Samstag, 31. Dezember 2022

Lenin über Dialektik.

                                                                aus Marxiana

In der Diskussion vom 30. Dezember [1921] sagte [Gen. Bucharin]:

"Genossen, auf viele von Ihnen machen die hier vor sich gehenden Auseinandersetzun-gen etwa folgenden Eindruck: Da kommen zwei Menschen und fragen einander, was das Tringkglas ist, das auf dem Rednerpult steht. Der eine sagt: 'Das ist ein Glaszylinder, und jeden soll der Bannfluch trefen, der sagt, dass dem nicht so ist!' Der zweite sagt: 'Das Glas, das ist ein Trinkgefäß, und jeden soll der Bannfluch trefen, der sagt, dass dem nicht so ist.' "


Durch dieses Beispiel wollte mir Bucharin, wie der Leser sieht, in populärer Weise erklä-ren, wie schädlich Einseitigkeit ist. Ich nehme diese Erläuterung dankbar entgegen, und um meine Dankbarkeit durch die Tat zu beweisen, antworte ich mit der populären Erklä-rung dessen, was Eklektizismus zum Unterschied von Dialektik ist.

Ein Glas ist unstreitig sowohl ein Glaszylinder als auch ein Trinkgefäß. Das Glas besitzt aber nicht nur diese zwei Merkmale oder Eigenschaften, Seiten, Wechselbeziehungen und "Vermittelungen" mit der gesamten übrigen Welt. Ein Glas ist ein schwerer Gegenstand, der ein Wurfinstrument sein kann. Ein Glas kann als Briefbeschwerer, als Behälter für einen gefangenen Schmetterling dienen, ein Glas kann von Wert sein als Gegenstand von künstlerischer Gravierung und Zeichnung, ganz unabhängig davon, ob es sich zum Trin-ken eignet, ob es aus Glas gefertigt, ob seine Form zylindrisch oder nicht ganz zylindrisch ist, und so weiter und dergleichen mehr.

Weiter. Brauche ich jetzt ein Glas als Trinkgefäß, so ist es für mich absolut unwichtig zu wissen, ob seine Form ganz zylindrisch und ob es aus Glas gefertigt ist, dagegen ist es wichtig, dass der Boden keinen Sprung  aufweist, dass man sich nicht die Lippen verletzt, wenn man dieses Glas benutzt, usw. Brauche ich dagegen ein Glas nicht zum Trinken, sondern zu einer Verwendung, für die jeder Glaszylinder taugt, so genügt / mir auch ein Glas mit einem Sprung im Boden oder sogar ganz ohne Boden usw.

Die formale Logik, auf die man sich in den Schulen beschränkt (und in den unteren Schulklassen - mit gewissen Korrekturen - beschränken muss), nimmt die formalen Defi-nitionen, wobei sie sich von dem leiten lässt, was am üblichsten ist oder was am häufig-sten in die Augen springt, und beschränkt sich darauf. Nimmt man dabei zwei oder meh-rere verschiedenen Definition und vereinigt diese ganz zufällig (sowohl Glaszylinder wie auch Trinkgefäß), so erhalten wir eine eklektische Definition, die auf verschiedene Seiten des Gegenstandes hinweist und sonst nichts.

Die dialektische Logik verlangt, dass wir weitergehen. Um einen Gegenstand wirklich zu kennen, muss man alle seine Seiten, alle Zusammenhänge und "Vermittelungen" erfassen und erforschen. Wir werden das niemals vollständig erreichen, die Forderung der Allsei-tigkeit wird uns aber vor Fehlern und vor Erstarrung bewahren. Das zum ersten. Zwei-tens verlangt die dialektische Logik, dass man den Gegenstand in seiner Entwicklung, in seiner "Selbstbewegung" (wie Hegel manchmal sagt), in seiner Veränderung betrachten. In bezug auf das Glas ist das nicht ohne weiteres klar, aber auch ein Glas bleibt nicht unver-ändert, besonders aber ändert sich die Bestimmung des Glases, seine Verwendung, sein Zusammenhang mit der Umwelt. Drittens muss die vollständigen "Definition" eines Ge-genstandes die ganze menschliche Praxis sowohl als Kriterium der Wahrheit wie auch als praktische Determinante des Zusammenhangs eines Gegenstandes mit dem, was der Mensch braucht, eingehen. Viertens verlangt die dialektische Logik, dass es "eine abstrak-te Wahrheit nicht gibt, dass die Wahrheit immer konkret ist", wie der versorbene Plecha-now - mit Hegel - zu sagen pflegte.
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Lenin, Werke, Bd. 32, Berlin (O) 1970, S. 84f.

Nota. - Wer Lenins peinlich unbelesenen Materialismus oder Empiriokritzismus kennt und auch seine schülerhaft dogmatischen Hegel-Exzerpte aus 1915, wird den Erkenntnis-fortschritt aus dem obigen Beitrag zur Gewerkschaftsdebatte gar nicht hoch genug ein-schätzen können. Der Eklektizismus, den auch er sich hier zuschulden kommen lässt, ist nicht wie bei Bucharin primär, sondern sekundär, nämlich begründet in seiner "materiali-stischen" objektivistischen Prämisse. Die "Forderung der Allseitigkeit" lässt sich nur tech-nisch-praktisch nicht erfüllen, 'an sich' stünde es wohl fest, wieviele und welche 'Merkma-le' und 'Eigenschaften' ein Ding aufweist. Und während es bei Hegel die Begriffe sind, die sich "selbstbewegen", sind es bei Lenin die Dinge - und schleppen die Begriffe hinter sich her. Denn mit ihrer Umwelt hängen sie selbst zusammen (physikalisch, nehme ich an), die 'ganze menschliche Praxis' kommt erst "drittens" hinzu - selber sub specie 'Bedürfnis' ein Naturzusammenhang...

Doch seine Zusammenfassung ist eklektischer, als seine Argumentation selbst es war: Da stand als Kriterium nur die Frage, wozu ich das Ding brauchen will. Merkmale und Eigen-schaften 'erscheinen' als Widerhall menschlicher Absichten. Und das nicht erst, sobald sie, wie das Wasserglas, selber von Menschen produziert wurden.
JE 24. 11. 18


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Freitag, 30. Dezember 2022

Form und Stoff.

 Giuseppe Sanmartino                                                                      aus Marxiana                               

Im Arbeitsproceß tritt der Arbeiter als Arbeiter in ein normales, durch die Natur und den Zweck der Arbeit selbst bestimmtes thätiges Verhältniß zu den Productionsmitteln. Er eignet und behandelt sie als blosses Mittel und Material seiner Arbeit. Die selbstständige, an sich  fest- / haltende und ihren eignen Kopf habende Existenz dieser Productions-mittel, ihre Trennung von der Arbeit, wird jezt thatsächlich aufgehoben. Die gegenständ-lichen Bedingungen der Arbeit treten in ihrer normalen Einheit mit der Arbeit, als blosse Materie und Organe ihres schöpferischen Wirkens auf. 

Das Fell, das der Arbeiter gerbt, behandelt er als blosen Gegenstand seiner productiven Thätigkeit, nicht als Capital. Er gerbt nicht dem Capitalisten die Haut. So weit der Pro-ductionsproceß blos Arbeitsproceß ist, verzehrt der Arbeiter in diesem Prozeß die Pro-ductionsmittel als blosse Lebensmittel der Arbeit. So weit aber der Productionsproceß zugleich Verwerthungsproceß ist,
verzehrt der Capitalist in ihm das Arbeitsvermögen des Arbeiters oder eignet sich die lebendige Arbeit als Lebensblut des Capitals an. Das Roh-material, überhaupt der Arbeitsgegenstand, dient nur dazu, fremde Arbeit einzusaugen und das Arbeitsinstrument dient nur als Conductor, Leiter für diesen Einsaugungsprozeß.

Indem das lebendige Arbeitsvermögen den gegenständlichen Bestandtheilen des Capitals einverleibt ist, wird dieß zu einem belebten Ungeheuer, und fängt an zu wirken „als hätt' es Lieb' im Leibe“. Da die Arbeit blos in einer bestimmten nützlichen Form Werth schafft und da jede besondre nützliche Art Arbeit Material und Mittel von spezifischem Gebrauchs-werth erheischt, Spindel und Baumwolle u. s. w. für die Spinnarbeit, Amboß, Hammer und Eisen für die Schmiedearbeit u. s. w., kann die Arbeit nur eingesaugt werden, soweit das Capital die Gestalt der für bestimmte Arbeitsprocesse erheischten spezifischen Pro-ductionsmittel annimmt und nur in dieser Gestalt kann es lebendige Arbeit einsaugen. 

Hier sieht man also, warum dem Capitalisten, dem Arbeiter und dem politischen Oekono-men, der den Arb  Elemente des Arbeitsprocesses wegen ihrer stofflichen Eigenschaften als Capital gelten und warum er unfähig ist, ihre stoffliche Existenz als blosser Factoren des Arbeitsproceßes los zu lösen von der mit ihnen verquickten gesellschaftlichen Eigen-schaft, die sie zu Capital macht. Er kann das nicht, weil wirklich derselbe identische Ar-beitsproceß, dem die Productionsmittel durch ihre stofflichen Eigenschaften als blosse Lebensmittel der Arbeit dienen, dieselben Productionsmittel in blosse Einsaugungsmittel der Arbeit verwandelt. 
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K. Marx, Ökonomisches Manuskript 1863-1865, 
MEGA II/4.1, S. 80f.   



Nota. - Das Anschauliche, Historische, Qualitative - all das ist Stoff, an dem diese oder jene Form erscheint. Die Form macht den Stoff für menschliche Zwecke nützlich oder unnütz, doch ohne Stoff gibt es sie nicht. Es gibt keinen Stoff ohne Form (Was nicht erscheint, ist kein Stoff), doch welche Form das ist, bedarf noch weiterer Bestimmung; aber der Stoff ist, was und wie er ist. Die gesellschaftliche Eigenschaft ist gegenüber seiner stofflichen Existenz die formale Bestimmung. Beide von einander zu unterscheiden ist ein dialektisches Kunststück, das nur dem reflektierenden Analytiker gelingt - wenn er will. 
Und im konkreten Fall ist das eine politische Bedingung.
31. 8. 18

Nota II. - Zusammenfassend: Der sogenannte Formenwechsel ist nicht real, sondern nur denk bar. Die Formen sind keine Eigenschaften an den Dingen, sondern erscheinen in den Augen des kritischen Betrachters. Wenn außerdem Veränderungen an der äußeren Erscheinung geschehen, ist es zufällig und logisch unerheblich.
JE  




Donnerstag, 29. Dezember 2022

Zum Teufel mit dem Begriff!

 marionetten-puppen                                                                   aus Marxiana

Betrachtet man aber die physische Masse Geld, die circulirt, damit das Geldcapital seine Function vollziehe, (circulirt oder in Reserve liegt), so ist sie ein blosses Arbeitsmittel des Circulationsprocesses und vollzieht hier daher dieselbe Function, wie das fixe Capital innerhalb des Productionsprocesses. Von diesem Gesichtspunkt aus kann sie als fixes Capital in Bezug nicht auf den einzelnen Capitalisten, aber die ganze Capitalistenklasse, betrachtet werden. Je geringer der Theil der jährlichen Productenmasse, der sich zu die-sem Behuf in Gold und Silber verwandeln muß, je grösser the mass of commodities remaining for the purpose of real reproduction. 
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K. Marx, Ökonomisches Manuskript 1863-1865, MEGA II/4.1, S. 289



Nota. - Ein Ding "ist" nicht dieses oder jenes, sondern erfüllt mal diese, mal jene Funk-tion: Es dient. Wem? Diesem oder jenem wirklichen Subjekt. Welche Funktion es erfüllt, welchen Dienst es leistet, hängt davon ab, welche Absicht das Subjekt verwirklicht. Begrif-fe sind gut, um die jeweiligen Besonderheiten und Umstände hervorzuheben und von an-dern zu unterscheiden: sich im Wechsel der Situationen zu orientieren. Begriffe führen immer in die Irre, wenn man in ihnen ein dem Augenschein verborgenes Wesen jenseits der Umstände auszusprechen glaubt.

JE, 4. 11. 18



Mittwoch, 28. Dezember 2022

Vernunft ist schlechthin praktisch.

Daarom / pixelio.de               zu Wissenschaftslehre - die fast vollendete Vernunftkritik

Die Vernunft ist nicht ein Ding, das da sei und bestehe, sondern sie ist Tun, lauteres, reines Tun. Die Vernunft schaut sich selbst an: dies kann sie und tut sie, eben weil sie Vernunft ist; aber sie kann sich nicht anders finden, denn sie ist: als ein Tun. 

Nun ist sie endliche Vernunft, und alles, was sie vorstellt, wird ihr, indem sie es vorstellt, endlich und bestimmt; sonach wird [ihr] auch, lediglich durch die Selbstanschauung und das Gesetz der Endlichkeit, an welches sie gebunden ist, ... ihr Tun ein bestimmtes. Aber Bestimmtheit eines reinen Tuns als solchen gibt kein Sein, sondern ein Sollen. So ist die Vernunft durch sich selbst bestimmend ihre Tätigkeit; aber - eine Tätigkeit bestimmen oder praktisch sein ist ganz dasselbe. - 

In einem gewissen Sinne ist es von jeher der Vernunft zugestanden worden, dass sie praktisch sei; in dem Sinne, dass sie die Mittel für irgend einen außer ihr, etwa durch unser Naturbedürfnis oder unsere freie Willkür gegebenen Zweck finden müsse. In dieser Bedeutung heißt sie technisch-praktisch. 

Von uns wird behauptet, dass die Vernunft schlechthin aus sich selbst und durch sich selbst diesen Zweck aufstelle, und insofern ist sie schlechthin praktisch.

Die praktische Dignität der Vernunft ist ihre Absolutheit selbst; / ihre Unbestimmbar-keit durch irgend etwas außer ihr und vollkommene Bestimmtheit durch sich selbst. Wer diese Absolutheit nicht anerkennt - man kann sie nur in sich selbst durch Anschauung finden -, sondern die Vernunft für ein bloßes Räsonnier-Vermögen hält, welchem erst Objekte von außen gegeben sein müssten, ehe es sich in Tätigkeit versetzen könne, dem wird es immer unbegreiflich bleiben, wie sie schlechthin praktisch sein könne, und er wird nie ablassen zu glauben, dass die Bedingungen der Ausführbarkeit des Gesetzes vorher bekannt sein müssen, ehe das Gesetz angenommen werden könne. 
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J. G. Fichte, System der Sittenlehre, SW Bd. IV, S. 57f.


Nota. - "Endliche" Vernunft! - 'Unendliche' Vernunft wäre eine bloße Idee'von der gar nicht vorgegeben wird, dass ihr in der wirklichen Welt außer uns irgendetwas entspräche'. Sie ist, wie Gott selbst, nur die idealisierte Luftspiegelung der Eigenschaft, die den realen Sterblichen an ihnen selbst die liebsten, oder doch immerhin die würdigsten sind.

Ideen sind ihrer Natur nach nicht begründet noch begründbar, aber beliebig sind darum noch lange nicht. Sie können nämlich (fürs wirkliche Leben) etwas taugen oder nicht. Die Idee Gottes hat die Religionen möglich gemacht, und dass die in der Geschichte zu etwas getaugt haben, ist unstrittig; strittig ist allein, ob es das wert war. Und strittig ist, gottlob, ob es das heute noch ist.

Die Idee einer unendlichen Vernunft dagegen taugt zu nichts; denn dass Vernunft auf der Fiktion beruht - und gar selber diese Fiktion ist - , dass es für alle unsere Urteile ein gemeinsames Maß gäbe, gälte auch dann, wenn es keiner wahrhaben wollte.
JE, 24. 9. 14

Dienstag, 27. Dezember 2022

Tathandlung: der Ausgangspunkt der Wissenschaftslehre.

 wikipedia                                 aus Wissenschaftslehre - die fast vollendete Vernunftkritik

Nun stellt die Wissenschaftslehre die Bedingungen auf, unter welchen das Ich sich selber setzt und sich ein Nichtich entgegensetzt, und darin liegt der Beweis ihrer Richtigkeit. Diese Bedingungen sind ursprüngliche Handlungsweisen des menschlichen Geistes; was dazu gehört, dass das Ich sich selbst setzen und sich ein Nichtich entgegensetzen könne, ist notwendig. Diese Bedingungen beweist die Wissenschaftslehre durch Deduktion.

Der Beweis durch Deduktion geht so: Wir können es als das Wesen des menschlichen Geistes annehmen, dass das Ich sich selbst setze und sich ein Nichtich entgegensetze; nehmen wir aber dies an, so müssen wir noch manches andere annehmen: Dies heißt deduzieren, von etwas anderm ableiten. Kant sagt: Ihr verfahrt immer nur nach den Kategorien, die Wissenschaftslehre aber sagt: So gewiss ihr euch als Ich setzt, müsst ihr so verfahren. In den Resultaten sind beide einig, nur knüpft die Wissenschaftslehre noch an etwas Höherem an.

1) Die Wissenschaftslehre sucht sonach den Grund von allem Denken, das für uns da ist, in dem innern Verfahren des endlichen Vernunftwesens überhaupt. Sie wird sich kurz so aus-drücken: Das Wesen der Vernunft besteht darin, dass ich mich selbst setze, aber das kann ich nicht, ohne mir eine / Welt, und zwar eine bestimmte Welt entgegenzusetzen, die im Raume ist und deren Erscheinungen in der Zeit auf einander folgen. Dies alles geschieht in einem ungeteilten Moment; da dies geschieht, geschieht zugleich alles Übrige. Aber die Philosophie und besonders die Wissenschaftslehre will diesen Einen Akt genau kennen lernen, nun aber lernt man nichts genau kennen, wenn man es nicht zerlegt und zergliedert. So also macht es auch die Wissenschaftslehre mit dieser einen Handlung des Ich, und wir bekommen eine Reihe miteinander verbundner Handlungen des Ich - dar-um, weil wir die Eine Handlung nicht auf einmal fassen können, weil der Philosoph ein Wesen ist, das in der Zeit denken muss.
___________________________________________________________________    J. G. Fichte, Wissenschaftslehre nova methodo, I. Einleitung, Hamburg 1982, S. 8f. 


 

Nota. - Die Wissenschaftslehre ist realistisch in dem Sinn, dass sie von einer Tatsache aus-geht, die in Raum und Zeit gegeben ist: Die Menschen (die Menschen in der bürgerlichen Gesellschaft, muss man hinzufügen) 'setzen' sich wirklich als 'Iche', indem sie sich ein/em Nichtich entgegensetzen. Diesen einen Akt zerlegt sie in seine einzelnen Bestimmungen. Das nennt sie Deduktion: Sie zerlegt ein Faktum in seine 'logischen', d. h. hier: geneti-schen Voraussetzungen. Sie deduziert nicht Faktisches aus logischen Prämissen: Das tut der Dog-matiker. Die Wissenschaftslehre aber verfährt phänomenologisch und kritisch.

28. 6. 15 

Nota II. - Diese ursprüngliche eine Handlung des Ich wird in der Wissenschaftslehre Tat-handlung heißen. Sie kommt im Bewusstsein nicht vor, weil sie ihm zu Grunde liegt.

Nota III.  - Genauer gesagt: Wenn ich die Wissenschaftslehre als ein System denke, muss ich die Tathandlung als ihren Ausgangspunkt setzen. Der Ausgangspunkt der Kritik war dagegen das gegebene System der empirischen Vernunft. Welchen Ausgangspunkt aber die Darstellung der Wissenschaftslehre wählen soll, kommt jedesmal neu auf den Versuch an.

JE, 28. 7. 15 

 


Montag, 26. Dezember 2022

Sinn hat eine Richtung.

                                                    zu Philosophierungen

Das lateinische sensus bedeutet, wie in allen davon abgeleiteten Sprachen, nicht nur Sinn im Sinn von Sinnlichkeit, sondern auch Richtung. Anders als in der Logik, wo zwischen zwei Termini ein Gleichheitszeichen gehört oder eben keines, 'bedeutet' im Sinn das eine wohl auch das andere, aber nicht das andere das eine. Bedeuten* heißt: eine Sache aus-deuten, ihr einen Sinn zu weisen. Wo das eine das andere - 'als dieses' - setzt, können nicht beide gleich sein; wohl im 'Gehalt', aber nicht in der auctoritas: Das eine ist stärker als das andere. Logisch lässt sich das nicht darstellen, denn die Logik ruht auf Begriffen, und die sind tot. Die - wie Fichte es nennt - genetische Darstellung beschreibt dagegen Handlun-gen. Da steht eins im Infinitiv, das andre im Akkusativ. 'Setzen' schafft keine Gleichheit, sondern Abhängigkeit. 

Sinn kommt nicht vom Sein, sondern vom Handeln.

*) Ich bedeute es; erst dann kann es selber auch "etwas bedeuten".


Nota. Das obige Foto gehört mir nicht, ich habe es im Internet gefunden. Wenn Sie der Eigentümer sind und seine Verwendung an dieser Stelle nicht wünschen, bitte ich um Nachricht auf diesem BlogJE

Sonntag, 25. Dezember 2022

Die Wissenschaftslehre ist materialistisch und sensualistisch.

pixabay                                  zu Wissenschaftslehre - die fast vollendete Vernunftkritik

...ich kann die Materie teilen, zusammensetzen, aber nicht wegdenken, wegschaffen, nicht vermehren, nicht vermindern; / wo wir hin denken, finden wir Raum, weil wir überall Materie denken.

Auf diesen Satz kommt es vorzüglich an. Wir sehen hier die Entstehung der ganzen Körperwelt, ja unserer gesamten, auch der Geisterwelt, denn es wird sich zeigen, dass unsere Geisterwelt nichts ist als eine Abstraktion von der Körperwelt.

Wir haben jetzt die Einsicht erhalten, wie uns die Welt entstehen müsse; wir brauchen keinen gegebenen Stoff vorauszusetzen. Alles Objektive, und das Objektive hebt von der Materie an, entsteht in uns; ich bin ursprünglich beschränkt, und diese Beschränktheit, wenn ich darauf reflektiere, ist das Gefühl. Das Gefühl lässt sich allenfalls für das Gege-bene halten, allenfalls, denn es ist auch nur ein Gefühl, in wiefern ich darauf reflektiere.
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J. G. Fichte, Wissenschaftslehre nova methodo, Hamburg 1982, S. 112f.


Nota. - Die Wissenschaftslehre verträgt sich nur mit einer Realwissenschaft, die streng materialistisch ist, das bedeutet aber nichts weiter als: die nichts anderes gelten lässt, als was sich in Raum und Zeit beobachten und "erfahren" lässt. Doch weder sind die Real-wissenschaften Metaphysik, noch ist es die Wissenschaftslehre.
JE, 17. 1. 15



Freitag, 23. Dezember 2022

Fichte, Marx und Hegel.

franslanting

Im Kapitel über die Wertform* habe er "mit der hegelschen Ausdrucksweise kokettiert", schreibt Marx im Nachwort zum KapitalFür Generationen 'westlicher' Marxisten und Marxianer war das seinerseits eine Koketterie. Zu Dutzenden und Hunderten bemühten sie sich, das Marx'sche Werk im Sinn der Hegel'schen Dialektik zu deuten, denn die My-stifikation, welche die Dialektik in Hegels Händen erlitten habe, verhindere ja "in keiner Weise, daß er ihre allgemeinen Bewegungsformen zuerst in umfassender und bewußter Weise dargestellt hat". Man müsse sie, um ihren rationellen Kern freizulegen, lediglich 'vom Kopf auf die Füße' stellen. Vom Kopf auf die Füße – das war das unfassliche Abrakadabra des pp. Westlichen Marxismus. Darüber ist viel geschrieben worden, und ein Ende war nicht abzusehen.

Immerhin ist impliziert, dass die Dialektik bei Hegel nicht das Original, sondern eine un-tergeschobene Fehlfarbe ist. Tatsächlich war die Urform der neueren** Dialektik das von Fichte entwickelte analytisch-synthetische Verfahren der Wissenschaftslehre. Sie will nicht sein das spekulativ eingesehene Bewegungsgesetz der Welt, sondern die Weise, in der die Philosophie (=Kant & Fichte) das vorgefundene reale Bewusstsein der Menschen erklärt: Setzen und bestimmen ist nur möglich als entgegen-setzen. Die Begriffe sind nichts ande-res als die Denkakte der Menschen, die sie in der diskursiven Darstellung so behandeln, als ob sie Fakten wären.

Die Marx'sche Kritik geht so vor, dass sie unter den überzeitlichen Begriffen der Politi-schen Ökonomie die ihnen zu Grunde liegenden Handlungsweisen der Menschen freilegt. Indem Marx die Hegel'sche Dialektik 'vom Kopf auf die Füße' stellte, hat er sie auf ihre Fichte'sche Urform zurückgeführt. Für Fichte wie für Marx haben Ideen, Begriffe und Gedanken Realität nur, soweit sie das Handeln wirklicher Menschen ausdrücken.

War Fichte nicht aber Idealist und Marx erklärtermaßen Materialist?

Idealismus hat zwei verschiedene, in einem gewissen Sinn entgegengesetzte Bedeutungen. Im landläufigen, fast umgangssprachlichen (und nicht zuletzt von Marx und Engels einge-führten) Gebrauch bezeichnet er eine Lehre, die wie zuletzt die Hegel'sche und zuerst die Plato'sche Philosophie  den Ideen, Begriffen, Vorstellungen, kurz: dem Geist eine eigene Realität zuspricht; sei es neben den Erscheinungen, sei es 'hinter' denselben als ihr 'Wesen'. In der philosophischen Schulsprache heißt dieser Standpunkt darum der reali-stische.

Das ist eine metaphysische, 
Seins-logische Aussage über die Natur der Dinge. In der Schulsprache wurde der Ausdruck Idealismus in einem kritischen, Wissens-logischen Sinn gebraucht, als Aussage über Wesen und Herkunft unseres Erkennens, Wissens, Verste-hens; als eine Antwort auf die Frage, woher unsere Vorstellungen kommen. Die Auffas-sung, sie gingen von den Dingen -  lat. res – aus, heißt wiederum die realistische. Dagegen steht die idealistische Auffassung, die meint, sie gingen – umgekehrt – vom Sehenden aus: gr. idein =sehen. In diesem Sinn war Fichte der Radikalste unter den Idealisten.

Ein kritischer oder, wie Fichte (mit Kant) sagt, "transzendentaler" Idealist kann logischer-weise kein Ideen-Realist sein. Er kann sich zu metaphysischen, Seins-logischen Fragen überhaupt nicht äußern, denn nach seiner Voraussetzung kann er von einem 'Wesen' der Dinge 'hinter' ihrer Erscheinung ja nichts wissen; er kann nicht einmal sinnvoll danach fragen. Aber die Erscheinungen leugnet er nicht, sie sind vielmehr die einzigen Realitäten, die er kennt. Real ist nur, was angeschaut wird. Angeschaut wird jedoch, was im Raum ist. Was aber im Raum ist, ist nach Fichte Materie. So dass ein transzendentaler Idealist zwar kein metaphysischer Materialist sein kann; aber eine Forschung kann er nur als Wissen-schaft achten, soweit sie materialistisch verfährt: nichts gelten lässt, als was sich in Raum und Zeit nachweisen lässt.

Zu wissenslogischen Fragen wiederum hat Marx sich theoretisch nicht geäußert. Aber in-dem er die dialektische Methode aus einer Selbstbewegung der Idee in ein Sezierbesteck des kritischen Subjekts zurückverwandelte, hat er sie praktisch beantwortet.

Ein Hegelianer in metaphysischem, ideenrealistischen Sinn war Marx nicht. Hegels Dia-lektik hat er ihrer metaphysischen, ideenrealistischen Verhüllung entkleidet und subjekti-viert - und hat sie, ohne Fichte zu kennen, an ihren ursprünglichen Platz gesetzt. 

*

Ach, das ist grob und schematisch, ich weiß. Es ließe sich noch Vieles daran anknüpfen, aber das ist der springende Punkt: anknüpfen. Es ist ganz allgemein, aber in dieser Allge-meinheit trifft es zu. Folgen mögen Spezifizierungen und Konkretisierungen; aber keine Einschränkungen noch Relativierungen.

*) im Anhang zur ersten Auflage des I. Bands, 1867
**) im Unterschied zu dem scholastischen Begriff, der auf Plato zurückging und nur eine rhetorische Methode des Argumentierens bedeutete.
12. 9. 15


Nachtrag. Der Realist nimmt an, dass sich die Information, die im Ding steckt, irgendwie in das Bewusstsein des Erkennenden einprägt. Das Problem dieser 'Widerspiegelungs-theorie' ist aber, dass so zwar erklärt wird, wie die Information hineinkommt; nicht aber, wie das Bewusst sein davon weiß: Der Spiegel spiegelt, aber sieht nicht. Unbegreiflich bleibt so die Tatsache der Reflexion. Wie das Ding es anstellt, mit seine Information weiterzureichen, wurde noch nicht einmal berührt.

Der Idealist Fichte geht darum davon aus, dass der Sehende mit einer Absicht auf das pp. Ding schaut: mit einer Erwartung. Der Gegen stand muss nur noch da sein und den An-mutungen des Fragenden wider stehen. Aktiv ist lediglich der Sehende: Sein Hinsehen stand am Anfang





Donnerstag, 22. Dezember 2022

Entfremdete Arbeit.

                                                                      aus Marxiana

Vorstellen ist das Schema des Handelns - Urbild, Grundform, Modell.

Wirkliche sinnliche praktische Tätigkeit kenne der Idealismus nicht, meinte Marx - wenn auch die tätige Seite des Menschen im Idealismus stärker entwickelt sei als bei den Materi-alisten, bei denen der Mensch nur als Leidender vorkommt. Unter Idealismus verstand er das dogmatische Hegel'sche System, die Wissenschaftslehre kannte er nicht.* Auf die Wissenschaftslehre trifft sein Verdikt nicht zu.

Er will sagen, der Idealismus löse alle wirklich Arbeit letzten Endes in bloßes Denken auf. Das tut Fichte nicht, in der Wissenschaftslehre hebt das Bewusstsein im Gegenteil bei der Sinnlichkeit an: Zuerst ist Gefühl, und darunter versteht er keinen Gemütszustand, son-dern ganz prosaisch und wie John Locke die Meldungen der Sinneszellen.

Er will ja nicht die Welt aus dem Bewusstsein erklären, sondern umgekehrt das Bewusst-sein aus der Welt. Unter Welt versteht er allerdings nicht einen Haufen toter Gegenstände, sondern den Raum menschlicher Tätigkeit, und die ist sinnlich, bevor** sie Vorstellung werden kann.

Wenn man indes alle kontingenten empirischen Bestimmungen abzieht, bleibt von der sinnlichen praktischen Tätigkeit allein das Vorstellen übrig.

So sah es auch Marx. "Eine Biene beschämt durch den Bau ihrer Wachszellen manchen menschlichen Baumeister. Was aber von vornherein den schlechtesten Baumeister vor der besten Biene auszeichnet, ist, dass er die Zelle in seinem Kopf gebaut hat, bevor er sie in Wachs baut. Am Ende des Arbeitsprozesses kommt ein Resultat heraus, das beim Beginn desselben schon in der Vorstellung des Arbeiters, also schon ideell vorhanden war."***

Es ist das Vorstellen, das menschliche Arbeit von den Tätigkeiten der Tiere unterscheidet. Zur bloßen Verausgabung rein physischer Energie, zur Äußerung von Arbeitskraft, haben erst das Kapital und die Große Industrie die Arbeit entfremdet. Da muss man nicht lang mit dialektischem Hintersinn im 'Herr und Knecht'-Kapitel der Phänomenologie des Gei-stes suchen; in der Wissenschaftslehre liegt alles klar zutage.

*) Das lässt sich nachweisen.
**) Dazwischen tritt die Reflexion = Scheidung der Einbildungskraft in einen realen und einen idealen Teil.
***) K. Marx, Das Kapital. Band 1, MEW 23, S. 193

20. 6. 15



Nota. Das obige Bild gehört mir nicht, ich habe es im Internet gefunden. Wenn Sie der Eigentümer sind und seine Verwendung an dieser Stelle nicht wünschen, bitte ich um Nachricht auf diesem Blog. JE 

Ist die Kritik der Politischen Ökonomie selber eine Theorie?

 Gerrit Dou                                                                                 aus Marxiana

Die KpÖ ist keine positive Beschreibung der wirklichen ökonomischen Vorgänge. Sie ist ein logisches Modell. Das Wirtschaftsgeschehen ist aber keine logische Operation, son-dern besteht aus wirklichen Alltagsereignissen. Wozu also das Modell?

Der Test auf die Theorie ist in der Wissenschaft, sagt Marx [irgendwo?], das Experiment. Anders als in den Naturwissenschaften könne man in den Gesellschaftswissenschaften keine Versuchsanordnungen arrangieren. Das Gedankenexperiment müsse das Labor er-setzen. Das logische Modell ist dazu da, Gedankenexperimente zu ermöglichen.

Auch die positive Volkswirtschaftslehre liebt Modelle: mathematische Modelle. Ihr Zweck ist es, den wirtschaftlichen Akteuren – bis hin zu den Wirtschaftspolitikern – Gedanken-experimente zu erlauben, die ihnen einen Anhaltspunkt für praktische Entscheidungen geben. Im reellen Wirtschaftsgeschehen sind Experimente übrigens durchaus möglich. Schon mancher Unternehmer hat sein Geschäft nach dem trial an error Prinzip betrieben. War er dann pleite, dann ist er um eine Erfahrung reicher, aber um sein Kapital ärmer. Beim nächsten Mal würde er es besser machen, aber leider gibt es kein nächstes Mal. Dem zockenden Wirtschaftspolitiker mag es ebenso ergehen. Mathematische Modelle sind praktisch-spezifisch. Der praktische Zweck ist a priori gegeben: der größtmögliche Nut-zen für den, der zu entscheiden hat. Das Modell erlaubt zu errechnen, welcher kurzfristige Nutzen heute meinen langfristigen Nutzen morgen und übermorgen kompromittieren könnte; und rät gegebenenfalls an, auf das unmittelbar Naheliegende zu verzichten.

Das logische Modell der KPÖ hat nicht den Zweck, praktische Entscheidungen zu er-möglichen. Es dient dazu, durch experimentelle Versuche am Modell Fragen zu formu-lieren, die an das wirkliche Wirtschaftsgeschehen gestellt werden können, um das Funkti-onieren des Gesamtgeschehens zu verstehen. Es ist ein kritisches Werkzeug gegenüber dem ökonomischen Globalprozeß, und keine Untersuchung individueller Entscheidungs-möglichkeiten.

So wie im Übrigen die "Versuchsanordnung" des Naturwissenschaftlers in seinem Labor ebenfalls nicht die wirkliche Natur ist, sondern eben ein Modell davon – genauer gesagt, das Modell eines vorab gedanklich isolierten Teils davon. Seine Ergebnisse bilden keines-wegs die Vorgänge in der Wirklichkeit ab, sondern geben ein cue, ein kritisches Werkzeug für deren Beobachtung. Freilich stellt auch der ökonomische Globalprozeß, den das Mo-dell der KPÖ 'repräsentiert', nicht das ganze gesellschaftliche Leben dar, sondern - wiede-rum - nur einen davon gedanklich vorab isolierten Teil... 

[Fall der Profitrate

Das Kapital interessiert sich nicht für die Rate, sondern für seinen Profit – im Verhältnis zu… Ja, im Verhältnis wozu? 

Den Aktionär interessiert allerdings die Rate: Wie hoch ist seine Rendite, im Vergleich zur Rendite in andern Un-ternehmen (oder Geschäftszweigen)? Ist sie nämlich niedriger als dort, verschiebt er seine Anlage in den profita-bleren Sektor. Ist die Durchschnittsrendite 5%, dann wird er mit 4% nicht zufrieden sein. Liegt sie bei 3%, wird er sich mit 4% glücklich schätzen (und es bald mit dem konkurrierenden Kapital zu tun bekommen, das nun in seinen Sektor  strömt). Der Aktionär zieht seine Anlage erst dann aus dem Ver-kehr, wenn er gar nichts mehr bekommt – und legt einen Schatz an. [Die um sich greifen-den Hedge Fonds…?] 

Für das operierende Kapital ist der Bezugspunkt aber nicht der Durchschnitt, auch un-mittelbar noch nicht die Gewinnspanne der Konkurrenten, sondern die absolute Größe, die ein Geldbetrag haben muß, um wieder als Kapital fungieren zu können. Wie groß die Summe seines Gewinns sein muß, um neu ins Geschäft einzutreten, oder eine bestehende Anlage so zu erweitern, daß sie zusätzlichen Profit erbringt. Das heißt, so lange die Akku-mulation schneller voranschreitet, als die Profite sinken…

Das Modell der KPÖ hilft dem individuellen Kapital kein bisschen bei seinen Entschei-dungen. Es erlaubt lediglich, das globale wirtschaftliche Geschehen danach zu befragen, welche krisenhaften Ereignisse als Ausdruck einer global fallenden Profitrate interpretiert werden können.

[Wert]

Der 'naturalistische Wertbegriff' (Preobraschenski gg. Bucharin) ist die Vorstellung, der Wert sei eine sachliche Eigenschaft der Waren als res extensae. Das gilt aber nicht einmal für den Gebrauchswert. Sicher, hätte das Getreidekorn keinen so hohen Anteil an Kohle-hydraten, hätte es keinen Nährwert für die Menschen. Aber der Nährwert der Kohlehy-drate liegt nicht in ihnen selbst begründet [ohne einen Esser hätten sie keinen], sondern in der Organisation des menschlichen Stoffwechsels. Jene ist zu diesem hinzugetreten, nicht umgekehrt. [Na ja, Selektion und Anpassung…] Der Tauschwert entsteht (um im Bilde zu bleiben), weil der menschliche Stoffwechsel auch Fett, Proteine und Mineralien braucht, und sie sich nicht gegenseitig ersetzen können. Eine überschüssige Menge Koh-lehydrate muß daher gegen eine fehlende Menge Fett oder Protein eingetauscht werden. So geschieht es, dass die drei im gegebenen Fall einander vergleichbar werden. Ihre Ver-gleichbarkeit liegt nicht in ihrer stofflichen Zusammensetzung – gerade an der nicht –, sondern in der Natur des Bedürfnisses, auf das sie stoßen. 

……

'Wert' ist eine rein logische Funktion, bloß fiktionale "Rechengröße" in einem Gedanken-experiment, der Nichts entspricht von Allem, das im reellen Wirtschaftsprozess tatsäch-lich vorkommt. 'Wert' ist ein Wert, der "vorkommen würde, wenn" in einem arbeitsteili-gen Gemeinwesen, wo jeder nur für Andere produziert, vorab ein Plan aufgestellt würde von der verfügbaren Arbeitszeit (wobei die unterschiedlichen Arbeitsqualitäten auf "zu-sammengesetzte" Arbeit umgerechnet wären), und dann die Produkte der Einzelnen auf die – ebenfalls vorab quantitativ umgerechneten – Bedürfnisse verteilt würden. Siehe "Randglossen zum Gothaer Programm": 'Zunächst' würde jeder von den vorliegenden Produkten den Anteil erhalten, der seinem Anteil an der verausgabten Arbeit(szeit) ent-spricht. An der Lohnhöhe würde sich gegenüber der Markt-Wirtschaft also kaum was ändern (bloß die Privatrevenue der Bourgeois; verrechnet gegen das Gehalt der nun er-forderlichen Planungsfachleute); ein 'Mehrwert' würde immer noch zurückgehalten zwecks Instandhaltung und Akkumulation. Erst in einem "2. Stadium" wären nicht die 'Werte' der Produkte Maßstab der Verteilung, sondern die Gewichtung der Bedürfnisse. Dann wäre der 'Wert' = 'durchschnittliche Arbeitszeit' eine bloße Messeinheit; nicht mehr Maßstab!

(Fragt sich freilich, ob sich ohne Tauschwert, der dazwischenträte, die 'Zusam-mengesetztheit' der Arbeiten aus so und soviel 'Durchschnittsarbeiten' irgendwie ermitteln ließe! Man müsste es aus den 'Produktionskosten' einer jeden 'Arbeits-kraft' errechnen – also was er wie lange gelernt hat; wobei kein Mittel wäre, zu erfahren, ob er das, was er gelernt hat, auch wirklich tut! Wo der Tauschwert herrscht, erfährt man's – hinterher: Wenn das Zeug nicht gegen die Konkurrenz bestehen kann. In der DDR gab's keine Konkurrenz, daher… [usw.]! M. a. W., die 'gesellschaftlich notwendige' Durchschnittsarbeit ist ebenso eine fiktionale Größe zwecks Gedankenexperiment.)

Aber wenn sie nicht die Arbeit zum Maß nähmen; wenn sie jeden einzelnen Gegenstand dem je individuellen Bedürfnissen nach je besonderen Gesichtspunkten zumessen würden – dann wäre eben auch das deren jeweiliger 'Wert'. Nur dass es eben kein allgemeines Maß der Werte gäbe. So wird man sich die 'naturwüchsige' Verteilung in den ursprünglichen Ge-meinschaften denken müssen. Daß dabei 'Alle gleich' gewesen wären, wird man kaum an-nehmen können.

"Innerhalb der genossenschaftlichen, auf Gemeingut an den Produktionsmitteln gegründeten Gesell-schaft tauschen die Produzenten ihre Produkte nicht aus; ebensowenig erscheint hier die auf Produkte verwandte Arbeit / als Wert dieser Produkte, als ein von ihnen besessene sachliche Eigenschaft, da jetzt, im Gegen-satz zur kapitalistischen Gesellschaft, die individuellen Arbeiten nicht mehr auf einem Umweg, sondern unmittelbar als Bestandteil der Gesamtarbeit existieren." 
Marx, Randglossen zum Programm der deutschen Arbeiterpartei, MEW 19, S. 19f.

Entwurf, 16. 5. 2015



Hier bricht der Entwurf ab. Ob die Kritik der Politischen Ökonomie selber eine Theorie ist - ein Modell der bürgerlichen Gesellschaft -, blieb unbeantwortet. Was hat mich vom Weiterschreiben abgehalten? Wohl eine dringendere Arbeit, denn ein Geheimnis ist die Ausführung ja nicht:

Das theoretische Modell, von dem Marx ausgeht, ist das Klassische System der Politi-schen Ökonomie, auch das Smith-Ricardosche System genannt. Tatsächlich hat Marx, als er begonnen hat, an dem Werk zu arbeiten, das schließlich unter dem Titel Das Kapital - Kritik der politischen Ökonomie erschien, noch gemeint, er sei lediglich dabei, dieses System zu vervollständigen.

Einer Vervollständigung bedurfte es allerdings. Denn das theoretisch bedeutendste Pro-blem dieser Theorie, wo nämlich der Mehrwert herkommt, wird bei Smith nur gestreift und von Ricardo als Problem nicht einmal mehr erkannt.

Wenn nämlich alle Marktteilnehmer Warenbesitzer sind und untereinander alle ihre Waren zu ihrem Arbeitswert, nämlich ihren Herstellungskosten, austauschen, wie es das Wertge-setz fordert, bleibt der Wert des Gesamtprodukts immer derselbe, ein Zuwachs geschieht nicht. 


Smith machte bei seiner Grundannahme, dass der Wert jeder Ware in der in ihr vergegen-ständlichten Arbeit bestünde, eine bemerkenswerte Ausnahme: Die Arbeit selbst hat näm-lich bei ihm einen natürlichen, nicht ihrerseits durch Arbeit bestimmten konstanten Wert, nämlich den Kornpreis. Die Arbeiter ernähren sich von Brot, das wird aus Korn gebak-ken, aber das Korn ist ein Produkt des Bodens, der Natur (gr. physis) und nicht der Ar-beit. Das war ein physiokratischer Rest, und dies ausgerechnet mitten im Kern des ganzen Systems.* Ricardo hat Smith deswegen gescholten, aber eine andere Lösung vorgeschla-gen hat er nicht; er hat nicht einmal eingesehen, dass eine Lösung theoretisch notwendig war.

Marx hat sich lange bei dem Versuch aufgehalten, den Mehrwert aus dem Begriff des Werts zu entwickeln und hat sich dabei zu seinem unglückseligen "Kokettieren mit der Hegel'schen Ausdrucksweise"  verleiten lassen; dies aber ohne Ergebnis. Erst als er sich, ersatzweise, dem Studium der wirklichen Geschichte der Produktionsweisen zuwendet - Formen, die der kapitalistischen Produktionsweise vorhergehen -, fällt ihm auf, dass der Lohnarbeiter im Unterschied zu allen andern Marktteilnehmern kein gegenständliches Produkt zum Tausch anbietet, sondern sein lebendiges Arbeitsvermögen selbst. Etwas anderes hat er nicht, aber mit seiner bloßen Arbeitskraft kann er selber nichts anfangen: Ihm fehlen die Arbeitsmittel; mit andern Worten: das Kapital.

Das war nicht immer so; sie verfügten einmal über ein Arbeitsmittel; über Bodenfrüher, als sie noch Bauern waren, sei es als Pächter, sei es als Teilhaber am Gemeindeland. Wie kam es, dass sie darüber heute nicht mehr verfügen - etwa durch den 'Tausch gleicher Werte'? Keineswegs, sondern durch außerökonomische Gewalt; sie sind von Grund und Boden vertrieben worden.

Erst seither ist Arbeitskraft überhaupt zur austauschbaren Ware geworden, "von Natur" ist sie eine personale Eigenschaft. Sie kann daher auch nicht verkauft, sondern muss auf Zeit vermietet werden. Jetzt erst und unter diesen Bedindungen wird ihr Wert durch ihre Herstellungs-, d. h. Reproduktionskosten bestimmt. Aber daraus folgt unmittelbar, dass ihre Produkte nicht dem Eigentümer der Arbeitskraft gehören, sondern dem, der sie wäh-rend der Arbeitszeit gemietet hat, denn der hat sie sachlichen Mittel bereitgestellt, die dem Arbeiter überhaupt erst erlaubt haben, seine Arbeitskraft zu verausgaben. Die Verausga-bung der Arbeitskraft gehört dem Kapitaleigner, denn der hat sie bezahlt.

Kurz gesagt, eine Theorie der bürgerlichen Gesellschaft ist die Kritik der Politischen Öko-nomie nur, indem sie eine Kritik am Modell der Smith-Ricardoschen Schule ist. Als Theo
-rie ist sie rein negativ. 

Das hat seine besondere Pointe. Denn da, wo die Kritik doch einen positiven Beitrag zur ökonomischen Theorie leistet, das Gesetz vom tendenziellen Fall der Profitrate nämlich (das schon vor Marx erahnt, aber nicht ausgeführt wurde), erweist sich, dass das, was von einer Theorie in specie erwartet wird: ein wirkliches Geschehen in Begriffe zu fassen, im Bereich des menschlichen Handelns gar nicht möglich ist. Zwar ist das Gesetz absolut und, wie es der Begriff verlangt, allzeit wirksam; aber ob in der gegenständlichen Welt aus der Tendenz jemals ein Akut wird, also ob die Profitrate jemals wirklich fällt, ist ausschließ-lich eine Sache der Wirklichkeit, die nur aus Zufällen besteht. Dass es irgendwann geschieht, ist logisch genauso gut möglich, wie dass es nie geschieht.


Insofern liefert die Kritik der Politischen Öko-nomie einen abschließenden Beitrag über die Brauchbarkeit nomothetischer und idiographischer Wissenschaft in der Geschichtsbe-trachtung.

*) Es war weniger dumm, als es hinterher aussieht, denn es hatte den Augenschein für sich. Zu Smith's Zeit gab es in England Preisstatistiken seit rund 50 Jahren - und in dieser Zeit hatte sich der Kornpreis kaum verändert.

30. 1. 18 

Dynamische Darstellung, statische Kritik, I.

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