Montag, 27. Mai 2024

Die Opazität der Intelligenz.

  pinterest                                   zu Wissenschaftslehre - die fast vollendete Vernunftkritik

Viel wird gepriesen das interdisziplinäre Denken, das die starren Grenzen der wissen-schaftlichen Fächer überwindet; und, muss man doch hinzufügen, um unheimlich origi-neller Ergebnisse willen auch wohl mal überfliegt. Thomas Metzinger ist ein prominenter Vertreter dieser Pioniere. Er bietet eine bunte Mischung aus Philosophie und Realwissen-schaft, vorzüglich Neurophysiologie und Bewusstseinstheorien. Er lässt nichts aus und schießt dabei manchen Bock. 

Auch an der Kritischen Philosophie geht er nicht scheu vorbei, sondern greift mittenrein: Ein schlauer Trick der Evolution sei es gewesen, dem gesunden Menschenverstand seine Abkunft aus dem Reich des Transzendentalen zu verschleiern und ihm den Rückblick auf sich selbst "opak" zu machen - wohl um ihm lebensfeindliche Zweifel an der Wirklichkeit der Welt zu ersparen.

So komisch das klingt, so hat es doch seinen rationalen Kern. Immer wieder sind wir ver-blüfft von ihrem Einfallsreichtum bei unserer vorausschauenden Anpassung an die Fähr-nisse einer immer rascher sich ändernden Welt. Sollte sie ausgerechnet unser Ich schutzlos einer stetig nagenden Skepsis ausgeliefert haben?

Metzingers Opazität des Bewusstseins ist nicht ein Trick der Evolution, den sie in den andernfalls 'natürlich' glatten Übergang der Welterkenntnis des Menschen zur Selbster-kenntnis der Vernunft künstlich eingefügt hat, um ihn zu einem tätigen Leben in einer schaffenden Gemeinschaft zu ertüchtigen: Das nämlich hat sie besorgt. Der Mensch ist schlechthin produktiv geworden, denn es reicht ihm schon lange nicht mehr, seine Na-turbedürfnissse zu befriedigen, sondern er schafft sich darüberhinaus jedesmal neue Be-dürfnisse, und die Spirale dreht sich ohn' Ende. Die Welt ist ein Warenhaus mit offenem Horizont, da hat der gesunde Menschenverstand überreichlich zu tun. Auch seine Einbil-dungskraft ist gut bedient und es gibt keine sachliche Ursache, dass sie sich nicht ausgelastet fühlte.

Das Mysterium ist vielmehr, dass sie es trotzdem nicht tut - jedenfalls in allen Generationen immer in ein paar Exemplaren. Die nennt man Philosophen, und wenn sie ihr Weg bis nah ans Ziel geführt hat, finden sie sich 'auf dem transzendentalen Standpunkt und sehen von diesem auf den gemeinen Standpunkt herab':

Das ist das Wesen der transzendentalen Philosophie, dass sie nicht will Denkart im Leben werden, sondern zusieht einem Ich, welches im Leben sein Denksystem zu Stande bringt, sie schafft selbst nichts. Dieses untersuchte Ich steht auf dem gemei-nen Standpunkt.

In der Theorie hat die Philosophie alle Menschen als besondere zum Objekt, und sie ist geschlossen, so wie der Mensch in concreto dasteht, ihre Ansicht gilt für jedes In-dividuum. In der Ethik und Rechtslehre wird der Mensch im realen Gesichtspunkte gedacht. Dabei entsteht der deutliche Widerspruch: Der ideale Philosoph betrachtet den realen Menschen? Er ist doch aber auch ein Mensch. Der Mensch kann sich auf den transzendentalen Gesichtspunkt erheben nicht als Mensch, sondern als transzen-dentaler spekulativer Wisschenschaftler. Es entseht in der Philosophie ein Anstoß, in ihr ihre eigene Möglichkeit zu erklären. 

Was gibts für einen Übergang zwischen beiden Gesichtspunkten. - Frage über die Möglichkeit der Philosophie. Beide Gesichtspunkte sind sich ja gerade entgegenge-setzt. Gibts nicht ein Mittleres, so ist nach unseren eigenen Grundsätzen kein Mittel, zu ihm über /zugehen.
 
Es ist faktisch erwiesen, dass es so ein Mittleres gibt zwischen der transzendentalen und gemeinen Ansicht; dieser Mittelpunkt ist die Ästhetik. Auf dem gemeinen Ge-sichtspunkte erscheint die Welt als gegeben, auf dem transzendentalen als gemacht ('Alles in mir'); auf dem ästhetischen erscheint sie als gegeben, so als ob wir sie ge-macht hätten und wie wir selbst es machen würden.
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J. G. Fichte, Wissenschaftslehre nova methodo, S.
243f.


Die schöne Kunst bildet nicht, wie der Gelehrte, nur den Verstand, oder wie der moralische Volkslehrer, nur das Herz; sondern sie bildet den ganzen vereinigten Menschen. Das, woran sie sich wendet, ist nicht der Verstand, noch ist es das Herz, sondern es ist das ganze Gemüt in Vereinigung seiner Vermögen; es ist ein drittes, aus beiden zusammengesetztes. Man kann das, was sie tut, vielleicht nicht besser ausdrücken, als wenn man sagt: sie macht den trans-zendentalen Gesichtspunkt zu dem gemeinen. - 

Der Philosoph erhebt sich und andere auf diesen Gesichtspunkt mit Arbeit, und nach einer Regel. Der schöne Geist steht darauf, ohne es bestimmt zu denken; er kennt keinen ande-ren, und er erhebt diejenigen, die sich seinem Einfluß überlassen, ebenso unvermerkt zu ihm, daß sie des Übergangs nicht bewußt werden. 
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ders., System der Sittenlehre [1798] SW IV, S. 353

  


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