Mittwoch, 8. Mai 2024

Geist ist Deutung des Gefühls.

                                                   aus Wissenschaftslehre - die fast vollendete Vernunftkritik

Was es auch sein möge, das den letzten Grund einer Vorstellung enthält, so ist wenigstens so viel klar, dass es nicht selbst eine Vorstellung sei und dass eine Umwandlung damit vor-gehen müsste, ehe es fähig ist, in unserm Bewusstsein als Stoff einer Vorstellung angetrof-fen zu werden.  

Das Vermögen dieser Umwandlung ist die Einbildungskraft. – Sie ist Bildnerin. Ich rede nicht von ihr, insofern sie ehemals gehabte Vorstellungen wieder hervorruft, verbindet, ordnet, sondern indem sie überhaupt etwas erst zu einer Vorstellung macht. – Sie ist inso-fern Schöpferin des eigenen Bewußtseins. Ihrer, in dieser Funk/tion , ist man sich nicht bewußt, gerade weil vor dieser Funktion vorher gar kein Bewusstsein ist. Die schaffende Einbildungskraft. Sie ist Geist.

Resultat. Dieses Bild müssen wir selbst bilden.


Nun muss im Ich das liegen, was sie bildet. 

(Wo ist der eigentliche philosophische Beweis dafür, dass die Einbildungskraft etwas im Ich zum Gegenstande haben müsse? - - Sie ist tätig - aber nicht auf das Ich, sondern auf ein Nicht-Ich. - Das Ich ist schon, wenigstens virtualiter, hevorgebracht, denn sowie sie ihr Produkt vorhält, hält sie es dem Ich vor. Das Ich wird aber nur durch Unterscheidung von einem Nicht-Ich hervorgebracht. Mithin muss ein solches zu Unterscheidendes vorhanden sein: und zwar im Ich vorhanden sein. - 

Wie und warum im Ich? - Es kann nur durch ein Vermögen des Ich vom Ich unterschieden werden; mithin muss es Gegenstand dieses unterscheidenden Vermögens sein - also schon in diesem Vermögen liegen. - Eine Qualität, eine prädikative, des Ich. 

Die (schaffende) Einbildungskraft selbst ist Vermögen des Ich. (Könnte sie nicht das ein-zige Grundvermögen des Ich sein? - Nein, darum nicht, weil das Produkt derselben vom Ich unterschieden wird: also auch nach ihrer Funktion noch ein Ich da ist.) Also es muss einen höhern Grund ihres Schaffens im Ich geben. - (Heißt im Grund das gleiche als: Es muss nocht etwas übrig bleiben, was Substrat des Ich ist, auf welches das Produkt der Ein-bildungskraft bezogen wird, und das ist offenbar das Fühlende, und im Gefühl liegt mithin der Urstoff des [sic], was die Einbildungskraft bildet. ... ____________________________________________________________________
J. G. Fichte, in Von den Pflichten der Gelehrten, Hamburg 1971 [Meiner], S. 126f.; desgl. in Gesamtausgabe II/3, S. 297f.  

 
Nota I. - Geist ist toto genere Einbildungskraft. Aber das Ich ist nicht Geist (vom empiri-schen Individuum ganz zu schweigen). Wenn die Einbildungskraft nicht etwas vorfindet, das sie dem Ich ein/bilden kann, ist sie arbeitslos. Nicht das, was sie vorfindet, [wurde von der Einbildungskraft gebildet], sondern das, was sie vorgefunden hat: was es ist, das es bedeutet


Vorgefunden hat sie das krude Sinnesdatum: Gefühl. Das ist der Stoff, an dem die Einbil-dungskraft arbeitet. Er ist, auch ohne Einbildungskraft; er ist lediglich nicht dieses oder je-nes.

*

So apodiktisch wie an dieser Stelle hat es Fichte meines Wissens nie wieder ausgesprochen. Natürlich: Denn es ist ein Ergebnis des Systems, das er doch erst noch auszuarbeiten hatte. Und wenn er es auch je fertig ausgearbeitet hätte: Eine "feste Terminologie" ist der Wissen-schaftslehre fremd, weil sie nicht erlernt, sondern nur selbst-gedacht werden kann. Für di-daktische Zusammenfassungen dieser Art gibt es gar keine Berechtigung.

Daher kommt die hier wiedergebene Stelle auch nirgends in seinen Veröffentlichungen, aber auch - nicht in seinen mündlichen Vorträgen vor! Sie stammt vielmehr aus seinen eig-nen Aufzeichnungen, die er zur Vorbereitung seiner öffentlichen Vorträge Über Geist und Buchstaben in der Philosophie angefertigt hat, die an die Pflichten der Gelehrten anschlos-sen. Diese Vorträge selbst sind nicht überliefert, wohl aber eine spätere Ausarbeitung für Schillers Zeitschrift Horen, die auf ihre Art selber Geistesgeschichte gemacht hat. 

Dass er sie in dieser Form nie wiederholt hat, hat seinen guten philosophische Grund. Wer aber - wie ich - historisch deutlich machen will, was Fichte wirklich gemeint hat, darf sie in der Darstellung ganz nach vorn setzen
.
21. 8. 17

 
Nota II. - Eigentlich ist das Gefühl die Grenze zwische Ich und Nichtich, zwischen Subjekt und Objekt. Es gehört schon dem Ich an - aber verursacht doch durch das Nichtich. Aller-dings nicht vom Nichtich aus eigner Absicht, sondern durch den Widerstand, den es der tätigen Absicht des Ich entgegengesetzt hat. Es ist die ursprüngliche Realität, aber ist doch bloß Vermittlung. Es ist die ursprüngliche Realität meiner Vorstellung. Vermittlung ist es für den kritischen Philosophen.
JE, 19. 4. 19
 
 
 
Nota. Das obige Bild gehört mir nicht, ich habe es im Internet gefunden. Wenn Sie der Eigentümer sind und seine Verwendung an dieser Stelle nicht wünschen, bitte ich um Nachricht auf diesem Blog. 

Dienstag, 7. Mai 2024

Quantität bedeutet bei Fichte Teilbarkeit.

                          
Vergleich mit dem Compendio §§ 2 et 3.                   aus Wissenschaftslehre - die fast vollendete Vernunftkritik

Hatten wir hier [Grundlage...] etwas postuliert, so wäre es das Erkenntnis überhaupt des Über-gehens vom Ich zum Vorgestellten. Dass diese Erkenntnis, dies Objektive bestimmt sein müsse, ist in der Anschauung nachgewiesen. Aus dieser notwendigen Bestimmtheit ist Be-stimmbarkeit und aus dieser das NichIch deduziert.  

In diesem Stücke nun [WL nova methodo] ist der beobachtete Gang völlig umgekehrt. Es wird das ausgegangen vom Entgegensetzen des NichtIch, und es wird postuliert als absolut (§2). Aus diesem Entgegensetzen wird das Bestimmen abgeleitet (§3). Beide Wege sind richtig; denn die notwendige Bestimmtheit des Ich und das notwendige Sein des NichtIch stehen im Wechsel. Man kann von einem zum andern übergehen. Beide Wege sind möglich.

Aber gegenwärtiger hat die Vorzüge: Die Bestimmtheit des Ich ist zugleich Verbindungs-mittel zwischen Ich und NichtIch. Was nach der gegenwärtigen Darstellung Verhältnis zwischen Bestimmtheit und Bestimmbarkeit genannt wurde, heißt im Buch Quantität, zu-weilen auch Quantibilität. Dies hat zu Missverständnissen Veranlassung gegeben. Quantität hat eigentlich nur das Setzende. Aber davon ist hier noch gar nicht die Rede. Der 3. Para-graph würde jetzt der 2. sein, und umgekehrt. Mit dem NichtIch ist abermal[s] ein anderer Weg eingeschlagen worden, das NichIch ist nicht unmittelbar, sondern mittelbar postuliert worden.
____________________________________________
J. G. Fichte, Wissenschaftslehre nova methodo, S. 44   


Nota. -  Die erste Darstellung der Wissenschaftslehre - Grundlage der gesamten Wissen-schaftslehre - war 1793/94 entstanden als Begleittext zu Fichtes Vorlesung an der Universi-tät Jena und wurde bogenweise an die Studenten ausgegeben. Dass mit dieser Verfahrens-weise keine geschlossene Darstellung zu erreichen ist, war zu erwarten. Fichte war sehr bald mit dieser ersten umfassenden Ausarbeitung unzufrieden. Erst 1798 lag mit der WL nova methodo eine neue vollständige Darstellung vor, jedenfalls so weit, dass Fichte sie als Vorle-sung vortragen konnte.

Eine schriftliche Ausarbeitung ist nicht mehr zustande gekommen, weil Fichte in Folge des Atheismusstreits zu der Überzeugung kam, dass seine Philosophie in der breiten Öffentlich-keit immer absichtlich oder unabsichtlich missverstanden werden würde, und sich seither auf den mündlichen Vortrag der WL beschränkte. Von der WL nova methodo liegt auch kein eigenhändiges Manuskript vor. Der hier veröffentlichte Text ist die Nachschrift eines Hörers. Es wird nicht jede Silbe authentisch sein. Doch wo immer die Grundlage von 1793 /94 Anlass zu Zweifeln gibt, kann dieser Text als ausschlaggebende Erläuterung gelten.
JE 24. 4. 16


 

Nota. Das obige Foto gehört mir nicht, ich habe es im Internet gefunden. Wenn Sie der Eigentümer sind und seine Verwendung an dieser Stelle nicht wünschen, bitte ich um Nachricht auf diesem Blog. JE

Montag, 6. Mai 2024

Das Übersinnliche ist Schema des Handelns; III.

                                                                zu Philosophierungen 

Das Schema fürs Übersinnliche ist das Handeln.
___________________________________________________________________
J. G. Fichte, Wissenschaftslehre nova methodo, Hamburg 1982, S. 113 


Nota I. -  Im Übersinnlichen sind keine Dinge abgebildet, sondern das, was man mit ihnen tun kann. Die Begriffe der Dinge bezeichnen ihre möglichen Zwecke.

25. 7. 17


Nota II. - Handeln ist das erste Ursprüngliche. Zu Bewussstsein kommt es in der Reflexion. Im Begriff  gerinnt das Handeln zu Sein und zerfällt in einen Tätigen und einen Gegen-stand - und dazwischen, als das Vermittelnde, einen Zweck. Tätiger und Gegenstand sind sinnlich; bloß vorgestellt ist der Zweck. Er ist kein wirkliches Sein. Als seiend gedacht, ist er das Übersinnliche. 

So muss die Reflexion ihre drei Teile wieder zusammenfügen, um ein wirkliches Handeln denken zu können. Der dritte, der nichtsinnliche Bestandteil ist kein Etwas, sondern ledig-lich Schema.
21. 4. 19

 

Nota III. - Auf der ersten semantischen Ebene - 'real' - ist das Handeln das erste Ursprüng-liche. Auf der zweiten semantischen Ebene - 'ideal' - ist das Gefühl das Erste. Sie dachten, es sei andersrum? Nein, das ist es nicht.
6. 12. 20


 

Nota. Das obige Bild gehört mir nicht, ich habe es im Internet gefunden. Wenn Sie der Eigentümer sind und seine Verwendung an dieser Stelle nicht wünschen, bitte ich um Nachricht auf diesem Blog.

Sonntag, 5. Mai 2024

Wann ist die Wissenschaftslehre abgeschlossen?

                               zu Wissenschaftslehre - die fast vollendete Vernunftkritik

In der Theorie hat die Philosophie alle Menschen als besondere zum Objekt, und sie ist ge-schlossen, so wie der Mensch in concreto dasteht, ihre Ansicht gilt für jedes Individuum. In der ... Rechtslehre wird der Mensch im realen Gesichtspunkte gedacht.
_________________________________________________
J. G. Fichte, Wissenschaftslehre nova methodo, S. 243

 

Hier sagt es Fichte selbst: Die spezifische Arbeit der Wissenschaftslehre ist getan, wo aus der spekulativ-synthetischen Rekonstruktion der wirkliche Mensch als Individuum hervor-gegangen ist: als Glied der Reihe vernünftiger Wesen, das mit den anderen vernünftigen Wesen in einem Rechtsverhältnis steht. Spezifisch ist diese Arbeit, soweit die Wissenschafts-lehre die Kantsche Vernunftkritik zu vollenden hat. Als Ur sache des historisch vorgefunde-nen Vernunftsystems hat sie ein sich-selbst-setzendes Ich freigelegt, das seinerseits nur als freie Tat eines reinen Wollens vorgestellt werden kann.

Erwiesen ist diese Kritik, sobald es gelang, aus dieser aufgefundenen Prämisse das gesamte vorgefundene System der Vernunft zu rekonstruieren (und ipso facto alles auszuscheiden, was nicht hineingehört und nur irrtümlich unterschoben war). Das vorgefundene System der Vernunft ist nichts anderes als die in der Reihe vernünftiger Wesen Gestalt gewordene intelligible Welt. Die spezifische Arbeit der Wissenschaftslehre ist abgeschlossen mit dem Übergang zur positiven Rechtslehre.

'An der Stelle ist die Arbeit der Wissenschaftlehre erledigt: Hier beginnt das wirkliche Wis-sen und die Herrschaft der Vernunft. Was in specie vernünftig ist, entscheiden dann die re-ellen Wissenschaften. Die Wissenschaftslehre erklärt lediglich, wie das möglich wurde',* und das wars, was man von ihr erwarten durfte, weil sie es selbst beansprucht hatte.

Sie hat aber unterwegs mehr getan. Sie hat den Grund einer Anthropologie gelegt. Das ist die spekulative Zugabe, die sie aus Freiheit geleistet hat. Eine Arbeit, die ohne spezifischen Zweck und nur um ihrer selbst willen getan wird, ist Spiel oder Dichtung. Man würde ande-renfalls Anthropologie als den Zweck der Vernunftkritik toto genere annehmen müssen. Das ginge auch.

20. 6. 21



Nota. Das obige Foto gehört mir nicht, ich habe es im Internet gefunden. Wenn Sie der Eigentümer sind und seine Verwendung an dieser Stelle nicht wünschen, bitte ich um Nachricht auf diesem Blog. JE

Samstag, 4. Mai 2024

Der Abschluss des Systems und was darüber hinausgeht.

                                 aus Wissenschaftslehre - die fast vollendete Vernunftkritik

Nachtrag zu Das Übersinnliche ist Schema des Handelns

Die Wissenschaftslehre ist kein Bericht davon, was sich in der Zeit wirklich zugetragen hat; sie entwirft ein Modell alias Schema, aus dem das, was sich wirklich zugetragen hat, ver-ständlich wird; nämlich einen Sinn erhält. Nun sind zwei Darstellungsweisen möglich: ein-mal ausgehend von dem Modell und seinem Sinn; ein andermal ausgehend von dem man-nigfaltigen Wirklichen, dem durch die Darstellung im Modell ein Sinn erst zugedacht ward. 

Freilich stellt die Darstellung in beiden Fälle das Modell dar! Die mannigfaltigen (sagen wir mal:) Subjekte, die im Verlauf der wirklichen Geschichte durch ihre reellen Wechselwirkun-gen schließlich die Vernunft ausgebildet haben, erscheinen im Modell  als das eine noch un-bestimmte X, das sich als ein Ich gesetzt hat, indem es sich ein/em einstweilen ebenso un-bestimmten NichtIch entgegen gesetzt hat. 

Dieses X ist nicht 'hergeleitet' aus dem Modell, sondern ist vielmehr der im ersten, analyti-schen Gang der Wissenschaftslehre aufgefundene, weil irreduzible Grund, der als dem wirklichen historischen System der Vernunft vorausliegend gedacht werden muss, wenn die Vernunft denn überhaupt begründet sein soll. Ob sie sich so begründen lässt, lässt sich her-ausfinden durch den Versuch, sie aus diesem angenommenen Grund zu rekonstruieren: der zweite, synthetische Gang der Wissenschaftslehre.

Diesem Versuch sehen wir zu: Es folgt ein Schritt (eine Vorstellung) aus dem (der) vorigen. Wir sehen einem Realen zu; da ist alles a posteriori. In specie: Da ist zuerst Tätigkeit, die begrenzt wird durch den Gegenstand, auf deren Widerstand sie stößt. Der Beobachter er-kennt in dem Widerstand das Gefühl, aus dem durch Anschauung die erste Vorstellung wird. Das ist aber schon die Beschreibung, die nur ein Beobachter machen kann: Das ge-dachte Ich selbst tut jedoch nur dieses oder das - und selbst Dieses oder Das ist schon zu-viel gesagt, denn das Ich tut nur, was es tut. Eo ipso bestimmt es Dieses oder Das; doch darum allein weiß es noch nichts davon: Es müsste erst noch darauf reflektieren. Das aber tut eo ipso der aufmerkende Beobachter. 

Kürzen wirs ab: Der Beobachter - der Transzendentalphilosoph, wie Fichte ihn nennt - sieht zu, wie aus dem Sich-selber-Setzen eines Ich durchs Setzen eines NichtIch schließlich eine Reihe vernünftiger Wesen hervorgeht. 

An der Stelle ist die Arbeit der Wissenschaftlehre erledigt: Hier beginnt das wirkliche Wis-sen und die Herrschaft der Vernunft. Was in specie vernünftig ist, entscheiden dann die reellen Wissenschaften. Die Wissenschaftslehre erklärt lediglich, wie das möglich wurde

*

Der Abschluss des Systems ist durchaus nicht die Bestimmung des absoluten Zwecks als Gegenpol des absoluten Anfangs. Das System ist abgeschlossen, sobald die Reihe vernünf-tiger Wesen als faktische Bedingung für die reelle Herrschaft der Vernunft erwiesen ist. Jene aber war der Ausgangspunkt erst der Kritik und folglich der Rekonstruktion aus der Bedin-gung ihrer Möglichkeit

*

Soweit das aposteriorische Verfahren. 

Das apriorische Verfahren ist dagegen faktisch nicht möglich. 

Nicht der absolute Zweck ist ja der Schlussstein des Systems, sondern - die Reihe vernünf-tiger Wesen. Die Reihe vernünftiger Wesen ist wirklich aber nur als allgemeine Wechselbe-stimmung: als allgemeiner Verkehr Aller mit Allen. Real ist die Vernunft als intelligible Welt. Mit andern Worten: das je und täglich neu gegebene System des wirklichen Wissens; der re-alen Wissenschaften, banal gesagt. Aus seiner Realität die historische Voraussetzung der Reihe vernünftiger Wesen zu deduzieren wäre deren eigene Aufgabe (der Historischen An-thropologie in specie). Zu der verhält sich die Wissenschaftslehre jedoch nicht konstitutiv, sondern allenfalls kritisch.

Apriorisch ist eine Darstellung der Wissenschaftslehre nicht möglich, weil wir darstellenden Menschen in der Zeit leben und nicht Alles Auf Einmal aussagen können, sondern immer nur Eines nach dem Andern. Die Reihe vernünftiger Wesen müsste 'an sich' der Ausgangs-punkt einer apriorischen, nämlich deduktiven Darstellung 'des Systems' sein, er ließe sich aber aussagen nur als... der aktuelle Gesamtbestand der Wissenschaften, also faktisch gar-nicht.  

Eine apriorische Reflexion ist immer nur in concreto möglich: nämlich an irgendeiner will-kürlich herauszugreifenden Stelle der Deduktion. Es könnten die Anschauung von Raum und Zeit und etwa die Kategorie der Kausalität als Bedingung der intelligiblen Welt rekon-struiert und eo ipso deduziert werden...

Deduzieren ist apriori, Rekonstruieren ist aposteriori. Oder, wenn Sie so wollen, umgekehrt. In concreto ist das eine so wohl wie das andere. Die Frage ist lediglich, ob man von oben nach unten oder von unten nach oben vorgegangen ist. 

21. Juli 2021


 

Nota. Das obige Bild gehört mir nicht, ich habe es im Internet gefunden. Wenn Sie der Eigentümer sind und seine Verwendung an dieser Stelle nicht wünschen, bitte ich um Nachricht auf diesem Blog. 

Freitag, 3. Mai 2024

Dem Wahren, Guten, Schönen...

                           zu Philosophierungen

... hat der Verstand nichts entgegenzusetzen. Denn vor ihm braucht es sich nicht zu recht-fertigen. Es behauptet sich in der Anschauung - evident, oder eben nicht. Doch anders als der Verstand kann die Evidenz keine Gründe ins Feld führen. Sie muss anschaulich über-zeugen, und wer sagt: Mich nicht, dem kann sie nicht beikommen. Denn sie ist nicht ope-rativ - Schritt für Schritt - , sondern muss überwältigen

Ob oder ob nicht - liegt das an ihr, oder an den zu-Überwältigenden?

 

 

Nota. Das obige Foto gehört mir nicht, ich habe es im Internet gefunden. Wenn Sie der Eigentümer sind und seine Verwendung an dieser Stelle nicht wünschen, bitte ich um Nachricht auf diesem Blog. JE 

Donnerstag, 2. Mai 2024

Was man hineingetan hat.

hannover                                 aus Wissenschaftslehre - die fast vollendete Vernunftkritik

... 'Diskursiv', das heute in verschiedenster Bedeutung gebraucht wird, verwendet [Fichte] als bestimmtes Korrelat zu 'sukzessiv'. Da wir kein Ganzes, sondern immer nur Teile auffassen können, und zwar eines nach dem andern, können wir sie nur denken, indem wir in unserer Vorstellung eines nach dem andern, in der Zeit, wieder aneinanderfügen.

Dies nennt er ein Denkgesetz.

Ein Denkgesetz sei auch, dass wir zu jedem Bestimmten ein Bestimmbares denken müssen. Ein 'Gesetz' soll das sein? Es ist lediglich eine Explizitierung dessen, was im Verb 'bestim-men' vorgestellt wurde. Das Vorgestellte ist als Ganzes Eins, ein Singulum, und als ein sol-ches kann darüber keine Aussage gemacht werden (de singularibus non est scientia), man muss es in sich selbst unterscheiden, um es dar
stellen zu können; und die 'Teile' nach ein-ander wieder zusammensetzen.

Das Vor
gestellte ist das Gemeinte. Gemeint wird die Handlung des Bestimmens. Über-haupt jeder 'Begriff' ist lediglich eine solche Handlung, die als Ruhe gedacht wird. Als Handlung 'hat' sie aber - denn das ist das im Bild der Handlung Gemeinte - wenigstens diese drei 'Teile': S p dass q.

'Gesetz' ist daran, dass man aus einem Gehalt nur herausholen kann, was er enthält - in transzendentalem Sinn: was man hineingetan hat. Es ist das Verhältnis von realer und idealer Tätigkeit.

28. 1. 17

Mittwoch, 1. Mai 2024

Hat das Denken ein Gesetz?

                                        aus Wissenschaftslehre - die fast vollendete Vernunftkritik

Das ist wieder das kitzliche Thema Denkgesetz. Es ist das verbleibende Mysterium der Wissenschaftslehre, nämlich das Paradox der Freiheit. Freiheit ist das Vermögen, absolut anzufangen. Doch kaum hat das Denken angefangen, erweist es sich als in allerlei Gesetze verfangen. Das wäre nur so zu verstehen, dass jeder Schritt, den es wirklich tut, von nun an in Ewigkeit gültig ist und auch von der absolut freien Reflexion im Nachhinein nicht revi-diert werden kann. Und so würde Schritt für Schritt ein Denkgesetz aus dem andern her-vorgehen.

Doch immer wieder finden sich bei Fichte Stellen, aus denen herausklingt, dass der letzte Zweck der Vernunft der vernünftigen Tätigkeit vorgegeben sei. Dies Schwanken hat seine Wurzel in einer vorwissenschaftlichen romantischen Grundanschauung, die gar nicht in die Philosophie gehört, sondern in Fichtes Lebensbeschreibung. Wer sich heute der Wissen-schaftslehre zuwendet, lässt sie füglich außer Acht.

Damit ist das Schwanken behoben, nicht aber das Paradox: die fortschreitend sich fesselnde Freiheit - die aber doch eine unendliche bleiben soll.

Zurück auf Anfang: Die Wissenschaftslehre soll sein die Vollendung der Kant'schen Ver-nunftkritik; soll erhellen, wie, nämlich aus welchem Rechtsgrund Vernunft im 18. Jahrhun-dert* ihren Herrschaftsanspruch erhebt. Wie weit die Transzendentalphilosophie ihre Ab-straktionen auch immer treibt: Ihr Gegenstand ist die historische Realität. Was bei Fichte die 'Reihe vernünftiger Wesen' ist, ist in der Wirklichkeit das Modell der bürgerlichen Ge-sellschaft, in der die Gelehrten den öffentlich Ton angeben. In der Wissenschaftslehre er-scheint die Reihe vernünftiger Wesen an einer Stelle dem Ich vorgegeben, von ihnen geht die Aufforderung zur Selbstbestimmung alias Vernunft allererst aus. 

Was Vernunft in specie ist, nämlich nach welchen Regeln sie verfährt, finde ich als gegeben vor. Es ist (reell) eine lange Geschichte zweckmäßiger Wechselwirkungen. Vernünftig werde ich handeln, indem ich dieser pro- zessierenden Wechselwirkung beitrete, denn nur in der Welt der Reihe vernünftiger Wesen, der intelligiblen Welt, kann ich vernunftgemäß wirken. Vernunft ist selber keine Denkweise, sondern eine Weise des Handelns in der Welt.

Das Forstschreiten der Vernunft ist das Fortschreiten in der gemeinsamen Bestimmung des Unbestimmten, das Medium der Bestimmung ist der Zweckbegriff. Vernünftig ist eine Welt, in der die Zweckbegriffe fortschreitend vergemeinschaftet werden. Das geschieht reell nicht durch Deliberation, sondern praktisch durch gemeinsames Handeln. Allgemein geltend sind diejenigen Bestimmungen, die gemeinsames Handeln ermöglichen, und das ist eine Sache der Erfahrung und nicht (erst) der Reflexion. Erfahrung geschieht durch Widerstand; auch durch den Widerstand anderer vernünftiger Wesen.

Das gemeinsame Bestimmen der Zweckbegriffe ist zugleich die fortschreitende Selbstbe-stimmung der Reihe vernünftiger Wesen. Da die Bestimmung der Zwecke in der Welt ins Unendliche geht, tut es die Selbstbestimmung der Reihe vernünftiger Wesen desgleichen. Sie ist die treibende Kraft. Ihr Treibstoff ist die Reflexion, die frei und unendlich ist. Zum Wesen der Vernunft gehört Kritik.

*) eigentlich seit dem 17. Jahrhundert
24. 10. 18 

 

 

Nota. Das obige Foto gehört mir nicht, ich habe es im Internet gefunden. Wenn Sie der Eigentümer sind und seine Verwendung an dieser Stelle nicht wünschen, bitte ich um Nachricht auf diesem Blog. JE

Geist ist Deutung des Gefühls.

                                                   aus Wissenschaftslehre - die fast vollendete Vernunftkritik Was es auch sein möge, ...