Samstag, 4. Mai 2024

Der Abschluss des Systems und was darüber hinausgeht.

                                 aus Wissenschaftslehre - die fast vollendete Vernunftkritik

Nachtrag zu Das Übersinnliche ist Schema des Handelns

Die Wissenschaftslehre ist kein Bericht davon, was sich in der Zeit wirklich zugetragen hat; sie entwirft ein Modell alias Schema, aus dem das, was sich wirklich zugetragen hat, ver-ständlich wird; nämlich einen Sinn erhält. Nun sind zwei Darstellungsweisen möglich: ein-mal ausgehend von dem Modell und seinem Sinn; ein andermal ausgehend von dem man-nigfaltigen Wirklichen, dem durch die Darstellung im Modell ein Sinn erst zugedacht ward. 

Freilich stellt die Darstellung in beiden Fälle das Modell dar! Die mannigfaltigen (sagen wir mal:) Subjekte, die im Verlauf der wirklichen Geschichte durch ihre reellen Wechselwirkun-gen schließlich die Vernunft ausgebildet haben, erscheinen im Modell  als das eine noch un-bestimmte X, das sich als ein Ich gesetzt hat, indem es sich ein/em einstweilen ebenso un-bestimmten NichtIch entgegen gesetzt hat. 

Dieses X ist nicht 'hergeleitet' aus dem Modell, sondern ist vielmehr der im ersten, analyti-schen Gang der Wissenschaftslehre aufgefundene, weil irreduzible Grund, der als dem wirklichen historischen System der Vernunft vorausliegend gedacht werden muss, wenn die Vernunft denn überhaupt begründet sein soll. Ob sie sich so begründen lässt, lässt sich her-ausfinden durch den Versuch, sie aus diesem angenommenen Grund zu rekonstruieren: der zweite, synthetische Gang der Wissenschaftslehre.

Diesem Versuch sehen wir zu: Es folgt ein Schritt (eine Vorstellung) aus dem (der) vorigen. Wir sehen einem Realen zu; da ist alles a posteriori. In specie: Da ist zuerst Tätigkeit, die begrenzt wird durch den Gegenstand, auf deren Widerstand sie stößt. Der Beobachter er-kennt in dem Widerstand das Gefühl, aus dem durch Anschauung die erste Vorstellung wird. Das ist aber schon die Beschreibung, die nur ein Beobachter machen kann: Das ge-dachte Ich selbst tut jedoch nur dieses oder das - und selbst Dieses oder Das ist schon zu-viel gesagt, denn das Ich tut nur, was es tut. Eo ipso bestimmt es Dieses oder Das; doch darum allein weiß es noch nichts davon: Es müsste erst noch darauf reflektieren. Das aber tut eo ipso der aufmerkende Beobachter. 

Kürzen wirs ab: Der Beobachter - der Transzendentalphilosoph, wie Fichte ihn nennt - sieht zu, wie aus dem Sich-selber-Setzen eines Ich durchs Setzen eines NichtIch schließlich eine Reihe vernünftiger Wesen hervorgeht. 

An der Stelle ist die Arbeit der Wissenschaftlehre erledigt: Hier beginnt das wirkliche Wis-sen und die Herrschaft der Vernunft. Was in specie vernünftig ist, entscheiden dann die reellen Wissenschaften. Die Wissenschaftslehre erklärt lediglich, wie das möglich wurde

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Der Abschluss des Systems ist durchaus nicht die Bestimmung des absoluten Zwecks als Gegenpol des absoluten Anfangs. Das System ist abgeschlossen, sobald die Reihe vernünf-tiger Wesen als faktische Bedingung für die reelle Herrschaft der Vernunft erwiesen ist. Jene aber war der Ausgangspunkt erst der Kritik und folglich der Rekonstruktion aus der Bedin-gung ihrer Möglichkeit

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Soweit das aposteriorische Verfahren. 

Das apriorische Verfahren ist dagegen faktisch nicht möglich. 

Nicht der absolute Zweck ist ja der Schlussstein des Systems, sondern - die Reihe vernünf-tiger Wesen. Die Reihe vernünftiger Wesen ist wirklich aber nur als allgemeine Wechselbe-stimmung: als allgemeiner Verkehr Aller mit Allen. Real ist die Vernunft als intelligible Welt. Mit andern Worten: das je und täglich neu gegebene System des wirklichen Wissens; der re-alen Wissenschaften, banal gesagt. Aus seiner Realität die historische Voraussetzung der Reihe vernünftiger Wesen zu deduzieren wäre deren eigene Aufgabe (der Historischen An-thropologie in specie). Zu der verhält sich die Wissenschaftslehre jedoch nicht konstitutiv, sondern allenfalls kritisch.

Apriorisch ist eine Darstellung der Wissenschaftslehre nicht möglich, weil wir darstellenden Menschen in der Zeit leben und nicht Alles Auf Einmal aussagen können, sondern immer nur Eines nach dem Andern. Die Reihe vernünftiger Wesen müsste 'an sich' der Ausgangs-punkt einer apriorischen, nämlich deduktiven Darstellung 'des Systems' sein, er ließe sich aber aussagen nur als... der aktuelle Gesamtbestand der Wissenschaften, also faktisch gar-nicht.  

Eine apriorische Reflexion ist immer nur in concreto möglich: nämlich an irgendeiner will-kürlich herauszugreifenden Stelle der Deduktion. Es könnten die Anschauung von Raum und Zeit und etwa die Kategorie der Kausalität als Bedingung der intelligiblen Welt rekon-struiert und eo ipso deduziert werden...

Deduzieren ist apriori, Rekonstruieren ist aposteriori. Oder, wenn Sie so wollen, umgekehrt. In concreto ist das eine so wohl wie das andere. Die Frage ist lediglich, ob man von oben nach unten oder von unten nach oben vorgegangen ist. 

21. Juli 2021


 

Nota. Das obige Bild gehört mir nicht, ich habe es im Internet gefunden. Wenn Sie der Eigentümer sind und seine Verwendung an dieser Stelle nicht wünschen, bitte ich um Nachricht auf diesem Blog. 

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