Mittwoch, 31. Mai 2023

Ein wenig Zerstreuung.


Lieber Leser, auf diesem Blog mache ich für ein paar Tage Pause. Ich empfehle Ihnen zwischenzeitlich Ebmeiers Umtriebe.

Jochen Ebmeier


Dienstag, 30. Mai 2023

'Als ob' ist der lange vergeblich gesuchte Stein der Weisen

Harry Potter, Stein der Weisen;       zu Philosophierungen, oder Das Vernunftsystem

Hans Vaihinger hatte ganz Recht: Als ob ist der Schlüssel zu unserer geistigen Existenz. 

Die Dinge der Welt haben zwei Seiten. Die eine ist: wie sie erscheinen. Das ist alles, was unsere fünf Sinne über sie berichten können. Das haben sie 'an sich'. 

Freilich erscheinen sie nur einem oder einem andern. Aber für die, denen sie erscheinen, haben sie auch noch eine Bedeutung. Die haben sie nicht an sich, sondern nur für solche, in deren Leben sie vorkommen; alias erscheinen. Und die müssen mit ihnen, sobald sie erscheinen, "was anfangen". Das, was sie mit ihnen anfangen könnten, ist das, was sie - für sie - bedeuten.

Insofern haben sie für jedes Lebewesen eine Bedeutung, das ihnen begegnet. Allerdings - nur wir Menschen wissen davon. Darum haben wir uns aus den Bedeutungen Begriffe gebildet. Die haben sich im Laufe der Generationen so gut bewährt, dass sie uns in der Vorstellung so erscheinen mögen, als ob sie die Dinge selber wären - und nicht bloß, was sie bedeuten.

Durch unsere Begriffe können wir über die Dinge reden. Das ist ein Sachverhalt, der jemandem erscheinen könnte. Auch über ihn können wir reden. Er ist real, aber sozu-sagen 'in höherer Bedeutung'.


Montag, 29. Mai 2023

Vorstellen ist anschauen 'als ob'.

 St. Peter in Straubing                                        zu Philosophierungen, oder Das Vernunftsystem

Bei der Erinnerung ist es einfach: Ich habe was einmal angeschaut, und in meinem Ge-dächtnis wiederhole ich es so, als ob es eben jetzt geschähe.

Aber ich kann mir manche Sachen vorstellen, die nie zu sehen waren und sich womöglich nie ereignet haben. Dann 'mache ich mir ein Bild' und 'bilde mir etwas ein'. Das kann ich, das kann jeder, und kann mir keiner bestreiten. Aber dieses Bild habe ich ipso facto ge-danklich in das Kontinuum von Raum und Zeit eingesetzt, in dem sie hätten erscheinen müssen, wenn ich sie wirklich anschauen konnte. Das, und nichts anderes, ist der Unter-schied zwischen Einbildung und Wirklichkeit, oder sagen wir genauer: zwischen Mögli-chem und Unmöglichen.

Wie ist es mit den Begriffen? Ein Begriff ist ein bestimmtes Bild: nicht bloß anschaubar, sondern mit einem Zeichen versehen, das es von allen andern unterscheidet und als dieses eine ausweist. Man kann es im Gedächtnis unter manchen gleichartigen Begriffen so ein-ordnen, dass mich der eine an die andern weiterweist und ich in der Regel  alles wiederfin-de, woran ich mich irgendwie erinnere. 

Kann ich sie anschauen als-ob? Wenn ich mein Gedächtnis sehr anstrenge und mich von den dabei unweigerlich auftauchenden andern Bilder nicht ablenken, sondern stattdessen weiterweisen lasse, dann vielleicht. 

Dafür habe ich mir die Mühe des 'Begreifens' aber nicht gemacht, sondern um mir die Arbeit des allfälligen Suchens und Ein-Bildens zu ersparen, indem ich die Zeichen so ver-wende, als ob mir die dazugehörige Anschauung jedesmal vor Augen stünde. Das darf ich, weil ich weiß, dass das Ensemble aller meiner Begriffe und dazugehörigen Vorstellun-gen nicht bloß mein Privatbesitz sind, sondern Bestandteil einer umfassender Gesamtheit, eines Systems von sinnhaften Bezügen von Zeichen und Bildern sind, das vorangegange-ne Generationen über Jahrtausende angeschatzt, aktualisiert und uns überliefert hat. Wir alle, die wir uns einander durch Vernunft verbunden wissen, bedienen uns seiner mit Er-folg - und wo immer Unstimmigkeiten auftreten, versuchen wir, sie mit- und auch mal gegeneinander zu überwinden.

Das ist so banal, dass man es kaum aussprechen mag. 

Nein - das ist es eben nicht; sondern ein Wette, die Tag für Tag tausendmal individuell verlorengeht und die Gattung doch unterm Strich tagtäglich Schritt für Schritt voran-bringt. Eigentlich ist es kühn, dass wir uns beinahe blind und höchstens mit gelegent-lichem Brauchgrimmen auf so ein Risiko einlassen. Die Jungen tun es ganz unbefangen, erst die Älteren zucken resigniert mit den Achseln, doch je älter sie werden, desto weniger werden sie auch. 

Als ob wir tragische Helden wären.


Sonntag, 28. Mai 2023

Das unhintergehbare Reinigungsmittel.

 bing                               zu Philosophierungen, oder Das Vernunftsystem

Vernunft im Gebrauch eines reellen Subjekt in Raum und Zeit - eines wie du und ich - ist nicht positiv und zeigt uns an, was sein soll; sondern ist kritisch und scheidet aus, was nicht zu rechtfertigen ist. 

Vieles, was sein solle, wird allezeit vorgeschlagen. Daran war noch nie ein Mangel. War die Aufgabe stets, auszuwählen, was das beste wäre? Oder nicht vielmehr die, auszuscheiden, was überhaupt nicht in Frage kommt! Das ist der Unterschied zwischen einem kumulati-ven Konsens, der auf Launen und Zufällen beruht und allezeit wanken kann, und der pragmatischen Reduktion im allgemeinen Verkehr, wo überdauert, was sich nicht weiter reduzieren lässt. Das ist Kritik, nämlich wissenschaftliche Überprüfung, deren Grundlage Öffentlichkeit ist und nicht die vorgängige Sympathie derer, die sich sowieso nahestehen. 

Das vernünftige Verfahren ist das universale Reinigungsmittel, Kathartikon, das hinweg-schwemmt, was nicht zu brauchen war. Danach kann man sich den kumulierten Vorlieben der einen und der andern zuwenden. Notfalls kommt das Reinigungsmittel erneut zur An-wendung. 


Samstag, 27. Mai 2023

Vernunft ist das fortschreitende Bestimmen des Unbestimmten.

                                       aus Philosophierungen, oder Das Vernunftsystem

Dem vernünftigen Bewusstsein - fast ist das eine Tautologie - erscheint die Welt als ein virtuell geschlossenes System von Begriffen, die einander wechselseitig bestimmen, indem sie ihre jeweiligen Geltungsbereiche gegeneinander eingrenzen: de-finieren. Dieses Sys-tem ist entstanden und vervollständigt sich weiter durch den Gebrauch; die Bedeutung der Wörter ist ihre Verwendung im Sprachspiel.

Doch geschlossen ist es erst virtuell. Reell stößt die Verwendung im Sprachspiel immer wieder auf Lücken: Die müssen geschlossen werden durch das Einpassen in die Leer-stellen, die das Sprachspiel bislang frei gelassen hatte; einpassen so, dass bisherige Defini-tionen gegebenenfalls justiert werden müssen. (Ist ein ganzer Komplex von Bedeutungen berührt, geschieht ein sogenannter 'Paradigmenwechsel'.) Die - quasi transzendentale - Prämisse bleibt unberührt: Das System ist intakt. Es geht immer nur darum, es auszufül-len.

Denn nur, wenn der Rahmen gewahrt bleibt, ist es überhaupt ein System; nur dann kann erwartet werden, dass aktuell auftretende Lücken von uns gewiss gefüllt werden können, weil 
sie an sich schon gefüllt sind.

*


Das gilt freilich nur für die Begriffe. Wenn das System geschlossen ist, gelten die Begriffe an sich. Oder anders, wenn die Begriffe an sich gelten sollen, muss ich mir das System als geschlossen vorstellen.

Rationell sollte ich aber gar nicht vom System der Begriffe - oder "der Welt" - ausgehen. Rationell muss ich mich an das halten, was ich weiß, und was ich weiß, ist lediglich das, was in meinem Wissen vorkommt. Tautologisch? Nicht, wenn ich mir klarmache, dass in meinem Wissen nichts anderes vorkommt als meine Vorstellungen. Dass ich mir (etwas) vorstelle, ist nun das einzige, was ich nicht bezweifeln kann (weil anders ich auch das Be-zweifeln bezweifeln und... gleich wieder aufhören müsste, nachdem ich kaum angefangen habe). 

Wenn ich zugeben muss, dass ich vorstelle, muss ich annehmen, dass ich es konnte; ich meine: muss, sonst wäre gleich wieder Schluss. Wenn ich es ohne eine andere Vorausset-zung konnte - und das muss ich annehmen, denn ich habe keine weitere Voraussetzung gemacht -, dann muss ich annehmen, dass ich es ohne Voraussetzung können werde; es sei denn, ich stelle mir selber Dinge vor, die zu Voraussetzungen werden, die mich am Fortschreiten hindern. 

Vorstellen ist, nach Fichte, Übergehen vom Bestimmbaren zum Bestimmten. Annehmen musste ich: ein Vermögen dazu. Das heißt konventionell IchEs ist selber nicht bestimmt: Das könnte es erst selber besorgen. Wie? Indem es sich Etwas vorstellt. Ist es bestimmt? Das wird man sehen: Lässt es sich bestimmen? Dann kann ich fortschreiten; wenn nicht, dann wäre - hier wiederum Schluss.

Wenn das richtig ist, dann kann das Bestimmen kein Ende finden - und das Bestimmbare schon gar nicht. Denn anders würde die ganze Kette hinfällig, und ihre Prämisse, ihr er-stes Glied: dass Ich Unbestimmtes zu bestimmen vermag. Das System, das ich mir allen-falls vorstellen kann, ist ein System in processu, ein unabgeschlossenes System.

Und wer immer diese Prämisse bestreiten wollte - dass ich zu bestimmen vermag -, wird doch jene andere Prämisse
 - jene andere Seite der Prämisse -, dass es Unbestimmtes gibt, nicht bestreiten können. Das System meiner Vorstellung kann gar nicht abgeschlos-sen werden; und mit jedem weiteren Fortschritt des Bestimmens kann - mag? soll? - eine rückwirkende Umbestimmung der gesamten Kette geschehen.


Summa: Von Einem lässt sich schlechterdings, bei gutem und bei schlechtem Willen, nicht abstrahieren: dass es in der Welt, wie immer wir sie uns denken, teils Bestimmtes, teils Un-bestimmtes gibt. Ein Denken, das sich darauf keinen Reim zu machen weiß, soll sich nicht Philosophie nennen.
27. 12. 16 


Nachtrag I - Das ist die Pointe: dass es in unserer Welt - in der intelligiblen der 'Reihe ver-nünftiger Wesen' - das völlig Unbestimmte gar nicht mehr gibt. Denn hier, wo ich mich schon als einen bestimmen-Sollenden vorfinde, ist alles, was mir begegnet, zumindest als ein Zu-Bestimmendes bestimmt. Vom Bestimmen Abstand nehmen und das noch-Unbe-stimmte als unbestimmt anzuschauen, ist ein willentlicher Akt. Wo er in unserer Welt, der 'Reihe vernünftiger Wesen' geschieht, ist er der ästhetische Akt schlechthin. Er ist eine Abstinenz vom Vernunftgebrauch. 

Eine gewisse Brisanz liegt nun darin, dass auch das sittliche Urteil ein ästhetisches Urteil ist, das auf Willensbestimmungen angewandt wird. Sittliche Urteile folgen nicht aus dem Vernunftgebrauch, sondern gehen ihm, sofern überhaupt ein Zusammenhang bestehen soll, allenfalls voraus.
24. 9. 18


Nachtrag II - Eigentlich ist die Wissenschaftslehre ganz einfach. Die pragmatische Ge-schichte des Geistes geht so: Homo sapiens hat die Welt, auf die er als generisches Sub-jekt einmal gekommen ist, unbestimmt vorgefunden, und ist seither mit Bestimmen be-schäftigt; und wird es bleiben, solange es ihn gibt.
22. 3. 22



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Freitag, 26. Mai 2023

Zwei Wissenswelten.

                                                            aus Philosophierungen, oder Das Vernunftsystem

Man muss die Vernunft als Ganzes auffassen, dann findet kein Widerstreit statt, dann ist die Natur ganz absolut durch sich selbst gesetzt als absolutes Sein, entgegengesetzt nur dem absoluten Ich. Diese Ansicht muss eine Naturwissenschaft nehmen.
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J. G. Fichte, Wissenschaftslehre nova methodo, Hamburg 1982, S. 240 


Nota. -  Mit der Natur - nämlich allem, was in ihr wirklich vorkommt - beschäftigen sich die Wissenschaften. Sie ist, wie sie ist, und ohne Apriori, das ihr zugrunde läge. Die Ver-nunft nimmt sie so, wie sie ist, und das heißt: nicht anders, als sie erscheint. Die Vernunft ist realistisch. Auch gegenüber der selbstgemachten Geschichte der Menschen, die in ihr vorkommen.

Ansonsten gibt es überhaupt nur die Sphäre des absoluten Ich, und das ist nichts anderes als der Gang, den die Vorstellung genommen hat und nehmen musste, um Vernunft aller-erst hervorzubringen. Der Natur ist sie natürlich, als ihrem Gegenstand, entgegengesetzt und kommt in ihr nicht vor. Sie ist die Sphäre absoluter Tätigkeit.
JE, 14. 6. 19



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Donnerstag, 25. Mai 2023

Schweben und übergehen.

                                                                                                                       zu Philosophierungen

Die Einbildungskraft setzt überhaupt keine feste Grenze; denn sie hat selbst keinen festen Standpunkt; nur die Vernunft setzt etwas Festes, dadurch, daß sie erst selbst die Einbil-dungskraft fixiert. Die Einbildungskraft ist ein Vermögen, das zwischen Bestimmung und Nicht-Bestimmung, zwischen Endlichem und Unendlichem in der Mitte schwebt. ... Jenes Schweben eben bezeichnet die Einbildungskraft durch ihr Produkt: sie bringt dasselbe gleichsam während ihres Schwebens, und durch dieses Schweben hervor.
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J. G. Fichte, Grundlage der gesammten Wissenschaftslehre, SW I, S. 217

Man werde ferner finden, wird behauptet, dass man sich im Entwerfen des Begriffs vom Ich nicht tätig setzen könne, ohne diese Tätigkeit als eine durch sich selbst bestimmte, und diese nicht ohne ein Übergehen von der Unbestimmtheit oder Bestimmbarkeit zu setzen, welches Übergehen eben die bemerkte Tätigkeit ist
.
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ders., Wissenschaftslehre nova methodo, Hamburg 1982, S. 43

Die Wissenschaftslehre inventarisiert nicht - man kann es nicht oft genug wiederholen - das fertige Reich der Vernunft mit all seinen Begriffen und erwiesenen Schlussregeln, um sie einer nachträglichen Kritik zu unterziehen; sondern will erhellen, wie es zu Stande gekommen ist. Zu Stande gekommen ist es aus dem aktiven Vorstellen, welches eine Agi-lität ist, die sich als Einbildungs- und Urteilkraft zugleich erweist. Den einbildenden Teil nennt Fichte die reale, den urteilenden Teil die ideale Tätigkeit. Die charakteristische Be-wegungsweise der einen ist das Übergehen, die charakteristische Bewegungsweise der an-dern ist das Schweben.

Schweben und Übergehen sind sozusagen die Meta-Vorstellungen, die der Wissenschafts-lehre zu Grunde liegen. Sie sehen sich zum Verwechseln ähnlich; so dass man sich gar nicht entscheiden mag, welche zu welcher gehört
JE,11. 10. 18



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Mittwoch, 24. Mai 2023

Ein absoluter Anfang ohne Grund.

 nach Dalí

Jenes Übergehen als solches wird angeschaut als seinen Grund schlechthin in sich selbst habend, die Handlung dieser Tätigkeit heißt darum reale Tätigkeit, welche der idealen, die die erste bloß rein abbildet, entgegengesetzt wird; sonach wird die Tätigkeit des Ich in diese beiden Arten eingeteilt. ... 

Die Handlung des sich selbst Setzens des Ich ist ein Übergehen von der Unbestimmtheit zur Bestimmtheit; wir müssen / darauf reflektieren, wie das Ich es macht, um von der Un-bestimmtheit zur Bestimmtheit überzugehen.

Hier gibt es keine Gründe; wir sind an der Grenze aller Gründe. Man muss nur zusehen, was man erblickte. Jeder wird sehen: es gibt keine Vermittelndes. Das Ich geht über, weil es übergeht, es bestimmt sich, weil es sich bestimmt, dies Übergehen geschieht durch einen sich selbst begründenden Akt der absoluten Freiheit; es ist ein Erschaffen aus nichts, ein Machen dessen, was nicht war, ein absolutes Anfangen. ...

Die Tätigkeit, die sich darin äußert, soll heißen reale Tätigkeit; der Akt, durch welchen er sich äußert, ein praktischer; das Feld, worin er sich äußert, das praktische, diesem Akte haben wir zugesehen und sehen ihm noch zu. Die Tätigkeit, womit dies geschieht, soll heißen ideale Tätigkeit.
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J. G. Fichte, Wissenschaftslehre nova methodo S. 46f.


Nota. - Aus nichts wird nichts, wird Fichte später, nach seiner dogmatischen Wendung, sagen - wo es nämlich erstmals ausdrücklich um das Woher - und also um Warum und Wozu - der Vernunft geht. 'Gab es' Vernunft, bevor 'das Ich sich setzte', dann war sie der Grund seines Setzens und sie war der absolute Anfang ohne Grund. 

Der Transzendentalphilosoph Fichte hätte diese Darstellung als transzendent und als eo ipso  dogmatisch verworfen. Er hätte vielmehr gesagt: Das sich-Setzen des Ich als das grundlose Übergehen vom Unbestimmten zum Bestimmteren ist selbst der Anfang der Vernunft; nur als ein solches hat das Wort Vernunft überhaupt eine Bedeutung.

*

Die Aufgabe, die die Wissenschaftslehre sich gestellt hat, war nicht das transzendent-dogmatische Projekt, die Welt und alles, was in ihr vorkommt, aus ihren Ursachen zu er-klären, nämlich so, dass aus der Ersten Ursache alles andere mit Notwendigkeit erfolgen musste. Das hatten die metaphysischen Systeme vor Kants kopernikanischer Wende ver-sucht.

Die Transzendentalphilosophie wusste sich damit zu bescheiden, das vorgefundene Fak-tum der Vernunft zu erklären. Sie muss nicht erklären, weshalb ein Ich 'sich gesetzt hat': Es hat es getan, das ist das Faktum, von dem wir ausgehen müssen. Dass das Auftreten der Vernunft in der Welt notwendig war, kann und darf sie gar nicht behaupten, denn dazu müsste sie hinter die Vernunft zurückgreifen - vor den Punkt, als 'es' sie 'gab'. Dazu müsste sie der Vernunft entraten. Die war aber Ausgangs- und Zielpunkt der Transzen-dentalphilophie.

*

Insofern kann man Fichte der Inkonsequenz nicht zeihen. Denn mit seinem Einknicken vor Jacobi und seiner Bereitschaft, den Glauben der Vernunft voranzuschicken, hat er genau das getan: der Vernunft entraten.

JE, 1. 6. 18    

Dienstag, 23. Mai 2023

Der erste Grundsatz ist ein Postulat.

                                                               aus Philosophierungen
                                     
2. Keine von beiden Meinungen scheinen die Besseren, die sich dagegen auflehnen, zu haben. Prof. Beck eifert auch gegen das Suchen eines ersten Grundsatzes. Er meint, die Philosophie müsse ausgehen von einem Postulate, dieses ist aber auch ein Erstes, das nicht weiter bewiesen werden wird, also auch ein Grundsatz. Grundsatz ist jede Erkennt-nis, die nicht weiter bewiesen werden soll. Wer also ein Postulat angibt, gibt auch einen Grund- satz an.

Der Prof. Beck hat den Akzent auf / 'Satz' gelegt, und soll sein etwas Objektives, Gefun-denes, aus dem durch Analyse herausgebracht wird. Aber wer hat ihn geheißen, Grund-satz so zu erklären? Die Philosophie soll nicht gefunden werden in einem Gegebenen, sondern durch synthetisches Fortschreiten.

Der Satz des Bewusstseins* ist bei Reinhold ein Faktum; durch bloße Zergliederung des-sen, was in diesem Satze liegt, soll nach seiner Behauptung die ganze Philosophie zustan-de kommen. Ein Verfahren, das mit Recht zu tadeln ist. 

[*) "Im Bewußtsein wird die Vorstellung vom Vorstellenden und Vorgestellten unterschieden und auf beides bezogen." nach Eisler, Wörterbuch]

Die Wissenschaftslehre stellt zuerst auf ein Ich, dies will sie aber nicht analysieren; dies würde eine leere Philosophie sein, sondern sie lässt dieses Ich nach seinen eigenen Geset-zen handeln und dadurch eine Welt konstruieren; dies ist keine Analyse, sondern eine im-mer fortschreitende Synthese. Übrigens ist es richtig, dass man in der Philosophie von einem Postulate ausgehen müsse; auch die Wissenschaftslehre tut dies und drückt es durch Tathandlung aus. 

Dies Wort wurde nicht verstanden. Es heißt aber und soll nichts anderes heißen, als man soll innerlich handeln und diesem Handeln zusehen. Wer also einem andern die Philoso-phie vorträgt, der muss ihn aufforderndiese Handlung vorzunehmen, er muss also po-stulieren.
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J. G. Fichte,Wissenschaftslehre nova methodo, Hamburg 1982, S. 27f.




Nota I. - Nicht der Grundsatz trägt das System, sondern das System rechtfertigt den Grundsatz - indem es trägt.

Bedenke: Der postulierte Grundsatz ist nicht spekulativ aus der Luft gegriffen, sondern wurde aufgefunden im ersten, analytischen Gang der Transzendentalphilosophie. Er ward erwiesen, indem von ihm aus das Gebäude der Vernunft rekonstruiert wurde.



Nota II. - Der erste Grundsatz kann nur ein Postulat sein. Das System, von dem die Rede ist, ist das System der Vernunft es besteht in der Realität, aber seine eigne Realität ist Vorstellung. Es geht nicht, wie in den rationalistischen metaphysischen Systemen, um eine (sinngeladene) Tatsache - die Unmöglichkeit, eine solche nachzuweisen, ist das eigene Problem dieser Systeme. Aus dem Kreis der Vorstellungen treten wir nirgends hinaus. 

Wenn wir eine erste Vorstellung ausgemacht haben, können wir nicht anders, als uns einen Vorstellenden hinzu vorzustellen. Wollten wir ihm diese oder jede Bestimmtheit zugedenken, müssten wir einen - bestimmten - Bestimmenden hinzudenken; und so weiter in infinitum. Wir hätten nur die 'erste' Vorstellung immer weiter nach vorn ver-schoben, wären aber einem bestimmten ersten Vorstellenden nicht näher gekommen.

Es muss daher ein unbestimmter erster Vorstellender, erster Bestimmender hinzugedacht werden, sonst bekommen wir nie einen. Also einen, der von nichts hergeleitet werden kann, sonst wäre er bestimmt. Wenn wir ihn aber an den Anfang des Systems setzen wol-len, können wir nicht anders, als ihn zu postulieren; als einen unbestimmten Vorstellen-den, der sich selbst bestimmt.
18. 11. 18

Nota III. - Was schließlich die spezifische qualitas des Ichs ausmacht - die Ichheit: ein prädikatives Vermögen -, wird bis zum Schluss nicht erklärt oder hergeleitet. Wir wissen davon, weil wir uns tätig seiner bedienen, und das dürfen wir voraussetzen. Mehr setzt die Wissenschaftslehre nicht voraus und braucht sie nicht vorauszusetzen.
JE, 24. 9. 22


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Montag, 22. Mai 2023

Ein erster, schlechthin unbedingter Grundsatz (II).

                                                                 zu Philosophierungen

§ 1.
 Erster, schlechthin unbedingter Grundsatz.


Wir haben den absolut-ersten, schlechthin unbedingten Grundsatz alles menschlichen Wissens aufzusuchen.

Beweisen oder bestimmen lässt er sich nicht, wenn er absolut-erster Grundsatz seyn soll. Er soll diejenige Thathandlung ausdrücken, welche unter den empirischen Bestim-mungen unseres Bewusstseyns nicht vorkommt, noch vorkommen kann, sondern viel-mehr allem Bewusstseyn zum Grunde liegt, und allein es möglich macht. Bei Darstellung dieser Thathandlung ist weniger zu befürchten, dass man sich in etwa dabei dasjenige nicht denken werde, was man sich zu denken hat – dafür ist durch die Natur unseres Geistes schon gesorgt – als dass man sich dabei denken werde, was man nicht zu denken hat. Dies macht eine Reflexion über dasjenige, was man etwa zunächst dafür halten könnte, und eine Abstraction von allem, was nicht wirklich dazu gehört, nothwendig. 

Selbst vermittelst dieser abstrahirenden Reflexion nicht – kann Thatsache des Bewusst-seyns werden, was an sich keine / ist; aber es wird durch sie erkannt, dass man jene That-handlung, als Grundlage alles Bewusstseyns, nothwendig denken müsse. ... 

Die Gesetze, nach denen man jene Thathandlung sich als Grundlage des menschlichen Wissens schlechterdings denken muss, oder – welches das gleiche ist – die Regeln, nach welchen jene Reflexion angestellt wird, sind noch nicht als gültig erwiesen, sondern sie werden stillschweigend, als bekannt und ausge-macht, vorausgesetzt. Erst tiefer unten werden sie von dem Grundsatze, dessen Aufstellung bloss unter Bedingung ihrer Richtig-keit richtig ist, abgeleitet. Dies ist ein Cirkel; aber es ist ein unvermeidlicher Cirkel.
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J. G. Fichte, Grundlage der gesammten Wissenschaftslehre, SW Bd. I, S. 91f.
 

Nota. - Wenn es aber zirkulär ist, dann ist es kein Wissen. Wenn am oberen Ende genau-soviel steht wie am unteren, dann ist nichts hinzukommen - und das Wissen folglich leer.

Dies, wenn die Wissenschaftslehre eine logische Herleitung aus gegebenen Begriffen wäre - so wie die metaphysischen Systeme vor Kant. Die Wissenschaftslehre ist dagegen ein retroaktives Postulat. Sie ist keine Konstruktion der Wirklichkeit aus Prämissen, sondern eine eine experimentelle Untersuchung des Gangs unserer Vorstellungstätigkeit. Es wird der Untersuchung eine problematische Behauptung zu Grunde gelegt - und nur, wenn nach Abschluss der Untersuchung nicht mehr und nicht weniger und schon gar nichts anderes steht als am Anfang; nur, wenn nichts hinzugekommen und der Zirkel lückenlos geschlossen ist, hat sich die problematische Eingangsbehauptung bewährt.

Was immer es tut: Das Ich 'setzt sich', indem es sich ein/em Nichtich entgegensetzt - und zwar immer fort. Alle Tätigkeit des Ich ist Fortschreiten in der Bestimmung von Unbe-stimmtem. Von nicht anderem kann es wissen. Das ist - zusammenfassend - leicht gesagt. Doch um es einzusehen, war die hirnbrechende Ochsentour der Wissenschaftslehre un-umgänglich. Der sachliche Gehalt der realen Wissenschaften wird davon um keinen Deut erweitert. Aber sie können nun ihres Wissens gewiss sein - 
wenn anders Wissen über-haupt möglich sein soll.

Die Frage Was ist Wissen? - oder: Was ist wahr? - formuliert Fichte um in: Wie kommen wir zu der Annahme, dass einigen unserer Vorstellungen Dinge außerhalb unserer Vor-stellungen entsprechen? Das ist der prosaische Kern, der in der pompösen Frage nach der Wahrheit drinsteckt. 
29. 7. 18

Nota II. - Das ist nun nicht das Verfahren, das im gestrigen Eintrag als das angemessene vorgestellt wurde: Statt dass ein problematisches Postulat an der Durchführung des Sys-tems geprüft wurde, wird ein Behauptung dogmatisch zu Grunde gelegt, die als schlecht-hin unbedingt zu glauben ist - denn bei den weiteren Ausführungen handelt es sich ledig-lich um Erläuterungen, die man erwägen, aber auch pauschal von der Hand weisen kann.

Die oben zitierte Grundlage war die erste und blieb die einzige Gesamtdarstellung der Wissenschaftslehre, die Fichte niedergeschrieben hat. Doch unter prekären Umständen: Eine Vorlesung wurde an den Universitäten wörtlich aufgefasst. Den Professoren war vorgeschrieben, anhand welcher Lehrbücher sie ihre sie ihre Darlegungen vorzutragen hatten, und daraus lasen sie vor, weil die Lehrbücher unerschwinglich teuer und in den Universitätsbibliotheken kaum einzusehen waren. Dazu machten sie - wie z. B. Kant reichlich - eigene Ausführungen.

Für die gänzlich neue Wissenschaftslehre gab es noch kein Lehrbuch, und so ließ Fichte die einzelnen Lektionen Woche für Woche als Manuskript drucken und den Studenten zum Mitlesen verteilen. Dass einer solchen Darstellung, die ihren eigenen Abschluss erst vage vorahnen konnte, an Überzeugungskraft fehlen müsse, sei ihm schon bald aufgefal-len, sagt er später, und dachte schon während der ersten Vorlesungsreihe an eine gänzlich überarbeitete Vortragsweise. Im Philosophischen Journal erschienen einige Einleitungs-versuche, doch systematisch hat Fichte die neue Darstellung erst mit der Vorlesungsrei-he nova methodo durchgeführt.

Der formal wichtigste Unterschied ist, dass das Eingangspostulat nicht scheinbar aus der Luft gegriffen wird - tatsächlich hatte F. es in der Schrift  Über den Begriff der Wissen-schaftslehre vorbereitet -, sondern wird dargestellt als aufgefunden als Folge der Kant-schen Vernunftkritik: freigelegt unter allen wirklich-zufälligen Bestimmungen der histo-risch gewordenen Vernunft als die reine, unbestimmte und sich selbst bestimmende prä-dikative Qualität.

Der sachlich entscheidende Unterschied ist, dass F. erkannt hat, dass er das sich-selbst-Bestimmen der unbestimmten prädikativen Qualität nicht darstellen kann in den Begrif-fen und Schlussregeln, über die erst die ausgebildeten Vernunft (Newton et. al.) verfügen konnte, sondern in den anschaulichen Bildern, in der lebendiges Vorstellen wirklich ge-schieht. Man muss sich zu metaphorischem Ausdruck bescheiden, zu dessen Verständnis niemanden nötigen kann. Die Wissenschaftslehre bleibt von vorn bis hinten auf den frei-en Willen angewiesen (während die Grundlage ein Cirkel ist, dem keiner entkommen kann, der sich unvorsichtig einmal darauf eingelassen hat).
JE 25. 9. 22


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Sonntag, 21. Mai 2023

Vernunftkritik ist nur als Regress möglich.

                                                                 zu Philosophierungen

... Dies ist ein Cirkel; aber es ist ein unvermeidlicher Cirkel. [vgl. Über den Begriff der Wissenschaftslehre §7] Da er nun unvermeidlich, und frei zugestanden ist, so darf man auch bei Aufstellung des höchsten Grundsatzes auf alle Gesetze der allgemeinen Logik sich berufen.  Wir müssen auf dem Wege der anzustellenden Reflexion von irgend einem Satze ausgehen, den uns Jeder ohne Widerrede zugiebt. Dergleichen Sätze dürfte es wohl auch mehrere geben. Die Reflexion ist frei; und es kommt nicht darauf an, von welchem Puncte sie ausgeht. Wir wählen denjenigen, von welchem aus der Weg zu unserem Ziele am kürzesten ist. /

So wie dieser Satz zugestanden wird, muss zugleich dasjenige, was wir der ganzen Wissen-schaftslehre zum Grunde legen wollen, als Thathandlung zugestanden seyn: und es muss aus der Reflexion sich ergeben, dass es als solche, zugleich mit jenem Satze, zugestanden sey. – Irgend eine Thatsache des empirischen Bewusstseyns wird aufgestellt; und es wird eine empirische Bestimmung nach der anderen von ihr abgesondert, so lange bis dasjeni-ge, was sich schlechthin selbst nicht wegdenken und wovon sich weiter nichts absondern lässt, rein zurückbleibt.
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J. G. Fichte, Grundlage der gesammten Wissenschaftslehre, SW Bd. I, S. 91f.
 

Nota. - Sachlich tut er nichts anderes, als er später in den Nova methodo vorschreiben wird: Er zieht von dem wirklichen Denken aller Angehöriger der Reihe vernünftiger We-sen, wie er später sagen wird, eine Bestimmungsschicht nach der andern ab wie die Häute einer Zwiebel, und behält am Ende nur den actus purus übrig. 

Seinen Ausgangspunkt hat er aber gewählt, weil er ihn der kürzeste dünkt. Das sei ihm geschenkt, wenn er denn auf diesem Weg zum Ziel kommt. Kommt er aber zum Ziel? Er sagt: Logisch sei es egal, ob man an diesem Punkt oder einem andern beginnt, sie liegen ja alle im System und bedingen einander, und was für den einen gilt, gilt auch für die andern. Das ist aber ein "Cirkel", der ganz und gar nicht unvermeidbar, sondern sogar viciös ist: Dass das Reich der Vernunft ein regelmäßiges System aus logischen Sätzen ist, setzt er als ganz selbstverständlich voraus - obwohl das doch eben die Prätention ist, die die "Ver-nunftkritik" prüfen soll.

Wenn aber das Aufkommen der Vernunft ein Progressus war, kann dessen Revision nur als Regressus durchgeführt werden. Seine Vorstellung vom Weg der Vernunft war aber von Anbeginn zwiespältig.
JE,  26. 9. 22
 

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Samstag, 20. Mai 2023

Verfahren.

                           zu Wissenschaftslehre - die fast vollendete Vernunftkritik

11) Von allem, was dem Ich zukommt, muss kraft der blossen Gegensetzung dem Nicht-Ich das Gegentheil zukommen

(Es ist die gewöhnliche Meinung, dass der Begriff des Nicht-Ich ein discursiver, durch Abstraction von allem Vorgestellten entstandener Begriff sey. Aber die Seichtigkeit dieser Erklärung lässt sich leicht darthun. So wie ich irgend etwas vorstellen soll, muss ich es dem Vorstellenden entgegensetzen. Nun kann und muss allerdings in dem Objecte der Vorstellung, irgend ein X liegen, wodurch es sich als ein Vorzustellendes, nicht aber als das Vorstellende entdeckt; aber dass alles, worin / dieses X liege, nicht das Vorstellende, sondern ein Vorzustellendes sey, kann ich durch keinen Gegenstand lernen; vielmehr sieht es nur unter Voraussetzung, jenes Gesetzes erst überhaupt einen Gegenstand)

Aus dem materialen Satze: Ich bin, entstand durch Abstraction von seinem Gehalte der bloss formale und logische: A = A. Aus dem im gegenwärtigen § aufgestellten entsteht durch die gleiche Abstraction der logische Satz: – A nicht = A; den ich den Satz des Gegensetzens nennen würde. Er ist hier noch nicht füglich zu bestimmen, noch in einer wörtlichen Formel auszudrücken; wovon der Grund sich im folgenden § ergeben wird. Abstrahirt man endlich von der bestimmten Handlung des Urtheilens ganz, und sieht bloss auf die Form der Folgerung vom Entgegengesetztseyn auf das Nicht-Seyn, so hat man die Kategorie der Negation. Auch in diese ist erst im folgenden § eine deutliche Einsicht möglich.
______________________________________________________________________J. G. Fichte, Grundlage der gesammten Wissenschaftslehre, in SW I, Berlin 1845/1846, S. 101-105.


Nota. - Logisch gibt es keinen Unterschied zwischen setzen und entgegensetzen - in de-nen steckt unvermerkt ein Handelnder längst drin. Der wiederum lässt sich logisch von einem Nichthandelnden nicht unterscheiden. In der Logik kommen nur Begriffe vor, und die Schlüsse scheinen sich ganz von selbst zu ziehen - für einen Schlüssezieher vulgo Ich gibt es nicht einmal ein vereinbartes Symbol. Und er lässt sich auch durch Spitzfindigkei-ten nicht hineinsophistizieren.

Die Darstellung nova methodo beginnt mit der reinen Agilität, und alles, was sie vor Augen führt, ist nichts als was sie tut. Sie beschreibt nicht, was ist (unter anderem), son-dern was geschehen kann, nachdem und weil ihm anderes vorausgegangen ist. Das ist keine logische, sondern eine genetische Darstellung. Sie beschreibt keine Zustände oder Verhältnisse, sondern Wirkungen. Mit anderen Worten: Sie handelt nicht von Begriffen und ihren logischen Verhältnissen, sondern von Tä-tigkeit und ihrer Bedingung - dem freien Willen.

Die Darstellung der Grundlage wollte mit Begriffen Verständnis erzwingen, doch schon im Zweiten Grundsatz stellt sie den guten Willen des Lesers auf die Probe. Nova metho-do macht dagegen keinen Hehl daraus, dass es zur Wissenschaftslehre keinen Zugang gibt als die eigene Vorstellungsarbeit. Sie ist Schritt für Schritt nur durch Freiheit möglich, und was für eine Philosophie man wählt, hängt davon ab, was für ein Mensch man ist.
16. 6. 17

Nota II. - Eben fällt mir ein: Die Wissenschaftslehre ist ein System der Entwicklung. - Die Hegelsche Phänomenologie und Logik doch aber auch!-? Nun ja - Entwicklung ist bei Fichte Bewegung, Agilität;  bei Hegel aber das statisch Nacheinander von Zuständen, Mo-menten; Bewegung, sondern ein Perlenkette. Bei Fichte Werden, bei Hegel Eins-nach-dem-andern. Kurz gesagt: in der Wissenschaftslehre analog, bei Hegel digital, hier an-schaulich, dort diskursiv und in Begriffen; hier strömts, da humpelts.
JE



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Dynamische Darstellung, statische Kritik, I.

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