Donnerstag, 25. September 2025

Reflektieren auf mich-selbst / Die Reflexion ist frei.

                              zu Wissenschaftslehre - die fast vollendete Vernunftkritik

2. Jetzt, da das eigentlich Reale in Absonderung aufgestellt worden ist, soll gesprochen wer-den von dem Idealen in Rücksicht auf dasselbe, nämlich auf unseren Zustand.

Eine solche ideale Tätigkeit, die auf etwas schon Vorausgesetztes geht, heißt Reflexion.
 

A. Die Reflexion ist schlechthin frei in der Wahl des Mannigfaltigen, auf welches sie geht, es ist kein absoluter Grund da, warum sie dies oder jenes wähle. 

(Ich bin da nach meinem ursprünglichen Sein, darauf soll reflektiert werden; durch die Re-flexion und die Ge/setze,  an welche die Reflexion gebunden ist, wird mein Sein ein Man-nigfaltiges.)

Das Reflektierende ist Ich und zwar ideales Vermögen, welches durch die oben aufgezeigte Bestimmung des realen Ich nicht bestimmt ist. Aber es ist Charakter der Ichheit, sich schlechthin selbst zu bestimmen, absolut Erstes, nie Zweites zu sein; die Reflexion ist also absolut frei. Diese absolute Freiheit der Reflexion ist selbst etwas Übersinnliches; in der Ge-bundenheit, nur auf Teile und nur auf solche [?] Teile reflektieren zu können, tritt erst das Sinnliche ein. Hier ist der Vereinigungspukt der übersinnlichen und sinnliche Welt angege-ben.

Die in dieser Reflexion entstehende Bestimmtheit ist Abbildung meiner selbst im Kleinen, aber kein Ich ohne absolute Freiheit, sonach muss auch diese darin vorkommen.

Diese Freiheit der Reflexion ist auch auf der andern Seite empirisch, und ein empirisches Ich ist nur möglich durch diese Freiheit; das Wesen der Empirie besteht in diesem allmäh-lichen Auffassen und Hinzusetzen (dies ist sinnlich). Aber in diesem Auffassen und Hinzu-setzen besteht die Freiheit (dies ist übersinnlich). Wir haben hier die Synthesis der Freiheit und der Empirie der Reihenfolge, eins kann ohne das andere nicht sein. Das Intelligible ist nur, in wiefern es zur Reihenfolge hinzugedacht wird, um das Mannigfaltige in ihr zu verei-nigen; die Reihenfolge ist nicht möglich ohne die Freiheit, da sie erst durch die Freiheit der Reflexion zu Stande kommt.

Hier haben wir den wahren Entstehungspunkt des Bewusstseins, die Freiheit der Reflexion.
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J. G. Fichte, Wissenschaftslehre nova methodo, S. 156f.

 

Nota. - Das 'eigentlich Reale' ist unser 'Zustand'. Das ist einmal ein klares Wort. 'Ideal' ist meine Reflexion auf denselben. Reflektieren kann ich auf meinen Zustand aber nicht als auf ein Ganzes, ich löse ihn auf in Mannigfaltige, diese müsste ich eines nach dem andern auf-fassen und eins zu den andern hinzufügen: Das ist das Empirische (also eigentlich Sinnli-che) daran; aber welches von den Mannigfaltigen ich wähle und ob ich überhaupt wähle, ist Sache meiner Freiheit, und die ist das Intelligible daran. (Will sagen: In welche 'Teile' und in 'wieviele' ich meinen 'ganzen Zustand' vermannigfaltige, ist Sache meines Wollens.) Fichte scheint die Freiheit hier aber nur auf die 'Reihenfolge' beziehen zu wollen.

Ich glaube hierin Kants transzendentale Synthesis wiederzuerkennen. Unklar bleibt mir: Frei bin ich in der Wahl, in welche und in wieviele Mannigfaltige ich meinen ganzen Zu-stand zerlege. Aber mein ganzer Zustand soll es am Schluss der Reihenfolge doch wieder werden, nicht wahr? Welches ist das Kriterium? Und liegt auch dies in meiner Freiheit? 
JE, 12. 1. 17 

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