flickr zu Wissenschaftslehre - die fast vollendete Vernunftkritik
Das
Bestimmte, zu dem übergegangen wird, ist der Begriff eines bestimmten
Dinges, aber ich selbst bin auch bestimmt in diesem Begriffe, weil das Quantum dieses Begreifens mei-nen Zustand ausmacht.
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J. G. Fichte, Wissenschaftslehre nova methodo, Hamburg 1982, S. 103
Nota I. - Nicht nur ich bestimme den Begriff. Der Begriff bestimmt auch mich, indem er das Maß meines Begreifens bestimmt.
21. 6. 15
Nota II. -
Ich setze mich, indem ich mir ein Nicht-Ich entgegen setze, dem ich
mich entge-gensetze. Ich bestimme mich, indem ich mich als den Andern
des Andern bestimme: 'Mich-selbst-bestimmen' ist möglich nur durch Entgegensetzen. Ich kann daher den Begriff nicht bestimmen, ohne mich ipso facto mit zu bestimmen; freilich erst nach dem 'Quantum', in dem er selbst bestimmt ist.
Merke: Ich kann mich oder sonstwas nicht an sich setzen, sondern nur als Vorlauf des Be-stimmens. Setzen ist noch nicht Bestimmen? Nun ja. Setzen ist Nochnicht bestimmen.
Nota III. -
Bei Fichte "schwebt alles"? Es ist tatsächlich nichts ein für allemal
festgestellt. Das kommt daher, dass in der Wissenschaftslehre keine Begriffe aneinander gereiht werden: Der Begriff ist wohlgetroffen, sobald seine Definitionsmerkmale erfüllt sind, "da beißt die Maus keinen Faden ab". Es werden vielmehr - da ja das Vernunftsystem, in dem eine dis-kursive Begriffswirtschaft möglich wäre, überhaupt erst entworfen werden soll - die Vor-stellungen aus einander hervorgebracht, aus denen eine tätige Vernunft, nämlich die Reihe vernünftiger Wesen entstehen kann. Vorstellen ist tätig sein, das Übergehen selbst ist das Reale, nicht die einzelnen Momente, die die Reflexion künstlich fixieren und abstrahieren könnte: Diese erst, die abstrahierten Momente sind, sofern sie miteinander in ein System gebracht werden, Begriffe.
Ja, es ist wahr: Im Verlauf der vorstellenden Tätigkeit schwebt alles.
10. 6. 20
Nota IV. - Das ist der Kerngedanke der ganzen Transzendentalphilosophie: Indem ich ein vorfindliches Anderes bestimme, bestimme ich mich selbst als das Andere dieses Andern. Anders ist ein Bestimmen von diesem, jenem und mir nicht möglich. Zur Identität gehört ihr Gegen stand.
3. 2. 22
Nota V. - Ums ganz pointiert auszusprechen: Begreifen kann man nur Begriffe.
Wenn ich 'Welt' für einen Begriff halte, muss ich sie als einen Oberbegriff auffassen: bis an den Rand angefüllt mit von ihm bestimmten Untergebriffen; ich muss zum Beispiel anneh-men, dass sie... einen Rand hat - und zugleich wechsel-rückbestimmt ist durch die in ihm versammelten Unterbegriffe. Ich müsste die Welt für ein fertiges System halten.
Und mir selbst muss ich vorkommen als wohin ich auch blicke von ihm bestimmter Wider-part; wohin ich auch blicke: nämlich bis wo eben mein Begreifen reicht. ...
Vernünftig ist es, weil ich so in unserer bürgerlichen Verkehrs-Welt zurecht finde; und ver-nünftig ist es auch, darin eine zweckmäßige Fiktion zu erkennen, die meinem irdischen Han-deln und Wandeln Orientierung gibt; die aber nicht mein Erkennen bestimmt, das mehr ist als Begreifen.
2. 8. 2024
Nota VI. - Das lässt sich auch kritisch wenden: Er begegnet mir immer fix und fertig. Mein Vorstellen mag immer noch mit Schweben beschäftigt sein, der Begriff ruft ihm zu: Ick bün all do; weitere Arbeit kannst du dir ersparen, es ist schon alles vollbracht. Das fertige Be-griffssystem verblödet den Denkenden, indem er ihm die Arbeit des Fortbestimmens erüb-rigt. Und umgekehrt: Wo immer das regellos freie Vorstellen weiter über den züchtigen Be-griff hinausgelangt war, ruft er ihm hinterher: Nicht so stürmisch! Immer schön eins nach dem andern.
Wenn immer der Begriff dem fertigen Denken auch als sein kritisches Gewissen hinterher eilt, so war er dem sich verfertigenden Denken zuvor ein Stolperdraht auf dem Weg.
Bestimmtheit ist nur eine einstweilige Illusion. Real ist immer nur Schweben und Übergehn.
JE
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