Dienstag, 30. April 2024

Der Philosoph und das Individuum.

byzant., Elias     zu Wissenschaftslehre - die fast vollendete Vernunftkritik

Dieses Ich sieht die Welt und die Dinge auch an, / diese seine Ansicht wird auch von dem Gesichtspunkte des Idealismus erblickt, der Idealist sieht, wie dem Individuum die Dinge werden müssen, die Sache ist also für das Individuum anders als für den Philosophen. Für das Individuum nun sind die Dinge, Menschen usw. unabhängig von ihm vorhanden. Der Idealist aber sagt: Dinge außer mir und unabhängig von mir vorhanden, gibt es nicht. 

Beide sagen also das Gegenteil und widersprechen sich doch nicht, denn der Idealist zeigt von seinem Gesichtspunkte aus die Notwendigkeit der Ansicht der Individuen. Wenn der Idealist sagt: außer mir, so heißt dies: außer der Vernunft; bei dem Individuum heißt es: außer der Person.

Den Gesichtspunkt des Individuums kann man den gemeinen nennen, oder den der Er-fahrung. Wird er genetisch angesehen a priori, wenn
[hier: wie] man auf ihn kommt, so findet sich, dass man durch das Handeln auf ihn komme, er heißt daher der praktische. Alle philo-sophische Spekulation ist nur möglich, in wie fern abstrahiert wird (im Handeln findet keine Abstraktion statt), und heißt darum der ideale Gesichtspunkt. Der praktische Gesichtspunkt steht unter dem idealen.

Wenn der Philosoph auf dem praktischen Gesichtspunkt steht, so handelt er wie jedes an-dere Vernunftwesen, und wird nicht durch Zweifel gestört, weil er weiß, wie er auf diesen Standpunkt kommt. Die Spekulation kann nur den stören, der erst angefangen hat zu spe-kulieren, aber noch nicht im Reinen ist; dem kritischen Philosophen kann so etwas nicht einfallen, weil die Resultate der Erfahrung und der Spekulation immer zusammentreffen.

Es gehört aber Festigkeit dazu, sich von dem einen Gesichtspunkt auf den andern zu setzen; hierin fehlt oft der Anfänger, der durch realistische Zweifel in der Spekulation gestört wird, der wird auch im Handeln durch idealistische gestört.

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J. G. Fichte, Wissenschaftslehre nova methodo, Zweite Einleitung,  S. 24f.

 

Nota. - Während des Handelns reflektieren: das kann sich nur leisten, wer den ständigen Perspektivwechsel gewöhnt ist; wer etwa das Denken berufsmäßig treibt. Jeder andere sollte beherzigen: Alles zu seiner Zeit!
JE

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