Mittwoch, 30. November 2022

Bestimmen heißt qualifizieren.


                                           zu Philosophierungen

Etwas bestimmen heißt ihm eine Qualität zuschreiben. Eine Qualität muss Einem zuge-schrieben werden. Nur so gibt es Etwas, nur so gibt es Qualität. Begriffen wird etwas, indem es als Verhältnis von Qualitäten darstellt wird. (Quantität ist ein Verhältnis.)

Etwas wird vor gefunden. Qualitäten werden (ihm an-)er funden. Im Leeren gibt es nichts zu finden, ins Leere hinein gibts nichts zu erfinden.

Qualitäten müssen angeschaut werden. Ein Verhältnis lässt sich nur denken. 

Ein Bild ist ein Verhältnis von Qualia. Als Ganzes ist es selbst ein Quale und lässt sich nur anschauen.
5. 9. 18



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Dienstag, 29. November 2022

Setzen und Bestimmen.

                                                              zu Philosophierungen

Der Gebrauch von setzen und bestimmen ist in der Wissenschaftslehre nicht säuberlich geschieden. Natürlich nicht, denn beides ist dasselbe - doch in verschiedner Ansicht.

Tätigkeit des Ich ist schlechterdings bestimmen. Nur was es gesetzt hat, kann es be-stimmen. Doch setzen konnte es nur als entgegen setzen. So betrachtet, war es bestim-men, nämlich setzen als dieses. Anders kann ich gar nichts setzen. Setzen-überhaupt geht nicht.


Zusatz. Ich kann nicht Etwas setzen, denn dem müsste ich nicht-Etwas entgegensetzen können, und das hieße nichts setzen. Doch nichts lässt sich nicht bestimmen, sonst wäre es nicht nichts, sondern Etwas. 'Etwas' ist selber keine Setzung, sondern die Abstraktion von allen Bestimmten, von deren mannigfaltigen Bestimmungen nachträglich abgesehen wurde; es 'ist' ein bloßes Reflexionsprodukt. 

Dialektische Geschicklichkeit mag einen Begriff des Nichts konstruieren. Doch von Be-griffen ist hier nicht die Rede. Es geht um die Vorstellungen, aus denen Begriffe einmal werden sollen. Unter nichts oder gar dem Nichts lässt sich aber nichts vorstellen. Man kann nicht einmal das Vorstellen unterlassen, sondern  höchstens vorübergehend darauf verzichten, sich unter diesem Etwas etwas vorzustellen;* um sogleich zum Vorstellen von etwas Anderem fortzufahren. Denn vorstellen, setzen und bestimmen ist die Tätigkeit des Ich, und wer oder was darauf verzichtet, verzichtet darauf, ich zu sein. Etwas anderes als seine Tätigkeit ist das Ich nicht; höchstens wird es so vorgestellt.

*) In der ästhetischen Betrachtung etwa.

7. 8. 18





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Montag, 28. November 2022

Der Übergang vom gemeinen zum transzendentalen Standpunkt ist die Ästhetik.

  Robert Campin St. Joseph dans son atelier                                  zu Philosophierungen

Fichte hat bis zum Schluss versichert, er habe allezeit dasselbe gelehrt. Der gewissenhafte Student ist daher gehalten, die frühen Darstellungen der Wissenschaftslehre im Lichte der späteren, und die späteren Darstellungen im Lichte der früheren zu lesen. Das braucht seine Zeit. Erst wenn er es immer wieder erfolglos versucht hat, darf er daran gehen, die frühen und die späten Darstellungen je für sich und unabhängig voneinander zu verste-hen.

Dann allerdings muss er die Stelle dingfest machen, wo die späteren von den früheren abweichen; die Stelle, wo nicht bloß die Darstellung, sondern das Dargestellte ein anderes wird. Es liegt auf der Hand, diese Stelle irgend- wo im Umkreis des Atheismusstreits zu suchen. So bin ich verfahren.

Dass zwischen dem unvollendeten Manuskript Rückerinnerungen, Antworten, Fragen und der veröffentlichten Bestimmung des Menschen nicht einfach ein Übergang, sondern ein Bruch stattfand, ein Sprung, ist nicht zu übersehen, er spricht ihn ja selber aus, indem ihm das bisherige Wissen ungenügend wurde und er den Glauben in die Transzendental-philosophie einfügte.

In die Transzendentalphilosophie? Das ja wohl eben nicht. Mochte Fichte selber meinen, die Wissenschaftslehre sei vorher und hinterher dieselbe gewesen – Transzendentalphilo-sophie war sie hinterher jedenfalls nicht mehr. Ein reales Absolutes, das – als dogmatische Zusatzbedingung – aber doch in keinem Moment Objekt werden soll, das erfordert in der Tat eine proiectio per hiatum irrationalem, und er wird die Zeit, die ihm verblieb, damit zu- bringen, sie unter dialektischen Winkelzügen zu verbergen. 

Jacobi hatte ihn dazu verleitet, aber das hätte er nicht gekonnt, wenn es nicht bei Fichte schon einen wunden Punkt gab, in den er den Finger bohren konnte. Es war die Doppel-deutigkeit dessen, was Fichte unter Vernunft verstand.

*

Um die Wurzel dieser Doppeldeutigkeit aufzufinden, habe ich mich der Wissenschafts-lehre nova methodo zugewandt, der letzten Gestalt, die Fichtes Lehre vor dem Atheis-musstreit angenommen hatte. In dieser gegenüber der Grundlage von 1794/95 in syste-matischer Hinsicht wesentlich verbesserten Darstellung musste sich der Punkt finden lassen, wo die beiden konkurrierenden und eigentlich unvereinbaren Vorstellungen von der Ver- nunft auseinandertreten: hier als ein vorgegebener Plan, den die endlichen Intel-ligenzen aufzufinden und zu verfolgen hätten, dort als die Aufgabe unendlicher Bestim-mung aus Freiheit.

Ich wurde enttäuscht, ich fand diesen Punkt nicht. Wo immer Fichte die Vernunft trans-zendental aus der Freiheit herleitet, kann er sie immer nur als offene Aufgabe ausweisen; aus den Prämissen der Wissenschaftlehre selbst kann die dogmatische Auffassung eines zu erfüllenden Plans nie entwickelt werden. Sie ist ein Fremdkörper, der von außen künstlich in die Transzendentalphilosphie hineingetragen wurde.

Von außen? Von außerhalb der Wissenschaftslehre, ja; aber von Fichte selbst, und es war schon die seine, bevor er die Arbeit an der Wissenschaftslehre überhaupt begonnen hatte. Er hat sie ausgesprochen in den populären öffentlichen Vorträgen Von den Pflichten der Gelehrten, die er unmittelbar vor Beginn seiner akademischen Lehrtätigkeit in Jena gehal-ten hat; das wird Gegenstand einer späteren gesonderten Darstellung sein, hier teile ich es nur 'historisch' vorab mit; es kann ja jeder selbst nachlesen.

*

Die logische Forsetzung der WL nova methodo wäre der Übergang zu einem System der Ästhetik gewesen. Dazu ist es aus den bekannten Gründen nicht gekommen. Stattdessen ist sein System der Sittenlehre nach Prinzipien der Wissenschaftslehre 1798 erschienen, während er eben begonnen hatte, die Wissenschaftslehre zum ersten Mal "nach neuer Methode" vorzutragen. Man muss sie daher als eine Fortsetzung der Grundlage, der ersten Darstellungen der WL betrachten. 

Tatsächlich knüpft sie thematisch unmittelbar an die Einführungsvorlesungen Von den Pflichten der Gelehrten aus dem Jahr 1794 an und war wohl als Schlussstein - clef de voûte - des ganzen Systems gedacht. Dass er in der Darstellung der Wissenschaftslehre nach neuer Methode an die Sittenlehre noch einen [ästhetischen Teil] fügen müsste, war ihm noch nicht bewusst. Zwar schließt er auch dort seine Pflichtenlehre mit einem Abschnitt über die "Pflichten des ästhetischen Künstlers" ab, aber eben doch als die Angelegenheit eines besonderen gesellschaftlichen Standes. 

Die Aufgabe der Sittenlehre sei "die: Freie Willen sollen zu einem gewissen mechanischen Zusammenhang und Wechselwirkung gefügt werden. Nun gibt es so einen Naturmecha-nismus an sich nicht, er hängt zum Teil mit von unserer Freiheit ab", heißt es nun. Es müsse ein Übergang gefunden werden aus dem Standpunkt des natürlichen Bewusstseins der konkreten Menschen (zu denen der Philosoph selber gehört) auf den Stand- punkt der Transzendentalphilosophie. Es entstünde der Philosophie die Aufgabe, "in ihr ihre eigene Möglichkeit zu erklären". 

"Es ist faktisch erwiesen, dass es so ein Mittleres gibt zwischen der transzendentalen und gemeinen Ansicht; dieser Mittelpunkt ist die Ästhetik. Auf dem gemeinen Gesichtspunkte erscheint die Welt als gegeben, auf dem transzendentalen als gemacht ('Alles in mir'); auf dem ästhetischen erscheint sie als gegeben, so als ob wir sie gemacht hätten und wie wir selbst es machen würden (vide Sittenlehre von den Pflichten des ästhetischen Künst-lers)." 

*

Angenommen nun, dass der Wechsel vom gemeinen zum ästhetischen Standpunkt die Bedingung der Möglichkeit der Wissenschaftslehre ist; ist er dann womöglich auch die Bedingung der Möglichkeit von... mehr? Ist er Bedingung der Möglichkeit nicht nur der theoretischen, sondern unmittelbar auch Bedingung der Möglichkeit der praktischen Vernunft? 

Andere haben es so aufgefasst und haben die Moralität aus der Ästhetik hergeleitet. Ich habe außer philosophischen auch lebenspraktische Gründe, diese Lösung zu favorisieren. 

Dann müsste Fichtes Sittenlehre von 1798 auf fehlerhaften Gründen beruhen. Ich habe eine Vermutung: Es ist wieder die Doppeldeutigkeit seiner Vernunft. Ich will mich ihr daher nun im Besondern zuwenden.

Die Einleitung war dazu ein erster Schritt
.
13. 1. 18



Sonntag, 27. November 2022

Weitere Unsicherheit bei Kant.

                                   aus Wissenschaftslehre - die fast vollendete Vernunftkritik
Anmerkung. 

1) Ich finde mich als ein Objekt, bin mir gegeben.

2) Das Bestimmbare ist ein Reich vernünftiger Wesen außer mir. Aber vernünftige Wesen außer mir werden nur gedacht, um das Mannigfaltige zu erklären. Die Vernunft und den freien Willen anderer außer mir nehme ich nicht wahr, ich schließe nur darauf aus einer Erscheinung in der Sinnenwelt; sie gehören daher nicht in die Sinnen-, sondern in die intelligible Welt, in die der Noumena.

(Der auffallendste Beweis, dass der Kantsche Kritizismus nicht vollendet ist, ist, dass Kant sich über diesen Punkt nicht erklärt hat. Kant war der Sache äußerst nahe in der Kritik der Urteilskraft. Das Prinzip der reflektierenden Urteilskraft wäre es, woraus sich diese Annahme erklären ließe. Die Urteilskraft ist bloß subsumierend, wenn sie nach den allgemeinen Gesetzen des Denkens, nach den Kategorien verfährt. Nun aber kann der Fall eintreten, wo dies nicht angeht, wo aber doch geurteilt werden muss, es muss daher auf die entgegengesetzte Weise verfahren werden. Kant zeigt dies nur bei der Beurteilung der organisierten Naturprodukte.

Bei Kant kommt das Prinzip der Annahme vernünftiger Wesen außer mir nicht vor als ein Erkenntnisgrund, sondern als ein praktisches Prinzip, wie es in der Formel seines Moral /prinzips aufgestellt ist: Ich soll so handeln, dass meine Handlungsweise Gesetz für jedes vernünftige Wesen werden könne. Aber da muss ich doch schon vernünftige Wesen außer mir annehmen, denn wie will ich sonst dies Gesetz auf sie beziehen?)

____________________________________________________________
J. G. Fichte, Wissenschaftslehre nova methodo, Hamburg 1982, S. 150f.



Nota. - Was mit der Andeutung zur Kritik der Urteilskraft und zur 'entgegengesetzten Weise' gemeint ist, kann ich einstweilen nicht herausfinden. 

Das ist keine Kleinigkeit: Wenn Kant annimmt, ich könne auch ganz für mich allein ein vernünftiges Wesen sein und müsse erst dann, wenn ich mit andern in Verkehr trete, über meine Handeln Rechenschaft ablegen, vermengt er nicht nur unerlaubt Recht und Morali-tät, sondern er leistet der Annahme Vorschub, dass 'es' die Vernunft 'gibt' - was er wohl selber so gesehen hat, sonst hätte er sich mit der Aufdeckung der Kategorien und der beiden Anschauungsformen kaum begnügen können

Bei F. dagegen ist die Reihe vernünftiger Wesen, nämlich die Aufforderung, die durch sie ergeht, Bedingung reeller Vernünftigkeit. Vorher mag ich 'an sich' vernünftig gehandelt haben, aber ich brauchte nicht darauf zu achten: Es kam nichts darauf an. 

Zwar liebäugelt auch er immer wieder mit einer an-sich-seienden Vernunft; aber ebenso reizt ihn der Gedanke, Vernunft könnte aus der gegenseitigen Aufforderung zur Vernünf-tigkeit überhaupt erst entstehen. Davon ist er durch den Atheismusstreit wieder abgekom-men, aber es ist das, was die Wissenschaftslehre heute, wie man so sagt, "anschlussfähig" macht.
JE 2. 1. 17






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Samstag, 26. November 2022

Kants Philosophie ist kein System, denn sie beruht auf Induktion.

  Dieter Schütz, pixelio.de;                                                             aus Wissenschaftslehre 


ad II. Man philosophierte schon frühe, aber nur dunkel; es lag noch kein deutlicher Be-griff zu Grunde. Die Skeptiker warfen vorzüglich die Frage auf, ob wohl unsere Vorstel-lungen objektive Gültigkeit hätten. 

Durch Hume, einen der größten Skeptiker, wurde Kant geweckt. Letzterer aber stellte kein System auf, sondern schrieb nur Kritiken, d. h. vorläufige Untersuchungen über die Philosophie. Wenn man aber das, was Kant besonders in der Kritik der reinen Vernunft sagt, in ein System fasst, so sieht man, dass er die Frage der Philosophie sich richtig ge-dacht hat. 

Er drückt sie so aus: Wie sind synthetische Urteile a priori möglich, und beantwortet sie so: Es gibt eine gewisse Notwendigkeit, gewisse Gesetze, nach denen die Vernunft han-delt in der Hervorbringung der Vorstellungen; was durch diese Notwendigkeit, durch die-se Gesetze zu Stande gebracht wird, hat objektive Gültigkeit. Also von Dingen an sich, von einer Existenz ohne Beziehung auf ein Vorstellendes ist bei Kant nicht die Rede. Es war ein großer Missverstand, dass man das, was Kant in seinen Kritiken vortrug, für Sy-stem hielt. Gegen die, die dies glauben, lässt sich folgendes einwenden:

1) Das gesamte Handeln des menschlichen Geistes und die Gesetze dieses Handelns sind bei Kant nicht systematisch aufgestellt, sondern bloß aus der Erfahrung aufgegriffen. Man kann daher nicht sicher sein[,]

A) dass diese Gesetze des notwendigen Handelns des menschlichen Geistes erschöpft sind, weil er sie nicht bewiesen hat;
B) wie weit ihre Gültigkeit sich erstrecke;
C) Die merkwürdigen Äußerungen des menschlichen Geistes: Denken, Wollen, Lust oder Unlustempfinden sind nach Kant nicht aufs erste zurückgeführt, sondern sind koordi-niert.


2) Das, worauf es hauptsächlich ankommt, nämlich zu beweisen, dass und wie unsern Vorstellungen objektive Gültigkeit zukomme, ist nicht geschehen. Die Kantische Phi/lo-sophie ist nur durch Induktion, nicht aber durch Deduktion bewiesen. Sie sagt: Wenn man diesen oder jene Gesetze annehme, wäre das Bewusstsein zu erklären; sie gilt daher nur als Hypothese.
_________________________________________________________
J. G. Fichte, Wissenschaftslehre nova methodo, Hamburg 1982, S.5f.


Nota I. - Kants Induktion führt ihn nur bis zu den Kategorien. Er hat sie im Material 'aufgefunden' und stellt sie zusammen; nebeneinander. Aber schon, weshalb es genau diese zwölf sein müssen, wird nicht demonstriert und nicht deduziert. Schon gar nicht wird deduziert, woher sie stammen. Es sind vier mal drei, das sieht gut aus, aber mehr Evidenz haben Kants Kategorien nicht für sich.
28. 5. 16

Nota II. - Das ist nun nicht so zu verstehen, dass F. sein System der Wissenschaftslehre im Ganzen deduziert hätte. Woraus denn? Aus einem Glaubenssatz?

F. ist ja Kants kritischem Weg gefolgt: Faktischer Ausgangspunkt und logische Vorausset-zung ist, dass Vernunft ist. Kants unausgesprochene Annahme ist: Vernunft 'ist' nicht nur 'da', indem sie im Verkehr der vernunftbeflissenen Leute untereinander vermittelnd gilt, sondern sie& ist, weil sie objektiv gilt. Letzteres ist auf induktive Weise freilich nicht zu erweisen, und das ist der Mangel an Kants Verfahren.

Fichtes Lösung besteht darin, dass er Kants Induktion umkehrt und als Reduktion auf einen Punkt führt, wo es nicht weiter geht. Nachdem alles Faktische (=Kontingente) aus den Sätzen der Vernunft ausgeschieden ward - auch noch aus dem nur scheinbaren Apri-ori! -, bleibt übrig... nur die Satzform selbst. Eines prädiziert ein Anderes. Es ist der ur-sprüngliche, stiftende Akt.

Dies wird ihm zum Ausgangspunkt seiner Deduktion. Wenn es möglich ist, aus diesem aufgefundenen Ersten Grundsatz das ganze faktisch gegebenen System der Vernunft herzuleiten, ist der Kreis geschlossen. Von innen ist der Bering der Vernunft dann nicht zu sprengen.

Oder anders: Vernunft ist nur durch Unvernunft angreifbar. Sie wird sich dann verteidi-gen müssen...
JE 6. 6. 18

Freitag, 25. November 2022

'Objektiv' hat zwei Bedeutungen.

Citizen Cane                            zu Wissenschaftslehre - die fast vollendete Vernunftkritik
§ 6

Dies ist nun, worin alles Bewusstsein enthalten ist, und woraus es deduziert wird, ist aufgezeigt: Das Subjektive, das sich selbst Setzende; das Objektive, die praktische Tätig-keit, und das eigentlich Objektive, das NichtIch.

Objektiv hat zwei Bedeutungen: 1., im Gegensatz mit der idealen Tätigkeit, ist es die praktische Tätig-keit; 2., im Gegensatz des ganzen Ich, ists das NichtIch.

Von nun an haben wir die Möglichkeit des bisher Aufgestellten anzugeben, und die Be-dingungen dieser Möglichkeit vollständig aufzuzählen. Wir haben jetzt unser bestimmtes Ziel, bei dem wir ankommen müssen, wir haben schon die Vollen/dung im Auge. Wenn wir dahin kommen, wo wir begreifen, dass das Ich sich selbst setze als durch sich selbst gesetzt, so ist unser System geschlossen, und dies ist der Fall beim Wollen.
________________________________________________
J. G Fichte, Wissenschaftslehre nova methodo, S. 63f.



Nota. - Das ursprünglich Objektive, Wirkliche, uns Gegebene ist die Anschauung der praktischen Tätigkeit. In der Anschauung - idealen Tätigkeit - zerfällt dies Objektive seinerseits in ein Subjektives und ein Objektives; diese beiden werden lediglich gedacht. - 

Der Gang der Wissenschaftslehre ist immer der: Zu erklären ist stets das wirklich vorge-fundene vernünftige Bewusstsein. Wenn es begreiflich sein soll, so müsste es so und so entstanden sein... Nachfrage: Doch wie wäre das möglich? Die Antwort liegt im Aufzäh-len der Bedingungen der Möglichkeit. 

Eine Notwendigkeit, nämlich dass es so und so kommen musste und gar nicht anders konnte, wird gar nicht behauptet; denn dass es wirklich so gekommen ist, war ja eben der Ausgangspunkt.
JE,
23. 8. 16




Donnerstag, 24. November 2022

Rein objektiv.

                                                         zu Philosophierungen

Dann - der Begriff von der Wirksamkeit, der mit absoluter Freiheit entworfen und unter den gleichen Umständen ins Unendliche verschieden sein könnte, geht auf eine Wirksam-keit im Objekte. Mithin muss das Objekt ins Unendliche verändert werden können infol-ge eines ins unendliche veränderlichen Begriffs, man muss alles daraus machen können, was man daraus machen wollen kann. Es ist festgesetzt und könnte daher wohl durch seine Beharrlichkeit der Einwirkung widerstehen; aber es ist keiner Veränderung durch sich selbst fähig (es kann keine Wirkung anfangen); es kann mithin dieser Einwirkung nicht zuwider handeln.
_____________________________________________________________________
J. G. Fichte, Grundlage des Naturrechts nach Prinzipien der Wissenschaftslehre, SW Bd. III, S. 28 



Nota. - 'Der Begriff seiner Wirksamkeit, der vom Ich mit absoluter Freiheit entworfen...'. 

Die Zwecke mögen unendlich viele sein, aber das Objekt, das noch in keiner Weise be-stimmt ist, weil es sich nicht bestimmen kann, ist als totes Sein immer nur leidend, und so ist es "unabänderlich bestimmt": als Objekt und sonst nichts. Es kann den möglichen Be-stimmungen durch das Ich passiv widerstehen, aber sich ihrer nicht aktiv erwehren.


Was immer einem realen Objekt für Bestimmungen zukommen mögen - sie wurden ihm von einem Ich an getan.
JE, 30. 12. 18





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Mittwoch, 23. November 2022

Vom Glauben an das Sein.

                                                                               zu Philosophierungen

Wer an ein festes, beharrliches und todtes Seyn glaubt, der glaubt nur darum daran, weil er in sich selbst todt ist; und, nachdem er einmal todt ist, kann er nicht anders, denn also glauben, sobald er nur in sich selbst klar wird. Er selbst und seine ganze Gattung von Anbeginn bis ans Ende wird ihm ein zweites, und eine nothwendige Folge aus irgend einem / vorauszusetzenden ersten Gliede. Diese Voraussetzung ist sein wirkliches, kei-nesweges ein bloss gedachtes Denken, sein wahrer Sinn, der Punct, wo sein Denken un-mittelbar selbst Leben ist; und ist so die Quelle alles seines übrigen Denkens und Beur-theilens seines Geschlechts, in seiner Vergangenheit, der Geschichte, seiner Zukunft, den Erwartungen von ihm, und seiner Gegenwart, im wirklichen Leben an ihm selber und an-dern.
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J. G. Fichte, Reden an die deutsche Nation, 7. Rede, SW Bd. VII, S.  372f.



Dienstag, 22. November 2022

Am Gelten sind Form und Qualität ununterscheidbar.

 

Die Vorstellung von einem Denkzwang, gar von Denkgesetzen ist die ärgste Kopfnuss der Transzendentalphilosophie: Also doch etwas, das elementarer wäre als die freie Tä-tigkeit des Ich?  

Ein jedes Objekt hat eine Formdass es ist; und es hat eine Qualität: was es ist. Das Ob-jekt ist, wie es ist. Dass es ist macht aus den Widerstand, den es meiner möglichen Tätig-keit entgegensetzt. Welchen Widerstand es leistet, hängt von der Art meiner Tätigkeit ab; auf Seiten des Objekts ist nur dass. Das Dass ist ein Abstraktum, es betrifft Jedes, das Was ist konkret, es betrifft nur Eines.

 
Die Gegbenheitsweise des Dinges ist Sein: dass es einer Tätigkeit widersteht. Die Gege-benheitsweise seiner Bedeutung (seiner Qualität) ist Gelten: Es gilt als... was? Das Was ist gesetzt durch die konkrete Tätigkeit, der es widersteht: dass es dieser Tätigkeit widersteht. Ich tue nie überhaupt, sondern tue immer dieses. Und dieses ist bestimmt durch den Zweck, den ich verfolge. Der macht das quale aus, und das liegt ganz bei mir. Quale ist das, als was das Ding gilt - mir bei dieser Tätigkeit.


Es ist daher nicht zu unterscheiden zwischen gelten-überhaupt und gelten-als-dieses. Wirklich ist Gelten nur konkret. Gelten-überhaupt ist ein Abstraktionsprodukt des reflek-tierenden Verstandes, das den wirklichen Vorstellungen als bloße Hülle nachträglich über-gestreift wird. Es ist nicht selber Denken, sondern Denken des Denkens. (Von realer und idealer Tätigkeit spricht Fichte.)

Denken ist das Zuschreiben von Geltungen. Wo Sein gedacht wird, gilt es als Sein. Es kann die Form nicht zur Qualität in Widerspruch geraten, weil sie nicht unterschieden sind.

Wenn b aus a folgt und c folgt aus b, dann folgt c aus a. Man kann nicht anders denken. Es ist so, es lässt sich daran nichts erklären. Aber es lässt sich explizitieren. Der Denk-zwang geschieht durch die Vorstellung des FolgensWenn ich sie so gebrauche - wenn sie so gilt -, muss ich sie beim nächstenmal ebenso gebrauchen, oder es gälte eine andere. 

Sie ist keine formale Bestimmung. Sie ist das Bild einer bestimmten Handlung: vom Tun eines Machers. Sie liegt der Vorstellung von logischer Notwendigkeit ebenso zugrunde wie der Vorstellung von Ursache und Wirkung, und die metaphysische Gleichsetzung der beiden hatte einen genetischen Grund.


Corollaria

Sein kann ich substantivieren, weil es tot ist. Es ist Objektität (unbestimmtes Dass) - unter der Bedingung einer Subjektität: der bestimmenden Tätigkeit eines Andern. In dem ist die Tätigkeit substantiviert. Das Wirkliche ist die Tätigkeit in ihrem zeitlichen Verlauf; die Sub-stantiva sind Zutaten der Reflexion. 

Zu einer Geltung kommt, worin sich der Zweck einer Tätigkeit vergegenständlicht. Zweck der Tätigkeit und Geltung des Gegenstands sind dasselbe; nämlich entgegengesetzte Sub-stantivierungen eines Tuns - eigentlich müsste ich schreiben: eines tuns -, das in seinem Verlauf eines ist; außerhalb der Zeit als Begriff sistiert, was wirklich nur in der Zeit ge-schieht.

Das Qualifizierende ist die Tätigkeit, indem sie diesem - und nicht irgendeinem - Zweck gilt. Indem ich dem Gegenstand die Form meines Zwecks ein-bilde, bestimme ich ihn zu Diesem. Es gilt heißt daher: Ich bestimme.


Welche tiefe semantische Fallgrube des Hilfsverb sein ist, wenn es zu dem Nomen das Sein substantiviert wird, hat sich herumgesprochen. Eine noch tiefere Fallgrube ist aber das Verbum tun, das, sobald es im Satz objektiviert werden soll, unweigerlich die nomi-nale Form das Tun und die Tätigkeit annimmt, die glauben macht, es könne ein Tun ge-ben, ohne dass ich tue. Ich will sagen: mein tun. Doch schreiben muss ich: mein Tun. Ich denke es sogar, obwohl ich es nicht meine.

Das Quale des Tuns ist der Zweck, dem es gilt; und daher das meines Gegenstands. 

 
Das muss alles erst noch durchgären, aber ich glaube, ich bin dem Denkzwang dicht auf den Fersen. Die Mystifikation geschieht durch die Vorliebe der Sprache für die Nominis, oder richtiger: ihre Aversion gegen tun.  
In den ersten Klassen sagten wir noch Tuwort. Später hieß es Tätigkeitswort. 
16. 1. 19


 


Fragen Sie bitte nicht nach dem Bezug des obigen Fotos zum Text. Es gibt keinen.
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Montag, 21. November 2022

Sein und Gelten.

Thaler, reell (oder nur abgebildet?)                                 aus Wendeltreppe abwärts, 10. Windung

Kant hat, wie ohne Zweifel viele vor ihm,  bemerkt, dass die hundert Taler, die er sich denkt, doch leider ganz was andres wären, als hundert Taler, die er in seiner Tasche trüge. Wohl wahr, sagt Hegel; aber so ganz und gar nichts wäre das, was man sich denkt, andrer-seits doch auch wieder nicht.

Die Taler in der Tasche und die Taler in der Vorstellung haben eins gemein: Alle zwei-hundert haben eine Bedeutung. Will sagen, in beiden Modis können sie mich dazu be-stimmen, mich so oder anders zu verhalten. Ob ich sie habe, sie nicht zu haben bedaure, sie zu haben begehre, sie zu haben nicht achte...

Licht in dieses Mysterium hat Hermann Lotze gebracht. Er unterscheidet – Ei des Ko-lumbus – drei verschiedene Wirklichkeits- oder besser Gegebenheitsmodi: das (allbekann-te) Sein, das (später so genannte) Erleben und das – erst von ihm zur Geltung gebrachte –Gelten. Von den so genannten Wahrheiten sagt er insbesondere: “Sie schweben nicht zwi-schen, außer oder über dem Seienden. Als Zusammenhangsformen mannigfaltiger Zustän-de sind sie vorhanden nur in dem Denken eines Denkenden, indem es denkt, oder in dem Wirken eines Seienden in dem Augenblick seines Wirkens.” (Lotze, Mikrokosmos, III/2, 579)

Das war erst nur eine logisch formale Unterscheidung. Materiallogisch gedacht, müsste es so heißen: Allererst ‚gegeben’ ist das Erleben selbst; ein Strom von Empfindungen, in dem Sinnliches, Logisches und ästhetisch-moralisch Werthaftes noch gänzlich ungeschie-den als ein und dasselbe „in Erscheinung treten“.

Alles, was danach kommt, ist ein Arbeitsprodukt der Reflexion.

Die hundert Taler in meiner Vorstellung und die hundert Taler in meiner Tasche gelten gleich, wenn ich an ihnen eine Rechnung – sagen wir: von Zins und Zinseszins – durch-führe. Sie gelten ganz verschieden, wenn ich eine Schneiderrechnung bezahlen soll. 

Mit ihrem Sein hat das durchaus zu tun – indem es nämlich in mein Da sein mal mehr, mal weniger eng verstrickt ist.
13. 4. 09


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Sonntag, 20. November 2022

Unbedingt; oder Sein und Gelten.

                                                                      aus Philosophierungen

Nur, was ist, kann unbedingt sein. Das Universum, aufgefasst als Gesamtheit alles dessen, was ist – als Raum-Zeit– bzw. Energie-Masse-Kontinuum –, ist unbedingt. Denn es ist nichts neben, d. h. außer ihm, das es bedingen könnte. Das Universum ist unbedingt und ergo kontingent.*

Das Reich der Logik ist das Reich der Geltungen. Eines gilt nur für (mindestens) eines – ein anderes. Geltung ist ein Verhältnis. Ein Verhältnis ist nicht unbedingt, sondern be-dingt durch zwei, die im Verhältnis stehen. Was ist, kann nicht für etwas sein. Es kann für ein anderes nur 'als seiend gelten'. Ein Verhältnis, das unbedingt ist, ist kein Verhältnis, sondern selber ein Seiendes. Ein Seiendes, das ohne das Sein eines anderen nicht ist, ist nicht: Lediglich das Zusammen-Sein beider ist. Ein reeller Wirkungszusammenhang ist.


Wo sollten Husserls noemai als elementare, irreduzible un-bedingte Geltungseinheiten 'sein'? In Raum und Zeit? Dort wären sie entweder notwendig oder kontingent. Sind sie notwendig, so sind sie bedingt durch das, was sie notwendig macht; nicht elementar, nicht irreduzibel. Sind sie an-sich, können sie nur kontingent sein. Aber dann treten sie nicht in ein Verhältnis. Sie können nur an-sich gelten, aber nicht für eines. Sind sie außerhalb von Raum und Zeit, so ist nicht zu verstehen, wie sie innerhalb von Raum und Zeit für eines werden können. Sie sind nicht von dieser Welt, und damit gut.

Sein und Gelten sind ihrerseits Geltungen. Sie 'sind'   gelten als seiend   nur für eines. Alles, was gilt, gilt bedingt.


*) Es ist historisch-bedingt durch den Urknall. Aber der ist seinerseits un-bedingt, sonst wäre er nicht Ur knall. 

•Juni 26, 2010 


Nachtrag. Nur "ein reeller Wirkungszusammenhang ist" - darauf läuft es hinaus. Es ist das Ergebnis der Reflexion, das man ihr logisch als ihren Sinn voraussetzen muss. Real ist nur wirken - erst in der Reflexion treten ein Wirkendes und ein Objekt auseinander: weil wir-ken in seiner Verlaufsform nicht denk bar ist - nicht Gegenstand der Reflexion wer-den, sondern nur angeschaut werden kann -, aber als bloße Anschauung nicht mitteilbar ist.

In der Wirklichkeit nehmen wir nichts als 'Objekt' wahr, sondern ein jedes geltend entwe-der als Dieses oder als Jenes; und wenn nicht, dann gilt es als unbestimmt. Wenn es nicht einmal als das gilt, dann... ist es nicht wahrgenommen worden und hätte ebensogut gar nicht da sein können.

JE. 25. 1. 19

Samstag, 19. November 2022

Freiheit: bedingt, aber nicht bestimmt.

                               zu Wissenschaftslehre - die fast vollendete Vernunftkritik 

Bemerkung: Das Handeln des freien Wesens außer mir, auf welches so geschlossen wird, verhält sich wie der angefangene Weg zu der Fortsetzung desselben. Es ist mir gegeben eine Reihe der Glieder, durch welche der Zweck bedingt ist; eine Reihe, die ich vollenden soll. Zuförderst ist sonach alles Handeln freier Wesen ein Hindurchgehen durch unend-lich viele Mittelglieder, die bloß durch die Einbildungskraft gefasst werden - wie bei der Bewegung durch unendlich viele Punkte. Es fordert mich jemand auf heißt: Ich soll an eine gegebene Reihe des Handelns etwas anschließen. Er fängt an und geht bis auf einen gewissen Punkt, von da an soll ich anfangen. 

Nun liegt hier ein unendliches Mannigfaltiges der Handlungsmöglichkeiten, welche bloß durch Einbildungskraft zusammengefasst werden. Denn das Handeln mehrerer Vernunft-wesen ist eine einzige durch Freiheit bestimmte Kette. Die ganze Vernunft ist nur ein ein-ziges Handeln. Ein Individuum fängt an, ein anderes greift ein und so fort, und so wird der ganze Vernunftzweck durch unendlich viele bearbeitet und ist das Resultat von der Einwir-kung aller. 

Es ist dies keine Kette physischer Notwendigkeit, weil von Vernunftwesen die Rede ist. Die Kette geht immer in Sprüngen, das Folgende ist immer durchs Vorher/gehende be-dingt; aber dadurch nicht bestimmt und wirklich gemacht (vide Sittenlehre). Die Freiheit besteht darin, dass aus allen Möglichen nur ein Teil an die Kette angeschlossen werde.
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J. G Fichte, Wissenschaftslehre nova methodo, Hamburg 1982, S. 232f.
 

Nota. - Die Wissenschaftslehre erzählt nicht nach, 'wie es wirklich ist', sondern stellt dar, was in der Vorstellung wirklich vorkommt und weshalb das notwendig ist. Hier steht also sinngemäß: Alles Reden von Vernunft hat einen intelligiblen Sinn nur, wenn man sie so auffasst. Wird der Weg fortgegangen, so wird es eine Kette sein. Aber sie wird aus Frei-heit fortgewirkt. Wenn wir uns also (in der Abstraktion) denken, dass sie einmal an ein Ende käme, so wäre es nicht durch physische Notwendigkeit als Folge seiner Ursache, sondern durch Freiheit als Zweck gesetzt: 'bedingt, aber nicht bestimmt'. Die Freiheit hätte an jedem Punkt auch andere Möglichkeiten wählen und andere Teile anfügen kön-nen. Der 'Endzweck' wäre ein anderer geworden.

Wenn Hans Vaihinger die Wissenschaftslehre nova methodo gekannt hätte, wären ihm die Augen übergegangen und er hätte auf seine dickleibige Philosophie des Als Ob achsel-zuckend verzichtet. Und wenn Fichte seinen Weg nova methodo 'zuende gegangen' wäre, hätte er sich nie auf die dogmatische Auffassung eines Realabsoluten und eines gegebe-nen Endzwecks der Vernunft einlassen können.

12. 10. 17


Nota II. - Ließe sich daraus folgern, dass alles, was auch immer in unserer Geschichte vorkam, zu seiner Zeit vernünftig, nämlich ein notwendiges Glied des problematisch pro-jizierten Vernunftzwecks gewesen ist? Vernünftig ist das Handeln nach selbstgesetzten Zwecken: aus Freiheit. Freiheit bedeutet nicht, dass kein Irrtum möglich ist; wie auch das? Wenn das Handeln die Zwecke, die gesetzt waren, nicht realisiert, sondern Folgen zeitigt, die nicht als Zwecke gesetzt waren und aus Freiheit nicht wählbar wären, so wird die Vernunft neu und anders wählen.
 
Es heißt hier nicht, wie bei Hegel, das Wahre sei das Wirkliche. Der Weg der Vernunft in der Geschichte ist keine aufsteigende Linie, wie könnte er? Das Kriterium ist noch nicht, dass die Zwecke aus Freiheit gesetzt waren; das ist erst die notwendige Bedingung. Sondern, ob sie durch vernünftiges Handeln in der sinnlichen Welt realisiert werden. Da geht es um praktisches Bestimmen. Das mag immer scheitern, sei's am Widerstand der sinnlichen Welt, sei es an falschen Begriffen. Ob oder ob nicht ist keine Sache theoretischer Vorhersehung, sondern des wirklichen Versuchs.

Es geht zuerst einmal um die Bedingung: aus Freiheit. Doch was aus der Freiheit gemacht wird, ist, worauf es am Ende ankommt. Und die Frage ist immer konkret.

11. 4. 2019
 
 
Nota III. - Hier zum xten Mal: Was bedeutet im transzendentalen Sinn 'notwendig'? - Ge-geben sind zwei Termini: Erstens die historisch vorgefundene Tatsache, 'dass es Vernunft gibt'; und zweitens die durch analytischen Regress aufgefundene Einsicht, dass am Anfang Freiheit 'gewesen sein muss'. Zwischen beiden Polen ist ein Bogen zu spannen. Da am An-fang Freiheit war, waren alle vorstellbaren und selbst nicht vorstellbare Akte möglich und mögen auch geschehen sein. Wir müssen aber nur die beachten, die wirklich auf den Weg einer fortschreitenden Bestimmung von Freiheit zur Vernunft gehören. Alles andere bleibt außer Acht. 
 
Wenn wir auf diesem Weg zur Rekonstruktion einer intelligiblen Welt bzw. einer Reihe ver-nünftiger Wesen gelangen, ist der Bogen zwischen beiden Termini gespannt und ist alles, was auf ihm geschehen ist, als notwendig erwiesen; vernunft notwendig. Mehr wird nicht behauptet; schon gar nicht, dass es anders gar nicht hätte kommen können.
15. 6. 21 

Nota IV. - Ein ebenso kluger Mann hat es später so ausgedrückt: Die Menschen machen ihre Geschichte nicht unter frei gewählten Voraussetzungen, aber sie machen sie selber (oder war es umgekehrt?).
JE





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