Freitag, 30. September 2022

Unbedingt; oder Sein und Gelten.

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Nur, was ist, kann unbedingt sein. Das Universum, aufgefasst als Gesamtheit alles dessen, was ist – als Raum-Zeit– bzw. Energie-Masse-Kontinuum –, ist unbedingt. Denn es ist nichts neben, d. h. außer ihm, das es bedingen könnte. Das Universum ist unbedingt und ergo kontingent.*

Das Reich der Logik ist das Reich der Geltungen. Eines gilt nur für (mindestens) eines – ein anderes. Geltung ist ein Verhältnis. Ein Verhältnis ist nicht unbedingt, sondern be-dingt durch zwei, die im Verhältnis stehen. Was ist, kann nicht für etwas sein. Es kann für ein anderes nur 'als seiend gelten'. Ein Verhältnis, das unbedingt ist, ist kein Verhältnis, sondern selber ein Seiendes. Ein Seiendes, das ohne das Sein eines anderen nicht ist, ist nicht: Lediglich das Zusammen-Sein beider ist. Ein reeller Wirkungszusammenhang ist.



Wo sollten Husserls noemai als elementare, irreduzible un-bedingte Geltungseinheiten 'sein'? In Raum und Zeit? Dort wären sie entweder notwendig oder kontingent. Sind sie notwendig, so sind sie bedingt durch das, was sie notwendig macht; nicht elementar, nicht irreduzibel. Sind sie an-sich, können sie nur kontingent sein. Aber dann treten sie nicht in ein Verhältnis. Sie können nur an-sich gelten, aber nicht für eines. Sind sie außerhalb von Raum und Zeit, so ist nicht zu verstehen, wie sie innerhalb von Raum und Zeit für eines werden können. Sie sind nicht von dieser Welt, und damit gut.

Sein und Gelten sind ihrerseits Geltungen. Sie 'sind'   gelten als seiend   nur für eines. Alles, was gilt, gilt bedingt.

*) Es ist historisch-bedingt durch den Urknall. Aber der ist seinerseits un-bedingt, sonst wäre er nicht Ur-Knall. 


•Juni 26, 2010 


Nachtrag. Nur "ein reeller Wirkungszusammenhang ist" - darauf läuft es hinaus. Es ist das Ergebnis der Reflexion, das man ihr logisch als ihren Sinn voraussetzen muss. Real ist nur wirken - erst in der Reflexion treten ein Wirkendes und ein Objekt auseinander: weil wirken in seiner Verlaufsform nicht denk bar ist - nicht Gegenstand der Reflexion wer-den, sondern nur angeschaut werden kann -, aber als bloße Anschauung nicht mitteilbar ist.

In der Wirklichkeit nehmen wir nichts als 'Objekt' wahr, sondern ein jedes geltend entwe-der als Dieses oder als Jenes, und wenn nicht, dann gilt es als unbestimmt. Wenn es nicht einmal als das gilt, dann... ist es nicht wahrgenommen worden und hätte ebensogut gar nicht da sein können.
JE. 25. Januar 2019



Nota. Das obige Foto gehört mir nicht, ich habe es im Internet gefunden. Wenn Sie der Eigentümer sind und seine Verwendung an dieser Stelle nicht wünschen, bitte ich um Nachricht auf diesem Blog. JE

Donnerstag, 29. September 2022

Wahrheit ist eine praktische Kategorie.

Rainer Sturm  / pixelio.de
Anders als die Gesetze der Geometrie ist die Annahme einer Wahrheit als konstitutivem Grund aller wahren Sätze nicht evident

Wer sagt, er könne die Sätze des Pythagoras nicht einsehen, der ist von Sinnen oder er will nicht. Dass 'es Wahrheit gibt', bestreiten dagegen viele, heute wie gestern. Es gebe nur Wahrheiten, nicht als eine Ganzheit, sondern ein möglicherweise endloses Neben- und Miteinander einzelner wahrer Sätze. Das mag man so einsichtig finden wie das Gegenteil, und der pragmatisch-skeptizistischen Grundstimmung der realen Wissenschaften liegt es heute sogar näher.

Dagegen kann man einwenden, dass allen Wahrheitsatomen dann immerhin diese eine Qualität gemeinsam wäre: wahr zu sein (oder richtig oder zutreffend oder wie immer man es nennen will). Das ist aber Ergebnis einer Reflexion aus vorab bestimmten Begriffe, und eben nicht unmittelbar einleuchtend.

Und es ist "bloß ein Gedanke", von dem keiner sagen kann, ob ihm in der Wirklichkeit etwas entspricht...

*

Nun wäre Wahrheit, ob es sie nun gibt oder nicht, keine Qualität des Wirklichen. Was ist, ist, und ist so, wie es ist. Es ist zwar richtig, dass 'es' die Qualitäten der Objekte nur 'gibt' als Antworten auf die Fragen, die Subjekte ihnen stellen. Ob sie antworten, liegt im Sub-jekt. Aber dass sie mit ja oder nein antworten, liegt daran, dass sie so oder so sind. 


Wahrheit ist keine Eigenschaft des Seienden. Wahrheit ist eine Eigenschaft von Sätzen, und die sind zunächst 'bloß ein Gedanke'. Wahr ist ein Satz, der gilt. Wenn er nur unter Bedingungen gilt, ist er nur bedingt wahr. Wenn er ohne Bedingungen gilt, ist er unbe-dingt wahr. Und das kann man denken. Gibt es mehrere Sätze, die unbedingt gelten, dann 'gibt es' die Qualität des Unbedingtgeltens.

Sätze über Erscheinungen in Raum und Zeit, vulgo in der Wirklichkeit, stehen unter den Bedingungen von Raum und Zeit. Dass sie unbedingt gelten könnten, wäre ein Wider-sinn.

In den Realwissenschaften kann es die Wahrheit nicht geben. Da reicht die Annahme einer Menge von einzelnen Wahrheitsatomen völlig aus, und da sie in Raum und Zeit bedingt sind, sind sie nur vorläufig. Mehr anzunehmen untergrübe die Wissenschaft.

*

Fichte betrieb nicht Realwissenschaft, sondern Wissenschaftslehre. Dass er sie auf einem Zirkel begründen musste, hat er den Skeptikern, die damals so in Mode waren wie heute, freimütig eingeräumt:

"Ueber diesen Cirkel hat man nun nicht Ursache betreten zu seyn. Verlangen, dass er ge-hoben werde, heisst verlangen, dass alles menschliche Wissen nur bedingt seyn, und dass kein Satz an sich, sondern jeder nur unter der Bedingung gelten solle, dass derjenige, aus dem er folgt, gelte, mit einem Worte, es heisst behaupten, dass es überhaupt keine unmit-telbare, sondern nur vermittelte Wahrheit gebe – und ohne etwas, wodurch sie vermittelt wird."*

So muss, wer an die realen Wissenschaften mit dem Maßstab der formalen Logik heran-ginge, zugeben, dass auch sie 'vorübergehend' davon ausgehen muss, dass das, was jetzt gilt, gilt. Doch die Prämisse beruht auf einem Zirkel und gilt selber daher nur problema-tisch. In den reellen, 'theoretischen' Wissenschaften ist das kein wirklicher Mangel, denn der Wert ihrer Sätzen wird nicht an der Wahrheit gemessen, sondern daran, ob sie sich - technologisch oder forschungspraktisch - bewähren. Solange sie das tun, schadet es nichts, sie so anzusehen, als ob sie wahr wären - denn daran liegt nichts. Ob es "etwas gibt, wodurch sie vermittelt werden", muss sie nicht kümmern; Realwissenschaft ist nur vorläufig.

*

Ob es 'Geltung überhaupt' gibt, die nicht durch (wechselnde) Umstände von Raum und Zeit bedingt ist, wird zu einer Frage überhaupt nur für einen, dem es darum geht, sein Leben zu führen. Darf, kann, muss er das nach Lust und Laune tun, oder gibt es etwas, woran er sich halten soll? - Die Frage nach der Wahrheit ist ein praktisches Problem; von Evidenz ist keine Spur.




Mittwoch, 28. September 2022

Der dritte, formal bedingte Grundsatz der Wissenschaftslehre.


 
§ 3. Dritter, seiner Form nach bedingter Grundsatz.                           zu Philosophierungen

[105] Mit jedem Schritte, den wir in unserer Wissenschaft vorwärts thun, nähern wir uns dem Gebiete, in welchem sich alles erweisen lässt. Im ersten Grundsatze sollte und konn-te gar nichts erwiesen werden; er war der Form sowohl als dem Gehalte nach unbedingt, und ohne irgend einen höheren Grund gewiss. Im zweiten liess zwar die Handlung des Entgegensetzen, sich nicht ableiten; wurde aber nur sie ihrer blossen Form nach unbe-dingt gesetzt, so war streng erweislich, dass das Entgegengesetzte = Nicht-Ich sein müss-te. Der dritte ist fast durchgängig eines Beweises fähig, weil er nicht, wie der zweite dem Gehalte, sondern vielmehr der Form nach, und nicht wie jener, von Einem, sondern von Zwei Sätzen bestimmt wird.

Er wird der Form nach bestimmt, und ist bloss dem Gehalte nach unbedingt – heisst: die Aufgabe für die Handlung, die durch ihn aufgestellt wird, ist bestimmt durch die vor-hergehenden zwei Sätze gegeben, nicht aber die Lösung[105] derselben. Die letztere ge-schieht unbedingt und schlechthin durch einen Machtspruch der Vernunft.

Wir heben demnach mit einer Deduction an, und gehen mit ihr, so weit wir können. Die Unmöglichkeit sie fortzusetzen wird uns ohne Zweifel zeigen, wo wir sie abzubrechen, und uns auf jenen unbedingten Machtspruch der Vernunft, der sich aus der Aufgabe ergeben wird, zu berufen haben.

A.


1) Insofern das Nicht-Ich gesetzt ist, ist das Ich nicht gesetzt; denn durch das Nicht-Ich wird das Ich völlig aufgehoben.
 
Nun ist das Nicht-Ich im Ich gesetzt: denn es ist entgegengesetzte aber alles Entgegenset-zen setzt die Identität des Ich, in welchem gesetzt, und dem gesetzten entgegengesetzt wird, voraus.
 
Mithin ist das Ich im Ich nicht gesetzt, insofern das Nicht-Ich darin gesetzt ist.
 
2) Aber das Nicht-Ich kann nur insofern gesetzt werden, inwiefern im Ich (in dem identi-schen Bewusstseyn) ein Ich gesetzt ist, dem es entgegengesetzt werden kann.
 
Nun soll das Nicht-Ich im identischen Bewusstseyn gesetzt werden. Mithin muss in dem-selben, insofern das Nicht – Ich gesetzt seyn soll, auch das Ich gesetzt seyn.
 
3) Beide Schlussfolgen sind sich entgegengesetzt: beide sind aus dem zweiten Grundsatze durch eine Analyse entwickelt, und mithin liegen beide in ihm. Also ist der zweite Grund-satz sich selbst entgegengesetzt, und hebt sich selbst auf.
 
4) Aber er hebt sich selbst nur insofern auf, inwiefern das gesetzte durch das entgegenge-setzte aufgehoben wird, mithin, inwiefern er selbst Gültigkeit hat. Nun soll er durch sich selbst aufgehoben seyn, und keine Gültigkeit haben.
 
Mithin hebt er sich nicht auf.
 
Der zweite Grundsatz hebt sich auf; und er hebt sich auch nicht auf.[106] 

5) Wenn es sich mit dem zweiten Grundsatze so verhält, so verhält es sich auch mit dem ersten nicht anders Er hebt sich selbst auf, und hebt sich auch nicht auf. Denn ist Ich = Ich, so ist alles gesetzt, was im Ich gesetzt ist.
 
Nun soll der zweite Grundsatz im Ich gesetzt seyn, und auch nicht im Ich gesetzt seyn.
 
Mithin ist Ich nicht Ich, sondern Ich = Nicht-Ich, und Nicht-Ich = Ich.

Quelle: J. G. Fichte, Grundlage der gesammten Wissenschaftslehre  in: Johann Gottlieb Fichtes sämmtliche Werke. Band 1, Berlin 1845/1846,  


Nota. - Ich denke, ich höre hier mit der Wiedergabe auf. Es ist mühselig genug, der Argu-mentation überhaupt zu folgen. Ob sie beweisen kann, was sie beweisen soll, verlangt nach einer eigenen Untersuchung. Und immer auf das Risiko hin, schließlich doch an die Fertigstellung des Gesamtsystems verwiesen zu werden. 

Man versteht, wie Kant sagen konnte, die Wissenschaftslehre sei "bloße Logik" - ohne sich aber gehalten zu fühlen, näher auf sie einzugehen. Von der Darstellung nova metho-do, in der Vorstellungen aus der Vorstellung von Aufgaben entwickelt werden, konnte er nicht kennen. Sie und ich aber können es - damit sind wir reichlich bedient. Der Versuch, sie aus bloßen Begriffen zu konstruieren, von denen zum gegebenen Zeitpunkt noch gar nicht gesagt werden kann, woher sie kommen, führt zu einer Hirnverrenkung, die nicht nur unangenehm ist, sondern auch keinerlei zusätzliche Erkenntnis beschert. Es ist schon richtig: Die Transzendentalphilosophie beginnt nicht mit einem oder gar drei ersonnenen Grundsätzen, sondern mit einem Postulat: Aufforderung und Anleitung zum Selbsthan-deln.
JE

Verfahren.

                                                                                 zu Philosophierungen

§ 2. Zweiter, seinem Gehalte nach bedingter Grundsatz

Aus dem gleichen Grunde, aus welchem der erste Grundsatz nicht bewiesen, noch abge-leitet werden konnte, kann es auch der zweite nicht. Wir gehen daher auch hier, gerade wie oben, von einer Thatsache des empirischen Bewusstseyns aus, und verfahren mit derselben aus der gleichen Befugniss auf die gleiche Art.

1) Der Satz: – A nicht = A, wird ohne Zweifel von Jedem für völlig gewiss und ausge-macht anerkannt, und es ist kaum zu erwarten, dass Jemand den Beweis desselben for-dere.

2) Sollte aber dennoch ein solcher Beweis möglich seyn, / so könnte er in unserem Systeme (dessen Richtigkeit an sich freilich noch immer bis zur Vollendung der Wissen-schaft problematisch ist) nicht anders als aus dem Satze: A = A, geführt werden.

3) Ein solcher Beweis aber ist unmöglich. Denn setzet das äusserste, dass nemlich der aufgestellte Satz dem Satze: – A= – A, mithin – A irgend einem im Ich gesetzten Y völlig gleich sey, und er nun soviel heisse, als: wenn das Gegentheil von A gesetzt ist, so ist es gesetzt: so wäre hier der gleiche Zusammenhang (= X) schlechthin gesetzt, wie oben; und es wäre gar kein vom Satze A = A abgeleiteter, und durch ihn bewiesener Satz, sondern es wäre dieser Satz selbst... Und so steht denn auch wirklich die Form dieses Satzes, insofern er blosser logischer Satz ist, unter der höchsten Form, der Förmlichkeit überhaupt, der Einheit des Bewusstseyns.

4) Es bleibt gänzlich unberührt die Frage: Ist denn, und unter welcher Bedingung der Form der blossen Handlung ist denn das Gegentheil von A gesetzt. Diese Bedingung ist es, die sich vom Satze A – A müsste ableiten lassen, wenn der oben aufgestellte Satz selbst ein abgeleiteter seyn sollte. Aber eine dergleichen Bedingung kann sich aus ihm gar nicht ergeben, da die Form des Gegensetzens in der Form des Setzens so wenig enthalten wird, dass sie ihr vielmehr selbst entgegengesetzt ist. Es wird demnach ohne alle Bedin-gung und schlechthin entgegengesetzt. – A ist, als solches, gesetzt schlechthin, weil es gesetzt ist.

Demnach kommt unter den Handlungen des Ich, so gewiss der Satz – A nicht = A unter den Thatsachen des empirischen Bewusstseyns vorkommt, ein Entgegensetzen vor; und dieses Entgegensetzen ist seiner blossen Form nach eine schlechthin mögliche, unter gar keiner Bedingung stehende, und durch keinen höheren Grund begründete Handlung.

(Die logische Form des Satzes als Satzes steht, (wenn der Satz aufgestellt wird – A = – A unter der Bedingung der Identität des Subjects, und des Prädicats (d. i. des vorstellen-den, und des als vorstellend vorgestellten Ich; S. 96. d. Anmerk.). Aber selbst die Möglichkeit des Gegensetzens an sich setzt die Identität des Bewusstseyns voraus; und der /
Gang des in dieser Function handelnden Ich ist eigentlich folgender: A (das schlechthin gesetzte) = A (dem, worüber reflectirt wird). Diesem A, als Objecte der Reflexion, wird durch eine absolute Handlung entgegengesetzt – A, und von diesem wird geurtheilt, dass es auch dem schlechthin gesetzten A entgegengesetzt sey, weil das erstere dem letzteren gleich ist; welche Gleichheit sich (§ 1.) auf die Identität des setzenden und des reflectirenden Ich gründet. – Ferner wird vorausgesetzt, dass das in beiden Handlungen handelnde, und über beide urtheilende Ich das gleiche sey. Könnte dieses selbst in beiden Handlungen sich entgegengesetzt seyn, so würde – A seyn = A. Mithin ist auch der Uebergang vom Setzen zum Entgegensetzen nur durch die Identität des Ich möglich)

5) Durch diese absolute Handlung nun, und schlechthin durch sie, wird das entgegenge-setzte, insofern es ein entgegengesetztes ist (als blosses Gegentheil überhaupt) gesetzt. Jedes Gegentheil, insofern es das ist, ist schlechthin, kraft einer Handlung des Ich, und aus keinem anderen Grunde. Das Entgegengesetztseyn überhaupt ist schlechthin durch das Ich gesetzt.

6) Soll irgend ein – A gesetzt werden, so muss ein A gesetzt seyn. Demnach ist die Handlung des Entgegensetzens in einer anderen Rücksicht auch bedingt. Ob überhaupt eine Handlung möglich ist, hängt von einer anderen Handlung ab; die Handlung ist dem-nach der Materie nach, als ein Handeln überhaupt, bedingt; es ist ein Handeln in Bezie-hung auf ein anderes Handeln. Dass eben so, und nicht anders gehandelt wird, ist unbe-dingt; die Handlung ist ihrer Form nach, (in Absicht des Wie) unbedingt.

(Das Entgegensetzen ist nur möglich unter Bedingung der Einheit des Bewusstseyns des setzenden, und des entgegensetzenden. Hinge das Bewusstseyn der ersten Handlung nicht mit dem Bewusstseyn der zweiten zusammen; so wäre das zweite Setzen kein Gegen set-zen, sondern ein Setzen schlechthin. Erst durch Beziehung auf ein Setzen wird es ein Gegensetzen).

7) Bis jetzt ist von der Handlung, als blosser Handlung, von der Handlungsart geredet worden. Wir gehen über zum Producte derselben = – A.

Wir können im – A abermals zweierlei unterscheiden; die Form desselben, und die Mate-rie. Durch die Form wird bestimmt, dass es überhaupt ein Gegentheil sey (von irgend einem X). Ist es einem bestimmten A entgegensesetzt, so hat es Materie; es ist irgend etwas Bestimmtes nicht.

8) Die Form von – A wird bestimmt durch die Handlung schlechthin; es ist ein Gegen-theil, weil es Product eines Gegensetzens ist: die Materie durch A; es ist nicht, was A ist; und sein ganzes Wesen besteht darin, dass es nicht ist, was A ist. – Ich weiss von – A, dass es von irgend einem A das Gegentheil sey. Was aber dasjenige sey, von welchem ich jenes weiss, kann ich nur unter der Bedingung wissen, dass ich A kenne.

9) Es ist ursprünglich nichts gesetzt, als das Ich; und dieses nur ist schlechthin gesetzt. (§ 1.) Demnach kann nur dem Ich schlechthin entgegengesetzt werden. Aber das dem Ich entgegengesetzte ist = Nicht-Ich.

10) So gewiss das unbedingte Zugestehen der absoluten Gewissheit des Satzes: – A nicht = A unter den Thatsachen des empirischen Bewusstseyns vorkommt: so gewiss wird dem Ich schlechthin entgegengesetzt ein Nicht-Ich. Von diesem ursprünglichen Entgegen-setzen nun ist alles das, was wir so eben vom Entgegensetzen überhaupt gesagt haben, abgeleitet; und es gilt daher von ihm ursprünglich: es ist also der Form nach schlechthin unbedingt, der Materie nach aber bedingt. Und so wäre denn auch der zweite Grundsatz alles menschlichen Wissens befunden.

11) Von allem, was dem Ich zukommt, muss kraft der blossen Gegensetzung dem Nicht-Ich das Gegentheil zukommen

(Es ist die gewöhnliche Meinung, dass der Begriff des Nicht-Ich ein discursiver, durch Abstraction von allem Vorgestellten entstandener Begriff sey. Aber die Seichtigkeit dieser Erklärung lässt sich leicht darthun. So wie ich irgend etwas vorstellen soll, muss ich es dem Vorstellenden entgegensetzen. Nun kann und muss allerdings in dem Objecte der Vorstellung, irgend ein X liegen, wodurch es sich als ein Vorzustellendes, nicht aber als das Vorstellende entdeckt; aber dass alles, worin / dieses X liege, nicht das Vorstellende, sondern ein Vorzustellendes sey, kann ich durch keinen Gegenstand lernen; vielmehr sieht es nur unter Voraussetzung, jenes Gesetzes erst überhaupt einen Gegenstand)

Aus dem materialen Satze: Ich bin, entstand durch Abstraction von seinem Gehalte der bloss formale und logische: A = A. Aus dem im gegenwärtigen § aufgestellten entsteht durch die gleiche Abstraction der logische Satz: – A nicht = A; den ich den Satz des Gegensetzens nennen würde. Er ist hier noch nicht füglich zu bestimmen, noch in einer wörtlichen Formel auszudrücken; wovon der Grund sich im folgenden § ergeben wird. Abstrahirt man endlich von der bestimmten Handlung des Urtheilens ganz, und sieht bloss auf die Form der Folgerung vom Entgegengesetztseyn auf das Nicht-Seyn, so hat man die Kategorie der Negation. Auch in diese ist erst im folgenden § eine deutliche Einsicht möglich.


Quelle:
Johann Gottlieb Fichtes sämmtliche Werke. Band 1, Berlin 1845/1846, S. 101-105.

Nota. - Logisch gibt es keinen Unterschied zwischen setzen und entgegensetzen - in denen steckt unvermerkt ein Handelnder längst drin. Der wiederum lässt sich logisch von einem Nichthandelnden nicht unterscheiden. In der Logik kommen nur Begriffe vor, und die Schlüsse scheinen sich ganz von selbst zu ziehen - für einen Schlüssezieher vulgo Ich gibt es nicht einmal ein vereinbartes Symbol. Und er lässt sich auch durch Spitzfindigkeiten nicht hineinsophistizieren.

Die Darstellung nova methodo beginnt mit der reinen Agilität, und alles, was sie vor Augen führt, ist nichts als was sie tut. Sie beschreibt nicht, was ist (unter ande-rem), sondern was geschehen kann, nachdem und weil ihm anderes vorausgegan-gen ist. Das ist keine logische, sondern eine genetische Darstellung. Sie beschreibt keine Zustände oder Verhältnisse, sondern Wirkungen. Mit anderen Worten: Sie handelt nicht von Begriffen und ihren logischen Verhältnissen, sondern von Tä-tigkeit und ihrer Bedingung - dem freien Willen.

Die Darstellung der Grundlage wollte mit Begriffen Verständnis erzwingen, doch schon im Zweiten Grundsatz stellt sie den guten Willen des Lesers auf die Probe. Nova methodo macht dagegen keinen Hehl daraus, dass es zur Wissenschaftslehre keinen Zugang gibt als die eigene Vorstellungsarbeit. Sie ist Schritt für Schritt nur durch Freiheit möglich, und was für eine Philosophie man wählt, hängt davon ab, was für ein Mensch man ist.
JE


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Montag, 26. September 2022

Vernunftkritik ist nur als Regress möglich.

                                zu Philosophierungen

... Dies ist ein Cirkel; aber es ist ein unvermeidlicher Cirkel. [vgl. Über den Begriff der Wissenschaftslehre §7] Da er nun unvermeidlich, und frei zugestanden ist, so darf man auch bei Aufstellung des höchsten Grundsatzes auf alle Gesetze der allgemeinen Logik sich berufen.  Wir müssen auf dem Wege der anzustellenden Reflexion von irgend einem Satze ausgehen, den uns Jeder ohne Widerrede zugiebt. Dergleichen Sätze dürfte es wohl auch mehrere geben. Die Reflexion ist frei; und es kommt nicht darauf an, von welchem Puncte sie ausgeht. Wir wählen denjenigen, von welchem aus der Weg zu unserem Ziele am kürzesten ist. /

So wie dieser Satz zugestanden wird, muss zugleich dasjenige, was wir der ganzen Wissen-schaftslehre zum Grunde legen wollen, als Thathandlung zugestanden seyn: und es muss aus der Reflexion sich ergeben, dass es als solche, zugleich mit jenem Satze, zugestanden sey. – Irgend eine Thatsache des empirischen Bewusstseyns wird aufgestellt; und es wird eine empirische Bestimmung nach der anderen von ihr abgesondert, so lange bis dasjeni-ge, was sich schlechthin selbst nicht wegdenken und wovon sich weiter nichts absondern lässt, rein zurückbleibt.
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J. G. Fichte, Grundlage der gesammten Wissenschaftslehre, SW Bd. I, S. 91f.
 

Nota. - Sachlich tut er nichts anderes, als er später in den Nova methodo vorschreiben wird: Er zieht von dem wirklichen Denken aller Angehöriger der Reihe vernünftiger We-sen, wie er später sagen wird, eine Bestimmungsschicht nach der andern ab wie die Häute einer Zwiebel, und behält am Ende nur den actus purus übrig. 

Seinen Ausgangspunkt hat er aber gewählt, weil er ihn der kürzeste dünkt. Das sei ihm geschenkt, wenn er denn auf diesem Weg zum Ziel kommt. Kommt er aber zum Ziel? Er sagt: Logisch sei es egal, ob man an diesem Punkt oder einem andern beginnt, sie liegen ja alle im System und bedingen einander, und was für den einen gilt, gilt auch für die andern. Das ist aber ein "Cirkel", der ganz und gar nicht unvermeidbar, sondern sogar viciös ist: Dass das Reich der Vernunft ein regelmäßiges System aus logischen Sätzen ist, setzt er als ganz selbstverständlich voraus - obwohl das doch eben die Prätention ist, die die "Ver-nunftkritik" prüfen soll.

Wenn aber das Aufkommen der Vernunft ein Progressus war, kann dessen Revision nur als Regressus durchgeführt werden. Seine Vorstellung vom Weg der Vernunft war aber von Anbeginn zwiespältig.
JE
 

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Sonntag, 25. September 2022

Ein erster, schlechthin unbedingter Grundsatz (II).

                                                                 zu Philosophierungen

§ 1.
Erster, schlechthin unbedingter Grundsatz.


Wir haben den absolut-ersten, schlechthin unbedingten Grundsatz alles menschlichen Wissens aufzusuchen.

Beweisen oder bestimmen lässt er sich nicht, wenn er absolut-erster Grundsatz seyn soll. Er soll diejenige Thathandlung ausdrücken, welche unter den empirischen Bestim-mungen unseres Bewusstseyns nicht vorkommt, noch vorkommen kann, sondern viel-mehr allem Bewusstseyn zum Grunde liegt, und allein es möglich macht. Bei Darstellung dieser Thathandlung ist weniger zu befürchten, dass man sich in etwa dabei dasjenige nicht denken werde, was man sich zu denken hat – dafür ist durch die Natur unseres Geistes schon gesorgt – als dass man sich dabei denken werde, was man nicht zu denken hat. Dies macht eine Reflexion über dasjenige, was man etwa zunächst dafür halten könnte, und eine Abstraction von allem, was nicht wirklich dazu gehört, nothwendig. 

Selbst vermittelst dieser abstrahirenden Reflexion nicht – kann Thatsache des Bewusst-seyns werden, was an sich keine / ist; aber es wird durch sie erkannt, dass man jene That-handlung, als Grundlage alles Bewusstseyns, nothwendig denken müsse. ... 

Die Gesetze, nach denen man jene Thathandlung sich als Grundlage des menschlichen Wissens schlechterdings denken muss, oder – welches das gleiche ist – die Regeln, nach welchen jene Reflexion angestellt wird, sind noch nicht als gültig erwiesen, sondern sie werden stillschweigend, als bekannt und ausge-macht, vorausgesetzt. Erst tiefer unten werden sie von dem Grundsatze, dessen Aufstellung bloss unter Bedingung ihrer Richtig-keit richtig ist, abgeleitet. Dies ist ein Cirkel; aber es ist ein unvermeidlicher Cirkel.
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J. G. Fichte, Grundlage der gesammten Wissenschaftslehre, SW Bd. I, S. 91f.
 

Nota. - Wenn es aber zirkulär ist, dann ist es kein Wissen. Wenn am oberen Ende ge-nausoviel steht wie am unteren, dann ist nichts hinzukommen - und das Wissen folg-lich leer.


Dies, wenn die Wissenschaftslehre eine logische Herleitung aus gegebenen Begriffen wäre - so wie die metaphysischen Systeme vor Kant. Die Wissenschafts-lehre ist dagegen ein retroaktives Postulat. Sie ist keine Konstruktion der Wirk-lichkeit aus Prämissen, sondern eine eine experimentelle Untersuchung des Gangs unserer Vorstellungstätigkeit. Es wird der Untersuchung eine problema-tische Behauptung zu Grunde gelegt - und nur, wenn nach Abschluss der Un-tersuchung nicht mehr und nicht weniger und schon gar nichts anderes steht als am Anfang; nur, wenn nichts hinzugekommen und der Zirkel lückenlos ge-schlossen ist, hat sich die problematische Eingangsbehauptung bewährt.

Was immer es tut: Das Ich 'setzt sich', indem es sich ein/em Nichtich entgegensetzt - und zwar immer fort. Alle Tätigkeit des Ich ist Fortschreiten in der Bestimmung von Unbe-stimmtem. Von nicht anderem kann es wissen. Das ist - zusammenfassend - leicht gesagt. Doch um es einzusehen, war die hirnbrechende Ochsentour der Wissenschaftslehre un-umgänglich. Der sachliche Gehalt der realen Wissenschaften wird davon um keinen Deut erweitert. Aber sie können nun ihres Wissens gewiss sein - wenn anders Wissen über-haupt möglich sein soll.

Die Frage Was ist Wissen? - oder: Was ist wahr? - formuliert Fichte um in: Wie kommen wir zu der Annahme, dass einigen unserer Vorstellungen Dinge außerhalb unserer Vor-stellungen entsprechen? Das ist der prosaische Kern, der in der pompösen Frage nach der Warheit drinsteckt. 
29. 7. 18


Nota II. - Das ist nun nicht das Verfahren, das im gestrigen Eintrag als das angemessene vorgestellt wurde: Statt dass ein problematisches Postulat an der Durchführung des Sys-tems geprüft wurde, wird ein Behauptung dogmatisch zu Grunde gelegt, die als schlecht-hin unbedingt zu glauben ist - denn bei den weiteren Ausführungen handelt es sich ledig-lich um Erläuterungen, die man erwägen, aber auch pauschal von der Hand weisen kann.

Die oben zitierte Grundlage war die erste und blieb die einzige Gesamtdarstellung der Wissenschaftslehre, die Fichte niedergeschrieben hat. Doch unter prekären Umständen: Eine Vorlesung wurde an den Universitäten wörtlich aufgefasst. Den Professoren war vorgeschrieben, anhand welcher Lehrbücher sie ihre sie ihre Darlegungen vorzutragen hatten, und daraus lasen sie vor, weil die Lehrbücher unerschwinglich teuer und in den Universitätsbibliotheken kaum einzusehen waren. Dazu machten sie - wie z. B. Kant reichlich - eigene Ausführungen.

Für die gänzlich neue Wissenschaftslehre gab es noch kein Lehrbuch, und so ließ Fichte die einzelnen Lektionen Woche für Woche als Manuskript drucken und den Studenten zum Mitlesen verteilen. Dass einer solchen Darstellung, die ihren eigenen Abschluss erst vage vorahnen konnte, an Überzeugungskraft fehlen müsse, sei ihm schon bald aufge-fallen, sagt er später, und dachte schon während der ersten Vorlesungsreihe an eine gänzlich überarbeitete Vortragsweise. Im Philosophischen Journal erschienen einige Ein-leitungsversuche, doch systematisch hat Fichte die neue Darstellung erst mit der Vorle-sungsreihe nova methodo durchgeführt.

Der formal wichtigste Unterschied ist, dass das Eingangspostulat nicht scheinbar aus der Luft gegriffen wird - tatsächlich hatte F. es in der Schrift  Über den Begriff der Wissen-schaftslehre vorbereitet -, sondern wird dargestellt als aufgefunden als Folge der Kant-schen Vernunftkritik: freigelegt unter allen wirklich-zufälligen Bestimmungen der histo-risch gewordenen Vernunft als die reine, unbestimmte und sich selbst bestimmende prä-dikative Qualität.

Der sachlich entscheidende Unterschied ist, dass F. erkannt hat, dass er das sich-selbst-Bestimmen der unbestimmten prädikativen Qualität nicht darstellen kann in den Begrif-fen und Schlussregeln, über die erst die ausgebildeten Vernunft (Newton et. al.) verfügen konnte, sondern in den anschaulichen Bildern, in der lebendiges Vorstellen wirklich ge-schieht. Man muss sich zu metaphorischem Ausdruck bescheiden, zu dessen Verständnis niemanden nötigen kann. Die Wissenschaftslehre bleibt von vorn bis hinten auf den frei-en Willen angewiesen (während. die Grundlage ein Cirkel ist, dem keiner entkommen kann, der sich unvorsichtig einmal darauf eingelassen hat).
JE


Nota. Das obige Bild gehört mir nicht, ich habe es im Internet gefunden. Wenn Sie der Eigentümer sind und seine Verwendung an dieser Stelle nicht wünschen, bitte ich um Nachricht auf diesem Blog. JE 

Samstag, 24. September 2022

Der erste Grundsatz ist ein Postulat.

                                                               aus Philosophierungen
                                     
2. Keine von beiden Meinungen scheinen die Besseren, die sich dagegen auflehnen, zu haben. Prof. Beck eifert auch gegen das Suchen eines ersten Grundsatzes. Er meint, die Philosophie müsse ausgehen von einem Postulate, dieses ist aber auch ein Erstes, das nicht weiter bewiesen werden wird, also auch ein Grundsatz. Grundsatz ist jede Erkennt-nis, die nicht weiter bewiesen werden soll. Wer also ein Postulat angibt, gibt auch einen Grund- satz an.

Der Prof. Beck hat den Akzent auf / 'Satz' gelegt, und soll sein etwas Objektives, Gefun-denes, aus dem durch Analyse herausgebracht wird. Aber wer hat ihn geheißen, Grund-satz so zu erklären? Die Philosophie soll nicht gefunden werden in einem Gegebenen, sondern durch synthetisches Fortschreiten.

Der Satz des Bewusstseins* ist bei Reinhold ein Faktum; durch bloße Zergliederung des-sen, was in diesem Satze liegt, soll nach seiner Behauptung die ganze Philosophie zustan-de kommen. Ein Verfahren, das mit Recht zu tadeln ist. 

[*) "Im Bewußtsein wird die Vorstellung vom Vorstellenden und Vorgestellten unterschieden und auf beides bezogen." nach Eisler, Wörterbuch]

Die Wissenschaftslehre stellt zuerst auf ein Ich, dies will sie aber nicht analysieren; dies würde eine leere Philosophie sein, sondern sie lässt dieses Ich nach seinen eigenen Geset-zen handeln und dadurch eine Welt konstruieren; dies ist keine Analyse, sondern eine im-mer fortschreitende Synthese. Übrigens ist es richtig, dass man in der Philosophie von einem Postulate ausgehen müsse; auch die Wissenschaftslehre tut dies und drückt es durch Tathandlung aus. 

Dies Wort wurde nicht verstanden. Es heißt aber und soll nichts anderes heißen, als man soll innerlich handeln und diesem Handeln zusehen. Wer also einem andern die Philoso-phie vorträgt, der muss ihn auffordern, diese Handlung vorzunehmen, er muss also po-stulieren.
____________________________________________________________ 
J. G. Fichte,Wissenschaftslehre nova methodo, Hamburg 1982, S. 27f.




Nota I. - Nicht der Grundsatz trägt das System, sondern das System rechtfertigt den Grundsatz - indem es trägt.

Bedenke: Der postulierte Grundsatz ist nicht spekulativ aus der Luft gegriffen, sondern wurde aufgefunden im ersten, analytischen Gang der Transzendentalphilosophie. Er ward erwiesen, indem von ihm aus das Gebäude der Vernunft rekonstruiert wurde.



Nota II. - Der erste Grundsatz kann nur ein Postulat sein. Das System, von dem die Rede ist, ist das System der Vernunft es besteht in der Realität, aber seine eigne Realität ist Vorstellung. Es geht nicht, wie in den rationalistischen metaphysischen Systemen, um eine (sinngeladene) Tatsache - die Unmöglichkeit, eine solche nachzuweisen, ist das eigene Problem dieser Systeme. Aus dem Kreis der Vorstellungen treten wir nirgends hinaus. 

Wenn wir eine erste Vorstellung ausgemacht haben, können wir nicht anders, als uns einen Vorstellenden hinzu vorzustellen. Wollten wir ihm diese oder jede Bestimmtheit zugedenken, müssten wir einen - bestimmten - Bestimmenden hinzudenken; und so weiter in infinitum. Wir hätten nur die 'erste' Vorstellung immer weiter nach vorn ver-schoben, wären aber einem bestimmten ersten Vorstellenden nicht näher gekommen.

Es muss daher ein unbestimmter erster Vorstellender, erster Bestimmender hinzugedacht werden, sonst bekommen wir nie einen. Also einen, der von nichts hergeleitet werden kann, sonst wäre er bestimmt. Wenn wir ihn aber an den Anfang des Systems setzen wol-len, können wir nicht anders, als ihn zu postulieren; als einen unbestimmten Vorstellen-den, der sich selbst bestimmt.

18. 11. 18

Nota III. - Was schließlich die spezifische qualitas des Ichs ausmacht - die Ichheit: ein prädikatives Vermögen -, wird bis zum Schluss nicht erklärt oder hergeleitet. Wir wissen davon, weil wir uns tätig seiner bedienen, und das dürfen wir voraussetzen. Mehr setzt die Wissenschaftslehre nicht voraus und braucht sie nicht vorauszusetzen.
JE


Nota. Das obige Foto gehört mir nicht, ich habe es im Internet gefunden. Wenn Sie der Eigentümer sind und seine Verwendung an dieser Stelle nicht wünschen, bitte ich um Nachricht auf diesem BlogJE

Freitag, 23. September 2022

Ein absoluter Anfang ohne Grund.

 nach Dalí

Jenes Übergehen als solches wird angeschaut als seinen Grund schlechthin in sich selbst habend, die Handlung dieser Tätigkeit heißt darum reale Tätigkeit, welche der idealen, die die erste bloß rein abbildet, entgegengesetzt wird; sonach wird die Tätigkeit des Ich in diese beiden Arten eingeteilt. ... 

Die Handlung des sich selbst Setzens des Ich ist ein Übergehen von der Unbestimmtheit zur Bestimmtheit; wir müssen / darauf reflektieren, wie das Ich es macht, um von der Unbestimmtheit zur Bestimmtheit überzugehen.

Hier gibt es keine Gründe; wir sind an der Grenze aller Gründe. Man muss nur zusehen, was man erblickte. Jeder wird sehen: es gibt keine Vermittelndes. Das Ich geht über, weil es übergeht, es bestimmt sich, weil es sich bestimmt, dies Übergehen geschieht durch einen sich selbst begründenden Akt der absoluten Freiheit; es ist ein Erschaffen aus nichts, ein Machen dessen, was nicht war, ein absolutes Anfangen. ...

Die Tätigkeit, die sich darin äußert, soll heißen reale Tätigkeit; der Akt, durch welchen er sich äußert, ein praktischer; das Feld, worin er sich äußert, das praktische, diesem Akte haben wir zugesehen und sehen ihm noch zu. Die Tätigkeit, womit dies geschieht, soll heißen ideale Tätigkeit.
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J. G. Fichte, Wissenschaftslehre nova methodo,  S. 46f.


Nota. - Aus nichts wird nichts, wird Fichte später, nach seiner dogmatischen Wendung, sagen - wo es nämlich erstmals ausdrücklich um das Woher - und also um Warum und Wozu - der Vernunft geht. 'Gab es' Vernunft, bevor 'das Ich sich setzte', dann war sie der Grund seines Setzens und sie war der absolute Anfang ohne Grund. 

Der Transzendentalphilosoph Fichte hätte diese Darstellung als transzendent und eo ipso als dogmatisch verworfen. Er hätte vielmehr gesagt: Das sich-Setzen des Ich als das grundlose Übergehen vom Unbestimmten zum Bestimmteren ist selbst der Anfang der Vernunft; nur als ein solches hat das Wort Vernunft überhaupt eine Bedeutung.

*

Die Aufgabe, die die Wissenschaftslehre sich gestellt hat, war nicht das transzendent-dogmatische Projekt, die Welt und alles, was in ihr vorkommt, aus ihren Ursachen zu erklären, nämlich so, dass aus der Ersten Ursache alles andere mit Notwendigkeit erfolgen musste. Das hatten die metaphysischen Systeme vor Kants kopernikanischer Wende ver-sucht.

Die Transzendentalphilosophie wusste sich damit zu bescheiden, das vorgefundene Fak-tum der Vernunft zu erklären. Sie muss nicht erklären, weshalb ein Ich 'sich gesetzt hat': Es hat es getan, das ist das Faktum, von dem wir ausgehen müssen. Dass das Auftreten der Vernunft in der Welt notwendig war, kann und darf sie gar nicht behaupten, denn dazu müsste sie hinter die Vernunft zurückgreifen - vor den Punkt, als 'es' sie 'gab'. Dazu müsste sie der Vernunft entraten. Die war aber Ausgangs- und Zielpunkt der Transzen-dentalphilophie.

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Insofern kann man Fichte der Inkonsequenz nicht zeihen. Denn mit seinem Einknicken vor Jacobi und seiner Bereitschaft, den Glauben der Vernunft voranzuschicken, hat er genau das getan: der Vernunft entraten.
JE,
1. 6. 18



Dynamische Darstellung, statische Kritik, I.

spandau-arcaden                                             aus Philosophierungen Die genetische Darstellung unterscheidet sich von de...