall.
Da geht es von Anfang bis Ende nur um die Vorstellungen von diesem
oder jenem. Da mag man unterscheiden, welche Vorstellung notwendig,
welche durch Frei-heit möglich, oder welche auch ganz überflüssig ist;
welche beanspruchen darf, sich auf ein Objekt außer ihr zu beziehen, und
welche selber nur wieder auf Vorstellungen geht. Und so weiter.
Objektivität, Notwendigkeit: denen entspricht 'Denkzwang'.
'Gefühl' wurde erfordert, damit etwas als Etwas angeschaut werden könne, angeschaut werden muss es, wenn darauf reflektiert werden soll; besser gesagt, das Anschauen ist das Reflektieren: das Fassen als Begriff.
Um dies alles geht es hier aber gar nicht.
Hier geht es um die Auffassung des wirklichen Ich als Zustand.
Ein Gesamtzustand ist ge-meint, in den alle Gefühle eingehen und auf
den jedes einzelne Gefühl bezogen wird. Es ist aber nicht nötig, den
Gesamtzustand nur als aus Gefühlen zusammengesetzt aufzufassen. Man bräuchte ihn nur etwas weiter zu definieren, um
den 'Denkzwang' darin unterzubrin-gen. Doch wozu könnte das gut sein?
Das wäre eine metaphysische Frage einer am Rande stehenden höheren
Intelligenz, die wissen will: "Woraus setzt sich der Gesamtzustand
zu-sammen?" Hier war nur zu setzen, dass er ist; zu bestimmen, was er ist, hat die Transzen-dentalphilosophie nicht mehr.
Es ist vielmehr, wenn
es nicht Sache der empirischen Psychologie ist, eine Sache der
Hirn-forschung.
Physiologisch, d. h. entweder am Ort oder an der
individuellen Tätigkeitsweise der Neuro-nen, lässt sich dieses von jenem Merken
gar nicht unterscheiden; die bildgebenden Verfah-ren erlauben nur, einen
neuronalen Vorgang an dieser Stelle im Gehirn mit jenem Vorgang im
übrigen Organismus zu korrelieren. Alles weitere ist Sache der Erfahrung
und der Inter-pretation. In der Tat: Das Gehirn ist ein System, seine Wirklichkeit ist Zustand. Nur im La-bor lässt sich Dieses von Jenem isolieren.
Fichte hat gut daran
getan, sich auf dieses Terrain nicht zu begeben. Davon konnte er nichts
wissen, und als Transzendentalsphilosoph musste er davon nichts wissen.
13. 11. 18
Nota II. - Die gegenständlichen Begriffe und ihre logischen Verbindungen stammen aus der Erfahrung. Die ist auch der Raum ihrer praktischen Bewährung. Der Elementarform des Begriffs sind die Zweckbegriffe: Erfüllt der Begriff den ihm zugedachten Zweck? Da ist kein Denkzwang, sondern Evidenz durch Handeln. Sie gilt zwingend für die ganze histo-rische Reihe vernünftiger Wesen.
Eine ähnliche Evidenz sollte man für das Denken selbst wünschen - aber es selber stößt nicht auf Widerstände, welche ein Gefühl hervorrufen könnten. Es gibt nichts Gleichran-giges, aber immerhin eine Analogie: Die intellektuelle Voraussicht darauf, ob die bloßen Denkbegriffe ihrem... Zweck gerecht werden?
Was aber ist ihr Zweck? Es wäre der Zweck der Zwecke - nämlich unbegrenzt fortschrei-tendes Bestimmen meiner selbst und meiner Welt. Die Kette fände kein Ende, der Zweck der Zwecke bliebe unbestimmt und bestimmbar. Er wäre absolut. So wie der Anfang der Kette ein Absolutes, nämlich ein absolut Unbestimmtes und Bestimmbares.
Das ist Anfang und Ende der Wissenschaftslehre: Ihr Anspruch war, Herkunft und Zu-kunft der Vernunft in einem System darzustellen. Ist die Darstellung geschlossen, so ist das System begründet.
Die Realität des Denkzwanges wird verbürgt durch das System, und dass sie erst der höchstmöglichen Reflexion, nämlich im Durchgang durch die ganze Wissenschaftslehre, ersichtlich wird, liegt in der Natur der Sache.
JE,
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