Donnerstag, 11. September 2025

Apagogische Dialektik, oder: Freiheit ist Verschwendung.

Picasso, Bacchanal                                                                                     aus Marxiana

Reichtum ist: die Zeit zu haben, etwas völlig Zweckloses zu tun, und darum ist "Reichtum" der Schlüsselbegriff der Kritik der Politischen Ökonomie - im Gegensatz zu "Wert" und "Arbeit": nicht die Verausgabung von Kraft, sondern Verschwendung: das ist Reichtum, Luxus, Freiheit... 

Dabei wäre also die Kritik eine Inquiry into the Very Nature of the Wealth Of Nations, weil nämlich der Begriff Reichtum als Leerformel übernommen wird: Es wird gewissermaßen "konzediert", dass es einen wissenschaftlich identifizierbaren Bereich namens 'die Ökono-mie' gebe, dessen Inhalt 'Erzeugung und Verteilung des Reichtums' sei - "was immer man auch einstweilen darunter verstehen wolle..."  

Der apagogische Charakter der Darlegung sieht so aus:

1. Es gibt ein identifizierbares Reich 'des Ökonomischen';

2. dessen Inhalt ist: Wesen und Ursache (=Produktion) des 'Reichtums'; 

3. Reichtum ist Tauschwert und Tauschwert ist Arbeit.

Das sind die dogmatischen Pfeiler der Politischen Ökonomie. Und die konzediert M. am Eingang seiner Darstellung (tatsächlich am Eingang seiner Untersuchung selbst), und dann widerlegt er die Bestimmung des Reichtums als "Wert"="Arbeit" durch eine consecutio ad absurdum: Er "reitet das Argument zu Tode", indem er die Konsequenzen in den Wider-spruch zu den Prämissen treibt: Das ist die Standardform apagogischer Beweisführung: eine Demonstration "ex concessis", aber keineswegs so, dass der Gegner auf Argumente festge-legt wird, die er mir zugeben muss, sondern so, dass ich ihm seine Prämissen einräume, und vorführe, dass auf diesem "Grund" kein Gebäude zu errichten ist.

Konkret: dass der Reichtum nicht (Wert=) Arbeit ist, sondern im Gegenteil der Überfluss im Gegensatz zur Arbeit (welche notwendige, naturbestimmte Tätigkeit ist, nicht freie = selbst-bestimmende).

Es liegt aber in der Natur des apagogischen Beweises, dass er zwar in concreto widerlegt, aber nicht - wo er positiv ist - seinen eigenen 'Standpunkt' (positio) 'begründet'; abstrakt ist: rein formal, "lemmatisch".

Also: Es zeigt sich, dass der 'Inhalt' des 'Reichtums' nicht, wie bei Smith/Ricardo, "Arbeit" ist, sondern 'Freiheit'; aber wo also "Bestimmung nach Naturgesetzen aufhört, da hört auch alle Erklärung auf, und es bleibt nichts übrig, als Verteidigung, d.i. "Abtreibung der Einwürfe derer, die tiefer in das Wesen der Dinge geschaut zu haben vorgeben, und darum die Frei-heit dreust vor unmöglich erklären." Kant, Grundlegung der Metaphysik der Sitten, B/A 121

So Vilfredo Pareto: "Le Capital n'est, par rapport au reste de l'oeuvre de Marx, qu'un appen-dice destiné à déblayer le terrain des objections qu'on pourrait faire à la doctrine [communiste] en se fondant sur l'économie politique." (zit. nach Alain Barrère, Histoire de la pensée éco-nomique et analyse contemporaines, Paris 1974, S. 433)

[Wobei zu beachten, dass M. am Beginn seiner kritischen Arbeit - teste Grundrisse bis "ur-sprüngliche Akkumulation" - die Prämissen - "Kategorien" - der Politischen Ökonomie nicht "zum Schein", sondern allen Ernstes eingeräumt hat: Er hat sich daran gemacht, "das Kapital" aus "dem Wert" [="der Arbeit"] zu "erklären" - und es ist ihm nicht gelungen - weil er auf das Faktum der Unfreiheit = 'Notdurft' = "urspüngliche Akkumulation" gestoßen ist!]

- Freileich: Wenn der 'Reichtum' nun nicht mehr positiv bestimmt ist, nicht (mehr) "kon-kret" erscheint, geht es auch nicht an, ihn als besonderen Bereich der "menschlichen Le-benstätigkeit" aufzufassen. Er ist dann aufgelöst ins Allgemeine: 'Setzen der Freiheit', und ergo verliert "die Ökonomie" ihren Status als besondere Wissenschaft - und wird zur Pro-pädeutik der Geschichtswissenschaft (welche die einzige ist, die "wir kennen", cf. Deutsche Ideologie) - insofern in ihr die "Anatomie der bürgerliche Gesellschaft" erscheint; sofern diese nämlich 'naturwüchsiges' Produkt der 'Notdurft' ist; während die jedoch zugleich 'als' Produkt der Freiheit 'gelten' soll, d.h. "praktisch": es werden soll.
aus e. Notuizbuch, 23. 11. 88 


Nachtrag. Eine theoretische Wissenschaft 'Politische Ökonomie' gibt es seither tatsächlich nicht mehr. Was jeweils als 'Volkswirtschaftslehre' o. ä. firmiert, ist eine Art Wirtschaftspo-litologie; eine technische Disziplin, die mehr oder minder mathematisierte Modelle entwirft, die es den Regierungen erlauben sollen, auf den Wirtschaftsverlauf gezielten Einfluss zu nehmen. Bisher hat noch jede die in sie gesetzten Erwartungen enttäuscht.
JE,
12. 12. 16

 

 

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Apagogische Dialektik.

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