Samstag, 25. Mai 2024

Das natürliche Bewusstsein und der Philosoph.

   Herodot                                                  zu Philosophierungen 

Das Fortschreiten von Realität zu Realität, von einer Stufe des Bewusstseins zur anderen, ist der Gang des natürlichen Menschen, und wir können da drei Stufen annehmen:

1) Er verknüpft die Objekte der Erfahrung nach Gesetzen, aber ohne dessen sich bewusst zu sein. - Jedes Kind, jeder Wilde sucht zu dem Zufälligen einen Grund, urteilt also nach den Gesetzen der Kausalität, ist sich aber dessen nicht bewusst.

2) Der, der über sich reflektiert, bemerkt, dass er nach diesen Gesetzen verfährt; dem ent-steht ein Bewusstsein dieser Begriffe. In dieser zweiten Region kann es wohl kommen, dass man die Resultate dieser Begriffe für Eigenschaften der Dinge hält; dass man sagt, die Din-ge an sich sind in Raum und Zeit. 

3) Der Idealist bemerkt, dass die ganze Erfahrung nichts sei als ein Handeln des Vernunft-wesens.
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J. G. Fichte, Wissenschaftslehre nova methodo, S. 24


Nota. - Kann es wohl kommen? Muss es wohl kommen. Dass der Mensch räsoniert, sobald ihm sein werktätiger Alltag dafür die Muße lässt, liegt gewissermaßen in seiner Disposition, denn die Erfahrung, dass Essen, Trinken und die andern Erfordernisse des Fleisches nicht sein Ein und Alles sind, hat er aus dem Baumkronen des Urwald mit in die offene Savanne gebracht. Dass er, um dieses zu erreichen, jenes tun muss, brachte er mit, ohne es gleich zu einem Gesetz von Ursache und Wirkung verallgemeinert zu haben. Doch als er das tat, nämlich seit sein Alltag in der bürgerlichen Gesellschaft ein schlechthin werktätiger gewor-den war, konnte er reflektierend immer nur Schritt für Schritt vorgehen, wie man eine Zwie-bel pellt. Je weiter die faktische Beherrschung seiner Welt fortgeschritten war, sind in allen Tätigkeitsbereichen Spezialisten hervorgetreten, die über die Notwendigkeiten des Tages hinaus einen Über blick suchten. So sind en gros unsere Wissenschaftszweige entstanden. 

Weiter kommen die Erfahrungen des natürlichen Bewusstseins nicht.

Der eigentliche Rahmen des bürgerlichen gesunden Menschenverstands, die Fiktion einer restlos begriffenen Welt, ist nicht in den Werkstätten und Kontoren entstanden, sondern aus den Korrespondenzen fachlich übergreifender Gelehrter. Johann Gottlieb Leibniz ist sein idealtypischer Vertreter. Auf ihn bauten Christian Wolff und Alexander Gottlieb Baumgarten das nach ihnen benannte metaphysisch-rationalistische System, indem auch Immanuel Kant großgeworden sind.

In England aber, wo die materielle Produktion schon erste industrielle Züge trug, waren längst Bedenken gegen die rein spekulative Begriffswirtschaft gekommen. Nach Issac Newton, der als erster Erfahrungswissen und rationale (mathematische) Konstruktion systematisch vereinigt hat, traten Sensualisten und Empiriker als besondere Partei in Er-scheinung. Aber wo erst einmal nach vernünftigen Begriffen zu kritisieren begonnen wird, sickert der Zweifel durch jede Ritze. David Hume hat Immanuel Kant den Floh ins Ohr gesetzt: Wenn wohl Alles auf Erfahrung beruht - der harte Kern des Rationalismus, die Kausalität, tut es nicht.

Nicht die Erfahrung macht Ursache und Wirkung denkbar, sondern die 'Kategorie' der Kausalität macht die Erfahrung möglich. Das war der Beginn der Kritik der reinen Ver-nunft - und die beruht, als vielfache Wendung der spekulierenden Intelligenz, schon gar nicht selber auf Erfahrung, wie etwa die positiven Wissenschaften, sondern Wissenschaft von der Wissenschaft.
JE

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