Montag, 20. Mai 2024

'Begriff' in der Wissenschaftslehre - und anderswo.

                                 aus Wissenschaftslehre - die fast vollendete Vernunftkritik

Lieber Leser, sollten Sie, wie ich hoffe, außer in dieses Blog auch gelegentlich in meine Phi-losophierungen schauen, wird Ihnen aufgefallen sein, dass ich den Begriff 'Begriff' dort an-ders gebrauche als Fichte in der Wissenschaftslehre.

Dort beginnt das Bewusstsein faktisch mit dem 'Gefühl', und das ist nichts anderes der Reiz, den die Nervenenden dem Zentrum melden. (Nur bis hierhin reicht die faktische, re-ale Voraussetzung der Wissenschaftslehre, ab da beginnt das transzendentale Schema:) Des-sen Bewertung als so oder anders, als süß oder sauer, geht bereits über das Fühlen hinaus: ist Anschauung, nämlich tätiges Verhalten in so fern, als es bestimmend ist. Nicht aber die Tätigkeit des Bestimmens selbst, sondern erst ihr Produkt wird 'bewusst' in specie: als eine 'Qualität', als Süße, Säure, Bitterkeit… Diese sind Begriffe: Tätigkeiten 'als Ruhe vorgestellt'.

Etwas, das vorgestellt wird, ist nicht 'an sich' Begriff oder Anschauung: Das sind sie beide nur in ihrem jeweiligen Verhältnis zu einander; als das, worauf reflektiert wird, im Unter-schied zur Tätigkeit des Reflektierens selbst; sukzessive Stufen der Reflexion. Denn Tätig-keit kann nur 'angeschaut' werden; 'begriffen' werden kann nur ihr Produkt. (Indessen lässt sich jede Tätigkeit, die als solche nur angeschaut werden kann, durch Abstraktion aus ihrer Verlaufsform in der Zeit herauslösen und 'als Ruhe vorstellen'; dies freilich nur durch einen Kraftakt der Vorstellung.)

In meinen Philosophierungen ist ein 'Begriff' jedoch der bestimmte Platz, den er im hypo-thetisch angenommenen Raum der festgestellten und einander wechselseitig einschränken-den Bedeutungen einnimmt. Mit andern Worten, während in der Wissenschaftslehre das System der Vernunft in seinem Werden dargestellt wird, ist es hier als schon-geworden vor-ausgesetzt.


Corollarium

'Begriff' ist in der WL noch immer Bild – eine individuelle Vorstellung = Vorstellung eines Individuums. Er ist noch nicht SymbolZeichen für eine Vorstellung, das als solches ande-ren Individuen mitteilbar und mit andern Symbolen verknüpfbar wäre. Eine (neue) Vorstel-lung lässt sich (durch fortschreitendes Bestimmen) immer nur actu aus einem bestimmten Vorstellen hervorbringen, aber nicht logisch aus ('als ruhend angeschauten') Vorläufern "ab-leiten". Es muss immer dieser nächste Schritt getan werden, damit eine weitere Vorstellung entsteht, die ihrerseits begreifbar ist.

Wo F. von Begriff redet, ist dessen Symbolcharakter noch nicht (mit)gemeint, sondern lediglich die Dimension der Gefasstheit; nicht die Dimension der Mitteilbarkeit. Sondern gewissermaßen der Begriff an sich, nicht für Andere; realistisch besehen: auch nicht für mich.
aus e. Notizbuch

 

Lehrsatz

Begriff ist die jeweils zweite semantische Ebene. – Begriff ist in der WL stets das Refle-xionsprodukt in seinem Verhältnis zu der Anschauung, auf die sich die Reflexion bezog. Das gilt schon für die erste Anschauung selbst, insofern sie auf die absolut erste seman-tische Ebene reflektiert: das "Gefühl"; und darunter versteht F. dasselbe wie Locke unter sensus und die zeitgenössische Hirnforschung unter einem physiologischen Reiz. Im Verhältnis zu "Gefühl" ist Anschauung "Begriff".

Beide sind nicht gleichrangig. Dies ist die niedere, jenes die höhere Stufe. Es ist dasselbe Verhältnis wie das von Sein und Geltung, von Stoff und Form. Nicht an sich. Doch im Bewusstsein ist eine nicht ohne die andere da; beide gleichzeitig. Sein und Geltung, Stoff und Form sind nur Vorstellungsweisen.
9. 4. 16
 
 
 
 
Nota. Das obige Foto gehört mir nicht, ich habe es im Internet gefunden. Wenn Sie der Eigentümer sind und seine Verwendung an dieser Stelle nicht wünschen, bitte ich um Nachricht auf diesem Blog. JE

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen

Kategorischer Imperativ ist das reine Wollen.

Michelangelo                                           aus Wissenschaftslehre - die fast vollendete Vernunftkriti 4. Die Schwierigkeit ...