Freitag, 31. März 2023

Das Mysterium des Anfangs.

 99u.                                              zu Philosophierungen

Es ist das Mysterium des AnfangsDer Anfang lässt sich nicht diskursiv denken, nicht begreifen, nämlich nicht auf seine Bedingungen zurückführen, denn die wären 'vor' dem Anfang, was widersinnig ist. Der Anfang lässt sich nur anschauen, nämlich actu: indem ich ihn mache.
 

Vom Urknall und dem Anfang von Raum und Zeit ist ja hier nicht die Rede. Es geht um den Anfang des Vorstellens, aus dem Vorstellen tritt die Wissenschaftslehre an keiner Stelle hinaus; sie darf gar nicht anders als immanent argumentieren.
29. 7. 17 

Das Mysterium des Anfangs ist das Mysterium der Freiheit. Freiheit sei das Vermögen, absolut anzufangen, sagt Kant. Freiheit und Anfangen sind Wechselbegriffe, wer die eine leugnet, leugnet das andere. 

Im sinnlichen Bereich lässt sich der Anfang umstandslos leugnen - ganz einfach, weil er nichts erklärt, doch um Erklärungen geht es beim positiven Wissen: Die sinnliche Welt ist das Reich der Kausalität und eo ipso der Determination. 

Der Urknall als Gegenstand der Naturlehre ist allerdings ein Paradox. Doch aufzulösen ist es nicht durch spekulative Philosophie, sondern durch die Naturlehre selbst. Ihr Zweck sind diskursive Sätze, ihre Mittel sind Begriffe. Sie wird ihre Begriffe hinreichend sophistizieren müssen. Vorstellen kann man sich ihre Sätze schon lange nicht mehr. 

Eine übersinnliche Welt lässt sich dagegen ohne Anfang gar nicht erst denken. Übersinnlich sind im Unterschied zu den Dingen deren Bestimmungen. Wären sie nicht irgendwann un-vermittelt - 'von außen' - zu den Dingen hinzu gekommen, wären sie deren Bestandteil und ließen sich nicht von ihnen unterscheiden. 

Schlaumeier mögen sagen: Sie waren schon immer in oder an den Dingen - es hat sie nur niemand erkannt. Ja, dann muss wohl einmal einer mit dem Erkennen angefangen haben. Wie das? Indem er mit den Dingen etwas anfangen wollte... Die Bestimmung, die er an dem Ding vorgefunden hat, ist Etwas: im Positiven oder Negativen die Absicht, in der er anfan-gen wollte. Er hat sie also nicht am Ding vor-, sondern in das Ding hinein gefunden. Was in ihm 'an sich' war, mag es in Ewigkeit bleiben und wird es nie zu Etwas bringen.

22. 4. 19


Donnerstag, 30. März 2023

Ein Dauerndes in aller Veränderung ist die Bedingung von Erfahrung.

 wendelsteinbild                                                                    zu Philosophierungen

Alle Erfahrung ist ein beständiger Wechsel von Veränderungen. Woher nun das Fortdau-ernde, welches in den Erscheinungen erscheine? Jenes Dauernde ist nichts anderes, als das in allem Wechsel vorstellende Ich als das Handelnde, aber es erscheint qualis talis nicht, es erscheint objektiv, weil es in die Anschauung hereinfällt.
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J. G. FichteWissenschaftslehre nova methodoHamburg 1982, S. 91f. 



Nota. - Talis qualis: "als solches". Es erscheint selber nicht als solches, weil es selber die Bedingung des Erscheinenden und ergo seiner Anschauung ist.
JE,
8. 5. 19


Mittwoch, 29. März 2023

Das Bestimmen hat eine vordere und eine hintere Grenze.

 Lothar Sauer                                                                     zu Philosophierungen
 
Bestimmt und unbestimmt haben nur in Bezug aufeinander einen Sinn. Nichts ist absolut bestimmt, nichts ist absolut unbestimmt. Jedenfalls nichts, was ich mir vorstellen kann.

Zu welchen Operationen eine Vorstellung taugt, kann ich nur prüfen, wenn ich sie be-stimme, nämlich zum Begriff vereindeutige. Ich stelle mir die Figur eines Quadrats vor. Um sie zu begreifen, nämlich so, dass ich sie in meiner Vorstellung willkürlich wieder hervorrufen und sie womöglich einem Andern erklären kann, müsste ich sagen: eine ge-schlossene Figur aus vier gleichlangen Schenkeln. Dass sie nur zwei Dimensionen hat, dass sie vier rechte Winkel hat, muss ich nicht hinzufügen, es folgt aus der Prämisse. Mit dem so gefassten Begriff kann ich gedanklich operieren, dafür ist er hinreichend be-stimmt.


Um praktisch zu konstruieren - ein Haus etwa -, muss ich im Fortbestimmen den Begriff überschreiten und eine wirkliche Figur zeichnen, indem ich nämlich eine bestimmte Länge angebe, 23 mm zum Beispiel. Das ist nun kein Begriff mehr, sondern ein wirkliches Qua-drat; ein Bild. Als ein solches kann ich es mir aber nicht vorstellen; 23 mm, 53 mm, 87 mm? Das geht nur noch ungefähr, und auch nicht absolut, indem ich die Augen schließe, sondern nur relativ, indem ich auf ein vorhandenes Ding schaue und es zum Maßstab nehme. In der Wirklichkeit, als Bild, kann ich mir ein Quadrat nicht vorstellen, sondern muss es anschauen.

Mein Bestimmen hat seine Außengrenze in den Singulariis, die bestimmt sind wie alles Wirkliche, und seine Vordergrenze in dem Zustand, wo ich mir nichts mehr vorstelle - weil ich entweder mein Bewusstsein ruhen lasse oder weil ich mich ganz ins Anschauen versenke. Letzteres ist, was Schiller den ästhetischen Zustand nennt.

Wo nichts vorgestellt wird, gibt es nichts zu bestimmen. Wo schon alles bestimmt ist, gibt es nichts vorzustellen. 

Was immer zwischen Subjekt und Objekt geschieht, ist Bestimmung. Sie selber liegen außerhalb; es ist das Bestimmen, das sie zu dem macht, was sie sind.

8. 7. 17


Was immer ich tue - ich bestimme. Man kann nicht nicht-bestimmen? Man kann nichts tun. Allerdings nicht lange. Früher oder später muss der Mensch etwas tun, früher oder später muss er bestimmen. Muss er etwas bestimmen! Hinter das, was es vorfindet, kann sein Bestimmen nicht zurückgreifen, er kann es allenfalls links liegen lassen und - in die-sem Fall nichts tun. Bestimmen kann er nur, was er anschaut.

Das ist die vordere Grenze. Und er kann beim Bestimmen über den Horizont seiner An-schauung hinausgehen. Er kann Begriffe bestimmen, unter denen er sich nichts mehr vor-stellen kann. Er kann mit ihnen auf unanschauliche, nämlich formalisierte und digitalisier-te Weise immer in der Absicht, zu Ergebnissen zu gelangen, die er sich wieder vorstellen kann - so, als ob er sie ansähe. Das ist ein problematisches, ein hypothetisches Bestim-men, kein wirkliches, es ist ein Bestimmen auf Verdacht. Das ist die hintere Grenze. Die theoretische Physik bewegt sich in diesen Breiten.
9. 5. 19




Montag, 27. März 2023

Schweben und übergehen.

                                                                                                                       zu Philosophierungen

Die Einbildungskraft setzt überhaupt keine feste Grenze; denn sie hat selbst keinen festen Standpunkt; nur die Vernunft setzt etwas Festes, dadurch, daß sie erst selbst die Einbil-dungskraft fixiert. Die Einbildungskraft ist ein Vermögen, das zwischen Bestimmung und Nicht-Bestimmung, zwischen Endlichem und Unendlichem in der Mitte schwebt. ... Jenes Schweben eben bezeichnet die Einbildungskraft durch ihr Produkt: sie bringt dasselbe gleichsam während ihres Schwebens, und durch dieses Schweben hervor.
Fichte, Grundlage der gesammten Wissenschaftslehre, SW I, S. 217

Man werde ferner finden, wird behauptet, dass man sich im Entwerfen des Begriffs vom Ich nicht tätig setzen könne, ohne diese Tätigkeit als eine durch sich selbst bestimmte, und diese nicht ohne ein Übergehen von der Unbestimmtheit oder Bestimmbarkeit zu setzen, welches Übergehen eben die bemerkte Tätigkeit ist.
Fichte, Wissenschaftslehre nova methodo, Hamburg 1982, S. 43


Die Wissenschaftslehre inventarisiert nicht - man kann es nicht oft genug wiederholen - das fertige Reich der Vernunft mit all seinen Begriffen und erwiesenen Schlussregeln, um sie einer nachträglichen Kritik zu unterziehen; sondern will erhellen, wie es zu Stande gekommen ist. Zu Stande gekommen ist es aus dem aktiven Vorstellen, welches eine Agi-lität ist, die sich als Einbildungs- und Urteilkraft zugleich erweist. Den einbildenden Teil nennt Fichte die reale, den urteilenden Teil die ideale Tätigkeit. Die charakteristische Be-wegungsweise der einen ist das Übergehen, die charakteristische Bewegungsweise der andern ist das Schweben.

Schweben und Übergehen sind sozusagen die Meta-Vorstellungen, die der Wissenschafts-lehre zu Grunde liegen. Sie sehen sich zum Verwechseln ähnlich; so dass man sich gar nicht entscheiden mag, welche zu welcher gehört
JE,11. 10. 18



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Sonntag, 26. März 2023

Ein absoluter Anfang ohne Grund.

nach Dalí                          aus Wissenschaftslehre - die fast vollendete Vernunftkritik

Jenes Übergehen als solches wird angeschaut als seinen Grund schlechthin in sich selbst habend, die Handlung dieser Tätigkeit heißt darum reale Tätigkeit, welche der idealen, die die erste bloß rein abbildet, entgegengesetzt wird; sonach wird die Tätigkeit des Ich in diese beiden Arten eingeteilt. ... 

Die Handlung des sich selbst Setzens des Ich ist ein Übergehen von der Unbestimmtheit zur Bestimmtheit; wir müssen / darauf reflektieren, wie das Ich es macht, um von der Un-bestimmtheit zur Bestimmtheit überzugehen.

Hier gibt es keine Gründe; wir sind an der Grenze aller Gründe. Man muss nur zusehen, was man erblickte. Jeder wird sehen: es gibt keine Vermittelndes. Das Ich geht über, weil es übergeht, es bestimmt sich, weil es sich bestimmt, dies Übergehen geschieht durch einen sich selbst begründenden Akt der absoluten Freiheit; es ist ein Erschaffen aus nichts, ein Machen dessen, was nicht war, ein absolutes Anfangen. ...

Die Tätigkeit, die sich darin äußert, soll heißen reale Tätigkeit; der Akt, durch welchen er sich äußert, ein praktischer; das Feld, worin er sich äußert, das praktische, diesem Akte haben wir zugesehen und sehen ihm noch zu. Die Tätigkeit, womit dies geschieht, soll heißen ideale Tätigkeit.
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J. G. Fichte, Wissenschaftslehre nova methodoHamburg 1982, S. 46f.



Nota. - Aus nichts wird nichts, wird Fichte später, nach seiner dogmatischen Wendung, sagen - wo es nämlich erstmals ausdrücklich um das Woher - und also um Warum und Wozu - der Vernunft geht. 'Gab es' Vernunft, bevor 'das Ich sich setzte', dann war sie der Grund seines Setzens und sie war der absolute Anfang ohne Grund. 

Der Transzendentalphilosoph Fichte hätte diese Darstellung als transzendent und eo ipso als dogmatisch verworfen. Er hätte vielmehr gesagt: Das sich-Setzen des Ich als das grundlose Übergehen vom Unbestimmten zum Bestimmteren ist selbst der Anfang der Vernunft; nur als ein solches hat das Wort Vernunft überhaupt eine Bedeutung.

*

Die Aufgabe, die sich die Wissenschaftslehre gestellt hat, war nicht das transzendent-dogmatische Projekt, die Welt und alles, was in ihr vorkommt, aus ihren Ursachen zu er-klären; nämlich so, dass aus der Ersten Ursache alles andere mit Notwendigkeit erfolgen musste. Das hatten die metaphysischen Systeme vor Kants kopernikanischer Wende ver-sucht.

Die Transzendentalphilosophie wusste sich damit zu bescheiden, das vorgefundene Fak-tum der Vernunft zu erklären. Sie muss nicht erklären, weshalb ein Ich 'sich gesetzt hat': Es hat es getan, das ist das Faktum, von dem wir ausgehen müssen. Dass das Auftreten der Vernunft in der Welt notwendig war, kann und darf sie gar nicht behaupten, denn da-zu müsste sie hinter die Vernunft zurückgreifen - vor den Punkt, als 'es' sie 'gab'.   Dazu müsste sie der Vernunft entraten. Die war aber Ausgangs- und Zielpunkt der Transzen-dentalphilosophie.

*

Insofern kann man Fichte der Inkonsequenz nicht zeihen. Denn mit seinem Einknicken vor Jacobi und seiner Bereitschaft, den Glauben der Vernunft voranzuschicken, hat er ge-nau das getan: der Vernunft entraten.

JE  1. 6. 18




Samstag, 25. März 2023

Zwei Wissenswelten.

                                                            aus Philosophierungen, oder Das Vernunftsystem

Man muss die Vernunft als Ganzes auffassen, dann findet kein Widerstreit statt, dann ist die Natur ganz absolut durch sich selbst gesetzt als absolutes Sein, entgegengesetzt nur dem absoluten Ich. Diese Ansicht muss eine Naturwissenschaft nehmen.
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J. G. Fichte, Wissenschaftslehre nova methodo, Hamburg 1982, S. 240 



Nota. -  Mit der Natur - nämlich allem, was in ihr wirklich vorkommt - beschäftigen sich die Wissenschaften. Sie ist, wie sie ist, und ohne Apriori, das ihr zugrunde läge. Die Ver-nunft nimmt sie so, wie sie ist, und das heißt: nicht anders, als sie erscheint. Die Vernunft ist realistisch. Auch gegenüber der selbstgemachten Geschichte der Menschen, die in ihr vorkommen.

Ansonsten gibt es überhaupt nur die Sphäre des absoluten Ich, und das ist nichts anderes als der Gang, den die Vorstellung genommen hat und nehmen musste, um Vernunft aller-erst hervorzubringen. Der Natur ist sie natürlich, als ihrem Gegenstand, entgegengesetzt und kommt in ihr nicht vor. Sie ist die Sphäre absoluter Tätigkeit.

JE, 14. 6. 19



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Freitag, 24. März 2023

Es gibt kein Wissen ohne Voraussetzung.

                       aus Wissenschaftslehre - die fast vollendete Vernunftkritik

Der praktische Zweck nun ist, diese Zweifel zu lösen; den Menschen in Übereinstim-mung mit sich selbst zu bringen, dass er aus Überzeugung und aus Gründen seinem Bewusstsein glaubt, wie er es vorher aus Vernunftinstinkt tat. (Der ganze / Zweck der Bildung des Menschen ist, ihn durch Arbeit zu dem zu machen, was er vorher ohne Arbeit war.) Dieser Zweck ist in der Kantischen Philosophie völlig erreicht, sie ist be-wiesen, und jeder, der sie versteht, muss sie für wahr halten. 

Aber der Mensch ist auch nicht bestimmt, sich damit begnügen zu lassen. Er ist be-stimmt zu vollständiger und systematischer Kenntnis. Es ist nicht genug, dass unsere Zweifel gelöst und dass wir zur Ruhe verwiesen sind, wir wollen auch Wissenschaft. Es ist ein Bedürfnis der Menschen nach Wissenschaft, und die Wissenschaftslehre macht sich anheischig, dies Bedürfnis zu befriedigen. 

Also die Resultate der Wissenschaftslehre sind mit denen der Kantischen Philosophie dieselben, nur die Art, sie zu begründen, ist in jener eine ganz andere. Die Gesetze des menschlichen Denkens sind bei Kant nicht streng wissenschaftlich abgeleitet, dies soll aber in der Wissenschaftslehre geschehen. In dieser werden abgeleitet die Gesetze des endlichen Vernunftwesens überhaupt; im Kantischen System werden bloß aufgestellt die Gesetze des Menschen, weil es bloß auf Erfahrung beruht, diese werden in der Wissen-schaftslehre bewiesen. 

Ich beweise jemandem etwas heißt, ich bringe ihn dazu, dass er annehme, dass er irgend-einen Satz schon zu-gegeben habe, indem er die Wahrheit irgendeines anderen vorher zugegeben hatte. Jeder Beweis setzt also bei dem, dem er bewiesen werden soll, schon etwas Bewiesenes voraus, und zwei, die über nichts einig sind, können einander auch nichts beweisen. 

Da nun die Wissenschaftslehre beweisen will die Gesetze, nach denen das endliche Ver-nunftwesen bei Hervorbringung seiner Erkenntnis verfährt: so muss sie dies an irgend et-was anknüpfen, und da sie unser [Wissen?] begründen will, an etwas, das jedermann zugibt. Gibt es so etwas nicht, so ist systematische Philosophie unmöglich.
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J. G. Fichte, Wissenschaftslehre nova methodo, Hamburg 1982, S. 6f.


Nota. - Das ist das Verfahren der Wissenschaftslehre: Statt freihändig Begriffe zu definie-ren und daraus ein System zu bauen, sucht sie in den wirkliche Vorstellungen der 'endli-chen' Vernunftwesen die ihnen zu Grunde liegenden anschaulichen Voraussetzungen auf, und erst, wenn sie an den Punkt gerät, hinter den es nicht hinausgeht, kehrt sie ihren Gang um und setzt, was sie zuvor analytisch auseinandergelegt hatte, synthetisch wieder zusammen; daran, ob auf diesem Weg die wirkliche Vorstellungswelt der 'endlichen Ver-nunftwesen' hinreichend rekonstruiert werden kann, entscheidet sich ihre Richtigkeit.

Nota II. - 'Der Mensch ist bestimmt zu vollständiger und systematischer Kenntnis': woher weiß er das? Nach seiner Lehre ist der Mensch, sofern er Vernunftwesen ist, nur bestimmt als das, wozu er sich selbst bestimmt. Wenn er sagt 'So ist es', kann es sich entweder um die Feststellung eines empirisch Vorgefundenen handeln, oder um ein Postulat: 'So soll es sein.' - Tatsächlich handelt es sich hier um beides; es ist die historisch vorgefundene Tat-sache des autonomen bürgerlichen Subjekts; und der Entschluss des theoretischen Philo-sophen, dies empirisch Gegebene als den Zielpunkt seiner (Re-) Konstruktion anzusehen. Die Wissenschaftslehre ist die Anthropologie des bürgerlichen Zeitalters.

30. 5. 16


Nota III. - ... dass er aus Überzeugung und aus Gründen seinem Bewusstsein glaubt, wie er es vorher aus Vernunftinstinkt tat': Die Vernunft kam zuerst, Vernunftkritik kam da-nach.

Der gesunde Menschenverstand vertraut der Vernunft, weil sie ihm durch Dienste, die sie täglich leistet, ihre Zuverlässigkeit beglaubigt. Zur Kritik gibt es im geschäftigen Alltag keinen Anlass. Anders ergeht es den Gelehrten. Sie begnügen sich nicht mit der Einsicht, dass etwas ist, sondern wollen wissen, warum. 

Dem gesunden Menschenverstand liegt es klar und deutlich vor Augen, dass er alles, was er weiß, aus Erfahrung weiß. Der harte Kern der Erfahrung ist die Beobachtung, dass dieses nicht zufällig, sondern mit Notwendigkeit aus jenem folgt. Und just an diesem Kern muss der gesunde Menschenverstand, wenn er nur soviel Skepsis walten lässt wie bei seinen Geldgeschäften, einsehen, dass er gerade dies nicht "aus Erfahrung" weiß. Beob-achten kann er vorher und hinterher; aber wegen kann er weder sehen noch betasten, weder hören, schmecken oder riechen.

Das war der Punkt, an dem Kants Kritik ansetzte.

JE, 18. 10. 20



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Mittwoch, 22. März 2023

Vernunft ist das fortschreitende Bestimmen des Unbestimmten.

                                       aus Philosophierungen, oder Das Vernunftsystem

Dem vernünftigen Bewusstsein - fast ist das eine Tautologie - erscheint die Welt als ein virtuell geschlossenes System von Begriffen, die einander wechselseitig bestimmen, indem sie ihre jeweiligen Geltungsbereiche gegeneinander eingrenzen: de-finieren. Dieses Sys-tem ist entstanden und vervollständigt sich weiter durch den Gebrauch; die Bedeutung der Wör-ter ist ihre Verwendung im Sprachspiel.

Doch geschlossen ist es erst virtuell. Reell stößt die Verwendung im Sprachspiel immer wie-der auf Lücken: Die müssen geschlossen werden durch das Einpassen in die Leer-stellen, die das Sprachspiel bislang frei gelassen hatte; einpassen so, dass bisherige Defini-tionen gegebe-nenfalls justiert werden müssen. (Ist ein ganzer Komplex von Bedeutungen berührt, ge-schieht ein sogenannter 'Paradigmenwechsel'.) Die - quasi transzendentale - Prämisse bleibt unberührt: Das System ist intakt. Es geht immer nur darum, es auszufül-len.

Denn nur, wenn der Rahmen gewahrt bleibt, ist es überhaupt ein System; nur dann kann erwartet werden, dass aktuell auftretende Lücken von uns gewiss gefüllt werden können, weil sie an sich schon gefüllt sind.


*


Das gilt freilich nur für die Begriffe. Wenn das System geschlossen ist, gelten die Begriffe an sich. Oder anders, wenn die Begriffe an sich gelten sollen, muss ich mir das System als ge-schlossen vorstellen.

Rationell sollte ich aber gar nicht vom System der Begriffe - oder "der Welt" - ausgehen. Rationell muss ich mich an das halten, was ich weiß, und was ich weiß, ist lediglich das, was in meinem Wissen vorkommt. Tautologisch? Nicht, wenn ich mir klarmache, das in mei-nem Wissen nichts anderes vorkommt als meine Vorstellungen. Dass ich mir (etwas) vorstelle, ist nun das einzige, was ich nicht bezweifeln kann (weil anders ich auch das Be-zweifeln bezweifeln und... gleich wieder aufhören müsste, nachdem ich kaum angefangen habe). 

Wenn ich zugeben muss, dass ich vorstelle, muss ich annehmen, dass ich es konnte; ich mei-ne: muss, sonst wäre gleich wieder Schluss. Wenn ich es ohne eine andere Vorausset-zung konnte - und das muss ich annehmen, denn ich habe keine weitere Voraussetzung gemacht -, dann muss ich annehmen, dass ich es ohne Voraussetzung können werde; es sei denn, ich stelle mir selber Dinge vor, die zu Voraussetzungen werden, die mich am Fortschreiten hindern. 

Vorstellen ist, nach Fichte, Übergehen vom Bestimmbaren zum Bestimmten. Annehmen musste ich: ein Vermögen dazu. Das heißt konventionell Ich. Es ist selber nicht bestimmt: Das könnte es erst selber besorgen. Wie? Indem es sich Etwas vorstellt. Ist es bestimmt? Das wird man sehen: Lässt es sich bestimmen? Dann kann ich fortschreiten; wenn nicht, dann wäre - hier wiederum Schluss.

Wenn das richtig ist, dann kann das Bestimmen kein Ende finden - und das Bestimmbare schon gar nicht. Denn anders würde die ganze Kette hinfällig, und ihre Prämisse, ihr er-stes Glied: dass Ich Unbestimmtes zu bestimmen vermag. Das System, das ich mir allen-falls vorstellen kann, ist ein System in processu, ein unabgeschlossenes System.

Und wer immer diese Prämisse bestreiten wollte - dass ich zu bestimmen vermag -, wird doch jene andere Prämisse - jene andere Seite der Prämisse -, dass es Unbestimmtes gibt, nicht bestreiten können. Das System meiner Vorstellung kann gar nicht abgeschlossen wer-den; und mit jedem weiteren Fortschritt des Bestimmens kann - mag? soll? - eine rückwirkende Umbestimmung der gesamten Kette geschehen.


Summa: Von Einem lässt sich schlechterdings, bei gutem und bei schlechtem Willen, nicht abstrahieren: dass es in der Welt, wie immer wir sie uns denken, teils Bestimmtes, 27. 12. 16 


Nachtrag I - Das ist die Pointe: dass es in unserer Welt - in der intelligiblen der 'Reihe ver-nünftiger Wesen' - das völlig Unbestimmte gar nicht mehr gibt. Denn hier, wo ich mich schon als einen bestimmen-Sollenden vorfinde, ist alles, was mir begegnet, zumindest als ein Zu-Bestimmendes bestimmt. Vom Bestimmen Abstand nehmen und das noch-Unbe-stimmte als unbestimmt anzuschauen, ist ein willentlicher Akt. Wo er in unserer Welt, der 'Reihe vernünftiger Wesen' geschieht, ist er der ästhetische Akt schlechthin. Er ist eine Abstinenz vom Vernunftgebrauch. 

Eine gewisse Brisanz liegt nun darin, dass auch das sittliche Urteil ein ästhetisches Urteil ist, das auf Willensbestimmungen angewandt wird. Sittliche Urteile folgen nicht aus dem Ver-nunftgebrauch, sondern gehen ihm, sofern überhaupt ein Zusammenhang bestehen soll, allenfalls voraus.
24. 9. 18


Nachtrag II - Eigentlich ist die Wissenschaftslehre ganz einfach. Die pragmatische Ge-schichte des Geistes geht so: Homo sapiens hat die Welt, auf die er als generisches Sub-jekt einmal gekommen ist, unbestimmt vorgefunden, und ist seither mit Bestimmen be-schäftigt; und wird es bleiben, solange es ihn gibt.



Nota. Das obige Bild gehört mir nicht, ich habe es im Internet gefunden. Wenn Sie der Eigentümer sind und seine Verwendung an dieser Stelle nicht wünschen, bitte ich um Nachricht auf diesem Blog. JE

Wissenslehre: Durch einander.

 birgitH, pixelio.de       aus Wissenschaftslehre - die fast vollendete Vernunftkritik

Begründung der Wissenschaftslehre; Unbedingtheit des wahren Wissens; die problema-tische Bedingungslosigkeit der Wahrheit:

Wenn überhaupt 'es' Wahrheit geben 'soll', so muß sie unbedingt sein (=unbedingt gelten; denn 'Wahrheit' bezieht sich ohnehin nur auf Geltung; nicht auf sinnlich Gegebenes.)

Unbedingt = ihre Geltung beruht "in" ihr selbst und nicht "auf" einem Anderen; welches andere - als der 'Grund', auf dem sie 'beruht' - sonst selber die Wahrheit wäre, und so weiter in infinitum. -

Nun gibt es nur zwei Möglichkeiten: (1) [unendliche Reihe]: hinter jeder Denkbestim-mung, welche 'gilt', lässt sich immer noch eine andere 'auffinden', auf welcher ihre Gel-tung beruht, und wir kämen nie zu einem Punkt, an dem wir halten und an den wir uns halten können; dann ist die Suche nach Wahrheit ein unendlicher Regress, in dem 'es' kei-nen Grund 'gibt'; also keine Wahrheit, und was immer wir sagen, möchte vielleicht den "Bedürfnissen" unserer Sinne (mit denen "die Natur" uns versehen hat) von Nutzen sein; aber einen Maßstab, nach dem wir die "Bedürfnisse" des einen im Vergleich zu den Be-dürfnissen eines andern beurteilen könnten, gäbe es dann nie und nimmer...

- Diese erste Möglichkeit, regressus in infinitum, tritt nur ein unter der Voraussetzung, dass die Reihe der möglichen Denkbestimmungen eine unendliche ist; d. h. dass wir an keinem Punkt (bei der analytischen Rückführung der Gültigkeit von Denkbestimmung Y auf Denkbestimmung X) auf Etwas stoßen, das in der bereits zurückgelegten Reihe schon einmal vorgekommen ist.

(2) [Kreis]: Finden wir jedoch einen solchen Punkt, so ist der Regress an seinem Ende - und wir drehten uns im Kreis. Dann aber ist - mittelbar - jede Denkbestimmung in jeder andern begründet (sofern man den ganzen Kreis genügend weit durchläuft). Dann be-gründen sie alle einander; begründen "sich" "durcheinander".

Aber dadurch ist der Kreis selber doch nicht begründet. Ob er als Ganzes "gilt", ist dann immer noch so fraglich, wie es vorhin bei der unendlichen Reihe war. Aber einen Schritt sind wir dennoch weiter: wenn 'es' Wahrheit 'gibt', dann könnte es jetzt nur noch der Punkt sein, der den Kreis-Lauf "zusammenhält"; als dasjenige, welches macht, dass eine Bestimmung in allen andern begründet ist ('Mittelpunkt' wie 'Radius' des Kreises: kom-men in keinem einzelnen Punkt auf dem Kreise selber vor; "begründen" aber jeden ein-zelnen von ihnen, so dass einer aus dem andern "folgt"; warum? Weil 'Mittelpunkt' und 'Radius' nur Handlungsanweisungen sind, wie der Kreis konstruiert werden soll.)

"Zusammen" hängen sie im Durcheinander ("totale Relation", GL); welches ist: die Form (eídos, Bild, schêma), durch welche sie zu Stande kommen; der Akt, in welchem sie 'ge-setzt' werden; Form des Akts selbst (Form = geronnener Akt; Form des Akts "überhaupt" = Form der Form, "absolute" Form, Form an sich {WL 1804, S. 84}). [Von "ich p, dass q" bleibt nur noch: "p", da 'ich' und 'dass q' materiale Bestimmungen sind, die als zufälli-ge fortfallen; welches "p" für sich aber nicht bestehen kann.]

Das Durcheinander ist Form der Form, und als solche Grund der Geltungen = "die Wahr-heit" selbst. Sie ist unbedingt, aber nur unter der in - einer anderen Ebene liegenden! - "Be-dingung", dass sie sein soll; gilt nur, weil und sofern die gelten soll. Diese Bedingung liegt außerhalb des Kreises selbst und nicht, wie das Durcheinander, "innerhalb". Ist durch Denkbestimmungen also nicht zu entscheiden (läge ja sonst im Kreis des Gewussten - und wäre realer "letzter Grund", auf den wir doch irgendwann hätten stoßen müssen). Ist nur durch Freiheit zu entscheiden; "praktisch", nicht theoretisch. (Lässt sich theoretisch nur mittelbar, apagogisch rechtfertigen, im modus tollens, durch reductio ad absurdum der entgegengesetzten Annahme: "Soll" es Wahrheit nicht geben (soll keine Geltung sein), dann ist jede Aussage in dieser Sache - und jede Aussage überhaupt - ungültig.)

Wie lässt sich nun die Frage: 'unendliche Reihe oder Kreis' entscheiden? Etwa faktisch, als wirkliche Durchmessung aller möglichen Denkbestimmungen und Auffinden eines (wirk-lichen) Punkts, in dem (wirklich) zwei (wirkliche) Denkbestimmungen gemeinsam begrün-det sind? Z folgt aus Y, Y folgt aus X, X aus W usw., bis: B folgt aus A, aber A folgt aus Z', und 'es zeigt sich', dass Z' ebenfalls aus... Y folgt... Die Lösung im Begriff der WL (1793) geht so: Wenn das Wissen eine unendliche Reihe ist, dann ist es nicht begründet; eine solche Annahme ist aber sinnlos, denn sie wäre ihrerseits - nicht begründet. Wenn überhaupt gültig gedacht (= gewusst) werden soll, dann muss vorausgesetzt werden, dass das wirkliche Wissen keine unendliche Reihe, sondern ein 'System' (Verweisungszusam-menhang, Kreis usw.) ist; dieser ist aufzusuchen, indem von einer (x-beliebigen) wirkli-chen Denkbestimmung nach und nach alles Materiale [das Was der Aussage] abgezogen wird und nur noch die reine Form [das Dass: dass überhaupt ausgesagt wird...] zurück-bleibt; eidetische Reduktion, epochê möchte man sagen. -

Denn ließe sich anders aus einer (faktischen) reellen Denkbestimmung tatsächlich jener Punkt herausfiltern, in dem sie mit den (oder auch nur mit einer) andern gemeinsam wirklich begründet ist, dann wäre das Problem theoretisch und positiv gelöst: wir hätten erwiesen a) dass 'es' Wahrheit 'gibt', und b) worin sie "besteht" ("worauf" sie "beruht"). Alles andere könnten wir uns schenken. -

Tatsächlich ("real") ist das Wissen der Menschen (Sinngebungen des Faktischen) von einer Bestimmung zur andern fortgeschritten; historisch ist es ein "Diskurs": ein Gewuss-tes wurde auf einem Gewussten abgesetzt, "begründet"; indem ein bislang Unbekanntes auf ein schon Bekanntes "zurückgeführt", "durch" es "erklärt" wurde; also der tatsäch-liche Gang des menschlichen Wissens ist an sich 'diskursiv'; unabhängig vom Sein "magi-scher", mythischer oder sonstwelcher Repräsentationsweisen.

Diskursiv in specie wird das Denken, seit die neu hinzutretenden "Gewusstheiten" nach Regeln geprüft werden, bevor sie dem Wissensfundus einverleibt werden; d. h. verglichen werden mit dem schon Gewussten einerseits, und dem schon erworbenen Wissen über das Wissen andererseits ["Kritik"]. So beginnt Wissenschaft: punktuell durch Reflexion des reellen Wissens auf sich selbst, d. h. das Eintreten der "idealen" Tätigkeit in den Voll-zug selbst der "realen" Tätigkeit. Ist aber dimensionell schon immer gegeben, sobald sich einer auch nur fragt: Stimmt das auch, was ich da zu wissen meine?

Wissenschaftslehre ist nun der Schritt, das Ganze angehäufte Realwissen daraufhin zu überprüfen, ob und wie es insgesamt begründet ist. Das heißt, die reale Anschatzung von Gewusstheiten im Verlauf unserer Gattungsgeschichte wird rückwärts auf ihre Gültigkeit überprüft. Also Gesetze, die das Denken in seinem vieltausendjährigen Vollzug sich selbst gegeben hat, werden ex post factum auf diesen Vollzug selbst zurückprojiziert [als dessen Maßstab hineingetragen]. Da kann man dann bis zu einem gewissen Grad der Gemein-plätzlichkeit sagen: "Die Leistungen des transzendentalen Subjekts sind nichts als die Er-werbungen unserer Gattungsgeschichte"; so Habermas in bemerkenswerter sachlicher Übereinstimmung mit Konrad Lorenz und den Vulgärpragmatisten, zu denen auch H. Vaihinger zu zählen ist: Das "Apriori" sei durch trial and error aufgefunden worden in natürlicher Auslese: indem es sich "bewährt" habe im Dienste "des Lebens".

Sei's.

Aber das sagt allenfalls etwas über die tatsächliche Nützlichkeit (pragmatische Richtigkeit) unseres Wissens. (Für die Realwissenschaften kommt es freilich auch nur darauf an.) Aber was Wahrheit ist, wissen wir darum noch lange nicht. Es hieße ja nur, dass die Instrumen-te, die wir uns selbst geschaffen haben, den Erfordernissen unserer Lebensnotdurft hin-reichend "angepasst" sind; jusqu' à nouvel ordre: und dann bauen wir sie eben um, wie's uns grade passt.

Wir sind aber so reich geworden, dass es nicht mehr genügt (theoretisch!), uns unser Le-ben aus der Notdurft ("Naturnotwendigkeit") begreiflich zu machen, und der Sinn ("Fort-schritt") der Menschheitsgeschichte [wenn sie denn einen haben "soll", kann es nur dieser sein] war der, dass nun schon viele von uns so wohllebend geworden sind, dass ihnen ein solches 'Begreifen' lebenspraktisch öd und entkräftend vorkommt. Sich am Leben erhal-ten ist ein Zweck ohne Würde.

So ist das "Bedürfnis", recte: Streben nach Wahrheit aufgekommen. Wenn sie keine Sor-gen mehr um den Erhalt des Lebens haben, merken sie an der sich einstellenden langen Weile erst, dass sie einen Geist haben (Fichte, Rechtslehre 1812).

Wenn wir nun die einmal - historisch, "selektiv" - gewonnenen Maßstäbe für richtiges Denken im nachhinein - 'a posteriori' - an den Verlauf der tatsächlichen Wissensanhäu-fung in unserer Gattungsgeschichte herantragen, unterstellen wir ipso facto, dass diesel-ben Regeln allbereits gültig waren - 'a priori' -, bevor wir sie "entdeckt" haben. Anders wäre ihre (logische) Anwendung auf den (historischen) Verlauf des Wissenserwerbs gar nicht gerechtfertigt. Also wir müssen das Resultat unseres Wissens ihm ex post als seine Begründung voraussetzen. ("dass das Apriori zuerst Aposteriori gewesen sein muss..." Fichte. )

Wollen wir aber denken dürfen, müssen wir unser Aposteriori apriori hypostasieren (hy-pokeimenon), und postulieren - müssen postulieren - einen Zirkel im Wissen. Dann ist das Wissen kein grundloser Regress in infinitum (und wäre folglich gar nicht), sondern ein "in sich selbst begründeter" Kreis. Als solcher ist er begründet in seinem Konstruktions-prinzip: Form der Form, Form des Akts, actus purus (factum absolute fiens, WL 1805, S. 87)

Die WL ist erst Meta-Logik; hernach materiale Logik (= Lehre von dem, was wahr ist; was gelten darf.)
aus e. Notizbuch, 5. 6. 92

Nota. - Sie merken es: Das alles setzt stillschweigend voraus, dass als wirklich jeweils nur gelten soll, was getan wirdund streng genommen auch nur, während es getan wird. Das Schema des Tuns ist S p, dass q: Ein Subjekt prädiziert, dass q 'der Fall ist'; Ich bestimmt x als a.
JE, 6. 11. 22



Dienstag, 21. März 2023

Wovon handelt Transzendentalphilosophie?

M. Sowa, Der Verdacht             aus Philosophierungen 

Wenn die Transzendental- alias Kritische Philosophie nicht dazu taugte, im anthropolo-gischen Feld die Spreu vom Weizen zu trennen, wäre sie überflüssig.

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Die Transzendentalphilosophie fragt nach der Bedingung der Möglichkeit.

Möglichkeit ist eine rein logische Kategorie; eine Kategorie eben.

Eine Bedingung kann dagegen auch real sein. Was die Transzendentalphilosophie als Be-dingung aufgefunden hat, muss sich auch historisch auffinden lassen. Wenn die Bedin-gung real ist, ist die Möglichkeit logisch wirklich.

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Die Transzendentalphilosophie handelt von dem, was im Wissen vor sich ging, bevor es seiner bewusst wurde.

In ihr betrachtet sich das Wissen "von hinten und von vorn": Von hinten – a posteriori – als Reflexion; indem es sich bei seinem Tun zuschaut[Bei Fichte: ideale Tätigkeit.]

Von vorn – apriori – als Spekulation; indem sie es re-konstruiert, 'wie es gewesen sein muss, bevor…' [Bei Fichte: reale Tätigkeit.]

Wenn wir von dem, was im Wissen vorging, bevor es von sich wusste, Erfahrung  haben können, brauchen wir keine transzendentale Spekulation.

Würde also die Hirnphysiologie empirisch beschreiben können, wie es geschieht, dass unser Meinen und Dafürhalten "zu sich selber kommt", so dass es seine Gültigkeit selber beurteilen kann, und wäre sie gar selber dieses Zusichkommen  – dann hätte sich die Transzendentalphilosophie erübrigt. Sie kann aber – im besten Fall – nur die neuronalen Prozesse beschreiben, in denen "etwas geschieht". Aber was geschieht, weiß sie nicht. Dazu muss sie einen Begriff von Denken, Meinen, Wissen bereits haben;  woanders her, nicht aus ihren Laboren.

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Das ist keine Sache der Tiefenpsychologie: dort kann es Erfahrungen geben, sogar (wenn auch nicht eindeutig) mitteilbare. Keine Erfahrung kann ich haben von meinem Denken, bevor ich es durch Symbolisieren festgestellt habe. Ich kann nur rekonstruieren, "wie es gewesen sein muß", indem ich es so beschreibe, wie es gewesen wäre, wenn es in unserer Welt stattgefunden hätte, als Schema. Das ist Transzendentalphilosophie. Kein Tatsachen-erweis, sondern eine Sinnbehauptung. Ein endgültiger und "letzter Mythos" – die "Ge-schichte, die von dem spielenden oder abenteuernden oder bildnernden Ursubjekt han-delt" (H. Blumenberg). 
irgendwann nach 2001






Dynamische Darstellung, statische Kritik, I.

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