Montag, 31. Juli 2023

Alle Philosophie ist Sprachkritik.

birgitH, pixelio.de                         aus  Philosophierungen, oder Das Vernunftsystem
 
Alle Philosophie ist 'Sprachkritik'. (Allerdings nicht im Sinne Mauthners.
Wittgenstein, Tractatus N° 4.0031

Wenn sie Kritik sein soll und nicht bloß Krittelei, dann muss sie einen Gesichtspunkt wählen, unter dem sie kritisiert; ein Kriterium, an dem sie prüft. Bei der Sprache könnte das ihre kommunikative Leistung sein oder ihre Aussagekraft: nennen wir es: Wahrheits-funktion; wohl wissend, dass es sich nur um subjektive Wahrhaftigkeit handeln kann. Zum einen: Kann, und unter welchen Bedingungen kann die Sprache mitteilen, was gemeint ist? Das betrifft ihre technische Leistung, nämlich für die Gemeinschaft, deren Zusam-menhang durch die Sprache vermittelt ist. Zum andern: Kann die Sprache aussagen, was gemeint ist? Das ist eine Performanz, die über das Technische hinausgeht, denn ihr Prius ist das, was gemeint ist; und was gemeint werden könnte unabhängig von seiner sprach-lichen Form.

Wittgenstein beginnt als Logiker, und auch als Sprachkritiker geht es ihm um die Genau-igkeit dessen, was mitgeteilt wird, nicht aber um das, was mitgeteilt wird. Das war stattdes-sen das Thema Mauthners. Wenn die Sprache gar nicht fassen kann, was 'eigentlich' aus-gesagt werden soll, kann sie es schon gar nicht mitteilen; darüber muss man sich dann nicht mehr den Kopf zerbrechen. Dass in der Realität des Sprachverkehrs eine Menge von Ungefähr den diskursiven Fortgang und daher Mitteilung überhaupt erst möglich
macht, verweist darauf, dass das Gemeinte zuerst bildhaft angeschaut werden musste, be-vor es in das konventionelle Rezeptakel des Begriffs gefügt werden konnte. Vom Stand-punkt der Mitteilung wäre die präzise Fassung des Rezeptakels wohl wünschenswert. Aber nicht vom Standpunkt dessen, was mitgeteilt werden soll. Dem passt die bildhafte Form besser. 

Jede sprachliche Mitteilung grenzt irgendwo an Kunst. Künstlich wirkt sie in den exakten Wissenschaften oft darum, weil sie das Künstlerische absichtlich unterdrücken - und ge-rade sein Fehlen hervorheben, was dasselbe hintenrum ist. Indes, in den exakten Wissen-schaften kommt es gerade darauf an, dass ein Glied so perfekt wie möglich an das andere anschließt: Wo das den Sinngehalt einschränkt, wird man eben ein paar Zwischenglieder einfügen, weil auf Schönheit kein Wert gelegt wird. 

Die kommt eventuell wieder in Frage, wo es um die Anschauung (sic) des im Diskurs auseinandergelegten Ganzen geht. Das aber ist eine wissenschaftstechnische Frage und keine philosophische. Sie betrifft die Mitteilung und nicht den Gehalt.

Das philosophische Problem liegt ganz woanders: Wie kann man von dem reden, was vor und unterhalb der sprachlichen Form liegt, ohne sich selber der sprachlichen Form zu be-dienen? Das war das meta-logische Problem, dem Fichte die Wissenschaftslehre gewidmet hat. Die gegebene Sprache - das Sprachspiel, sagte einer - hat in ihren Begriffen ein aller-fassendes Instrumentarium geschaffen, die einander alle wechselseitig bedeuten. Justie-rungen sind da nur immanent möglich. Doch die Frage Was? und Woher? müsste in den bildhaften Urgrund des Vorstellens selbst hinabtauchen. Den Punkt, von dem aus sie die Rekonstruktion dann in Angriff nimmt, kann sie sich nicht frei aussuchen. Sie muss ihn auf suchen nach Regeln, die sie rechtfertigen kann. 

Die Wissenschaftslehre hat das unternommen. Ob und wieweit es ihr gelungen ist, ist ein anderes Thema. Aber Wittgenstein hat es nicht einmal versucht. Er blieb meilenweit da-von entfernt.
16. 8. 18

Sonntag, 30. Juli 2023

Die Grenze zwischen Transzendentalphilosophie und reeller Wissenschaft.

 
Veronese, Noli me tangere                                                                    zu Wissenschaftslehre - die fast vollendete Vernunftkritik

Seine erste Programmschrift Über den Begriff der Wissenschaftslehre schloss Fichte mit dem Plan, nach der Grundlegung einer allgemeinen, soundsoviele spezielle Wissenschafts-lehren auszuarbeiten, um sage und schreibe eine jede Realwissenschaft auf gesichertem Boden neu zu begründen. Da war die Wissenschaftslehre noch eher eine Idee als ein Be-griff, und sachliche Ungenauigkeiten waren kaum vermeidbar.

Doch zum Abschluss der Wissenschaftslehre nova methodo, auf dem Höhepunkt des Atheismusstreits, wo er der Vollendung der Transzendentalphilosophie schon ganz nahe gekommen war, wiederholt er diese Absicht noch. Aber die Sache hat ihn gewurmt. Jaco-bis Offenen Brief  hatte er noch nicht erhalten, noch juckte ihn sein Temperament, die Sache durch Radikalisierung zur Entscheidung zu treiben. In dem ohne bekannte Gründe abgebrochenen Manuskript Rückerinnerungen, Antworten, Fragen aus dem Herbst 1799 tat er unverblümt das, was Jacobi ihm erst noch interpretierend hatte unterstellen müssen: Er ziehe aus der kritischen, der Transzendentalphilosophie eine nihilistische Konsequenz. Jacobi meinte, dies sei die einzige wissenschaftlich haltbare Konsequenz aus der Kant'-schen Kritik - und der Philosophie überhaupt. Wenn dem oder weil dem so wäre, müsse man Philosophie und Wissen verwerfen und sich dem Glauben überantworten.

War Fichte erleichtert, sich mit Jacobi auf einen Nebenkriegsschauplatz begeben zu kön-nen, wo er eher in der Sache zurückstecken konnte, ohne sich in der Form zu viel zu vergeben?

Oder war es nicht doch so, dass die Zweifel längst an ihm selbst genagt hatten, und dass er froh war, sie sich vom Hals zu schaffen?

Wie dem auch sei - die Rückerinnerungen, Antworten, Fragen sind die radikalste und darum plausibelste Reflexion Fichtes über den meta-philosophischen Status der Wissen-schaftslehre.

Nämlich darüber, wie sich Transzendentalphilosophie, Wissenschaften und Gemeiner Menschenverstand zu einander verhalten - nämlich was Vernunft überhaupt ist. 


*

"Da werden sie sagen: dies lehrt ja der gesunde Menschenverstand schon. – Sie haben ganz recht. Das soll er auch. Es ist ja gar nicht die Frage, durch unsre Philosophie etwas neues hervorzubringen: den menschlichen Geist zu erweitern; wir wollen ihn ja nur be-freien." aus Rückerinnerungen, Antworten, Fragen. [S. 184]

Ja, wovon denn befreien? 

"Es gibt zwei sehr verschiedene Standpunkte des Denkens; den des natürlichen und ge-meinen, da man unmittelbar Objekte denkt, und den des vorzugsweise so zu nennenden künstlichen, da man, mit Absicht und Bewußtsein, sein Denken selbst denkt. Auf dem ersten steht das gemeine Leben, und die Wissenschaft; auf dem zweiten die Transzenden-talphilosophie, die ich eben deshalb Wissenschaftslehre genannt habe, Theorie und Wis-senschaft alles Wissens, keineswegs aber selber ein reelles und objektives Wissen." ebd. [S. 111.] 

"Eigentliche Philosopheme einer Transzendentalphilosophie sind an sich tot und haben gar keinen Einfluß in das Leben, weder guten noch bösen; ebenso wenig als ein Gemälde gehen kann. Auch ist es ganz gegen den Zweck dieser Philosophie, sich den Menschen als Menschen mitzuteilen. Der Gelehrte als Erzieher und Führer des Volks, besonders der Volkslehrer, soll sie allerdings besitzen, als Regulativ, als pädagogische Regel, und nur in ihm werden sie insofern praktisch; nicht aber sie ihnen selbst mitteilen, welche sie gar nicht verstehen noch beurteilen können. (Man sehe meine Sittenlehre.) Aber daß er sie treu und mit Eifer anwende, wird dieser gute Wille schon vorausgesetzt, aber nicht etwa durch sie hervorgebracht: ebenso wie bei dem Philosophen von Profession Unpartei-lichkeit, Wahrheitsliebe [und] Fleiß schon vorausgesetzt, nicht aber durch sein Philoso-phieren erst erzeugt wird." ebd.,  [S. 134]

"Was soll denn nun eine Philosophie, und wozu bedarf es der spitzfindigen Zurüstung derselben, wenn sie gesteht, dass sie für das Leben nichts andres sagen, zu demselben [sich] nicht einmal als Instrument bilden kann; daß sie nur Wissenschaftslehre, keineswegs Weisheitsschule ist?
 
Ich erinnere auch hier an die oft gegebene Antwort. Ihr Hauptnutzen ist negativ und kritisch. Es mangelt in dem, was nun gewöhnlich für Lebensweisheit gehalten wird, nicht daran, daß sie zu wenig, sondern daran, daß sie zu viel enthält. Man hat eben die erräso-nierten Sätze der oben beschriebenen erschaffenden Metaphysik hereingetragen – und diese sollen [wieder heraus]gesondert werden. Sie hat die Bestimmung, die gemeine Er-kenntnis von aller fremden Zutat zu reinigen." ebd. [S. 122]


*


Die Wissenschaftslehre als idealiter vollendete Transzendentalphilosophie hat zwei Tei-le, mehr nicht: Zum ersten ist sie Vollendung der Kant'schen Vernunftkritik bis hin zu ihrem einzig möglichen Grund - einer schlechthin prädikativen Qualität, genannt das Ich. Zum zweiten ist sie, als Probe aufs Exempel, die Rekonstruktion des Ausgangspunkts, nämlich der wirklich vorkommenden Vernunft, aus den freigelegten Prämissen. Dieser Ausgangspunkt heißt Gemeiner Menschenverstand, sensus communis, common sense. Eine an irgendeiner Stelle konstitutive Leistung hat die Transzendentalphilosophie nicht zur Aufgabe. 

Gegenüber den realen Wissenschaften ihrer Zeit hat sie jeweils die "Bestimmung, die gemeine Erkenntnis von aller fremden Zutat zu reinigen" - von Dogmen, Spekulation und Geisterseherei. Gegenüber den wirklichen Wissenschaften bleibt sie jederzeit so kritisch, wie sie immer war.
7. 2. 20

Samstag, 29. Juli 2023

Das Inkrement: ein Soffwechsel sui generis.

  P. Brueghel d. J.                                                                              aus Marxiana 

Was aber nun den lebendigen Factor des Verwerthungsprocesses betrifft, so ist 1) der Werth des variablen Capitals dadurch zu erhalten, daß er ersetzt wird, reproducirt wird, d. h., daß den Productionsmitteln ein so grosses Quantum Arbeit zugesetzt wird als der Werth des variablen Capitals / oder des Arbeitslohns betrug; 2) ein Increment seines Werths, Mehrwerth zu schaffen, dadurch daß ein Ueberschuß von Arbeitsquantum über das im Arbeitslohn enthaltne, ein zusätzliches Arbeitsquantum im Product vergegenständ-licht wird.
 

Darin entspricht der Unterschied zwischen dem Gebrauchswerth des vorgeschossenen Capitals oder der Waaren, worin es existirte, und der Gestalt des Gebrauchswerths des Capitals im Arbeitsproceß, dem Unterschied zwischen dem Tauschwerth des vorgeschos-senen Capitals und der Erscheinung des Tauschwerths des Capitals im Verwerthungspro-ceß, daß dort das Productionsmittel, das constante Capital, in derselben Gebrauchswerth-
form in den Proceß tritt, die die Waaren, woraus es besteht, vorher hatten, während an die Stelle der fertigen Gebrauchswerthe, woraus das variable Capital bestand, der lebendige Factor der in neuen Gebrauchswerthen sich verwerthenden Arbeitskraft, realen Arbeit tritt, und daß hier der Werth der Productionsmittel, des constanten Capitals, als solcher in den Verwerthungsproceß tritt, während der Werth des variablen Capitals gar nicht in denselben eintritt, sondern ersezt wird durch die werthschöpferische Thätigkeit, als Verwerthungsproceß existirende Thätigkeit des lebendigen Factors tritt. 
__________________________________________________________
K. Marx, Ökonomisches Manuskript 1863-1865, 
MEGA II/4.1, S. 61f.



Nota I. - Es gibt in der gesellschaftlichen oder physikalischen Welt kein Zweites, das sich ebenso beschreiben ließe: Das variable Kapital hat sich in seiner Geldform aufgelöst und an seine Stelle tritt eine bloße Energie! Das ist ein Stoffwechsel sondergleichen. Man kann ihn mit einem willkürlichen Namen bezeichnen, aber in einen Begriff fassen lässt er sich nicht.
 
21. 8. 18

Nota II. -  Den Vertretern eines naturalistischen Wertbegriffs ins Stammbuch: Das ist eine reale Transsubstantiation. 
JE


Donnerstag, 27. Juli 2023

Wann ist die Aufgabe der Transzendentalphilosophie erfüllt?

  E. Hicks                                aus Wissenschaftslehre - die fast vollendete Vernunftkritik

Der sachliche Gehalt der Aufforderung durch die Reihe vernünftiger Wesen ist der, dass ich mir, um meiner problematisch vorausgesetzten Zugehörigkeit zu ihr Anerkennung zu verschaffen, in der sinnlichen Welt Zwecke setze.

Denn nichts anderes als dies ist es, das sie erstens zu einer Reihe, und zweitens zu einer Reihe vernünftiger Wesen bestimmt. 


Nicht schon dass sie, jeder für sich, ohn' Ende bestimmen, was immer ihnen vorkommt, und dass sie sich in ihrer intelligiblen Welt und in ihrer jeweiligen Freiheitssphäre Zwecke setzen, und womöglich - der Himmel mag wissen, wie - alle dieselben. In der intelligiblen Welt, die lediglich ein Noumenon ist, bliebe jedes in seiner Sphäre, ohne einem andern zu begegnen. Denn dort stehen sie nicht in Wechselwirkung.

Begegnen können sie sich nur in der sinnlichen Welt von Raum und Zeit, denn da muss der eine die Sphäre seiner Freiheit so wählen, dass sie die der andern nicht verletzt: Sie müssen sich - in Raum und Zeit - beschränken. Prosaisch ausgedrückt: In Raum und Zeit stoßen die Zwecke, sobald sie im sinnlichen Produkt realisiert sind, an einander und müs-sen doch zugleich bestehen können. Nichts anderes ist reale Wechselwirkung.

Die Sphäre ihrer Freiheit so zu beschränkten, dass sie die Freiheitssphäre der andern nicht verletzt, macht Vernunft aus - und bestimmt das Rechtsverhältnis.* In der Wirklichkeit wird das wechselseitige Beschränken nicht ohne Streit abgehen, denn nicht immer werden die richtigen Argumente gleich als solche erkannt, weil das Interesse ihnen entgegensteht.

Dies zu demonstrieren war die Aufgabe der Transzendentalphilosophie. Die Wissen-schaftslehre hat sie erfüllt.

*) Dass es Vernunft gäbe, bestreitet heute mancher. Aber ihr Recht reklamieren sie alle. Doch das ist dasselbe.

12. 6. 19 


Nachtrag. - Die ('pragmatische') Geschichte der Vernunft ist keine natürliche Evolutions- und Auslesegeschichte, sondern ein dramatisches Stück aus Aufgaben, die gesetzt, und Zwecken, die verwirklicht werden. Nicht hat die Vernunft, nachdem sie lange genug in Frieden gewebt und gewirkt hat, schließlich das Recht als ihren Abkömmling zur Welt gebracht. Sondern als zu Ende des Dreißigjährigen Krieges bei Strafe allgemeinen Unter-gangs ein Recht unabweisbar geworden war, musste die Vernunft geboren werden, auf der allein es beruhen durfte. Vernunft hat einen allgemeinsten Zweck, den sie allezeit fort zu bestimmen hat - 
Recht
16. 2. 20




Mittwoch, 26. Juli 2023

Ontologie des Schwarzen Lochs.

                                                  

Das Schwarze Loch ist der Augenblick der Wahrheit: Bei ihm würde vom Standpunkt des Raumes die Zeit immer zäher und vom Standpunkt der Zeit der Raum immer dünner. In seinem Zentrum, idealiter: der Singularirät, wäre kein Raum mehr und er wäre zugleich ohne Ende, und wäre die Zeit jenseits der Zeit und stünde zugleich still. Um die Singulari-tät zu denken, müsste ich das Nichts denken. Das Nichts denken heißt nichts denken. Oder, prosaisch gesagt, es ist nicht statthaft, sich Raum und Zeit ohne den jeweils anderen zu denken.

Das einzig Invariante und Absolute bleibt die Lichtgeschwindigkeit, um die sich relativ alles dreht: Bewegung als Substanz. Bewegung lässt sich aber nur denken, sofern ich Raum und Zeit von einander scheide. Ich kann sie allerdings vorstellen, weil ich sie an-schauen kann. Doch alles andere kann ich dann nicht mehr anschauen; von vorstellen ganz zu schweigen.

28. 12. 20


Nachtrag. Schon als ich das damals eintrug, fragte ich mich: Ist die Lichtgeschwindigkeit absolut und muss ich ein An-sich an dieser einen Stelle denken - oder ist es bloß so, dass ich allein die Lichtgeschwindigkeit als absolut denken muss, um mir alles andere als relativ denken zu können? Was würde folgen, wenn ich mir auch die Lichtgeschwindigkeit ihrer-seits relativ dächte? Würde das ganze Bild vom Universum auseinanderfallen? Oder könn-te ich eine beliebige* andere empirische Größe als absolut setzen und alles Andere auf sie beziehen? Wäre das mehr als nur ein mathematisches, aber prinzipiell lösbares Problem?

- "Alles viel zu einfach gedacht!"

Zweifacher kann ich es nicht denken. Von diesen beiden Möglichkeiten kommt nur eine in Frage.

*) und wenn nicht beliebig - nach welchem Gesetzt nicht beliebig? Nach dem hätte dann schon die Lichtgeschwindigkeit notwendig sein müssen.


 

NotaDas obige Bild gehört mit nicht, ich habe es im Internet gefunden. Wenn Sie der Eigentümer sind und seine Verwendung an dieser Stelle nicht wünschen, bitte ich um Nachricht auf diesem Blog. JE

Das ursprüngliche Simulacrum.

                                                         zu Philosophierungen

Vorstellen ist anschauen als ob. Das ursprünglichste Simulacrum.

Es ist der Ursprung von Allem. Durchs re Präsentieren wird Etwas erst zu Diesem. Das Repräsentieren des Repräsentierens ist eine fast unvermeidliche Folge.

29. 12. 20

 

 

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Dienstag, 25. Juli 2023

Das Vorstellen vorstellen ist das Wesen der Transzendentalphilosophie.

 auto-bild                         zu Wissenschaftslehre - die fast vollendete Vernunftkritik   

Geist überhaupt ist das Vermögen der produktiven Einbildungkraft, Gefühle zu Vorstel-lungen zu erheben. In diesem Sinne ist allen Wesen, die Vorstellungen haben, Geist zuzu-schreiben. Geist in der besondern Bedeutung, in welcher man allerdings berechtigt zu sein scheint, manchen Menschen denselben gänzlich abzusprechen, ist das Vermögen, die tie-fer liegenden und unsre auf die Sinnenwelt sich beziehenden Gefühle begründenden, auf eine übersinnliche Ordnung der Dinge sich beziehenden Gefühle zum Bewusstsein zu erheben; oder kürzer, das Vermögen, Ideale und Ideen vorzustellen. 

Ich habe gezeigt, wie diese Vorstellungen des rein Geistigen zum Behuf der Mitteilung unter geistigen Wesen in Körper gekleidet und darin, soweit dies möglich ist, ausgedrückt werden; wie der Geistlose an diesem toten Körper hängen bleibt, ohne sich dadurch zum Anschauen des in ihm ausgedrückten Idealen zu erheben; und wie er dann, wohl auch zur Nachahmung, Körper bildet, die aber keinen Geist haben. ... /

Der Stoff der gesamten Philosophie ist selbst der menschliche Geist in allen seinen Ver-richtungen, Geschäften und Handlungsweisen, und erst nach vollständiger Erschöpfung diese Handungsweisen ist die Philosophie Wissenschaftslehre.
 
Der menschliche Geist ist Tätigkeit und nichts als Tätigkeit. Ihn kennenlernen heißt, seine Handlungsweisen kennen lernen, denn weiter ist an ihm nichts zu kennen. ...

Wir sind uns unsers Handelns nur mittelbar, nur vermittelst des Objekt des Handelns, nur vermittelst des Gegenstandes, auf den unsre Handlung geht, bewusst. Des Handelns als solchen sind wir uns nie bewusst und können wegen der Gesetze des menschlichen Den-kens uns desselben nicht bewusst werden. Nun wollen wir uns [aber] desselben bewusst werden. Das ist nur unter der Bedingung möglich, dass auf dieses Handeln wieder gehan-delt werde; dass es selbst Objekt einer Handlung / werde; und eine solche Handlung nennt man Reflexion.

Ich stelle mir eine Körperwelt vor, und insofern bin ich mir lediglich der Körperwelt be-wusst. Soll ich meiner Tätigkeit in jenem Vorstellen mir bewusst werden, so ist es nur dadurch möglich, dass ich mein Vorstellen der Körperwelt vorstelle. Hier stehe ich auf einem höhern Punkte; ich reflektiere meine in der eignen Vorstellung vorhandne Tätig-keit, und eine solche Reflexion ist möglich.


Hierin nun, welches ich bloß im Vorbeigehen vor [für] die, denen es nötig sein könnte, er-innere, besteht das Wesen der transzendentalen Philosophie, dass nicht geradzu vorge-stellt, sondern dass das Vorstellen vorgestellt werde; dass nicht, nach der Art des gemei-nen Menschenverstandes, unmittelbar über das Vorgestellte, sondern über das Vorstellen-de, und erst vermittelst dieses über das Vorgestellte reflektiert werde. 
____________________________________________________________________
 J. G. Fichte, "Über den Unterschied des Geistes und des Buchstabens in der Philoso-phie" in Von den Pflichten der GelehrtenHamburg 1971 [Meiner]S. 66/69  



Nota. -  An dieser Stelle gibt es manches anzumerken. Zunächst: Geist ist nichts als Tä-tigkeit. 'Nichts als' - also auch nicht etwas der Tätigkeit als ihre Substanz zu Grunde Lie-gendes.

Und dann: Mich selbst kann ich nur vorstellen, indem ich mein noumenales 'reines' Ich verunreinige und als empirische Person in die Körperwelt versetze. Erst in der Reflexion, im Vorstellen des Vorstellens, kann ich mein 'reines' Ich "wiederherstellen". Es ist freilich ein wieder-Wiederherstellen, denn es 'ist' ja überhaupt nur als Noumenon, nur für den Philosophen scheint es das Erste zu sein. Allerdings: nach 'dem Ersten' fragt auch nur der Philosoph. Das wirkliche Individuum kommt ohne zu fragen auf die Welt.

Nebenbei sei darauf aufmerksam gemacht, dass F. die Sprache - Wörter und Begriffe - als eine "Verkörperlichung des Geistigen" - der Vorstellungen - zum Zweck der Mitteilung bestimmt.


Und schließlich: Während meiner 
Bearbeitung der WL nova methodo habe ich mich über weite Strecken damit herumgeschlagen, dass Fichte zwar das real-Geistige, das wirkliche Vorstellen ausschließlich auf das Gefühl zurückführt, aber auch den Denkzwang, die Denkgesetze auf ein - offenbar geistiges! - Gefühl gründet und ihnen ipso facto wie den Erfahrungsbegrif-fen anschauliche Realität zuschreibt. Bei Fichte muss doch alles herge-leitet werden aus Voraussetzungen, die er ihrerseits aus seinem Eingangspostulat hergelei-tet hat; doch an dieser Stelle fehlt die Herleitung! Und hier in den ersten Vorträgen seiner Lehrtä-tigkeit finden wir eine Art Begründung, die allerdings eine problematische Tatsa-chenbehauptung ist: "Wer sieht nicht, dass die Gefühle...?"


Seien wir ehrlich: Es ist ein Trick. Was er herleiten müsste, aber nicht kann, schiebt er stattdessen nachträglich unter. Das 'Gefühl' fürs Geistige wird nicht aus den sinnlichen Gefühlen destilliert und raffiniert, sondern ihnen zu Grunde gelegt. Er hat das niemals weiter ausgeführt, in den Rückerinnerungen... spricht er - mitten im Atheismusstreit - von einem "intellektuellen Gefühl", das ihm die Gewissheit, dass es Wahrheit geben muss, ver-bürgen soll. 

Das Problem ist dies: Wenn es ein Gefühl sein soll, muss es in etwas Empirischem grün-den. Wenn es etwas Intellektuelles sein soll, muss es ein Geistiges zum Gegenstand haben. Da der Gegenstand geistiger Art sein soll, muss F. eine empirisch-geistige Voraussetzung behaupten.

Für eine rationelle Lösung des Problems waren die empirischen Humanwissenschaften längst noch nicht entwickelt. Die Verbindung von Sinnlichem und Geistigem ist das Äs-thetische, das wusste Fichte. Er hätte aber den Begriff des Ästhetischen weiter fassen müssen, als nicht nur Schiller, sondern er selbst es sich vorstellen konnte.

 25. 6. 17

Nota II. - Sagen wirs geraderaus: Der Denkzwang und das intellektuelle Gefühl sind nicht aus begründeten Prämissen hergleitet und zum Baustein im System geworden, sondern wurden nachträglich ins System eingefügt, als sich eine Lücke zeigte. Wie das körperliche Gefühl auf den Widerstand der Körper schließen ließ, lässt das intellektuelle Gefühl auf einen geistigen Widerstand schließen: Das Denken "sträubt sich", in der Reflexion anders zu verfahren als in der originären Vorstellung - und ist nur bedingt frei: bedingt durch sein eigenes Verfahren. - Die 'Lücke' im System wird per analogiam geschlossen, pragmatisch spekulativ, aber rationell.

JE, 30. 5. 21

Montag, 24. Juli 2023

Das Vorstellen vorstellen.

                                                      aus  Philosophierungen

Es könnte doch sein, dass auch das Tier 'sich etwas vorstellt', und wenn es nur ganz ele-mentar wäre. Träumen können sie jedenfalls - wenn sie nicht 'bei Bewusstsein' sind. Warum sollten sie es nicht mehr können, sobald sie wach werden? Sie können sich allerdings nicht vorstellen, dass sie vorstellen. Folglich können sie nicht wissen, ob sie vorstellen wollen - und schon gar, was. Das Vorstellen unterläge also ganz dem Zufall, und das ist nicht das, was wir uns darunter - vorstellen.

29. 7. 16

Vorstellen ist nicht schon: mentale Bilder anschauen. Das tut das Tier vielleicht auch. Doch schon, um sie behalten zu können, müsste es sie feststellen, bestimmen. Und das müsste es beabsichtigen: "einen Zweckbegriff entwerfen", wie Fichte sagt. 

25. 6. 18


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Sonntag, 23. Juli 2023

Einbildung und Urteil

                                                                     zu Philosophierungen

Frei bin ich nicht in meinen Einfällen; die muss ich nehmen, wie sie kommen.              Frei ist mein Urteil darüber, ob sie taugen, behalten zu werden.



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Samstag, 22. Juli 2023

Wieso neokritisch?

                                                                  zu Philosophierungen

Kaum ein Wort wurde so abgegriffen wie kritisch. Es ist in aller Munde und bedeutet un-gefähr dasselbe wie woke, aber es gehört allen und wird daher auch von den Antiwoken gebraucht. 

Kritisch kommt von gr. krinein und bedeutet prüfen und beurteilen. Es ist ganz unspe-zifisch und wird in einem besondern Sinn seit Jahrtausenden wohl nur von den Ärzten verwendet, wenn sie den entscheidenden Moment einer Krankheit, in dem sich Leben oder Tod entscheiden, eine Krisis nennen.

Zu außermedizinischen Würden kam es im 17. Jahrhundert durch Pierre Bayles Diction-naire historique et critique, das den neuzeitlichen Skeptizismus begründete und das Wort durch die Pedanterie der 'historisch-kritischen' Textausgaben beschädigte - aber doch nur in den gebildeten Kreisen. Seinen weltweiten Durchbruch zur plattesten Banalität aller Zeiten erlebte es dann durch die Denkrevolution von Kants Drei Kritiken. Das weitge-hend unverständliche, von Kant selbst gewählte Wort Transzendentalphilosophie wurde sogleich ersetzt durch den geläufigeren Ausdruck Kritische Philosophie  - doch in dem-selben rasanten Tempo, wie die Transzendentalphilosophie nach 1800 in den später so genannten Deutschen Idealismus untergepflügt wurde, wurde das Adjektiv kritisch flachgedrückt zu seiner dünnsten skeptischen Grundbedeutung von 'ein Haar in aller Suppe suchen und finden'.  

Gänzlich seinen spezifisch philosophischen Sinn verloren hat das Wort dann durch die Frankfurter Schule, die ihre besondere Art, über die Lehren konkurrierender Richtungen zu reden, Kritische Theorie nannte und die Vorstellung, die Kritik einmal auf den Punkt zu bringen - wo man dann geradestehen müsste -, gar nicht erst aufkommen ließ. 

*

Nach zwei Jahrhunderten geht es darum, die Kritische Philosophie wieder herzustellen und zu neuem Leben zu bringen. Kritik muss entflacht werden. Kritik genügt nicht sich selbst. Sie muss auf irgendwas hinauswollen, sonst wäre sie Zeitvertreib: Sie zielt auf einen Punkt, wo es nicht mehr weitergeht. Der ist ihr Sinn und Zweck. Hat sie ihn auf-gedeckt, muss sie ganz von unten neu aufbauen. Was immer sie materialiter daraus macht - formaliter würde sie System, indem sie alles, war vorstellbar ist, aus dieser einen einzigen Voraussetzung konstruiert, in der Alles, was denkbar ist, in einem und demselben Grund zusammenhält.

Just zu dieser Zeit tritt eine philosophische Bewegung auf, die sich die systematische nennt und deren allerletzte Absicht doch ein philosophisches System wäre: Systematisch ist sie ganz und gar nur im Aufspüren von Haaren in der Suppe, Gründe und Zusammen-hänge sind ihr überflüssiger philologischer Ballast. Würde sie eines Tages an ihr Ziel ge-langen, wäre es ein grenzenloser Ozean von Sinnpartikeln. Ein System wäre ihnen dage-gen der ultimative Inbegriff alles Kontinentalen.

*

Irgendwie muss ich mich nennen, ehe andere es tun und zu meinem Schaden. Kritisch, jaja, aber in seinem wiederhergestellten philosophischen Sinn, nämlich systematisch.



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Freitag, 21. Juli 2023

Ächter durchgeführter Kriticismus.

 Günter Havlena  / pixelio.de                aus Wissenschaftslehre - die fast vollendete Vernunftkritik

Was mein System eigentlich sey, und unter welche Klasse man es bringen könne, ob äch-ter durchgeführter Kriticismus, wie ich glaube, oder wie man es sonst nennen wolle...
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J. G. Fichte, Grundlage der gesammten Wissenschaftslehre,
 SW Bd. I, S. 89


…das Prinzip der reflektierenden Urteilskraft kann also kein andres sein, als dieses: das Mannigfaltige der empirischen Wahrnehmung so zu beurteilen, als ob es unter gewissen Sätzen der Einheit stehe, die ihm ein anderer Verstand in der Absicht gegeben habe, ;um eine zusammenhängende Erfahrung aus denselben für uns möglich zu machen. ...

Nun aber wird durch dieses Prinzip der Urteilskraft ein solcher Verstand so wenig vor-ausgesetzt, dass es vielmehr vor’s erste sehr denkbar ist, ein solches Verhältnis unter den Mannigfaltigen der empirischen Wahrnehmung sei gar nicht anzutreffen, und dass wenn etwas dergleichen angetroffen wird, es uns sehr zufällig scheint: die Urteilskraft setzt da-durch gar nichts über ein Objekt außer sich fest, sondern sie gibt durch dieses Prinzip nur sich selbst ein subjektives Gesetz von hypothetischer Gültigkeit; wie sie verfahren müsse, wenn sie dieses Mannigfaltige in eine systematische Erfahrung ordnen wolle, und wie die-ses Mannigfaltige sich müsse betrachten lassen, wenn uns eine Erkenntnis desselben mög-lich sein solle. Sie setzt also keinen Zweck der Natur voraus, sondern sie macht es sich nur zur Bedingung der Möglichkeit einer zu erwerbenden Erfahrung, dass die Objekte der in der Natur sich als übereinstimmend mit derjenigen Beschaffenheit der Dinge müssen be-trachten lassen, welche nur nach Zwecken möglich ist. 
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J. G. Fichte, Versuch eines erklärenden Auszugs [aus der 'Kritik der Urteilskraft'] GA II/1, S. 333; Rechtschreibung angepasst


Nota. - 
Das ist das ursprüngliche Programm der Wissenschaftslehre: echter durchge-führter Kritizismus, der auch das Allerheiligste nicht auslässt - die Vernunft und ihre Herkunft. Und es ist ihm vor’s erste sehr denkbar, dass sich da manches gar nicht 'an-treffen' ließe, sondern nur gedacht werden müsse als ob.

- Ich höre schon den Einwand: In dem Erklärenden Auszug ist von der theoretischen Annahme eines Vernunftzwecks der Natur die Rede, die allerdings nur fiktional und 're-gulativ' sein kann; bei der von mir beanstandeten dogmatischen Wendung gehe es aber um den Zweck der Vernunft selbst, und der liege im praktischen Feld, aus dem er auch herkommt. Aber das ist Haarspalterei. Denn jedesmal geht es um die Fiktion von einer Prämisse, "die ihm ein anderer Verstand in der Absicht gegeben habe"...; und dieser an-dere Verstand wäre hier die Vernunft selbst als handelndes Subjekt, intellectus agensdas sein Urteil 'an sich' schon immer gefällt hat und dessen Spruch die endlich-Vernünftigen nur noch vernehmen können. - Wie sehr diese Auslegung in Fichtes 'gewendetem' Sinne ist, erhellt aus den höchst zweideutigen Ausführungen zur Freiheit des Willens in den ersten beiden Vorlesungen An die deutsche Nation.
JE,
11. 6. 14

Donnerstag, 20. Juli 2023

Echter durchgeführter Kritizismus.

 agossweiler                                                          aus Marxiana

Der Fels, auf dem die Politische Ökonomie ihre Kirche gebaut hatte, war der Wertbegriff. Die Kritik der Politischen Ökonomie musste daher früher oder später an den Wertbegriff gelangen. Sie tat es früher. Das erste Dokument der Kritik der Politischen Ökonomie war Engels' Aufsatz in den Deutsch-Französischen Jahrbüchern,* wo der Wertbegriff naiv und unbefangen bestritten wurde: Wenn es so wäre, wie die Politischen Ökonomen be-haupten, dass sich nämlich die Waren gleichmäßig nach der Menge der in ihnen enthalte-nen Arbeiten austauschten, dann gäbe es nicht nur keine Ausbeutung der Arbeiter durch das Kapital; sondern dann könnte das Kapital auch keinen Profit machen. Es gibt aber einen Profit, und der macht das Kapital überhaupt erst aus, folglich…

Marx nahm – später – einen zweiten Anlauf: 'Wert' ist keine Eigenschaft, die in den Din-gen steckt, sondern ein Verhältnis zwischen Waren. 

In den Verhältnissen der Dinge zu einander verbergen sich Verhältnisse zwischen Men-schen. Die Verhältnisse zwischen Menschen sind keine Zustände, sondern Tätigkeiten: Menschen verhalten sich - in dieser Hinsicht so, in jener Hinsicht anders. (Dinge tun garnichts.)

Nicht Waren tauschen sich aus, sondern Produzenten tauschen ihre Produkte. Wenn dies regelmäßig geschieht, werden die Produkte zu Waren und es bildet sich ein gemeinsa-mes Maß heraus, nach dem sie ihre Produkte gegeneinander tauschen. Dieses Maß nen-nen wir Wert.


Bei der weiteren Verfolgung dieses Gedankens fand sich, dass dieses Verhältnis nur dann eintrat, wenn und sofern die Menschen sich als Produzenten gegenübertraten. Die einzige Ware aber, die der Lohnarbeiter dem Kapital anbieten kann, ist nicht ein Produkt,** denn dafür fehlen ihm die (Produktions-)Mittel; sondern er selbst - nämlich seine Arbeitskraft. Die ist gerade soviel wert, wie ihn deren tägliche Reproduktion kostet; also der Arbeits-lohn. Sie selber, die Arbeitskraft nämlich, kann viel mehr Wert produzieren, als ihre eigene (Re)Produktion gekostet hat: Daher der Mehrwert des Kapitalisten.

*

Dieser Gedankengang wurde erst möglich, nachdem die Kategorie des Werts aufgelöst war aus einem Verhältnis zwischen sachlichen Eigenschaften der Dinge in das aktive Ver-halten von Subjekten. Nicht möglich war diese Einsicht, solange Wert, Gebrauchswert und Tauschwert verstanden wurden als die Selbstzerlegung und das gegenseitige Um-schlagen von Begriffen; nicht möglich, solange sich Marx in den Grundrissen an der Hegel'schen Methode versuchte.*** 

Möglich war die Kritik der Politischen Ökonomie erst nach der Wiederherstellung der Methode des echten durchgeführten Kritizismus: jedes Denkgebilde, das uns irgend als Ding imponieren will, zurückführen auf die absichtsvollen Handlungen von Subjekten. Die Auffassung der Geschichte als einer Selbstbewegung des Begriffs tat das Gegenteil.

*) MEW 1, S. 499-524
**) MEW 42, S. 193
***) MEW 42, S. 193 Anmerkun
g.

28. 7. 15


Mittwoch, 19. Juli 2023

Eine prädikative Qualität, oder: Wo war das Ich, bevor es sich 'gesetzt' hat?

                                             aus Wissenschaftslehre - die fast vollendete Vernunftkritik

Was es auch sein möge, das den letzten Grund einer Vorstellung enthält, so ist wenigstens so viel klar, dass es nicht selbst eine Vorstellung sei und dass eine Umwandlung damit vor-gehen müsste, ehe es fähig ist, in unserm Bewusstsein als Stoff einer Vorstellung ange-troffen zu werden. / Das Vermögen dieser Umwandlung ist die Einbildungskraft. – Sie ist Bildnerin. Ich rede nicht von ihr, insofern sie ehemals gehabte Vorstellungen wieder her-vorruft, verbindet, ordnet, sondern indem sie überhaupt etwas erst zu einer Vorstellung macht. – Sie ist insofern Schöpferin des eigenen Bewusstseins. Ihrer, in dieser Funk/tion, ist man sich nicht bewusst, gerade weil vor dieser Funktion vorher gar kein Bewusstsein ist. Die schaffende Einbildungskraft. Sie ist Geist. 

Resultat. Dieses Bild müssen wir selbst bilden. 

Nun muss im Ich das liegen, was sie bildet. 

(Wo ist der eigentliche philosophische Beweis dafür, dass die Einbildungskraft etwas im Ich zum Gegenstande haben müsse? - - Sie ist tätig - aber nicht auf das Ich, sondern auf ein Nicht-Ich. - Das Ich ist schon, wenigstens virtualiter, hervorgebracht, denn sowie sie ihr Produkt vorhält, hält sie es dem Ich vor. Das Ich wird aber nur durch Unterscheidung von einem Nicht-Ich hervorgebracht. Mithin muss ein solches zu Unterscheidendes vor-handen sein: und zwar im Ich vorhanden sein. -

Wie und warum im Ich? - Es kann nur durch ein Vermögen des Ich vom Ich unterschie-den werden; mithin muss es Gegenstand dieses unterscheidenden Vermögens sein - also schon in diesem Vermögen liegen. - Eine Qualität, eine prädikative, des Ich. 

Die (schaffende) Einbildungskraft selbst ist Vermögen des Ich. (Könnte sie nicht das ein-zige Grundvermögen des Ich sein? - Nein, darum nicht, weil das Produkt derselben vom Ich unterschieden wird: also auch nach ihrer Funktion noch ein Ich da ist.) Also es muss einen höhern Grund ihres Schaffens im Ich geben. - (Heißt im Grund das gleiche als: Es muss noch etwas übrig bleiben, was Substrat des Ich ist, auf welches das Produkt der Ein-bildungskraft bezogen wird, und das ist offenbar das Fühlende, und im Gefühl liegt mit-hin der Urstoff des [sic], was die Einbildungskraft bildet. 
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J. G. Fichte, Von den Pflichten der Gelehrten, Hamburg 1971 [Meiner], S. 126f.; desgl. in Gesamtausgabe II/3, S. 297f.  

 
Nota. - Geist ist toto genere Einbildungskraft. Aber das Ich ist nicht Geist (vom empiri-schen Individuum ganz zu schweigen). Wenn die Einbildungskraft nicht etwas vorfindet, das sie dem Ich einbilden kann, ist sie arbeitslos. Nicht das, was sie vorfindet, bildet die Einbildungskraft, sondern das, was sie vorgefunden hat: das, was es ist, was es bedeutet

Vorgefunden hat sie das krude Sinnesdatum: GefühlDas ist der Stoff, an dem die Einbil-dungskraft arbeitet. Er ist, auch ohne Einbildungskraft; er ist lediglich nicht dieses oder jenes.

*


So apodiktisch wie an dieser Stelle hat es Fichte meines Wissens nie wieder ausgesprochen. Natürlich: Denn es ist ein Ergebnis des Systems, das er doch erst noch auszuarbeiten hatte. Und wenn er es auch je fertig ausgearbeitet hätte: Eine "feste Terminologie" ist der Wissen-schaftslehre fremd, weil sie nicht erlernt, sondern nur selbstgedacht werden kann. Für di-daktische Zusammenfassungen dieser Art gäbe es nach Vollendung der Wissenschaftslehre keinerlei Berechtigung.

Die Stelle kommt in dem öffentliche Vortrag vor, den Fichte im April 1794 noch vor Auf-nahme seiner regulären Vorlesungen in Jena gehalten und sogleich in den Druck gegeben hatte. Zweck dieser öffentlichen Vorträge war, die allgemeine Idee einer Wissenschaftslehre einem weiteren, nicht spezifisch akademischen Publikum nahezubringen. Es ist eine popu-läre Einführung. Er musste den Ergebnissen seiner Untersuchung vorgreifen, wobei die eine oder andere gewagte Formulierung kaum zu vermeiden ist. Es ist ein didaktischer Vortrag, der den Gehalt der Wissenschaftslehre wie einen lernbaren positiven  Stoff vor-trägt und also, nach Geist und Verfahren, durchaus in einem Widerspruch zu ihr steht.

Dass er die obige Stelle in dieser Form in den ausgearbeiteten Darstellungen der Wissen-schaftslehre nicht wieder aufgegriffen hat, hat also philosophischen Sinn. Doch steht sie ganz am Anfang seiner Lehrtätigkeit, und die historisch-philologische Frage, wie Fichte sich die Wissenschaftslehre zu Anbeginn vorgestellt hat, rechtfertigt es, die Stelle dem wissen-schaftlichen Vortrag voran zu stellen.

*

Die pointierte Voranstellung der Einbildungskraft ist das zunächst Bemerkenswerte. Fast möchte man schlussfolgern, die Einbildungskraft sei das eine und ganze Vermögen des Ich! Doch nein, die Hervorbringungen der Einbildungskraft müssen vom Ich doch immerhin so weit unterscheidbar sein, dass das Ich sich als eine "prädikative Qualität" über sie stellen und sie beurteilen kann. In den Ausführungen der Wissenschaftslehre wird sie uns als ab-solutes Wollen wieder begegnen. Der harte Kern des transzendentalen Ich ist seine Fähig-keit zum UrteilUnd sie ist nicht bloßer Geist! Als Urteilskraft = Wollen sind Geist und Sinnlichkeit noch ungeteilt.

Wir verstehen den tieferen Sinn von Fichtes Bezeichnung der Wissenschaftlehre als 'echten durchgeführten Kritizismus'.

22. 7. 18 

Nota II. - Das Ich ist keine Substanz, die da wäre, bevor sie sich setzt und ipso facto sich
als sich-selbst bestimmt. Zuvor war 'es' ein Un bestimmtes; eines, über das sich nichts aus-sagen lässt außer eben: dass es sich bestimmt hat. Das sich-selbst-Bestimmen lässt sich - na ja - anschauen. Nicht anschauen lässt sich, was vorher war. Dass etwas war, lässt sich nur durch Reflexion logisch erschließen. Es lässt sich nichts darüber sagen, als dass es eine "prädikative Qualität" gewesen sein muss (und nicht etwa gehabt haben muss, denn das hieße ihm eine Substanzialität zusprechen vor dem prädizierenden Akt). Prädikative Qualität ist ein Schlüsselwort, das F. nach meiner Kenntnis nie wieder verwendet hat; lei-der.
JE, 10. 1. 20



 Nota - Das obige Foto gehört mir nicht, ich habe es im Internet gefunden. Wenn Sie der Eigentümer sind und ihre Verwendung an dieser Stelle nicht wünschen, bitte ich um Ihre Nachricht auf diesem Blog. JE

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