Das ist wieder das kitzliche Thema Denkgesetz. Es ist das verbleibende Mysterium der Wissenschaftslehre, nämlich das Paradox der Freiheit. Freiheit ist das Vermögen, absolut anzufangen.
Doch kaum hat das Denken angefangen, erweist es sich als in allerlei
Gesetze verfangen. Das wäre nur so zu verstehen, dass jeder Schritt, den
es wirklich tut, von nun an in Ewigkeit gültig ist und auch von der
absolut freien Reflexion im Nachhinein nicht revi-diert werden kann. Und
so würde Schritt für Schritt ein Denkgesetz aus dem andern her-vorgehen.
Doch immer wieder finden sich bei Fichte Stellen, aus denen herausklingt, dass der letzte Zweck
der Vernunft der vernünftigen Tätigkeit vorgegeben sei. Dies Schwanken
hat seine Wurzel in einer vorwissenschaftlichen romantischen Grundanschauung,
die gar nicht in die Philosophie gehört, sondern in Fichtes
Lebensbeschreibung. Wer sich heute der Wissen-schaftslehre zuwendet,
lässt sie füglich außer Acht.
Damit ist das Schwanken
behoben, nicht aber das Paradox: die fortschreitend sich fesselnde
Freiheit - die aber doch eine unendliche bleiben soll.
Zurück auf Anfang: Die
Wissenschaftslehre soll sein die Vollendung der Kant'schen
Ver-nunftkritik; soll erhellen, wie, nämlich aus welchem Rechtsgrund Vernunft
im 18. Jahrhun-dert* ihren Herrschaftsanspruch erhebt. Wie weit die
Transzendentalphilosophie ihre Ab-straktionen auch immer treibt: Ihr
Gegenstand ist die historische Realität. Was bei Fichte die 'Reihe
vernünftiger Wesen' ist, ist in der Wirklichkeit das Modell der
bürgerlichen Ge-sellschaft, in der die Gelehrten den öffentlich Ton
angeben. In der Wissenschaftslehre er-scheint die Reihe vernünftiger Wesen an einer Stelle dem Ich vorgegeben, von ihnen geht die Aufforderung zur Selbstbestimmung alias Vernunft allererst aus.
Was Vernunft in specie ist, nämlich nach welchen Regeln sie verfährt, finde ich als gegeben vor.
Es ist (reell) eine lange Geschichte zweckmäßiger Wechselwirkungen.
Vernünftig werde ich handeln, indem ich dieser pro- zessierenden
Wechselwirkung beitrete, denn nur in der Welt der Reihe vernünftiger
Wesen, der intelligiblen Welt, kann ich vernunftgemäß wirken. Vernunft ist selber keine Denkweise, sondern eine Weise des Handelns in der Welt.
Das Forstschreiten der
Vernunft ist das Fortschreiten in der gemeinsamen Bestimmung des
Unbestimmten, das Medium der Bestimmung ist der Zweckbegriff. Vernünftig ist eine Welt, in der die Zweckbegriffe fortschreitend vergemeinschaftet werden. Das geschieht reell nicht durch Deliberation, sondern praktisch durch gemeinsames Handeln.
Allgemein geltend sind diejenigen Bestimmungen, die gemeinsames Handeln
ermöglichen, und das ist eine Sache der Erfahrung und nicht (erst) der Reflexion. Erfahrung geschieht durch Widerstand; auch durch den Widerstand anderer vernünftiger Wesen.
Das gemeinsame
Bestimmen der Zweckbegriffe ist zugleich die fortschreitende
Selbstbe-stimmung der Reihe vernünftiger Wesen. Da die Bestimmung der
Zwecke in der Welt ins Unendliche geht, tut es die Selbstbestimmung
der Reihe vernünftiger Wesen desgleichen. Sie ist die treibende Kraft. Ihr
Treibstoff ist die Reflexion, die frei und unendlich ist. Zum Wesen der
Vernunft gehört Kritik.
*) eigentlich seit dem 17. Jahrhundert
24. 10. 18
Nota. Das obige Foto gehört mir nicht, ich habe es im Internet gefunden. Wenn Sie der Eigentümer sind und seine Verwendung an dieser Stelle nicht wünschen, bitte ich um Nachricht auf diesem Blog. JE
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