Sonntag, 30. April 2023

Kann Künstliche Intelligenz die Weltherrschaft übernehmen?

  zuJochen Ebmeiers Realien zu Philosophierungen  

Einen obersten Zweck, der 'ins Unendliche bestimmbar' wäre - und die Quintessenz un-serer Vernünftigkeit ausmacht -, könnte man der KI nicht einprogrammieren: 'Bestimmen' heißt qualifizieren, nämlich mit Selbstzwecken ("Werten") ausstatten, die 'am Horizont' in einander aufgehen sollen. Das setzt voraus Einbildungkraft und Urteilsvermögen. Urteils-vermögen setzt seinerseits Einbildungskraft ('die sich auf sich selber bezieht') voraus; die aber ist das Privileg eines organischen Lebens, das die Fesseln seiner natürlich Umwelt gesprengt hat. Sie setzen voraus eine Intelligenz, die durch ein System der Sinnlichkeit mit ihrer Welt wechselwirkt.  

Dass also die Künstliche Intelligenz eines Tages 'in Verfolgung des höchsten Zwecks' einen Eigenwillen entwickelt und Herrschaft über die Menschheit gewinnt, ist nicht zu erwarten.

Samstag, 29. April 2023

Der Zweck wird nicht entworfen, sondern als entworfen vorausgesetzt.

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Über die Reihe des idealen [Denkens]

Ich setze mich in jenem Denken des Synthetischen als entwerfend einen Zweckbegriff, dieses ist ein Denken, ich denke / mich also als denkend, wer denkt mich? Ich selbst im synthetischen Denken, dessen Gegenstand ein Wollen ist, wie verhält sich zu letztem das Denken eines Zweckbegriffs? Offenbar wie Bedingendes zu einem Bedingten, also es geht der Zeit nach vorher, das letztere steht zum ersten im Verhältnis der Dependenz. 

Ferner in diesem Entwerfen des Zweckbegriffs wird das Ich als denkend gedacht, was also dem Willen vorhergehen soll, ist ein Denken, also das Denken meiner als wollend, und [um] es zu erklären, wird eine anderes Denken gesetzt, produziert. Es wird als Vor-hergegangenes gedacht heißt: es wird nicht identisch mit ihm, sondern abgesondert ge-dacht, als außer ihm liegend. – Weitere Erläuterung! Durch analytische Methode, indem wir auf das Denken als das Subjektive und dann auf das Denken als Objektives sehen.

Ad 1. Es ist ein synthetisches Denken, das sich selbst ein anderes entgegensetzt, wie das Denken des Zwecks allein (bei Kant gibt der Begriff die Synthesis, es sei, als wenn schon zwei zu Vereinigende da lägen; so hier nicht, sondern C ist, und in diesem C ist wieder A und B in der Vereinigung, welches wiederum erst durch Setzen des C entsteht, welches also offenbar Duplizität ist, teils eines ist, teils zweierlei ist.) Hier ist ein Bewusstsein = C (das synthetische Denken [ist?] das Bestimmte in diesem Falle, das empirische Wollen), darin liegt das Entwerfen des Zweckbegriffs, es liegt darin ein Objekt, das durch mein Wollen bewerkstelligt werden soll, durch beider Vereinigung wird C ein Wollen, aber in der Verei-nigung werden sie auch getrennt. Als A wird gesondert gesetzt, nun ist A ein Denken, ist dies vorhergegangen in irgendeinem Momente? Es wird also nur gesetzt als vorhergegangen, es ist bloße Produktion. – 

Es gibt ein Denken, das nicht gedacht wird, sondern bloß gedacht wird, dass es gedacht wird, so hier: Der Zweck wird nicht entworfen, sondern gesetzt, dass er entworfen sei; also dieser erste Moment wird beim Knüpfen des Vernunftsystems vorausgesetzt.

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J. G. Fichte, Wissenschaftslehre nova methodo, Hamburg 1982, S. 188f.


Nota. - Die Wissenschaftslehre konstruiert nicht aus selbstgemachten Voraussetzungen etwas, das es vorher nicht gab; sondern rekonstuiert aus aufgefundenen Bedingungen ihrer Möglichkeit die wirkliche Vernunft, an der der aktuelle gesellschaftliche Verkehr ge-messen und so gut es eben geht orientiert wird. Nicht für das Ich der Philosophen, aber für die historisch-empirischen Individuen ist die postulierte Herrschaft der Vernunft die sachliche Voraussetzung für ihre Teilhabe am gesellschaftlichen Verkehr; die Vorausset-zung für ihre Anerkennung als Teil der Reihe vernünftiger Wesen. So wie ihm die intel-ligible Welt als ein geschlossenes System von Begriffen vorkommt, kommen ihm die durch die Begriffe bezeichneten möglichen Zwecke als schon gesetzt vor; so dass es stets den Eindruck hat, unter vorhandenen Zwecken lediglich zu wählen

Wo im Zweifelsfall Begriffe oder auch in gegebenen Begriffen noch nicht mitgemeinte Zwecke fehlen, muss auch das empirische Individuum erfinden. Das kann nicht jeder, dazu brauchts Ingenium.
JE, 3. 6. 20

Freitag, 28. April 2023

Vernunft ist die Fähigkeit, Zwecke zu setzen.

                                                                   zu Philosophierungen

Vernunft ist nicht einfach mehr als bloß die - "effiziente" - Fähigkeit zum Anstreben be-stimmter Zwecke beziehungsweise zum Lösen bestimmter Aufgaben. Sie ist vor allen Dingen nicht "mehr" von ein und demselben Stoff. Sie ist etwas schlechterdings anderes. Ein Haus ist nicht bloß mehr als ein Ziegelstein, sondern - etwas schlechterdings Anderes. Das erkennt man ohne Spitzfindigkeiten oder höhere Eingebung; es braucht nur ein biss-chen Vernunft. Die Ziegelsteine hätten - schlechterdings! - keinen Sinn - oder prosaisch: keine Bedeutung -, wenn die Absicht, ein Haus zu bauen, nicht vorher da gewesen wäre.

Vernunft ist die Fähigkeit, Absichten zu fassen und Zwecke zu setzen. Fielen Zielsteine fix und fertig vom Himmel, hätten sie für ihren Finder keinerlei Bedeutung ohne die Vorstellung von einem Haus. Das Haus ist nun aber auch bloß ein Zweck. Für die, die drin wohnen wollen. Für den Stadtplaner, der ein Heer fähiger Architekten kennt, ist es lediglich ein Mittel. Mittel zu einem Zweck: Städtebau. Und der ist noch lange nicht der Endzweck. Da geht es weiter - Wirtschaft, Kultur, Kunst und Philosophie; auch Unter-haltung, die nicht nur Mittel ist zur Erholung und Bildung, sondern selber ein Zweck, was sie mit der Kunst gemein hat. Auch Wissenschaft ist nicht nur ein Mittel zu all diesen Zwecken, sondern Wissen ist selber ein Zweck - für die Menschen, die wissen wollen, was sie auf der Welt können und... können sollen.

Das ist der Zweck der Vernunft. Er setzt voraus, dass die Menschen - anders als die Tiere - nicht nur so leben, wie die Natur alias die Evolution es ihnen vorbestimmt hat, sondern ihr Leben führen müssen - hier lang oder dort lang. Sich selbst und - da die Menschen nicht wie Robinson allein sind, sondern nur in Gesellschaft leben können - der Mensch-heit eine Richtung geben müssen.

Wohl bemerkt: Einem, der meint, wie es ist, sei gut genug, kann man etwas anderes nicht beweisen. Dass nicht nur 'mehr', sondern auch anderes möglich ist, ist keine nachweisliche Tatsache, die man jedem andemonstrieren kann, sofern er bei Verstand ist, sondern ist ein Postulat: ist die Prämisse aller Vernunft. Wie auch die resignierte Einsicht, dass du und ich einem allerletzten Zweck in diesem Leben wohl nicht mehr begegnen werden.

Kommentar zu  Eine Einführung ins Philosophieren: Was ist Vernunft? 9. 5. 22


Nota. Das obige Foto gehört mir nicht, ich habe es im Internet gefunden. Wenn Sie der Eigentümer sind und seine Verwendung an dieser Stelle nicht wünschen, bitte ich um Nachricht auf diesem Blog. JE    

Donnerstag, 27. April 2023

Warum Vernunftkritik?

 kulturserver             aus Wissenschaftslehre - die fast vollendete Vernunftkritik
Seit Mitte des 17. Jahrhunderts – seit dem Ende des 30jährigen Krieges – waren sich, außer den Theologen jeder Konfession, alle einig, dass Vernunft es war, die von nun an zu herr-schen hätte. In den philosophischen und juristischen Traktaten der folgenden anderthalb Jahrhunderte dürfte kein Begriff öfter vorgekommen sein. Merkwürdig nur: Zum Thema wurde Vernunft nie. Was sie sei, woher sie kommt, wodurch wir von ihr wissen, wurde nicht gefragt. Sie offenbarte sich, indem man sich ihrer befleißigte. 

Denn wie sie zu verfahren hätte, lag inzwischen auf der Hand, nämlich nach dem Vorbild der Mathematik. Diesen galileischen Grundgedanken hatte Descartes in seinem Discours de la méthode kanonisiert: Clare et distnicte definierte Begriffe werden verknüpft nach den seit Aristoteles nicht wesentlich erweiterten Regeln der formalen Logik und ergeben Schlüsse von der Evidenz der Demonstrationen der Geometer. Vernünftigkeit war zuerst einmal eine Methode.

Descartes hatte ursprünglich kritisch argumentiert, gegen die Mannigfaltigkeit und Unent-scheidbarkeit der rivalisierenden Meinungen: Geprüft werden sollten nicht erst die fertigen Resultate, sondern bereits die Wege des Denkens. Aber die dogmatische Falle lag schon im kritischen Grundprinzip verborgen. Indem das mathematische Modell zum Einheitsprinzip von denkender Seele und ausgedehnter Materie bestimmt wird, werden Natur und Geist in Parallele gesetzt: La Raison besteht in der Identifikation von realer Ursache – raison – mit dem logischen Grund: raison. Natur und Vernunft erklärten einander, die Begriffe vermit-telten, das Verfahren füllte sich mit Stoff. Daraus entstanden die großen metaphysischen Systeme mit den beiden Polen Leibniz und Spinoza und manchem Malebranche dazwi-schen. Statt der Methode trat der Gehalt in den Vordergrund. Aus Vernunft wurde Ratio-nalismus, aus kritischem Verfahren wurde ein Fetischismus der Begriffe.

*


Ihm galt Kants Versuch einer Vernunftkritik. Anstoß gab der Streit um den Kausalitäts-begriff, in dem empirische Ursachen und logische Gründe zusammenfallen. Begriffe, die nicht auf Erfahrung beruhen, sind leer, doch ohne Begriffe ist die Anschauung blind. Er-fahrung beruht auf den Anschauungsformen Raum und Zeit und den zwölf kategorialen Begriffsfamilien als Bedingung ihrer Möglichkeit. Wie, woher, wodurch wir zu ihnen gelangt sind, ließ er offen; um, wie spitze Zungen meinen, Platz für den Glauben zu schaffen (mochten sie doch vom Himmel gefallen sein). Das Apriori wurde zur Zuflucht aller ge-wendeten Dogmatiker, die hier ein Asyl für das vertriebene Ding-an-sich gefunden hatten. Das war eine Halbheit, die Vernunftkritik drohte an den Orthodoxen Kantianern zu schei-tern, dabei konnte es nicht bleiben.

Die Halbheit zu ergänzen war Zweck der Wissenschaftslehre: die Rückführung der Begriffe hinter die Grenzlinie des Apriori zurück auf die Tätigkeit des intellegierenden Subjekts, und das hieß: die Rückführung der festgestellten Begriffe auf die ihnen zu Grunde liegenden dynamischen Vorstellungen. Gegenstand der Wissenschaftslehre ist das Vorstellen selbst und nicht erst seine mannigfaltigen Produkte. Das Grundmodell: Die lebendige Intelligenz steht vor einem unendlichen Reich des Bestimmbaren – und gehört selber dazu, denn in-dem sie ihr jeweils Anderes bestimmt, bestimmt sie sich selber mit. Dabei kommt sie frei-lich nie zu einem Ende, weder bei der Bestimmung der Welt noch bei der Bestimmung ihrer selbst. Denn so weit der Weg auch sei, den sie beim Bestimmen schon zurückgelegt hat, so bleibt das Feld vor ihr doch so weit wie je: unendlich.

Vernünftig ist nun eine Intelligenz, die diesen Gang nimmt; nicht seine einzelnen Stufen, sondern das Vorgehen selber: ein stetiges Fortschreiten vom relativ Unbestimmten zum Bestimmteren. Es ist als solches ein unentwegtes Urteilen, doch nicht die Urteile machen die Vernünftigkeit aus, sondern der Urteilende: Wenn ich einen vernünftigen Tutor habe, dem ich vertraue, und übernehme seine Urteile, dann mögen die Urteile vernünftig sein, aber ich bin es nicht – weil sie nicht meine sind. Vernünftigkeit ist hier wieder ein Verfah-ren, aber es ist nicht formal vorbestimmt einerseit als 'Methode' und nicht andererseits material vorgegeben durch monadische 'Begriffe', sondern entwickelt selber seine Vorstel-lungen aus/einander. Es ist selber formal und material in Einem.

*

Wenn aber Vernunft in einem tätigen Verständnis von ihrem Ursprung an vom Subjekt selbstgemacht ist – wie kann es sein, dass auf ihrem Boden, und darauf kam es an, Ver-ständigung möglich ist? In der Wirklichkeit sind die Subjekte keine unendlich bestimmbaren Iche, sondern sehr unterschiedliche, sehr endliche Individuen. Macht jedes seine Vernunft selber? Irgendwie muss sie ihrem je individuellen Tätigwerden doch schon vorausgesetzt sein, wie anders könnte sie sonst zum allgemeinen Medium taugen?

Das ist der Widerspruch der Wissenschaftslehre. Er manifestiert sich darin, dass Fichte von Anbeginn schwankt zwischen einem kritisch pragmatischen und einem dogmatisch substan-ziellen Vernunftbegriff.

Dabei hält er den Schlüssel schon in der Hand. "Dieser Begriff der Selbstheit der Person ist nicht möglich ohne Begriff von einer Vernunft außer uns; dieser Begriff wird also auch konstruiert durch Herausgreifen aus einer höheren, weiteren Sphäre. Die erste Vorstellung, die ich haben kann, ist die Aufforderung meiner als Individuum zu einem freien Wollen."* 

Schlechthin-tätig ist das Ich 'an sich', dazu bedarf es keiner Aufforderung. Zum Bestimmen muss es aufgefordert werden – vom Unbestimmten zum Bestimmten fortzuschreiten. Be-stimmen heißt einer Sache einen Zweck zurechnen. "Der Zweck wird uns in der Aufforde-rung gegeben, also die individuelle Vernunft lässt sich aus sich selbst nicht erklären. ... Doch wird uns der Zweck nicht als Bestimmtes, sondern überhaupt der Form nach gegeben, et-was, woraus wir wählen können. ... Kein Individuum kann sich aus sich selbst erklären. Wenn man also auf ein erstes Individuum kommt, worauf man kommen muss, so muss man auch ein noch höheres unbegreifliches Wesen annehmen."** 

Der Zweckbegriff ist die Grundform des Begriffs: Begreifen heißt die Sache einem Zweck zuordnen. Die Tätigkeiten der Subjekte durch Begriffe regulieren heißt Zwecke miteinander vereinbaren. So geschah es schon, als das Ich in die Welt trat, wo es eine 'Reihe vernünftiger Wesen' bereits vorfand; sie ist das unbegreifliche höhere Wesen. Die Aufforderung erging in dem Moment, als das Ich in die Reihe eintrat und sich damit zum Individuum bestimmte. Seine Teilhabe an der Vernünftigkeit ist von Anfang an vermittelt durch die der AndernSie ist selber Vermittlung. 'Vernunft' nennen wir einen Zustand, in dem das Handeln Aller ver-nünftig ist. Vernunft als Zustand ist keine Sache, sondern ein tätiges Verhältnis – die Ver-kehrsweise einer 'Reihe vernünftiger Wesen'; ist nicht bestimmt, sondern allezeit sich-selbst-bestimmend. 

Aufgekommen ist sie gegen Mitte des 17. Jahrhunderts.
*) Nova Methodo, S. 177
**) ebd., S. 178
26. 1. 16

Mittwoch, 26. April 2023

Gebt mir einen festen Punkt.

 bing                                                           zu Philosophierungen

Gebt mir einen festen Punkt, und ich hebe euch die Welt aus den Angeln.
Archimedes

Im Universum gibt es keinen festen Punkt. Nur in der Vorstellung: den Vorstellenden.
Und daher in jeder möglichen Vorstellung von der Welt.



Dienstag, 25. April 2023

Über den Sinn des Lebens philosophieren...

 Nolde. Jesus und die Schriftgelehrten,1951                    zu Philosophierungen
Aus einem online-Forum, im Februar 2010:

Ich bin freilich der Meinung, dass die Philosophie mit der "Kritischen" alias Tranzenden-talphilosophie (Kant bis Fichte) ihrem Umfang nach 'abgeschlossen' ist; nämlich nur als Kritik  besteht an allen ('metaphysischen') Versuchen, aus reinen Denkbestimmungen Aussagen über das Wirkliche destillieren zu wollen. Mit dem 'Umfang' ist allerdings nicht ihr 'Stoff' erschöpft; denn die Versuchung, aus einem (postulierten) 'Sinn' auf ein (vor-findliches) 'Sein' zu schließen, tritt tagtäglich im Alltagsverständnis wie im Wissenschafts-betrieb in Gestalt ihrer Umkehrung immer wieder an das Denken heran: nämlich aus einem (zuvor klammheimlich mit 'Sinn' aufgeladenen) Sein (zirkulär) auf dessen (und meinen) Sinn zu schließen.

Ihre Sache ist es, das Feld des Denkens zu bereinigen.

Das schließt offenkundig die Möglichkeit aus, 'Sinn' als ein Objektivum aufzufassen. Ich meine also das Gegenteil von dem, was Sie bei mir verstanden haben; nämlich "dass der Sinn des Lebens (oder 'der Welt' oder wie man das immer nennen will) aus keinerlei posi-tivem Befund heraus zu lesen ist, sondern als Problem, als Aufgabe, als Frage der prakti-sche Lebensführung anheimgegeben ist". Sein Leben kann jeder nur selber führen. Und welchen Sinn sein Leben hatte, stellt sich am Ende als der rote Faden heraus, den er hin-durchgesponnen hat. Der eine spinnt ihn bewusster ("Lebensphilosophie"), der andere intuitiver: je von Entscheidung zu Entscheidung. Über die "Richtigkeit" ist damit nichts gesagt. Mit andern Worten - ob ihm die Lehren der Kritischen Philosophie bei seiner Lebensführung geholfen haben oder nicht, steht ganz in den Sternen und ist seinem eige-nen Urteil unterworfen. Dasselbe gilt für die diversen konkurrierenden Weisheitslehren, die er privatim für sich wählen mag oder auch nicht, und für die er niemandem (und das heißt: nicht öffentlich) Rechenschaft zu geben hat.

*


Ihre Erlebnisse mit dem Wissenschaftsbetrieb nenne ich deshalb privat, weil irgendein Anderer ganz andere Erlebnisse haben kann. Ich selber habe nie einen Posten im akade-mischen Betrieb bekleidet, weil ich nie einen erstrebt habe. Ich muss daher auch nicht verbittert sein. Dass ich meinen Bemühungen im Feld des Denkens eine größere Reso-nanz wünsche, als sie tatsächlich haben, steht auf einem ganz anderen Blatt. Nämlich auf dem Blatt, wo eingetragen ist, dass diese Bemühungen nicht im Geist der Zeit liegen. Das könnte ich ja ändern, wenn ich wollte, aber ich will nicht.

Stattdessen bediene ich mich eines Mediums, das neu ist und dem die akademische Zunft-philosophie auf die Dauer nicht standhalten wird: des Internets.



Montag, 24. April 2023

Philosophie und Weisheitslehre.

Manfred Janzen-Habetz, pixelio.de                                     aus Philosophierungen
Aus einem online-Forumim Februar 2010:
 
... Die real existierenden Wissenschaften sind eben darum keine Philosophie, weil sie (ihrer Bestimmung nach: im Öffentlichen Raum ein Feld des Einverständnisses erzwingen zu können) positiv sein müssen. Sie müssen also in ihrer Praxis notwendig davon ausge-hen, dass ein Wissen da ist, das (öffentlich) gegeben (und nicht erst noch aufgegeben) ist: "Stand der Wissenschaft". Insofern verfährt jede reale Wissenschaft (vorläufig) 'dogma-tisch', wie Herr K. sagt. Dogmatistisch wäre sie, wenn sie vergäße, dass das gültige Wis-sen, von dem sie ausgehen muss, nur ein einstweiliges ist - und jederzeit von den Resulta-ten der wissenschaftlichen Praxis (und von nichts anderem) 'aufgehoben' werden kann.

Die Geschichte der Wissenschaften ist die Geschichte ihres Herausfallens aus der Philo-sophie (Galilei bis Newton): eine Scheidung, die zugleich zur Selbstbereinigung der Phi-losophie (Kant) geworden ist

Von der Philosophie habe ich, anders als Sie, keine Idee, sondern einen Begriff. Ich sage: Philosophie ist, sofern sie Wissenschaft sein kann (oder will), lediglich negativ und kri-tisch. Das Feld des Positiven hat sie den Realwissenschaften (zu) überlassen - seit Kant.

Sie leistet aber damit nicht das, wofür sie vor zweieinhalb tausend Jahren erfunden wor-den ist: den Sinn des Lebens entdecken. Sondern nur dies: immer und immer wieder neu darzulegen, dass der Sinn des Lebens (oder "der Welt" oder wie man das immer nennen will) aus keinerlei positivem Befund heraus zu lesen ist, sondern als Problem, als Aufgabe, als Frage der praktische Lebensführung anheimgegeben ist.

Letztere Formulierung wird der eine ohne andere mit "existenzialistisch" beschreiben wollen, und das wollte ich nicht einmal zurückweisen. Zurückweisen würde ich allerdings, wenn er das nutzt für den Folgesatz: "Das ist doch aber auch Philosophie!"

In einem strengen, und das heißt: wissenschaftlichen Sinn ist das keine Philosophie. 'Wis-senschaftlich' bedeutet nicht: Gegenstand + Methode. Die sind beide sekundär, abgeleitet nämlich aus der
wesentlichen Bestimmung: Wissenschaftlich ist das Verfahren, das nur die Bestimmungen gelten lässt, die auf die Tragfähigkeit ihrer Gründe erfolgreich geprüft wurden. Darin hat Plato die Anstrengungen seiner griechischen Vorgänger zusammenge-fasst (êpistêmê versus dóxa).

Überprüfen der Gründe, das ist Kritik, und die radikale, weil unendliche Kritik ist Öffent-lichkeit. (Das ist ganz wurscht, ob die Wissenschaftler selber diesen 'kritischen' Begriff von Wissenschaft haben; denn kritisieren werden sie den lieben Kollegen so wie so.)

Der springende Punkt: Eine wie immer geartete Aussage über den Sinn der Welt, des Le-bens, der... wird nie zu begründen sein, denn dann müsste sie irgendwann auf eine letz-ten Grund stoßen, der seinerseits nicht mehr begründet ist; der aber aus eben demselben 'Grund' nicht gelten kann - weil er eben nicht... begründet ist.

Langer Rede kurzer 'Sinn': Der
pp. Sinn der Welt kann nicht (wissenschaftlich) bewiesen, sondern allenfalls (sofern man ihn will!!) behauptet werden. Das geeignete Medium seiner Darstellung ist nicht der (Begriffe folgernd miteinander verknüpfende) Diskurs, sondern die bildliche Anschauung: ist nicht Logik, sondern Ästhetik. (Lässt sich noch viel weiter ausführen...)

Ob dieses Genre, zu dem ich auch einiges beizutragen hätte, dann "Lebensphilosophie", "Philosophie der Tat" oder ähnlich genannt werden darf, ist einen Streit nicht wert. Ent-scheidend ist, welchem Zweck die Philosophie, 'sofern sie wissenschaftlich ist', nämlich die kritische, eigentlich dient; d. h. welchen 'Sinn' sie hat. Es ist, wie immer die Antwor-ten jeweils ausfallen, Meta-Philosophie - ein Denken, Reden, Meinen über die Philoso-phie.

Als Motiv liegt sie der Philosophie 'zu Grunde'. Ausführen lässt sie sich allerdings erst, wenn die Philosophie ihre wissenschaftliche, weil kritische Arbeit vollendet hat. Der An-fang muss sich als Ende behaupten.
17. 12. 13


Sonntag, 23. April 2023

Die Vernunft ist sich selbst vorausgesetzt.

                                                 aus Marxianazu Philosophierungen

Das / Bewußtsein ist also von vornherein schon ein gesellschaftliches Produkt und bleibt es, solange überhaupt Menschen existieren.
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Marx/Engels, Die deutsche Ideologie, MEW 3, S. 30f.


Also das erste und höchste der Ordnung des Denkens nach, was ich finde, bin ich, aber ich kann mich nicht finden ohne Wesen meinesgleichen außer mir; denn ich bin Individu-um. Also meine Erfahrung geht aus von einer Reihe vernünftiger Wesen, zu welcher auch ich gehöre, und an diesem Punkt knüpft sich alles an.

Dieses ist die intelligible Welt, Welt, insofern sie etwas Gefundenes ist, intelligibel in wie-fern sie nur gedacht und nicht angeschaut wird. Die Welt der Erfahrung wird auf die in-telligible gebaut, beide sind zugleich, eine ist nicht ohne die andere, sie stehen im Geiste in Wechselwirkung.
__________________________________________________________

J. G. Fichte, Wissenschaftslehre nova methodo, Hamburg 1982S. 151
 


Nota. - Für Marx und Engels, die sich im Anschluss an Feuerbach eben erst Materialisten genannt hatten, war die Herkunft des Denkens aus Arbeitsteilung und Kooperation der historisch wirklichen Individuen kein Problem. Vom Himmel gefallen waren sie ja wohl nicht.

Nein, vom Himmel gefallen waren sie auch für den Transzendentalphilosophen Fichte nicht. Aber irgendwoher mussten sie doch gekommen sein - und aus der toten Materie ja wohl nicht.

Marx und Engels erzählen Geschichte, die sich in Raum und Zeit zugetragen hat. Das ist nicht Sache der Transzendentalphilosophie. Sie beginnt als Vernunftkritik: Was ist Ver-nunft und woher kam sie? Die Analyse ergibt: Im Unterscheid zum toten Stoff ist sie Bestimmung desselben als dieser oder solcher. Vorausgesetzt ist also, in welcher Gestalt auch immer, ein bestimmendes Vermögen. Das ist grob gesagt das, was Fichte unter Ich versteht. Ein Vermögen, das, da es selber noch nicht bestimmt ist, sich-bestimmen muss. Historisch aufgefasst wäre es wie Münchhausen, der sich am eigenen Schopf aus dem Sumpf zieht.

Historisch betrachtet aber die Transzendentalphilosophie die Sache gerade nicht, sondern - und zwar in einem materialen Sinn - logisch, nämlich auf ihre Herkunft hin.* Aber ir-gendwann wird sie doch historisch werden müssen, wenn sie nämlich wirklich werden will! Der Übergang der bislang stets nur sich-selbst bestimmenden Intelligenz zum Be-stimmen von Dingen außer ihr und ihr Übertreten in eine reale Welt sind ein Sprung, zu dem sie in sich selbst keine Veranlassung findet. Es musste ihr eine akute Notwendigkeit gegeben werden.

Und siehe da - die zur Vernunft strebende Intelligenz findet sich vor als Teil einer histo-risch gegebenen Reihe vernünftiger Wesen, die sie auffordern, es ihnen gleichzutun und sich in der wirklichen Welt Zwecke zu setzen. Die Aufforderung ist kategorisch, denn auch wenn sie ihr nicht Folge leistet, setzt sie - nämlich keinen Zweck.

Es ist ja immer die Rede vom Werden der Welt für die Vorstellung. Und sobald sie die Aufforderung, sich Zwecke in der wirklichen Welt zu setzen, hört und versteht, ist die wirkliche Welt in der Vorstellung und die Vorstellung in der Welt. Das ist der Sprung, auf den es ankam.

Mit andern Worten, die Vernunft kann es sich nicht anders vorstellen, als dass sie immer 'da gewesen' sei.

Historisch-materialistisch - nämlich kritisch - ausgedrückt hieße das: Den Markt hat es immer gegeben, jede Art menschlichen Zusammenlebens ist als Austausch von Arbeiten aufzufassen, und der Wert ist eine Naturtatsache.**)

*) ...während sich die materialistische Auffassung von Marx und Engels um die Herkunft des Geistes gar nicht schert.
10. 6. 19


**) Beachten Sie bitte den Konjunktiv: Dies ist natürlich nicht die Auffassung von Marx-Engels! Sie hätte es werden müssen, wenn sie das transzendentale Schema einfach in ma-terialistischen Dialekt überführt hätten - was sie nicht konnten,  weil ihnen die Transzen-dentalphilosophie fremd war, und was Fichte nicht konnte, weil zu seiner Zeit das Kapi-talverhältnis noch lange nicht so entfaltet war, dass seine dialektische Darstellung möglich gewesen wäre.
25. 4. 2023



Nota. Das obige Foto gehört mir nicht, ich habe es im Internet gefunden. Wenn Sie der Eigentümer sind und seine Verwendung an dieser Stelle nicht wünschen, bitte ich um Nachricht auf diesem Blog. JE   

Natur- und… “Geistes”wissenschaft?

                                                                    aus Die philosophische Wendeltreppe

Also soweit Philosophie wissenschaftlich ist, bleibt sie negativ und rein kritisch - das war das bisherige Ergebnis. Will sie positiv und praktisch werden, kann sie sich an logische Demonstrationen und Herleitungen aus geprüften Gründen nicht länger halten. Sie muss postulieren, was “sein soll”, auf eigene Verantwortung und ohne Sicherheitsnetz. 

So in Politik und Pädagogik, und in der persönlichen Lebenslehre ohnehin. Existenzphi-losophie hat man das genannt, und der Name gefällt mir. Positiv und wissenschaftlich verfahren allein die Naturwissenschaften, und darum nennen sie sich die exakten. Und was wird aus dem vielen, vielen positiven Wissen, das die Menschen inzwischen über sich selbst und über ihr Tun und Lassen in Geschichte und Gegenwart angesammelt haben? Dass es nicht ‘wissenschaftlich’ im Sinn der strengen Verfahren von Physik und Chemie ist; dass es nämlich nicht die Mathematik zum Leitfaden hat, springt ins Auge. Aber es ist doch nicht willkürlich und rein ästhetisch wie die von A bis Z wertsetzenden – und daher ‘durch Freiheit möglichen’ – praktischen Disziplinen. Sie hat es ja mit Erfahrungstatsa-chen zu tun! 

Es fängt bei der Namensgebung an. “Natur”wissenschaft... im Unterschied, im Gegensatz zu was? Zu Geisteswissenschaft, Moral science, Humaniora? Der Unterschied ist nicht selbstverständlich, und darum wurde er auch nicht immer gemacht. Bei den Antiken er-scheinen Physik und ‘Meta’-Physik noch ganz ungeschieden, erst bei Aristoteles werden sie wenigstens auf verschiedene Bände verteilt; aber schon bei den – dann lange Zeit Ton angebenden – Neuplatonikern (Plotin, Proklos) treten sie wieder vermengt auf. Sachlich notwendig wird sie auch wirklich erst mit Galileo, der mit der Mathematisierung der For-meln zuerst ein Kriterium eingeführt hat, um ’strenge’ Wissenschaft von mehr oder min-der plausiblem Dafürhalten zu unterscheiden. Mit Descartes ist dieses Kriterium fürs Abendland verbindlich geworden: Wissenschaft spricht wahr, und der Maßstab für die Wahrheit der Aussagen ist, dass sie ’so klar und eindeutig bewiesen werden können wie die Demonstrationen der Geometrie’. Nur was sich in einem mathematischen Modell darstellen lässt, lässt sich mit mathematischer Sicherheit beweisen.

Dass ‘Natur’ eo ipso in ein mathematisches Modell gehört, war damit stillschweigend unterstellt. Die Unterstellung ist geschehen, indem sich Galileo ausdrücklich aus der ari-stotelischen Meta-Physik zurück besann auf Platos 'Ideen'-Begriff und seiner Anschau-ung der reinen Formen (’vollkommene Körper’) in der Mathematik. Dass damit ‘allein die Natur’ zu erfassen wäre, war damit noch gar nicht positiv gesetzt. Es ergab sich negativ, indem ein Rest übrig blieb, der sich nicht in mathematischen Modellen darstellen lässt; eben die ‘nicht-exakten’ Wissenschaften: Wissenschaften im eingeschränkten Sinn...

Descartes hat schon zu seiner Zeit energischen Widerspruch gefunden, der zu seiner Zeit aber ungehört blieb. Giambattista Vico stellte der Idee von der mathematischen Durch-schaubarkeit von Gottes Schöpfung den Grundsatz entgegen, dass einer nur das ‘wahr’ erkennen könne, was er selber gemacht habe: “Verum et factum convertuntur”, ‘wahr’ und ‘gemacht’ bedeuten dasselbe. Die Natur habe Gott gemacht und der allein könne sie erkennen. Der Mensch hat seine Geschichte (seine Kultur, seine Kunst…) gemacht, und die allein könne er verstehen.

In einen Gegensatz sind Physik und Philosophie mit dem Beginn der industriellen Revo-lution faktisch getreten. Es war ein Streit um die Deutungshoheit im gesellschaftlichen Raum, den die Philosophie ab Mitte des 19. Jahrhunderts nur verlieren konnte. Der Rück-griff auf G. Vicos Gedanken erfolgte gegen Ende des Jahrhunderts, als Philosophie und Geschichtswissenschaft gegen den bloßen Positivismus der ‘Natur’- und Ingenieurswis-senschaften neu zu behaupten suchten.

Eine positive Bestimmung hat dann wohl zuerst Wilhelm Dilthey (1833-1911) unternom-men. Während der Mensch im ersten Fall ‘die Natur außer ihm’ untersucht, betrachtet er in den “Geistes”-Wissenschaften ’sich selbst und seine Werke’. Gilt es bei jenen, die Din-ge aus ihren Ursachen zu erklären, suchen diese, die Taten den Menschen aus ihren Moti-ven zu verstehen. Die Methode hier ist rationale Rekonstruktion, dort intuitive Einfüh-lung.

Das ist früh als unbefriedigend empfunden worden. Plausibel und für die Konversation tauglich ist es wohl, aber sobald man sich den wissenschaftlichen Grenzfällen nähert – für die die Unterscheidung ja taugen soll, nicht aber für die unstrittigen Fälle! -, lässt sie sich nicht konsequent durchführen. Generell schon darum nicht, weil seit Kant (von dem auch Dilthey ausging) auch in den Naturwissenschaften das menschliche Apriori – die ‘Katego-rien’ und die ‘transzendentalen Anschauungsformen’ Raum und Zeit – immer schon mit enthalten ist. Und im Besondern wird es deutlich bei der immanenten Methodenreflexion der Naturwissenschaften: Beschäftigt sich Wissenschaftslogik mit der Natur außer uns oder mit uns selbst und unsern Werken?! Gänzlich verwirrend wird es beim Prüfstein der Naturwissenschaftlichkeit selber: der Mathematik – und da verstrickte uns diese Unter-scheidung unversehens tief in die Metaphysik, und die Katze bisse sich in den Schwanz.

Wilhelm Windelband (1848-1915) sah es als irreführend an, die beiden großen Wissens-zweige nach ihren Gegenständen unterscheiden zu wollen: Es stecken viel zu viele Prä-missen da schon drin! Zweckmäßiger sei es, zunächst ihre Verfahrensweise und eo ipso ihre Erkenntnisabsichten zu unterscheiden: Die ‘Gegenstände’ werden sich finden…

Es gibt Wissenszweige, die in der Mannigfaltigkeit der Erscheinungen nach durchgehen-den Regelmäßigkeiten suchen, und wenn sie sie finden, stellen sie sie womöglich in ma-thematischen Formeln dar. Diese nennen sie ‘Naturgesetze’. Wissenschaften, die sich um die Formulierung von Gesetzen bemühen, nennt er ‘nomothetisch’ (von gr. nómos=Ge-setz, und thésis=Setzung). Es gibt andere Wissenszweige, in denen es um die möglichst vollständige Beschreibung einer einzelnen Gegebenheit geht (die notabene zu diesem Zweck als eine ‘Einheit’ alias ‘Ganzes’ gedacht werden muss). Diese Wissenschaften nennt er ‘idiographisch (von gr. ídion=dieses-Eine, und gráphê=Zeichnung).

Man solle daher nicht sagen: Die Geschichtswissenschaft (Gesellschafts-, Literatur-, Sprachwissenschaft…) “ist” idiographisch, “weil” ihr Gegenstand nichts anderes zulässt und man sich bescheiden muss, immer nur ein historisch eingrenzbares Einzelnes nach allen seinen Seiten auszuleuchten. Man kann auch immer auf diesen Feldern quer durch die Geschichte hindurch nach ‘Gesetzmäßigkeiten’ suchen. Freilich wird man ihr Vorhan-densein nun nicht mehr arglos voraus setzen können. Und hat man faktische Regelmäßig-keit (=Wahrscheinlichkeiten) wirklich aufgefunden, wird man immer noch begreiflich machen müssen, was daran notwendig gewesen sein mag.

Im übrigen ist es nicht das Fehlen einer gesetzgeberischen Prätention, das die idiographi-schen Disziplinen weniger exakt macht als ihre ‘natur’wissenschaftlichen Schwestern; das macht sie im Gegenteil weniger spekulativ. Sondern dass sie ihre theoretischen Vermutun-gen nicht an überprüfbaren Experimenten öffentlich bewahrheiten können. Das Gedan-kenexperiment muss ihnen den Laborversuch ersetzen, und das ist weniger exakt als die Versuchsanordnung; denn Denkfehler sind ansteckend.

Kurz gesagt: Im Unterscheid zu Diltheys dogmatischer Unterscheidung von Natur- und Geisteswissenschaften ist Windelbands Unterscheidung von nomothetischen und idio-graphischen Disziplinen eine heuristische und daher kritische Bestimmung.

Und eins ist klar: Was die letzten Endes alles entscheidende Frage angeht, was der Mensch in der Welt soll – da bringen sie uns, wie wissenschaftlich auch immer, nicht einen Fußbreit weiter als ihre naturwissenschaftlichen großen Brüder. Denn was der Mensch in seiner Geschichte schon so alles gemacht hat, das “beweist” lediglich, welche Möglichkeiten er wirklich hatte, denn er hat sie ja ergriffen. Welche andern Möglichkeiten er vielleicht auch noch gehabt hätte, aber eben nur nicht ergriffen hat, darüber sagt es nichts. Und noch weniger, ob er es gesollt hätte. Noch darüber, welche Möglichkeiten er heute und morgen hat und haben wird, und was er daraus machen soll.
26. 8. 13



Nota. Das obige Foto gehört mir nicht, ich habe es im Internet gefunden. Wenn Sie der Eigentümer sind und seine Verwendung an dieser Stelle nicht wünschen, bitte ich um Nachricht auf diesem Blog. JE    

Samstag, 22. April 2023

Philosophie und Weisheitslehre.

Manfred Janzen-Habetz, pixelio.de                                     aus Philosophierungen
Aus einem online-Forumim Februar 2010:
 
... Die real existierenden Wissenschaften sind eben darum keine Philosophie, weil sie (ihrer Bestimmung nach: im Öffentlichen Raum ein Feld des Einverständnisses erzwingen zu können) positiv sein müssen. Sie müssen also in ihrer Praxis notwendig davon ausge-hen, dass ein Wissen da ist, das (öffentlich) gegeben (und nicht erst noch aufgegeben) ist: "Stand der Wissenschaft". Insofern verfährt jede reale Wissenschaft (vorläufig) 'dogma-tisch', wie Herr K. sagt. Dogmatistisch wäre sie, wenn sie vergäße, dass das gültige Wis-sen, von dem sie ausgehen muss, nur ein einstweiliges ist - und jederzeit von den Resulta-ten der wissenschaftlichen Praxis (und von nichts anderem) 'aufgehoben' werden kann.

Die Geschichte der Wissenschaften ist die Geschichte ihres Herausfallens aus der Philo-sophie (Galilei bis Newton): eine Scheidung, die zugleich zur Selbstbereinigung der Phi-losophie (Kant) geworden ist

Von der Philosophie habe ich, anders als Sie, keine Idee, sondern einen Begriff. Ich sage: Philosophie ist, sofern sie Wissenschaft sein kann (oder will), lediglich negativ und kri-tisch. Das Feld des Positiven hat sie den Realwissenschaften (zu) überlassen - seit Kant.

Sie leistet aber damit nicht das, wofür sie vor zweieinhalb tausend Jahren erfunden wor-den ist: den Sinn des Lebens entdecken. Sondern nur dies: immer und immer wieder neu dazulegen, dass der Sinn des Lebens (oder "der Welt" oder wie man das immer nennen will) aus keinerlei positivem Befund heraus zu lesen ist, sondern als Problem, als Aufgabe, als Frage der praktische Lebensführung anheimgegeben ist.

Letztere Formulierung wird der eine ohne andere mit "existenzialistisch" beschreiben wollen, und das wollte ich nicht einmal zurückweisen. Zurückweisen würde ich allerdings, wenn er das nutzt für den Folgesatz: "Das ist doch aber auch Philosophie!"

In einem strengen, und das heißt: wissenschaftlichen Sinn ist das keine Philosophie. 'Wis-senschaftlich' bedeutet nicht: Gegenstand + Methode. Die sind beide sekundär, abgeleitet nämlich aus der
wesentlichen Bestimmung: Wissenschaftlich ist das Verfahren, das nur die Bestimmungen gelten  lässt, die auf die Tragfähigkeit ihrer Gründe erfolgreich geprüft wurden. Darin hat Plato die Anstrengungen seiner griechischen Vorgänger zusammenge-fasst (êpistêmê versus dóxa).

Überprüfen der Gründe, das ist Kritik, und die radikale, weil unendliche Kritik ist Öffent-lichkeit. (Das ist ganz wurscht, ob die Wissenschaftler selber diesen 'kritischen' Begriff von Wissenschaft haben; denn kritisieren werden sie den lieben Kollegen so wie so.)

Der springende Punkt: Eine wie immer geartete Aussage über den Sinn der Welt, des Le-bens, der... wird nie zu begründen sein, denn dann müsste sie irgendwann auf eine letz-ten Grund stoßen, der seinerseits nicht mehr begründet ist; der aber aus eben demselben 'Grund' nicht gelten kann - weil er eben nicht... begründet ist.

Langer Rede kurzer 'Sinn': Der
 pp. Sinn der Welt kann nicht (wissenschaftlich) bewiesen, sondern allenfalls (sofern man ihn will!!) behauptet werden. Das geeignete Medium seiner Darstellung ist nicht der (Begriffe folgernd miteinander verknüpfende) Diskurs, sondern die bildliche Anschauung: ist nicht Logik, sondern Ästhetik. (Lässt sich noch viel weiter ausführen...)

Ob dieses Genre, zu dem ich auch einiges beizutragen hätte, dann "Lebensphilosophie", "Philosophie der Tat" oder ähnlich genannt werden darf, ist einen Streit nicht wert. Ent-scheidend ist, welchem Zweck die Philosophie, 'sofern sie wissenschaftlich ist', nämlich die kritische, eigentlich dient; d. h. welchen 'Sinn' sie hat. Es ist, wie immer die Antwor-ten jeweils ausfallen, Meta-Philosophie - ein Denken, Reden, Meinen über die Philoso-phie.

Als Motiv liegt sie der Philosophie 'zu Grunde'. Ausführen lässt sie sich allerdings erst, wenn die Philosophie ihre wissenschaftliche, weil kritische Arbeit vollendet hat. Der An-fang muss sich als Ende behaupten.
17. 12. 13



Dynamische Darstellung, statische Kritik, I.

spandau-arcaden                                             aus Philosophierungen Die genetische Darstellung unterscheidet sich von de...