Sonntag, 31. Dezember 2023

Der Grund liegt nicht innerhalb des Begründeten.

                           aus Wissenschaftslehre - die fast vollendete Vernunftkritik

Der Grund liegt nicht innerhalb des Begründeten, mithin außerhalb der Erfahrung, und die Philosophie, die den Grund der Erfahrung aufstellt, erhebt sich über dieselbe. Physik ist der Umkreis der Erfahrung; die Philosophie, die sich drüber erhebt, ist also Metaphy-sik. In der Philosophie kommt kein Faktum, keine Erfahrung vor. Dieser Satz findet in der neueren Zeit Widerspruch, wo man von Philosophie aus Tatsachen spricht. Die Phi-losophie und alles, was in ihr vorkommt, ist Produkt des reinen Denkvermögens; sie ist nicht selbst Faktum, sondern sie soll das Faktum, die Erfahrung, begründen.

Wenn die Philosophen, die sich auf Tatsachen berufen, Kantianer sein wollen, so ist dies doppelt schlimm, denn Kant sagt: "er frage nach der Möglichkeit der Erfahrung".* Wenn ich aber nach der Möglichkeit einer Sache frage, so ist mir zwar die Sache bekannt, aber der Grund der Möglichkeit dieser Sache liegt außerhalb der Sache selbst. Also schon in Kants Buchstaben liegt, dass die Philosophie sich über die Erfahrung erheben soll.

Die Frage, wie man dazu komme, sich über die Erfahrung zur Philosophie zu erheben, nahm das ganze Recht zu philosophieren, d. h. das ganze Verstehen der Vernunft in An-spruch, zufolge dessen man von dem Zufälligen einen Grund suchen muss. In der Philo-sophie soll gezeigt werden, wie man dazu komme, mithin ist sie ein Selbstbegründen.

Also die erste und höchste Bedingung alles Philosophierens ist, zu bedenken, dass man das lautere leere Nichts antreffe, wenn man nicht alles das, worüber räsonniert wird, aus sich selber hervorbringt. Philosophische Ideen können nur im Geiste erzeugt werden, geben kann man sie nicht.

*) [z. B. KrV, B 195]
_____________________________________________________________________ J. G. Fichte, Wissenschaftslehre nova methodo, II. Einleitung, Hamburg 1982, S. 13 f.

 

Nota. - Wenn aber Begriffe ohne Anschauung blind sind und der Grund der Erfahrung begriffen werden soll, so muss der Grund der Erfahrung angeschaut werden; in einer An-schauung also, die selber nicht Erfahrung, nämlich nicht sinnlich ist. Bleibt wohl nur eine intellektuelle Anschauung übrig.
JE,11. Juni 2016


Nota - Das obige Foto gehört mir nicht, ich habe es im Internet gefunden. Wenn Sie der Eigentümer sind und ihre Verwendung an dieser Stelle nicht wünschen, bitte ich um Ihre Nachricht auf diesem Blog.  JE

Samstag, 30. Dezember 2023

Genetisch: die eigentümliche Darstellungsweise der Wissenschaftslehre.

seilwurf, Übertritt;             aus Wissenschaftslehre - die fast vollendete Vernunftkriti

Während die historische Darstellung es mit dem Faktischen, die logische Darstellung mit den Begriffen zu tun hat, sieht die genetische Darstellung auf das lebendige Vorstellen selbst, das den beiden andern zu Grunde liegt. Es wird (in 'realer' Tätigkeit) ein Bild ge-schaffen, dieses wird ('ideal') angeschaut und im Begriff bestimmt. Im Begreifen wird sie in ihre Bedingungen zerlegt, die indessen nicht selber zuvor vorgestellt, "eingebildet" wurden, sondern hernach 'als vorgestellt vorgestellt'.

In der logischen Untersuchung scheint es, als seien die Prämissen des Begriffs "per De-finition" in ihm enthalten, "auf einen Schlag", sie 'dependieren' gegenseitig von einander, vorwärts und rückwärts, ohne Zeit. Die logische Darstellung ist ohne Zeit, Begriffe und Schlussregeln sind, noch bevor sie ein Zeitlicher denken kann.

In der genetischen Darstellung des wirklichen Vorstellens wird dagegen nur "so getan, als ob" es ohne Zeit geschähe, es wird von der Zeit zuerst noch abstrahiert, doch sobald es 'objektiv' wird und qua Zweckbegriff auf wirkliche Gegenstände geht, tritt das Verhältnis der Dependenz ein, und die hat eine Richtung; wenn auch 'aus Freiheit' zu bestimmen bleibt, wohin, so bleibt doch stets präsent, woher - nämlich vom tätigen Subjekt. Der Setzende setzt Eins, doch sobald er darauf reflektiert, nämlich zu bestimmen beginnt, zerfällt ihm das Eine in ein Mannigfaltiges. Nicht Dieses dependiert von Jenen, sondern Jene dependieren von Diesem.

Die Vorstellung, dass es Vorstellungen an sich und ohne Vorstellenden gäbe, ist nicht vorstellbar.

15. 7. 17

 


Freitag, 29. Dezember 2023

Wie die Vernunft sich selbst wahrnimmt.

pinterest                          zu Philosophierungen

Das ist Fichtes gedanklicher Ausgangspunkt: Die Philosophie - lies: Transzendental-philosophie - bringt selber nichts hervor. Sie hat ihren Gegenstand, nämlich das tat-sächlich gegebene vernünftige Bewusstsein ihrer Zeitgenossen - den 'gemeinen Stand-punkt' -, und dieses gilt es zu verstehen: auf seine wirklichen Voraussetzungen zurückzu-führen und seine Reichweite zu ermessen. Um dies zu können, muss die Philosophie einen Standpunkt über ihm einnehmen.

Fichte war Novalis' Ausgangspunkt, ihn wollte er interpretierend verstehen; stets mit dem Hintergedanken, "darüber hinaus" zu gehen. Im Einzelnen kommt er gelegentlich zu ver-blüffenden Einsichten. Aber insgesamt findet er doch nicht zu dem Verständnis, dass Transzendentalphilosophie an keiner Stelle Realphilosphie wird. So sind etwa Einbil-dungskraft und Reflexion nicht zwei real existierende antagonistische Kräfte, sondern lediglich zwei Ansichten ein und derselben intellektuellen Tätigkeit, die nur der philoso-phische Betrachter unterscheidet, um aus der Vorstellung von ihrer Wechselwirkung zu verstehen, was sie eigentlich 'tut'.

So macht z. B. Fichte auch von dem 'Gefühl' einen ganz und gar nüchternen, sensua-listisch-materialistischen Gebrauch. Es ist der faktische Ausgangspunkt allen Wissens. Und das Absolute Ich 'ist' nicht ein 'bestimmter Stoff', sondern lediglich die Gedanken-konstruktion von Etwas, das Gefühle hat - und in der Anschauung darauf reflektiert. 

Die Wissenschafstlehre sei "bloße Reflexionsphilosophie", hat Hegel gesagt, mit andern Worten: Sie reflektiert lediglich auf das, was im faktischen Wissen wirklich vorkommt. Sie erfindet nichts hinzu. Aus Hegels Mund ist das ein Lob und kein Tadel. Novalis hat es von Fichte selbst gehört, aber so ganz mag er's nicht glauben. Gern würde er die Einbil-dungskraft darüber hinausschießen lassen, man merkt es an jeder Stelle.

27. 5. 2017

*  

Wenn Fichte reale und ideale Tätigkeit von einander unterscheidet, so meint er nicht zwei verschiedene Kräfte; er kennt überhaupt nur eine 'Energie', eine prädikative Qualität, die er allenthalben Einbildungskraft nennt. Sie ist ein breiter Strom, der sich teilt und hierhin und dahin wendet. Er sondert sich nicht nach der Substanz, sondern nach dem Gegen-stand, den er wählt oder, was dasselbe ist, nach der Weise seiner Tätigkeit: Real nennt Fichte die Tätigkeit, durch die das Ich sich wirklich etwas vorstellt, sich ein Bild macht, eine Qualität prädiziert. Diese setzt der Tätigkeit einen Gegenstand, jenen nimmt es wahr durch ein Gefühl, das ihm zuteil wird, und das nichts anderes ist als der Widerstand, den der Gegenstand seiner Tätigkeit entgegen setzt. Das Gefühl scheint ihm von außen bei-zukommen, es wird angeschaut.

Dieses Anschauen nennt Fichte eine ideale Tätigkeit; sie 'setzt' nicht mehr, sondern be-stimmt. Sie ist die ursprüngliche Weise der Reflexion. Sie ist der Teil der Einbildungskraft, der sich nicht an den Gegenstand gebunden hatte und frei geblieben ist. Und so ist die Reflexion in allen Fällen: Sie ist frei, weil sie unendlich ist und zu keinem Moment fest-gebunden wird.

Das alles ist natürlich nicht wirklich geschehen. Es ist selber ein Bild, ein Schema dessen, was sich zugetragen hat, als ein Bewusstsein entstand: wie und unter welchen Bedingun-gen es möglich war und inwiefern es notwendig war, um zur Verunft zu führen. Es stellt eine Dynamik dar, die, weil sie in Gedanken stattfindet, nicht selber anschaubar ist, son-dern gedacht wird, als ob sie anschaubar wäre.

*

So komplex dieses Bild eines Bildes immer ausfallen mag: Der Sache selbst setzt es nichts hinzu; es macht sie lediglich einsichtig.
11. 6. 19

 

 

Donnerstag, 28. Dezember 2023

Bedingungen der Möglichkeit.

                             aus Wissenschaftslehre - die fast vollendete Vernunftkritik

Der Inhalt der gesamten Wissenschaftslehre lässt sich kurz in folgenden Worten vortra-gen: 

Dass ich mir überhaupt etwas' bewusst werden kann, davon liegt der Grund in mir, nicht in den Dingen. Ich bin mir Etwas' bewusst; das einzige Unmittelbare, dessen ich mir be-wusst bin, bin ich selbst; alles andre macht die Bedingungen meines Selbstbewusstseins aus. Vermittelst des Selbstbewusstseins mache ich mir die Welt bewusst. - 

Ich bin mir Objekt des Bewusstseins nur im Handeln. Wie ist die Erfahrung möglich? heißt: Wie kann ich mir meines Handelns bewusst werden? Auf die Beantwortung dieser Frage geht alles aus, und wenn sie beantwortet ist, so ist unser System geschlossen.   

Bis jetzt haben wir dies gefunden: Ich muss, wenn ich mich als handelnd setzen soll, mir irgend eines Zweckbegriffs bewusst werden. Mit der Beantwortung der Frage: Wie ist ein Zweckbegriff möglich? beschäftigen wir uns noch. Bisher haben wir gesehen, wie ein Be-griff überhaupt möglich sei. Eigentlich ist von allem, was wir bisher aufgestellt haben, nichts ganz möglich, bis wir zu Ende sind, denn wir haben noch immer Bedingungen der Möglichkeit aufzustellen. Die Möglichkeit des Einzelnen lässt sich nur aufzeigen, wenn die Möglichkeit des Ganzen dargetan ist. 

Die Möglichkeit des Begriffs wurde nur gezeigt unter ge/wissen Voraussetzungen, die wir stillschweigend machen mussten und konnten.

Wir sind so verfahren: Ich bin ursprünglich praktisch beschränkt; daraus entsteht ein Ge-fühl; ich bin aber nicht bloß praktisch, sondern auch ideal. Die ideale Tätigkeit ist nicht beschränkt, folglich bleibt Anschauung übrig. Gefühl und Anschauung sind miteinander verknüpft. Im Gefühle muss eine Veränderung stattfinden, dies ist Bedingung des Be-wusstseins. Ich bin in der Beschränktheit beschränkt, werde also auch in der Anschauung Y beschränkt. Aus jeder Beschränkung entsteht ein Gefühl, mithin müsste auch hier ein Gefühl entstehen, das Gefühl des Denkzwangs, und mit diesem
[die] Anschauung meiner selbst. Eine Anschauung, in der das Anschauende selbst gesetzt wird, die auf das An-schauende bezogen wird, heißt ein Begriff vom Dinge, hier von Y.

Es war schon im vorigen Paragraphen die Frage nach dem Vereinigungsgrund des Be-griffs mit dem Ich; oder: Wie komme ich dazu zu sagen: Alles ist mein Begriff? 

Das Ich war bisher ein Fühlendes, es müsste auch das Begreifende sein; der Begriff müss-te mit dem Fühlen notwendig vereinigt sein, so dass eins ohne das andere kein Ganzes ausmachte. Im Selbstgefühl ist Gefühl und Begriff vereinigt. Ich bin gezwungen, die Dinge so anzusehen, wie ich sie ansehe; wie ich mich selbst fühle, so fühle ich diesen Zwang mit.

So ist bisher das Ich als das Begreifende selbst begriffen worden. Wir wollen jetzt weiter gehen: Ich kann mich als Ich nur setzen, in wiefern ich mich tätig setze. - Da das Gefühl nur Beschränkung sein soll, so kann ich mich als Ich nicht fühlen, wenn nicht noch eine andere Tätigkeit hinzukommt. Mithin lässt sich aus dem Gefühl allein das Bewusstsein nicht erklären, also müsste ich mich in dem Begriffe des Y setzen als tätig. Das Ideale gibt sich dem Gefühle hin; wie / dies zugehe, ist besonders Gegenstand unserer gegenwärti-gen Untersuchung. 

Ich setze mich als Ich heißt: ich setze mich als tätig. Das Materiale der Tätigkeit (was dabei angeschaut wird) ist ein Übergehen von der Bestimmbarkeit zur Bestimmtheit. (Das For-male ist die Selbstaffektion, das gehört nicht hie[r]her.) Das Ich soll hier im Begriffe tätig gesetzt werden, als von einer gewissen Unbestimmtheit zu einer gewissen Bestimmheit übergehend.
___________________________________________________________
J. G. Fichte, Wissenschaftslehre nova methodo, Hamburg 1982, S. 101f.


Nota. - Nur weil der Mensch schlechterdings in der Welt, und weil er dort handelnd  ist, fühlt er, denn in der Welt wird sein Handeln schlechthin beschränkt durch den Wider-stand der Dinge, auf die es trifft. Er fühlt in der Beschränkung seines Handelns den Ge-genstand  und sich selbst

Dieses Fühlen ist der Stoff allen Bewusstseins.

Aber es ist nicht das Bewusstsein. Dafür muss das Vorstellen des Gefühls hinzukommen: das Bestimmen dessen, was es (mir) bedeutet. Das setzt voraus, dass im Treffen auf den Widerstand mein Handeln noch nicht erschöpft war; es muss also ein Quantum Tätigkeit angenommen werden, das übriggeblieben ist und nun auf das Gefühl selber als seinen Gegenstand gewendet wird. 

Die als der Tätigkeit zugrundeliegend angenommene 'prädikative Qualität' muss also als Einbildungskraft aufgefasst werden, sie selber unbegrenzt und daher quantifizierbar ist. Sie fasst die Bestimmtheit  des aus der Tätigkeit resultierenden Gefühls in ein - ruhendes - Bild.

Die als Ruhe angeschaute Tätigkeit ist der Begriff.
JE, 12. 10. 18



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Mittwoch, 27. Dezember 2023

Wahr sein.

Jens Goetzke  / pixelio.de                                                             zu Philosophierungen

"…(das und das und das…) ist zweifellos wahr." – Die Frage war aber nicht, was alles wahr sein mag. Die Aufzählung könnte bis ans Ende der Zeit nicht abgeschlossen wer-den. Die Frage ist vielmehr, woran man erkennt, ob etwas wahr ist.

[Man könnte sich Wahrheit als ein universell vorkommendes Stöffchen vorstellen, das den Dingen (Gegenständen, Sachverhalten, Gedanken…?) in unterschiedlich starker Dosis "beigegeben ist".* Dann wäre Wahrheit ein Seiendes neben andern Seienden, denen es sich mitteilt oder nicht, und die ihm gegenüber folglich auch gleichgültig sein könnten: zugleich weder wahr noch unwahr; und das wäre ein Widersinn.]

Unter Wahrheit ist also nur der Modus, die Qualitas des Wahrseins zu verstehen. Die Sa-chen "stehen" in diesem Modus oder nicht, tertium non datur. Es ist der Modus des Gel-tens: Nur Aussagen können gelten oder "wahr sein", Dinge nicht. Aussagen über Dinge können wahr sein oder nicht.

"Wahr ist eine Aussage, wenn sie mit dem Sachverhalt übereinstimmt." – Das ist eine rein verbale Bestimmung. Sie hat keinen eigenen Inhalt. Denn was soll Übereinstimmung - 'ad-aequatio' – bedeuten? Das war doch gerade die Frage!

Um etwas zu bedeuten, bedürfte sie eines Dritten, eines Kriterion, eines Prüfsteins – und der wäre dann "das Wahre".

Gibt es einen solchen Prüfstein? - Offenbar nicht.

Muss es ihn geben, damit etwas wahr oder unwahr sein kann? - Offenbar.

Muss alles wahr oder unwahr sein? – Die Frage stellen heißt sie beantworten.
in 2007

*) bei Plato méthexis, Teilhabe

 

Wahr ist, was ohne alle Bedingung als Urteilsgrund gilt. Doch wie soll ich das wissen? Um mir ein Unbedingtes vorstellen zu können, müsste ich selber unbedingt sein. Doch wenn ich ein Unbestimmtes denken wollte, müsste ich es mir bar aller Bestimmtheit denken; denken heißt aber bestimmen. 

Ich kann mir den unbedingten Urteilsgrund nicht als Obiectivum, nicht als daseiend den-ken. Ich kann ihn nur als unbedingte Tätigkeit denken: als handeln aus Freiheit. Das ist, was Fichte Tathandlung nennt. Sie ist Bedingung allen Bestimmens, oder richtiger gesagt: als solche muss ich sie denken. Auffinden lässt sie sich nicht.
7. 4. 21

Montag, 25. Dezember 2023

Was soll Geist denn sein?

moviepilot                  aus meinem Kommentar zu einem Beitrag von Godehard Rüntrup 

Bewusstsein (oder Geist) ist kein Stoff, der ist, nämlich in Raum und Zeit, sondern die Handlung eines - nun ja, nennen wir es einstweilen: - Subjekts, das einem Phänomen, das es (in Raum und Zeit) sinnlich "merkt", eine Bedeutung zuschreibt. Das Phänomen "be-deutet" ihm etwas - nämlich wenn und sofern er die Absicht hat, etwas zu tun. Denn an-ders wäre die 'Bedeutung' ohne Bedeutung.

Nicht "Strukturen" sind "mit Bewusstsein korreliert", sondern handelnde Subjekte korre-lieren 'Strukturen' mit ihren Absichten. Letztere sind der Ausgangspunkt aller Vorstellung; auch der von Natur, Materie und Struktur.



Die Frage, was (quale) dasjenige sei, das von der Naturwissenschaft in mathematischen Formeln beschrieben wird, unterstellt einen, der - in Raum und Zeit - Absichten hat; der dieses oder jenes will. Nicht nur wollen kann, sondern schlechterdings wollend ist. Die Frage nach dem Was kann nur von Menschen gestellt werden. Wenn von Bewusstsein die Rede ist, ist nur von ihnen die Rede; und zwar von ihnen, sofern sie in Raum und Zeit sind, aber nicht von dem an oder in ihnen, das durch mathematische Formen darstellbar ist. Mathematische Formeln sind Begriffe, und Begriffe ohne Anschauung sind leer. Ein Quale ist das Produkt eines Vorstellungsakts. Ohne den Vorstellenden ist es nicht zu be-schreiben.

Historisch zu beschreiben und in Begriffe zu fassen - wenn vielleicht auch nicht in mathe-matische Formeln - ist, wie und durch welche Bedingungen die Menschen die Fähigkeit zum Vorstellen entwickelt haben. Die Wissenschaft, die das versucht, ist die Anthropo-logie. Sie tritt an die Stelle der Metaphysik.
3. 6. 18 
 
 
 
 
 
 

Sonntag, 24. Dezember 2023

Maschinelle Moral?

                                                         zu Philosophierungen 

Der elementare Fehler in dem ganzen Ansatz ist... nein, nicht erst, dass er soziale Klugheit für Moralität hält - das ist nur abgeleitet. Zugrunde liegt vielmehr die Auffassung, als sei Moralität so etwas wie Verstand. Nämlich so etwas wie Logik: das Höhere begründet das Niedere, das Allgemeine das Besondere, das Prinzip seine Ableitungen, der Zweck das Mittel. Moralisches Handeln bestünde im Zuordnen einzelner Fälle zu einer je anzuwen-denden Norm. 

Das ist immernoch besser, als würde unter Moral eine Summe einzelner Fälle verstanden und bestünde in einer Art empirisch auszumachenden gemeinsamen Nenners. Aber weni-ger falsch ist es nicht.

Moral kommt von lat. mos, mores - Sitte, Gebräuche. Das griechische ethos bedeutet das-selbe; Ethologie heißt daher die Verhaltenskunde bei Mensch und Tier. 

Historisch waren sie der Ursprung dessen, was man heute unter Sittlichkeit versteht; sie bestimmen, was sich gehört und was sich nicht gehört. Dass ein Unterschied, gar ein Ge-gensatz entstehen kann zwischen dem, was sich in einer historisch gewachsenen Gemein-schaft gehört, und dem, ich für meine höchstpersönliche Pflicht erkenne, ist eine verhält-nismäßig junge Erkenntnis, und sie beruht auf einer Erfahrung, die erst in komplexen mo-dernen, nämlich bürgerlichen Gesellschaften so allgemein wurde, dass sie einen besonde-ren Namen nötig machte. Antigone war ein Einzelfall und als solcher tragisch. Der Kon-flikt zwischen gesellschaftlichen Normen und dem, was mir mein Gewissen gebietet, ist schon eine banale bürgerliche Standardsituation. Weil nämlich das eigenverantwortliche, autonome Subjekt zur selbstverständlichen Existenzbedingung geworden ist: Es muss selber entscheiden.

Die Sprache unterscheidet noch immer nur zwischen positiven herrschenden Moralen und einer problematischen Moralität. Die Verwirrung ist daher groß. Es kann ja vorkom-men und tut es oft genug, dass der ganz außermoralische Blick auf meinen Vorteil mir rät, dem Gebot der herrschenden Moral zu folgen und die Stimme meines Gewissens zu überhören. 

Wer oder was ist aber mein Gewissen? Es ist das Bild, das ich mir von mir selbst gemacht habe und um dessentwillen ich mich achte. Der Autor sagt es selbst: Die Maschine kann sich nicht verantworten - nämlich nicht vor sich. 

Nun kann ich keinen Andern achten, wenn ich mich selbst nicht achte - und auf einmal verkehren sich die Seiten: Moralität wird zur Bedingung sozialer Klugheit. Und letztere muss der Maschine einprogrammiert werden, weil sie diese Bedingung selber nicht hat.

 

Das spielt in obigem Text freilich alles gar keine Rolle. Lesen Sie nochmal nach: Vor Ge-wissensentscheidungen stellt er seine Maschinen nirgendwo. Es geht überall nur um Nütz-lichkeitserwägungen in mehr oder weniger allgemeiner Hinsicht. So dass er mit seinem Ding problemlos durchgehen könnte, wenn er nur... bescheiden genug wäre, von Moral nicht zu reden.

Doch tut er es ganz ungeniert, und mit ihm Kreti und Plethi. Es passt, aber das ist keine Rechtfertigung, perfekt in eine Zeit, wo es neben Fakten noch alternative Fakten gibt und keiner es so genau nimmt; aber ein jeder zusieht, wo er bleibt.

aus Maschinelle Moral?, 14. März 2019

 

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Samstag, 23. Dezember 2023

Der Zweck allen Philosophierens.

Kykladenkultur                                                         aus Wissenschaftslehre - die fast vollendete Vernunftkritik 

Ich darf Ihnen wohl jetzt ohne Beweis sagen, was mehreren unter Ihnen ohne Zweifel schon längst bewiesen ist, und was andere dunkel, aber darum nicht weniger stark fühlen, dass die ganze Philosophie, dass alles menschliche Denken und Lehren, dass Ihr ganzes Studiren, dass alles, was ich insbesondere Ihnen je werde vortragen können, auf nichts anderes abzwecken kann, als auf die Beantwortung der aufgeworfenen Fragen, und ganz besonders der letzten höchsten: Welches ist die Bestimmung des Menschen überhaupt, und durch welche Mittel kann er sie am sichersten erreichen?
_____________________________________________________________________
 J. G. Fichte, Einige Vorlesungen über die Bestimmung des Gelehrten, SW VI, S. 294


Nota. - Das ist Meta
philosophie schlechthin. Wenn das Philosophieren seinen Zweck er-reicht hat, ist es Anthropologie geworden. Was ist der Weg zu diesem Zweck? Die Vorstel-lung reinigen von allem Selbstverständlichen und zu schnell Einleuchtenden; mit andern Worten: Kritik.
JE,
3. 5. 18 

...

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Freitag, 22. Dezember 2023

In der Erfahrung findet Denkzwang statt.

                         aus Wissenschaftslehre - die fast vollendete Vernunftkritik

In der Erfahrung findet Denkzwang statt, die Dinge so aufzufassen.  
_______________________________________________________ 
J. G. Fichte,Wissenschaftslehre nova methodo, Hamburg 1982, S. 94 


Nota. - Erfahrung ist eine Sache der Sinnlichkeit. Ein Teil der Einbildungskraft bleibt - an einem Punkt A - gewissermaßen am Gegenstand hängen, der sie "beschränkt" durch ein Gefühl, und wird dadurch zu realer Tätigkeit. Ein weiterer Anteil der verbliebenen freien Einbildungskraft wendet sich aus eignem Entschluss auf das Gefühl der eben in A gesche-henen Beschränkung - und beschränkt sich selbst: Dies ist die ideale Tätigkeit der Refle-xion. So ist der Weg der Erfahrung. In A findet Denkzwang statt und hat die Freiheit der Einbildungskraft ein Ende. Der verbliebene freie Anteil der Einbildungskraft geht fort ins Unendliche.
20. 4. 18

Nota II. - Was frei von Erfahrung ist, kann sich einbilden, was immer ihm einfällt. Wer es der Reihe der vernünftigen Wesen mitteilen will, wird darauf - reflektieren müssen. Hat es einen Widerstand des Gegenstand nicht überwinden müssen, kann es auf Phänomenalität keinen Anspruch erheben und muss bloßes Noumenon bleiben. Begegnet es einem Denk-zwang eigener Art?
JE , 29. 6. 20





Donnerstag, 21. Dezember 2023

Der empirische und der noumenale Denkzwang.

                                                         zu Philosophierungen

Der pp. Denkzwang gebietet nicht kausal: 'Weil' dieses so ist, 'darum' musst du es so vorstellen. Sondern problematisch: 'Wenn' du mit einem Ding in Raum und Zeit etwas anfangen willst, 'dann' musst du es so machen, sonst kommst du nicht voran. Man kann allezeit darauf verzichten, dieses oder jenes zu tun. Dann muss man gar nichts tun, und gibt es keinen Denkzwang.

Ein Noumenon ist nicht in Raum und Zeit, es ist lediglich ein Gedankending. Du kannst es denken und kannst es bleiben lassen; aus Freiheit. Ein Gedankending - das heißt, es wurde gedacht; von einem, und zwar so oder so. Du könntest es selbst gedacht haben. Doch 'wenn' du es so denken willst - wenn du verstehen willst -, wie es vorab gedacht wurde, 'dann' musst du es so anfangen. Dieser Zwang ist bedingt durch Freiheit: Du kannst wollen - dann musst du; oder du willst nicht, dann kannst du's bleiben lassen. Dann könntest du dir stattdessen etwas anderes - vielleicht nur ein klein bisschen anderes - denken, mit dem du dann etwas anderes - vielleicht nur ein klein bisschen anderes - an-fangen kannst. Deine Freiheit war bedingt, und die Bedingung hast du ausgeschlagen. 

Nota. - Auch im Denken kann man etwas anfangen.

 

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Dienstag, 19. Dezember 2023

Die Wirklichkeit der Welt und ihr Widerstand.

                       aus Wissenschaftslehre - die fast vollendete Vernunftkritik 

Der transzendentale Philosoph muss annehmen, dass alles, was sei, nur für ein Ich sein soll, und was für ein Ich sein solle, nur durch das Ich sein kann. Der gemeine Menschen-verstand gibt im Gegenteil beiden eine unabhängige Existenz und behauptet, dass die Welt immer sein würde, wenn auch er nicht wäre. 

Der letztere hat nicht Rücksicht auf die Behauptung des ersteren zu nehmen und kann es nicht, denn er steht auf einem niederen Gesichtspunkte;* der erstere aber muss auf den letzteren allerdings sehen, und seine Behauptung ist so lange unbestimmt und eben da-durch zum Teil unrichtig, bis er gezeigt hat, wie gerade aus seiner Behauptung das Letz-tere notwedig folge und nur durch diese Voraussetzung sich erklären lasse. Die Philoso-phie muss unsere Überzeugung von dem Dasein einer Welt außer uns demonstrieren. 

Dies ist nun hier aus der Möglichkeit des Selbstbewusstseins geschehen, und jene Über-zeugung ist als Bedingung des Selbstbewusstseins erwiesen. Weil das Ich sich im Selbstbe-wusstsein nur praktisch setzen kann, überhaupt aber nichts als ein Endliches setzen kann, mithin zugleich eine Grenze seiner praktischen Tätigkeit setzen muss, darum muss es eine Welt außer sich setzen. So verfährt ursprünglich jedes vernünftige Wesen, und so verfährt ohne Zweifel auch der Philosoph. / 

Wenn nun gleich der Letztere hinterher einsieht, dass das Vernunftwesen zuvörderst seine unterdrückte** praktische Tätigkeit setzen müsse, um das Objekt setzen und bestimmen zu können, dass mithin das Objekt selbst gar nicht unmittelbar gegeben, sondern dass es zufolge eines andern ursprünglich erst hervorgebracht sei, so hindert dies den gemeinen Menschenverstand nicht, der dieser soeben postulierten Verrichtungen sich nicht bewusst sein kann, da sie die Möglichkeit alles Bewusstseins bedingen und somit außerhalb des Umkreises desselben liegen, und der die Spekulationen, die die Überzeugung des Philoso-phen leiten, nicht macht; es hindert selbst den Philosophen nicht, sobald er auf den Ge-sichtspunkt des gemeinen Menschverstandes zu stehen kommt.
*) = Reflexionsstufe
**)
an besagter Grenze abgebrochene

____________________________________________________________________
J. G. Fichte, Grundlage des Naturrechts nach Prinzipien der Wissenschaftslehre, SW Bd. III  S. 24f.
  



Nota. - Die Annahme einer wirklichen Welt ergibt sich nicht aus der Erfahrung, sondern ist ihr als Bedingung vorausgesetzt; nämlich in unserer Vorstellung. Darüber, ob 'es' eine Welt wirklich 'gibt', ist damit freilich nichts gesagt.

Auch noch nichts ist darüber gesagt, wie wir es anstellen - aber wir stellen es täglich an! -, die Vorstellungen, denen ein Objekt außerhalb der Vorstellung entspricht, zu unterschei-den von jenen, denen keins entspricht. Darauf kommt es dem gemeinen Menschenver-stand aber viel mehr an als auf metaphysische Fragen.

Es geht wieder um den Denkzwang. Das Ich muss ein Nicht-Ich setzen und sich entge-gensetzen aufgrund des Widerstands, den es seiner Tätigkeit entgegensetzt, denn der schafft das Gefühl. Es geht darum, dass da eines ist; bestimmen, wie es ist - qualifizieren -, muss wiederum das Ich selbst. So kommt der Prozess des Selbstbestimmens in Gang. Und wo immer er auf Widerstand stößt, zeugt er von der Objektivität des Gegenstands. 

Der Widerstand übt, so oder so, einen Denkzwang aus. Aber eben: so oder so. Bei realen Objekten muss das Denken innehalten, deliberieren und nach einem Aus-, d. h. Umweg suchen. Ideelle Objekte dagegen weisen den Weg unmittelbar: Es bleibt gar keine Wahl.
(Warum? Weil sie im selben Medium liegen wie die Operationen des Denkens.)

JE
13. 1. 19






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Montag, 18. Dezember 2023

Ein Garaus dem Dogmatismus.

 Karl-Heinz Laube            zu Wissenschaftslehre - die fast vollendete Vernunftkritik

Aber der Dogmatismus ist gänzlich unfähig, zu erklären, was er zu erklären hat, und dies entscheidet über seine Untauglichkeit. Er soll die Vorstellung erklären, und macht sich anheischig, sie aus einer Einwirkung des Dinges an sich begreiflich zu machen. / ...

Ein Ding dagegen soll gar mancherlei seyn: aber sobald die Frage entsteht: für Wen ist es denn das? wird niemand, der das Wort versteht, antworten: für sich selbst, sondern es muss noch eine Intelligenz hinzugedacht werden, für welche es sey; da hingegen die In-telligenz nothwendig für sich selbst ist, was sie ist, und nichts zu ihr hinzugedacht zu wer-den braucht. Durch ihr Gesetztseyn, als Intelligenz, ist das, für welches sie sey, schon mit gesetzt. Es ist sonach in der Intelligenz – dass ich mich bildlich ausdrücke – eine doppelte Reihe, des Seyns und des Zusehens, des reellen und des idealen; und in der Unzertrenn-lichkeit dieses Doppelten besteht ihr Wesen (sie ist synthetisch); da hingegen dem Dinge nur eine einfache Reihe, die des reellen (ein blosses Gesetztseyn), zu kommt. Intelligenz und Ding sind also geradezu entgegengesetzt: sie liegen in zwei Welten, zwischen denen es keine Brücke giebt. 

Diese Natur der Intelligenz überhaupt und ihre besonderen Bestimmungen will der Dog-matismus durch den Satz der Causalität erklären: sie soll bewirktes, sie soll zweites Glied in der Reihe seyn. /...

Die Intelligenz erhaltet ihr nicht, wenn ihr sie nicht als ein erstes, absolutes hinzudenkt, deren Verbindung mit jenem von ihr unabhängigen Seyn zu erklären, euch schwer an-kommen möchte.  

...es ist gar nicht erklärt, was erklärt werden sollte. Den Uebergang vom Seyn zum Vor-stellen sollten sie nachweisen; dies thun sie nicht, noch können sie es thun; denn in ihrem Princip liegt lediglich der Grund eines Seyns, nicht aber des dem Seyn ganz entgegenge-setzten Vorstellens. Sie machen einen ungeheueren Sprung in eine ihrem Princip ganz fremde Welt. ...

Doch, wer könnte es dem Dogmatismus verwehren, eine Seele als eines von den Dingen an sich anzunehmen? Diese / gehört dann unter das von ihm zur Lösung der Aufgabe postulirte, und dadurch nur ist der Satz von einer Einwirkung der Dinge auf die Seele anwendbar, da im Materialismus nur eine Wechselwirkung der Dinge unter sich, durch welche der Gedanke hervorgebracht werden soll, stattfindet. 

Um das undenkbare denkbar zu machen, hat man das wirkende Ding, oder die Seele, oder beide, gleich so voraussetzen wollen, dass durch die Einwirkung Vorstellungen entstehen könnten. Das einwirkende Ding sollte so seyn, dass seine Einwirkungen Vorstellungen würden, etwa wie im Berkeley'schen Systeme Gott. (Welches System ein dogmatisches, und keinesweges ein idealistisches ist.) Hierdurch sind wir um nichts gebessert; wir ver-stehen nur mechanische Einwirkung, und es ist uns schlechthin unmöglich, eine andere zu denken; jene Voraussetzung also enthält blosse Worte, aber es ist in ihr kein Sinn. Oder die Seele soll von der Art seyn, dass jede Einwirkung auf sie zur Vorstellung würde. Aber hiermit geht es uns eben so, wie mit dem ersten Satze; wir können ihn schlechterdings nicht verstehen.

So verfährt der Dogmatismus allenthalben und in jeder Gestalt, in der er erscheint. In die ungeheure Lücke, die ihm zwischen Dingen und Vorstellungen übrig bleibt, setzt er statt einer Erklärung einige leere Worte, die man zwar auswendig lernen und wieder sagen kann, bei denen aber schlechthin noch nie ein Mensch etwas gedacht hat, noch je einer etwas denken wird. Wenn man nemlich sich bestimmt die Weise denken will, wie das vorgegebene geschehe, so verschwindet der ganze Begriff in einen leeren Schaum.

Der Dogmatismus kann sonach sein Princip nur wiederholen, und unter verschiedenen Gestalten wiederholen, es sagen, und immer wieder sagen; aber er kann von ihm aus nicht zu dem zu erklärenden übergehen, und es ableiten. In dieser Ableitung aber besteht eben die Philosophie. Der Dogmatismus ist sonach, auch von Seiten der Speculation angese-hen, gar keine Philosophie, sondern nur eine ohnmächtige Behauptung und Versicherung. Als einzig-mögliche Philosophie bleibt der Idealismus übrig.
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J. G. Fichte, Erste Einleitung in die Wissenschaftslehre, SW I, S. 435-438



Nota. - Ich erfahre lediglich die Widerstände, die ein Etwas meiner Tätigkeit entgegen-setzt. Daraus schließe ich auf seine Beschaffenheit.
4. 12. 22
 
Nota II. - Jede reelle Wissenschaft verfährt notgedrungen dogmatisch, hat hat schon Kant bemerkt: Sie setzt irgendetwas voraus, womit sie das vergleicht, wonach sie fragt. Noch keine Intelligent ist in die Welt getreten mit der Frage: Was ist das? Das wäre wie mit den Händen fuchteön im Nebel. Merke: Ein unbestimmtes Fragen gibt es nicht. Frage ich: Was ist dieses?, so will ich wissen, was dieses ist. Und habe es bereits unterschieden von allem andern, das es nicht ist. Die Frage Was ist es? tritt in der Wirklichkeit zuerst be-stimmt auf. Nämlich nachdem ich mir von Diesem schon eine Vorstellung gemacht habe: Ist es so, oder ist es nicht so? Vor der Frage kam eine Voraus-Setzung. Ist es nicht das, was ich mir vorgestellt habe - was ist es dann? 

Und schon haben wir es nicht mit einer bloßen unbefangenen Anschauung zu tun, son-dern mit einer absichtsvollen Reflexion. Wenn ich wissen will, womit ich zu tun habe, muss ich zurückgreifen auf das, worauf ich abgesehen hatte. Das war nicht, was mir vor-kam, sondern etwas, das ich vorhatte; zu tun vorhatte: mit 'diesem'.

Historisch hat damit nicht eine jede Wissenschaft neu angefangen und sich als diese spe-zifiziert. Das Wissen selbst - das Viele, das seit Jahunderttausenden die Menschen an Wis-sen angeschatzt hatten - ist so entstanden, und ohne dass die Wissenwollenden darauf re-flektiert hätten. Das ist erst geschehen, als die Menge des Gewussten so gewaltig wurde, dass man sie sortieren musste und nach ihrer gemeinsamen Voraussetzung befragen konnte.
 
Das wiederum versteht man seit Kant unter Philosophie. Und seither unterscheidet man zwischen reellen Wissenschaften, die notgedrungen 'dogmatisch' verfahren, und Weltan-schauungen, die Wissenschaft nur dogmatistisch gelten lassen. Zwischen beiden herrscht ein Krieg, der erst mit dem Garaus des Dogmatismus enden wird.
JE

Dynamische Darstellung, statische Kritik, I.

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