Donnerstag, 29. Februar 2024

Eine immanente Dimension

                                                 zu Philosophierungen

Es hätte ja wirklich nicht mit rechten Dingen zugehen können, wenn die Affinität, um nicht zu sagen: der Drang der Marx'schen Dialektik zur transzendentalen Perspektive nicht auch andern klugen Leuten aufgefallen wäre. 

Hier ein originelles Beispiel; ich würde mir wünschen, dass beide Verfasser auf Fichte aufmerksam würden und Marx mit ihm verglichen statt mit Kant:


aus: Inventionen
Zur Aktualisierung poststrukturalistischer Theorie, S. 118ff.

...In der Tradition des deutschen Idealismus wurde das Subjekt seit Kant als ein universelles Bewusstsein erfasst. Das Subjekt konnte mit der Vernunft der Menschheit identifiziert werden, weil es über allen einzelnen Individuen und zugleich als jedem Individuum innewohnend vorgestellt wurde. Dieses Bewusstsein, dieses transzendentale Subjekt begründet die Welt, macht sie durch seine Kategorie oder Repräsentationsform verständlich. Die Repräsentationsformen beziehen sich auf keinen empirischen Bereich. Kant postuliert ein Reich der Zwecke, das auf gegenseitiger Rücksicht zwischen den Menschen beruht und das mit seiner Idee einer reinen praktischen Vernunft korreliert. Die bedingungslose moralische Freiheit ist das Reich, das den Zwängen der Natur und der Erfahrung entgeht. ...

Hier setzt die Potenzialität des Begriffes ›Immanenz‹ an. Bei Marx ergibt sich eine Theorie der Konstitution der Welt, die die Frage nach dem Transzendentalen umkehrt. Hier begründet das transzendentale Subjekt oder das universelle Bewusstsein keine Welt. Marx’ Analyse zerstört die transzendentale Dimension, weil sie die Frage nach dem Subjekt ganz anders stellt: Anstelle einer transzendentalen Verortung setzt Marx die Subjektivität an die Stelle des Ergebnisses, des Effekts eines sozialen Prozesses. Das Subjekt, von dem allein Marx spricht, ist praktisch, vielfältig, anonym und unbewusst. Mit Marx können wir sagen, dass der diesbezügliche Fehler der Philosophen ein zweifacher war: Erstens haben sie die Essenz als eine Idee oder eine Abstraktion gedacht, das heißt als einen universellen Begriff, unter dem die (individuellen) Differenzen angeordnet werden können; zweitens haben sie gedacht, dass diese allgemeine Abstraktion den Individuen derselben Gattung (als Qualität, die sie besitzen) innewohnt. 

Marx lehnt beide Positionen ab. Marx lehnt die Position ab, die darin besteht, zu behaupten, dass die Gattung oder die Essenz der Existenz der Individuen vorausgeht; aber er lehnt auch die philosophische Behauptung ab, die sagt, dass Individuen primäre (erste, grundlegende) Realitäten sind, das heißt Realitäten, von denen Universalien abstrahiert werden können. Nach Marx sind beide Positionen unfähig, die vielfältigen und aktiven Beziehungen zu begreifen, in die sich Individuen (durch Sprache, Arbeit, Kämpfe usw.) zueinander setzen. Das Gemeinsame entsteht nur durch diese Beziehungen als eine immanente Dimension. Was Individuen gemeinsam haben, ist das Ergebnis dieser Beziehungen.

Durch die Betonung der Konstitutivität von Beziehungen eröffnet Marx einen Weg, der wichtig für die Philosophie des 20. Jahrhunderts sein wird – von Kojève und Simondon über Lacan bis zu Foucault und Deleuze: Es geht um einen Begriff von ›Transindividualität‹ und von ›transindividueller Realität‹. Transindividualität ist nicht, was idealerweise (als Form oder Substanz) jedem Individuum innewohnt oder was dazu dienen würde, Individuen von außen einzuordnen, sondern was zwischen den Individuen existiert als ihre vielfältigen Interaktionen.

Roberto Nigro
Gerald Raunig


 

Nota. Das obige Foto gehört mir nicht, ich habe es im Internet gefunden. Wenn Sie der Eigentümer sind und seine Verwendung an dieser Stelle nicht wünschen, bitte ich um Nachricht auf diesem Blog. JE

Mittwoch, 28. Februar 2024

Diskursiv.

veronikazanke                aus Wissenschaftslehre - die fast vollendete Vernunftkritik

Begreifen heißt, ein Denken an ein anderes anknüpfen, das erstere vermittelst des letzteren denken. Wo eine solche Vermittlung möglich ist, da ist nicht Freiheit, sondern Mechanis-mus. Einen Akt der Freiheit begreifen wollen, ist also absolut widersprechend. Eben wenn sie es begreifen könnten, wäre es nicht Freiheit.
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J. G. Fichte,
Das System der Sittenlehre nach Prinzipien der Wissenschaftslehre, SW IV, S. 182


Nota. - Das ist das ganze Reich des diskursiven Denkens. 'Da ist nicht Freiheit, sondern Mechanismus.' Sein abtrünniger Schüler Herbart, der von der (transzendentalen) Freiheit gar nichts hielt, sollte es samt und sonders als Metaphysik zusammen fassen: alles Denken, das 'eine Vorstellung an die andere knüpft'.  Daneben oder ihm gegenüber findet er im Denken dasjenige Vorstellen vor, bei dem die jeweilige Vorstellung 'notwendig vom Gefühl des Beifalls oder der Missbilligung begleitet' ist: die Ästhetik. Das umfasst alle Werturteile, die vom ('metaphysischen') Verstand aus gar nicht möglich wären.

Ethik ist nach dieser Auffassung eine Unterabteilung der Ästhetik: diejenige, die Werturteile über Willensakte fällt. Wohl hat der "Eleat" Herbart in seiner Metaphysik die radikalst mög-liche Gegenposition zur Transzendentalphilosophie eingenommen; aber mit seiner ästheti-schen Ethik hat er nachträglich der Wissenschaftslehre einen besseren Abschluss anerfun-den, als Fichte selbst ihn fand.

Freiheit konnte Herbart als orthodoxer Lutheraner im ethischen Bereich schon gar nicht zugeben: "Vernunft kommt von vernehmen." (Etymologisch trifft das zu.) Für Fichte waren Sittlichkeit und Willensfreiheit Wechselbegriffe. In diesem einen Punkt aber waren sie sich einig: Freiheit ist die Grenze des Begreifens. 
JE, 8. 5. 18

 


Dienstag, 27. Februar 2024

Darauf hat die Welt gewartet.

                                       zu Philosophierungen

Seit gut einem Jahrzehnt blogge ich in meinem Internetwinkel still vor mich hin. Aufsehen habe ich nicht erregt, dazu hatte ich nicht die Mittel. Ich begnüge mich mit dem bisschen, was ich habe. 

Ganz bescheiden? Ich bin nicht bescheiden. In all den Jahren stagnierte die Philosophie in einem dialogue de sourds zwischen Systematikern und Kontinentalen ohne jeden Schritt voran. Es gab auf beiden Seiten Versuche, in einer Theory Of Mind einen gemeinsamen Bezugspunkt zu finden. Aber es wurde keine Synthese, es war Mummenschanz und sie blieben, wie sie waren.

Warum? Da hätte man mit dem Alexanderschwert dreinhauen müssen: Einen Ausweg aus belese-ner Spitzenklöppelei und dilettantischer Improvisation konnte nur die Transzendentalphilosophie weisen, weil sie - "radikal" - die Dinge bei der Wurzel fasst: Was heißt Bedeutung? 

Das sei schon so alt? Aber Wurzeln hat es nie geschlagen.

In der Neuen Zürcher beklagt Peter Strasser den zähen Status quo. Ich fühle mich aufgefordert, ihm diese meine Ergänzung hinzuzufügen:

Presente!

Eine vitruvianische Idee vom Menschen: Skizze von Leonardo da Vinci, entstanden um 1490. 
aus nzz.ch, 26. 2. 2024    
                                                                                              
Stückwerk des Geistes 
Der Verfall von Großphilosophien kündet von der Formschwäche west-lichen Denkens, aber auch von der Demokratisierung des Denkens und Fühlens.
 
Die aufklärerischen Philosophien des Westens, welche die moderne Welt hervorgetrieben haben, stehen vor einem Trümmerhaufen. Was sich als universal verstand, wird heute als interessengeleitet denunziert. Das Erbe unserer Kultur steht auf dem Spiel und mit ihm die Idee der Menschheit.
 
von Peter Strasser 

Gibt es heute noch Grossphilosophien? Man könnte Peter Sloterdijks «Sphären»-Trilogie (1998–2004) als solche bezeichnen. Aber die «Neuerzählung» der Mensch-heitsgeschichte fällt sich selbst in den Rücken: Eine sich verzettelnde Lust am Meta-phorischen – die Sphären sind Kugeln, Blasen, Schäume – tritt an die Stelle des Ver-suchs, die Conditio humana in geistigen Prinzipien zu fundieren. 2013 erschien dann das Buch «Warum es die Welt nicht gibt» von Markus Gabriel. Mit dem Gestus des Großphilosophischen wird über die Welt als Ort von «Sinnfeldern» nachgedacht. Doch wehrt dieser «Neue Realismus» jede Reflexion über den «Sinn des Ganzen» ab. Der Welt selbst, als dem Ort alles Seienden, sei nichts dergleichen zuschreibbar . . .

Treten wir einen Schritt zurück. 1848: Friedrich Engels und Karl Marx wollten Hegel «vom Kopf auf die Füsse» stellen. Für Hegel, den Idealisten, waren das Ganze und der Geist identisch. Marx hingegen sah in der Geistmetaphysik, verkörpert durch Sitte und Religion, die Rechtfertigung bestehender Ausbeutungsverhältnisse: Opium für das Volk. Laut dem historischen Materialismus blockiert der «Geist», als bourge-oise Ideologie, die kommunistische Revolution; vergeblich. Großphilosophien blei-ben selten ohne blutige Utopie.

Doch bereits seit Hegels monumentaler Dialektik, die Arthur Schopenhauer als Ga-limathias, Aberwitz und Unsinn gegeißelt hatte, wurde immer deutlicher: Das Zeit-alter der Großphilosophien, die es unternahmen, die Welt, vom Atom bis zur Zivili-sationsdynamik, aus angeblich selbstevidenten Prinzipien herzuleiten, war vorbei. Aber nicht ganz, ein letztes Aufbäumen stand bevor. Martin Heidegger wollte in seinem epochalen Werk «Sein und Zeit» (1927) das tiefe Denken retten, indem er es vor den Gegenwartsdiskursen – dem «Gerede» – in Sicherheit brachte. Sein Motto: Rettung der Philosophie durch Wiederbesinnung auf ihren Ursprung.

Fehlendes Fundament

Laut Heidegger bedurfte es eines Rückgangs zur griechischen Vorsokratik, die etwa von 600 bis 350 v. Chr. ihre Ursprungs-Lehren formulierte. Nur dadurch wäre es möglich, erneut eine Philosophie des Seins zu entwickeln – und damit auch die grundlegende Stellung des Menschen zu bedenken, der als einziges Wesen zur Seins-Erkenntnis fähig, aber keineswegs die alle Maßstäbe setzende «Krone der Schöpfung» sei. Heidegger behauptet, seine ursprungsphilosophische Grundlegung befreie von den humanistischen, den rationalistischen und idealistischen Einengungen.

Dass der Meisterdenker sich dabei in pathetischen Formeln ergeht – das Sein wird schließlich als «Seyn» in einen quasireligiösen Rang erhoben –, ist von Kritikern oft hervorgehoben worden: Aus dem Sein/Seyn als Urgrund der Welt lässt sich alles und nichts herauszaubern. Wir haben es, nüchtern betrachtet, mit einer großphilosophi-schen Leerformel zu tun, in welche alle möglichen Welterklärer ihre obskuren Ge-danken hineinprojizieren können.

Wir leben in einer Zeit der Fragmentierungen des Geisteslebens, soweit die ideologischen Verwerfungen, die wir zurzeit durchleben, ein «Leben des Geistes» überhaupt zulassen.

Als Jürgen Habermas, linkshegelianisch geschult, 1968 sein Werk «Erkenntnis und Interesse» vorlegt, da ist der Geist gleichsam schon in die Brüche gegangen. Er hängt in seinen Leistungen ab von «transzendentalen Interessen»: Neben einem wissen-schaftlich-technischen und einem hermeneutischen, dem wechselseitigen Verständnis dienenden Interesse existiert – bei Habermas entscheidend – ein Interesse, das auf die Emanzipation des Menschen, dessen Befreiung von aller Ausbeutung und Selbst-entfremdung, gerichtet ist.

Bei alldem fehlt ein übergreifendes Prinzip oder Fundament, wie es noch der Fall war bei Kant («das Ding an sich»), bei Nietzsche («der Wille zur Macht»), bei Schopen-hauer («die Welt als Selbsterkenntnis des Willens») oder bei Heidegger («das Sein des Seienden»). Heute, nach einer stürmischen Phase der Sprachkritik, ist die akademi-sche Zunft längst von allen philosophischen Welterklärungstheorien abgerückt. Wir leben in einer Zeit der Fragmentierungen des Geisteslebens, soweit die ideologischen Verwerfungen, die der Westen zurzeit durchlebt, ein «Leben des Geistes» überhaupt zulassen.

In den ruhigeren akademischen Gewässern finden wir uns bei philosophischen Ein-zeldisziplinen wieder. Diese haben jeweils ihre eigenen Rayons und Regeln, ob es sich um Ontologie, Metaphysik, Erkenntnistheorie, Sprachanalytik, Ethik oder Sozialtheo-rie handelt. Nicht mehr wird beansprucht, eine umfassende Theorie allen Wissens oder der menschlichen Kondition zu bieten. Diese Selbstbescheidung im Umgang mit geisteserheblichen Themen passt in eine Welt der kulturellen Vielfalt. Deren «plurale» Gesinnung lehnt es ab, Philosophie als Nachfolgedisziplin einer religiösen Dogmatik zu betreiben.

Zerbrechlichkeit des aufgeklärten Denkens

Kein Zweifel, die Philosophie war, spätestens seit dem Durchbruch der neuzeitlichen Aufklärung, die privilegierte Nachfolgerin der großen religiösen Mythen, namentlich des Christentums – seiner Weltentstehungslehre, seiner Ethik und heilsgeschichtli-chen Apokalyptik. In dieser Funktion blieb das Denken zurückgebunden an Letztbe-gründungsmuster, was besonders den ethischen Universalismus des europäischen Denkens beflügelte. Christliches Naturrecht wurde schrittweise durch säkulare Prin-zipien ersetzt, die beanspruchten, den Grundbedürfnissen und Untiefen der mensch-lichen Natur am besten zu entsprechen. Die Pflicht-, Tugend- und Glücksmoralen sollten allgemeingültige Formen des Zusammenlebens ohne Rückgriff auf eine «übernatürliche» Ordnung ermöglichen.

Wir wissen heute um die Zerbrechlichkeit des aufgeklärten Denkens. Religionen prallen wieder mit voller Wucht aufeinander, die Vernunft wird denunziert, ja selbst die exakte Wissenschaft gerät in den Verdacht, von geldgierigen Mächten aus dem Hintergrund dirigiert zu werden. Im Übrigen konnten philosophische Großtheorien das Böse nie effektiv zähmen, die menschliche Raffgier, Brutalität und Mordlust nicht wirksam stilllegen. Mit derlei «Theorien» wurden Tyranneien und brutale Großmacht-bestrebungen grossflächig gerechtfertigt und begrifflich unterbaut, bis hin zu Hitlers Rassen- und Welteroberungswahn.

Aber auch jene Haltung, die heute im Westen als posttraditionale Sensibilität vor-herrscht, scheint fragwürdig. Laut ihr sind die Lebensstile doktrinärer, frauenverach-tender, judenfeindlicher, homophober Kulturen strikt abzulehnen; und trotzdem sind wir gehalten, unsere ethischen Standards nicht absolut zu setzen, sondern jede Kultur aus ihrer eigenen Tradition heraus zu «verstehen». Der Berufung auf die unverletzli-che Würde und Gleichheit aller entspricht keine Menschheitsmetaphysik mehr, wie sie in Schillers Zeile anklingen mochte: «Alle Menschen werden Brüder», die «Schwe-stern» eingeschlossen.

Warum fehlen uns zunehmend Stärke und Mut, um die Prinzipien der aufgeklärten Vernunft, ob in der Wissenschaft oder der Ethik, philosophisch zu untermauern und ihre Umsetzung einzufordern? Vielleicht, weil wir noch immer einer Welt ungebilde-ter, darbender und zum Fanatismus verführbarer Massen gegenüberstehen, die von monströsen Diktatoren und ihrem korrupten Anhang zu mörderischen Taten auf-gehetzt werden, während wir, moralisch feinnervig wie niemals zuvor, unseren Eurozentrismus geisseln?

Für die Idee der Menschheit

Ein Hauptgrund unseres Hangs zur Kleingeistigkeit liegt zweifellos darin, dass – ausserhalb des religiösen und naturrechtlichen Kontextes – das Selbstverständnis des Westens zusehends blasser geworden ist. Immer lauter melden sich individualistische und egomanische Stimmen zu Wort. Man kann die Schlag- und Stichworte der neuen Moralisten nicht mehr ohne Beklemmung aussprechen: politische Korrektheit, neue Wachheit («Wokeness»). Stets sind wir zu wenig korrekt oder nicht «woke» genug. Auf diese Weise beschleunigen sich die Auflösungstendenzen unserer historisch vermittel-ten Einheit des Guten, Wahren und Schönen. Dieser Erosion haben all die Opportu-nisten und Querköpfe, welche die Massenmedien und das Internet fluten, nichts entgegenzusetzen als Tagespolemik.

Aber vielleicht – auch diese Perspektive zählt – ist das Ende der philosophischen Großtheorien, in denen sich der «Geist» gerne gottgleich manifestierte, eine notwen-dige Folge der Demokratisierung des Denkens und Fühlens. Wer pragmatisch denkt, und zwar entlang der Grundbedürfnisse und Gefahren, die der menschlichen Natur innewohnen, wird eine Theorie der kleinen Schritte (Karl Poppers «piecemeal social engineering») befürworten. Fundamentalistische Weltbilder enden nicht selten beim Terror der Ideale, indem sie sich anheischig machen, das Wesen des Menschen zu befreien oder aber alle Menschlichkeit einer übermenschlichen Autorität zu opfern. Und so hat das Stückwerk des Geistes seine eigene Humanität. Zwar verweigert es sich aller Heroik, aber es lässt uns immerhin leben.

Dessen ungeachtet dürfen wir, über alle «Love, peace and respect»-Rhetorik hinaus, nicht aufhören, unsere Stellung im Ganzen des Seins und Weltseins philosophisch, religiös und existenziell zu befragen. Wir dürfen, nach unserer Selbstreinigung von eurozentristischen Verengungen, nicht davon Abstand nehmen, uns auf die univer-salethische Tradition des Abendlandes zu besinnen. Denn wir benötigen ein geistiges Fundament, welches dem Sog der narzisstischen und neonationalistischen Verlok-kungen widersteht. Wenn wir das Erbe unserer Kultur, geformt aus antiker, christli-cher und humanistischer Gesinnung, dauerhaft verspielen, dann opfern wir die Idee der Menschheit und versinken in den Egoismen der Kleingeistigkeit.

Peter Strasser ist Universitätsprofessor i. R. Er lehrt an der Karl-Franzens-Universität Graz Philosophie.

Postskriptum für Peter Strasser: Um groß geht es beim Philosphieren nicht, sondern um scharf. Radikal sein heißt, bei der Wurzel ansetzen. Einen Grund brauchen wir nicht, um zu einem Schluss zu kommen, sondern um uns die Richtung zu geben, in die es fortgehen soll. JE 

 

Nota. -  Dass ich mein System nur fragmentarisch darstellen konnte, gebe ich freimütig zu, und den Titel Großphilosophie beansprucht es nicht. Die Einsicht, dass dem zeitgenössi-schen Denken das Fundament fehlt, drängt sich jedem auf, der die gegenwärtigen Grund-strömungen des westlichen Denken vergleicht - die philologisch spitzenklöppelnden Konti-nentalen und die definitorisch flohknackenden Systematiker.

Ich habe auf deren Konjunktion nicht gewartet, ich schürfe seit vierzig Jahren am selben Ort nach einem Grund, und als ich auf einen festen Punkt gestoßen bin, hielt ich die Zeit für gekommen, dort mein Fundament zu legen - das ich aber von anderen auch schon vor-bereitet fand.

Da ich - ungern - den unsicheren Gang wagen musste, mein fragmentarisches System aus-schließlich im Internet vorzutragen, hat Peter Strasser meinen Weg nicht gekreuzt. Da bleibt mir nur, mich ihm so bemerkbar zu machen:

Ich bin da!
JE 

 

 

 

Montag, 26. Februar 2024

Erleben (Raum und Zeit).

blancan                                                                      zu Philosophierungen

Unser Wissen ist uns nicht durch die Sachen selbst gegeben, sondern durch unser Erleben, in dem die Sachen 'vorkommen'. Ob die Sachen auch außerhalb meines Erlebens vorkom-men, ist davon noch gar nicht berührt. Wenn ich erfahre, dass die Sache auch im Erleben eines andern vorkommt, gewinnt die Annahme, dass sie 'an sich' sei und unabhängig von ihrem Erlebtwerden (esse est percipi), eine gewisse lebenspraktische Plausibilität, oder rich-tiger: Ich bin gut beraten, wenn ich in meinem Verkehr mit anderen davon ausgehe, dass die Sachen, die ich und sie gemeinsam erleben, "wirklich" sind.

Allerdings gehört die Frage, ob...  nicht zu meinem Erleben; gehört nicht in die Weise ihrer Gegebenheit in meinem Erleben. Sie entstammt der Reflexion, durch die ich mich außer-halb meines Erlebens, neben mein Erleben stelle, um gewissermaßen mein Erleben zu er-leben. Es ist ein Erleben zweiten Grades, das nicht "gegeben", sondern gemacht, "hervor-gerufen" ist ex sponte mea. Erst auf diesem zweiten Grad, der Verdoppelung meines Er-lebens im Spiegel meines Erlebens, kommen überhaupt 'Sachen' vor.

Denn im unmittelbaren Erleben, das die Weise der Gegebenheit hat, kommen Akte vor, nicht Dinge. Das ist eine vorläufiger Ausdruck, der lediglich bezeichnen soll, dass hier eine Veränderung gemeint ist: Auf Zuständlichkeit a folgt Zuständlichkeit b, 'Zeit' nenne ich "das, was" zwischen den beiden liegt, und wenn ich Zustand b nicht anders erlebte, als ich Zustand a erlebt habe, dann wäre nichts zwischen ihnen und gäbe es keine Zeit. 

(Also kommt Zeit in meinem Erleben unmittelbar vor, wenn auch nicht gleich 'als' solche; ebenso wie 'Raum', der kommt ursprünglich nur als Umfang meines Gesichtskreises vor, als 'Feld', in dem Veränderung von Zuständen Statt-findet; aber hier nur die Veränderung äuße-rer Zustände, das Erlebnis meiner inneren Zustände hat keinen Raum zu seiner Statt, son-dern 'mich'.

 


Der Einwand, 'mir selbst' sei ich ursprünglich als Körper und ergo als 'Raum' gegeben, ist unangebracht. Mir 'selbst' bin ich überhaupt erst in der Reflexion gegeben, im Erlebnis zwe-iten Grades, wo ich mein Erleben "als meines erlebe". 'Raum' ist also dem Erleben nicht ebenso unmittelbar gegeben wie 'Zeit'.) 

'Zeit' ist der 'Raum', "in dem" die Veränderung meiner Erlebenszustände "stattfindet". Sie ist Ort des Geschehens.

Geschehen als Veränderung von Zuständen ist in unserer Erlebenweise "eingefärbt" als Wirkung. (Ob diese Färbung 'urprünglich' ist oder eine gattungsgeschichtlich erworbene Rückprojektion meiner eigenen Wirksamkeit (Nietzsche: "die Natur bei ihrer Arbeit be-lauscht") in alles, was ich 'überhaupt' erlebe, ist hier noch nicht zu erörtern.

Also im unmittelbaren Erleben kommen keine 'Punkte' - weder Zeit-Punkte noch Raum-Punkte (=Dinge) - vor, sondern Zeiträume als Bühne der Veränderung von Zuständen.

Allerdings sind Räume von Punkten begrenzt. Wer oder was setzt die Punkte, die den Zu-stand a als diesen, den Zustand b als den anderen de/finieren? Sicher ist es die jeweilige "Erlebnisqualität", die den Fluss des Erlebens zu diskreten Zu-Ständen interpunktiert. Aber die Qualitäten meines Erlebens entsprechen ebensovielen Erlebnisbereitschaften "in" mir: Ich muss sie "irgendwie" schon 'erwartet' oder 'gemeint' haben, es muss eine 'Absicht' da-gewesen sein (und sei es als eine - ja übrigens auch naturgeschichtlich erworbene - physio-logische Disposition meiner Körperorgane).

Also alles, 'was' erlebt wird, wird so (oder anders) erlebt. Und dass es so (und nicht anders) erlebt wird, antwortet auf eine vor-gegebene Erwartung.

Oder anders - alles, was uns in unserem Erleben als dieses gegeben ist, war als solches im-mer schon 'gemeint'. 'Intentionalität' ist nicht erst ein noetisches Phänomen. Schon der sinnliche Wahrnehmungsapparat wählt die 'Reize' aus, denen er sich 'zuwenden' will; und reagiert nicht nur auf deren (physikalisch messbare) Stärke.

Das eigentliche Problem sind diese Disponiertheiten; nicht zunächst die physiologisch ver-ketteten Reiz-Reaktions-Folgen natürlich, obwohl auch die selekiv erworben sind...; sondern die sozusagen mentalen 'Reizbarkeiten' (dass sie sich von den ersteren nicht immer sauber scheiden lassen, mag sein; aber logisch gehts immerhin, und daruf kommt es an). 

aus e. Notizbuch, 27. 11. 1994 


Hier müsste anschließen ein Absatz über die produktive Einbildungskraft. Aber der könnte nicht mehr phänomenologisch vorgehen, sondern müsste sich auf spekulatives Gelände wa-gen. Ich hab's immerhin versucht

23. 3. 17 


 
Nachtrag. - 'Gegeben' ist mir in Raum und Zeit der Punkt, auf den ich meinen Finger lege: Ich gebe ihn mir selbst, und Raum und Zeit bilden sich erst jetzt um ihn herum. Das ist die Ur-Sache von allem. 



Sonntag, 25. Februar 2024

Vernunft ist kein Sachverhalt, sondern mein Verhalten.

Matisse, La danse II                                                                         zu Philosophierungen

Mit der Frage, wie die Vernunft (der Geist, der Sinn...) in die Welt gekommen ist, hat es  eine ähnliche Bewandtnis wie mit der Frage, wie der Wert (das Kapital) in die Welt gekom-men ist. 

Im ersten Falle brauchte, da aus nichts nichts wird, Fichte sein vorgeschichtliches Normal-volk, das dann wie die Abderiten in alle vier Winde zerstreut ward, um unmerklich hier und da und schließlich überall das Licht unter den Leuten anzuzünden. Wie als Echo darauf führt Max Scheler den "Genotyp des Bourgeois", d. h. den Juden ein, der den Kapitalismus als Naturanlage "mitgebracht" und dann über die Erde verstreut hat.

Tatsächlich sind beide Fragen im Wesen verwandt. Sie lösen sich, wenn man aufhört, Wert und Vernunft als seiende Sachen aufzufassen, sondern als Verhältnis begreift - das als sol-ches allerdings erst "in Erscheinung tritt", sobald es 'entwickelt' ist. Aber eben: Es ent wik-kelt sich aus vorangegangenen Verhältnissen.
 
Und da erhellt plötzlich, dass es sich beidemal wirklich "irgendwie" um dasselbe handelt: nämlich um das Setzen dessen, was vor allem andern gelten soll. Vernunft nennen wir ein solches Verhalten der Menschen zu sich und den Dingen, das sich an den wahren Werten der Dinge orientiert. (Und welches der wahre Wert der Dinge ist, lässt sich immer nur - ex post - praktisch ermitteln aus dem vernünftigen Verhalten...) 

Ist das ein verbaler Trick, Verhältnis aus Verhalten abzuleiten? Mitnichten; nur solche, die sich zueinander verhalten, haben ein Verhältnis. Von Verhältnis ist gar nicht zu reden, als wenn die Teilnehmer als Handelnde vorgestellt werden. Richtig, Teilnehmer: Denn an einem Verhältnis nehme ich teil - oder ich habe keines. Vernünftig nennen wir Verhältnisse, in denen die wahren Werte den Ausschlag geben. Wie wir die Werte setzen, bestimmt je-weils unser Urteil über die Vernünftigkeit (oder andersrum - aber das erst, wenn sich die Werte zu einem "System" sozialisiert haben, dessen Kohärenz Maßstab für die Gültigkeit einzelner Werte wird.)

Aber in der Wirklichkeit erscheinen 'Werte' zuerst individuell - und zwar im Gegensatz zu den physiologischen Erhaltungserfordernissen. Jedes Handeln, das sich an Anderem als den Bedürfnissen der Selbst- und Arterhaltung orientiert, ist ipso facto werthaft. Denn es wählt.

In der Geschichte erscheint es punktuell, nämlich kultisch

Die erste Stelle, wo regelmäßig ein Verhalten aufgetreten ist, das keinerlei Bezug zu den phy-siologischen Erhaltungsfunktionen mehr hat - und das darum als Abschluss der Homini-sation gilt -, ist die Haltung zum Tod.

Die Menschen wissen, dass sie sterben werden; vorher waren sie keine. Man kann über-haupt sagen: Es ist ihr erstes Wissen. Sobald sie es wissen, hört der Tod auf, ein bloßes Naturgeschehen zu sein - und sie setzen einen Fuß aus der Naturgeschichtlichkeit ins Reich der Freiheit. Nur weil sie sterben müssen, bekommt ihr Leben einen Sinn. 


31. 12. 1994


Nachtrag I. - Hier ist die Frage realphilosophisch, d. h. anthropologisch gestellt, nämlich: wie die Vernunft in die Welt gekommen ist. Noch nicht die Rede ist davon, worin sie be-steht. Das ist erst eine Frage der Transzendentalphilosophie. 

21. 3. 17

Nachtrag II. - Ein Verhältnis 'gibt es' gar nicht. Was 'es gibt', ist lediglich, dass Eines sich zu einem Andern verhält. Von dem, was der eine mit dem andern tut, kann ich, wenn ich einen Grund dafür habe, absehen. Das ändert aber nichts an dem Sachverhalt: dass einer etwas tut. 'Es gibt' nicht Vernunft als objektive Eigenschaft dessen, was einer tut; es gibt nur Ver-nünftigkeit seines Tuns: Er selbst handelt vernünftig oder nicht. 

Alles weitere wäre Abstraktion und fiele in die Verantwortlichkeit des außenstehenden Be-trachters. Nur für ihn 'gibt es' ein Verhältnis. 'An sich' verhält sich immer nur Eines zu einem Andern, siehe oben. Anthropologie und Transzendentalphilosophie gehen nicht in-einander über oder gar ineinander auf. Sie sind zweierlei Gesichtspunkte - Perspektiven, aus denen man etwas sehen kann -, aber alternierend entweder dieser oder der andere.

Zusammenfassend gesagt: Vernünftigkeit ist ein (tätiges) Verhalten.

Denn die wahren Werte, die - siehe oben - das Verhalten der Menschen bestimmen, sind die Zwecke, die sie verfolgen. Gültig sind nicht schon die Zwecke, die ich oder ein anderer wirklich erstrebt, sondern solche, die geeignet sind, zu Zwecken aller zu werden. Das kann und muss man vorab erwägen. Doch erweisen kann es sich immer erst in der Tat. Ohne Wagemut keine Vernünftigkeit.

JE, 25. 6. 21

Samstag, 24. Februar 2024

Es gibt nur eine.

  nach Tommy Weiss, pixelio.de                                                                        zu Philosophierungen

Dass es nicht die Transzendentalphilosophie gäbe, sondern eine von X, eine von Y, eine von Z – ist radikal falsch. Es gibt nur eine Transzendentalphilosophie, und was an den vor-liegenden Texten die persönliche Zutat von X, Y oder Z ist, ist historisch und zufällig. Des-halb ist auch deren besondere Weise der Darstellung jeweils nur eine von tausend mögli-chen – so hat es Fichte gelehrt. 

Freilich 'gibt es' sie nicht als daseiende Substanz. Wie das Wahre, wie die Vernunft führt sie eine problematische Existenz. Sie ist immer nur in dem Maße, wie sie wirklich betrieben wird. No hay caminos. Hay que caminar.
21. 9. 13 

 

Nachtrag. - Die Transzendentalphilosophie ist einzig, indem sie kritisch ist: Es gibt an ihr keine positiven Bestimmungen, an denen man verschiedene Darstellungsweisen unterschei-den könnte. Kritiken, die nach mehr als der bloßen Form unterscheiden ließen, wären eo ipso unvollständig.



Freitag, 23. Februar 2024

Unheroischer Nihilismus.

Birgit Böckle,                       aus Wissenschaftslehre - die fast vollendete Vernunftkritik 

Es giebt überall kein Dauerndes, weder ausser mir, noch in mir, sondern nur einen unauf-hörlichen Wechsel. Ich weiss überall von keinem Seyn, und auch nicht von meinem eigenen. Es ist kein Seyn. – 

Ich selbst weiss überhaupt nicht, und bin nicht. Bilder sind: sie sind das Einzige, was da ist, und sie wissen von sich, nach Weise der Bilder: – Bilder, die vorüberschweben, ohne dass etwas sey, dem sie vorüberschweben; die durch Bilder von den Bildern zusammenhängen, Bilder, ohne etwas in ihnen Abgebildetes, ohne Bedeutung und Zweck. Ich selbst bin eins dieser Bilder; ja, ich bin selbst dies nicht, sondern nur ein verworrenes Bild von den Bildern. – 

Alle Realität verwandelt sich in einen wunderbaren Traum, ohne ein Leben, von welchem geträumt wird, und ohne einen Geist, dem da träumt; in einen Traum, der in einem Traume von sich selbst zusammenhängt. Das Anschauen ist der Traum; das Denken, – die Quelle alles Seyns und aller Realität, die ich mir einbilde, meines Seyns, meiner Kraft, meiner Zwe-cke, – ist der Traum von jenem Traume.
__________________________________________________
J. G Fichte, Die Bestimmung des Menschen, SW II,
S. 245



Nota I.
- Das Fazit aus der Atheismusdebatte hatten die Rückerinnerungen, Antworten, Fragen ziehen sollen. Doch Fichte hat sie nicht fertiggestellt. Warum? War ihm aufgefallen, dass er sich tatsächlich auf dem Weg in den Atheismus befand? War er davor zurückge-schreckt, das "intellektuelle Gefühl", das ihm so unerwartet 'das Abolute' alias die Wahrheit verbürgen musste, als das anzusprechen, was es allenfalls sein konnte: eine ästhetische Idee?

*
Oder war es die Einsicht, dass seine eigentlichen philosophischen Spekulationen nicht (ge-druckt) vor das große Publikum gehörten, wo sie doch nicht verstanden, aber womöglich absichtsvoll missverstanden wurden? Dass er die Philosophie selbst dem mündlichen Vor-trag vor wissensdurstigen Hörern vorbehalten und dem großen Publikum nur die Ergeb-nisse seiner Spekulation vortragen dürfe - bevor ein anderer sie entstellen konnte? 

Was davon zutrifft, ist eine philologische Frage, und Philologen haben sie vielleicht längst geklärt. Fest steht jedenfalls, dass anstelle der Rückerinnerungen... es die Bestimmung des Menschen war, mit der Fichte nach dem Atheismusstreit erstmals wieder an die Öffentlich-keit trat. Ein wesentlicher Ertrag der Rückerinnerungen bleibt erhalten: Der theoretische, 'transzendentale' Teil der Philosophie, genannt Wissenschaftslehre, wird klipp und klar als rein kritisch und eo ipso rein negativ definiert.

Die Bestimmung des Menschen besteht aus drei Teilen. Im ersten, Zweifel überschriebenen, wird das positive Wissen der rationalistischen Metaphysik dargestellt, das durchgängig aus Ursachen und Wirkungen zusammengesetzt ist und das seine erste Ursache notwendig außerhalb des Wissbaren annehmen muss. Theoretisch findet er dagegen nichts einzuwen-den, aber praktisch. Es folgt daraus unvermeidlich eine rein passive Lebenslehre - die ihn allerdings empört. Und das ist ja wohl eine ästhetische Stellungnahme, nicht wahr?

Die Wissenschaftslehre selbst, im zweiten Teil namens Wissen dargestellt, ist aber kritisch und negativ, sie vernichtet nur den logischen Schein des dogmatisch-metaphysischen Sys-tems; aber weiter hilft sie nicht. - 

Auf diesem Standpunkt finden wir den Verfasser im obigen Textausschnitt.

10. 4. 14

Nota II. - Die Überschrift des obigen Eintrags habe ich nachträglich um ein Un ergänzt. - Mit Heroismus verbindet man allgemein eine Haltung der Entsagung. Doch die mir be-kannten Vertreter der im Eintrag beschriebenen Weltauffassung zeichnen sich mehr durch ihre Selbstgefälligkeit aus. 
 23. 4. 14

*Nota III. -  Das stelle ich inzwischen anders dar; allerdings nicht in Hinblick auf ein 'real' Absolutes, sondern in Hinblick auf den pp. Denkzwang.

JE, 9. 12. 21 

 

 

Donnerstag, 22. Februar 2024

Vernunft ist unbegreiflich.

  Erich Westendarp, pixelio.de             aus Philosophierungen, oder Das Vernunftsystem

Vernunft ist praktisch. Theoretisch ist sie nicht fassbar, denn dazu müsste sie bedingt* sein. Sie ist aber durch Freiheit möglich.

Sie ist aber auch nicht "unbedingt", das lässt nur der Klang der Wörter vermuten. Denn sie ist gar nicht, sondern geschieht. Nämlich als das Wozu eines Akts. Der wiederum ist durch Freiheit möglich, und wo sie wirkt, entsteht ein Fakt. Ein Fakt ist unbegreiflich.

*) d. h. durch Begriffe bestimmbar, und das heißt: logisch. Aber das Fassen unter Begriffe muss die Vernunft erst selbst besorgen.
30. 4. 16


Nachtrag. Begreifen ist der Modus des diskursiven Denkens. Es heißt, das eine Wissen an das andere knüpfen, genauer: die eine Erkenntnis aus der anderen Erkentnis ab leiten; die Wahrheit der einen auf die andere über tragen. Doch welche Wahrheit wäre die allererste, aus der wir unsern Saft ziehen? Finden wir sie, so können wir von ihr aus unsern Gang nehmen. Doch sie selbst könnten wir nicht begreifen: Sonst müssten wir die allererste Wahrheit aus einer... vorhergehenden ableiten, und die wäre dann die allerallererste. Be-greifen könnten wir sie freilich nicht, denn... usw.
13. 12. 18

Mittwoch, 21. Februar 2024

Setzen ist entgegensetzen.

                                           aus Wissenschaftslehre - die fast vollendete Vernunftkritik

Ich sagte dir: jetzt denke dich, und bemerke, dass dieses Denken ein Thun ist. Du musstest, um das verlangte zu vollziehen, dich losreissen von jener Ruhe der Contemplation, von je-ner Bestimmtheit deines Denkens, und dasselbe anders bestimmen; und nur inwiefern du dieses Losreissen und dieses Abändern der Bestimmtheit bemerktest, bemerktest du dich als thätig. Ich berufe mich hier lediglich auf deine eigene innere Anschauung; von aussen dir anzudemonstriren, was nur in dir selbst seyn kann, vermag ich nicht.

Das Resultat der gemachten Bemerkung wäre dieses: man / findet sich thätig, nur inwiefern man dieser Thätigkeit eine Ruhe (ein Anhallen und Fixirtseyn der inneren Kraft) entgegen-setzt. (Der Satz, welches wir hier nur im Vorbeigehen erinnern, ist auch umgekehrt wahr: man wird sich einer Ruhe nicht bewusst, ohne eine Thätigkeit zu setzen. Thätigkeit ist nichts ohne Ruhe und umgekehrt. Ja, der Satz ist allgemein wahr, und wird im folgenden in dieser seiner allgemeinen Gültigkeit aufgestellt werden: Alle Bestimmung, was es nur sey, das bestimmt werde, geschieht durch Gegensatz. Hier sehen wir nur auf den vorliegenden einzelnen Fall.)
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J. G. Fichte, Versuch einer neuen Darstellung der Wissenschaftslehre, SW I, S. 531f. 



Nota. -  'Setzen' - lat. ponere, gr. poíein - ist kein Begriff, der sich definieren ließe, indem man andere, vorangegangene Vorstellungen zusammensetzt. Vielmehr muss die Handlung, die gemeint ist, selber vorgestellt, nämlich angeschaut werden. F. gibt keine Begriffsbestim-mung, sondern eine Anweisung, was wie 'einzubilden' ist: "Die Einbildungskraft ist ein Ver-mögen, das zwischen Bestimmung und Nicht-Bestimmung, zwischen Endlichem und Un-endlichem in der Mitte schwebt." Ebenso 'schwebt' das Produkt der Einbildungskraft. Das Produkt der Einbildungskraft aus seinem schwebenden Zustand zu fixieren, fest zu setzen, nennt Fichte bestimmen. Eine Sache - die Vorstellung einer Sache - als diese bestimmen kann ich nur, indem ich sie als nicht-die-andere setze; nämlich beide zugleich und auf einmal. Eigentlich produktiv wird die Einbildungskraft erst, indem sie sich zur Urteilskraft erkräf-tigt. Denn nur als Gesetzte kann die Vorstellung dauern und zum Begriff fortbestimmt werden.
JE,
6. 4. 20



Nota. Das obige Foto gehört mir nicht, ich habe es im Internet gefunden. Wenn Sie der Eigentümer sind und seine Verwendung an dieser Stelle nicht wünschen, bitte ich um Nachricht auf diesem Blog. JE

Dynamische Darstellung, statische Kritik, I.

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