 zu Wissenschaftslehre - die fast vollendete Vernunftkritik
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Da
 werden sie sagen: dies lehrt ja der gesunde Menschenverstand schon. – 
Sie haben     ganz recht. Das soll er auch. Es ist ja gar nicht die 
Frage, durch unsre Philosophie etwas neues hervorzubringen: den     
menschlichen Geist zu erweitern; wir wollen ihn ja nur befreien.
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J. G. Fichte, Rückerinnerungen, Antworten, Fragen. [S. 184]
Nota. - Der gesunder Menschenverstand, common sense,
 ist die Vernunft auf ihrer ersten semantischen Ebene: in der Realität 
und auf die Realität tätige Vernunft. Wissenschaft ist nichts anderes. 
Doch während sich der Alltagsmensch darauf beschränkt und bei all 
seinen anderen Geschäften beschränken muss, die Reflexion jenen 
Dingen vorzubehalten, die den Rahmen des Alltäglichen überschreiten, 
macht es der Wissenschaftler zu seinem Beruf, ge-rade das vertraut 
Selbstverständliche seiner Prüfung zu unterziehen. 
"Es gibt zwei sehr verschiedene Standpunkte des Denkens; den des 
natürlichen und gemei-nen, da man unmittelbar Objekte denkt, und den des 
vorzugsweise so zu nennenden künst-lichen, da man, mit Absicht und 
Bewußtsein, sein Denken selbst denkt. Auf dem ersten steht das gemeine 
Leben und die Wissenschaft; auf dem zweiten die 
Transzendentalphilo-sophie", sagt Fichte. 
Alltagswisssen
 und Wissenschaft sind keine Gegensätze, die sich nach ihrer Substanz 
un-terscheiden, sondern dieselbe Tätigkeit, auf verschiedene 
Erfahrungsbereiche angewandt. Der Substanz nach ist auch die 
Transzendentalphilosophie nichts anderes als gesunder 
Menschenverstand. Nur ist sein Gegenstand hier ein radikal anderer: nicht dieser oder jener Erfahrungsbereich, sondern er selbst; Erfahrungen, die er von sich haben könnte, findet er nicht vor, sondern muss er selbst veranstalten, im Experiment.
Wozu
 mag das aber gut sein? Ob die kritische alias Transzendentalphilosophie
 einen prakti-schen Nutzen hat, ist diskutabel. Unmittelbar, fürs täglich
 Leben, hat sie gar keinen; es ist ja nicht ihr Gegenstand. 
"Mittelbar, d. h. inwiefern ihre Kenntnis mit der Kenntnis des Lebens 
vereinigt ist, hat sie auch einen positiven Nutzen. Für das unmittelbar 
praktische pädagogische im weitesten Sinn des Worts: Sie zeigt, wie man 
die Menschen bilden müsse... 
Für die theoretische Philosophie, Erkenntnis der Sinnenwelt, 
Naturwissenschaft ist sie re-gulativ. Sie zeigt, was man von der Natur 
fragen müsse. – 
Ihr Einfluß auf die Gesinnung des Menschengeschlechts 
überhaupt ist, daß sie ihnen Kraft, Mut und Selbstvertrauen beibringt, 
indem sie zeigt, daß sie und ihr ganzes Schicksal ledig-lich von sich 
selbst abhängen; indem sie den Menschen auf seine eignen Füße stellt." 
aus Rückerinnerungen, Antworten, Fragen, S. 123
 Den gesunden Menschverstand befreien bedeutet das.
  JE, 17. 8. 18
 
 
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