...denn das Sittengesetz fordert Selbständigkeit nach Begriffen...
Das System der Sittenlehre nach den Principien der Wissenschaftslehre, SW Bd. IV, S. 355
...ich kann sonach von dem, was ich sollte, keinen Begriff haben, ehe ich es wirklich tue.
Nota I. - Der ästhetische Sinn sei noch keine Tugend, weil er 'ohne
alle Begriffe von selbst kommt'. Sittlichkeit verlange aber nach
Begriffen. Doch kann ich von meiner Pflicht 'kei-nen Begriff haben', ehe
ich sie wirklich tue -? Wie ich es drehe und wende, das ist ein
Wi-derspruch. Anscheinend ist der ästhetische Sinn doch der Wegbereiter,
der Begriff kommt erst im Nachhinein, als Richter.
11. 12. 13
Nota II. - Das muss das erstemal gewesen sein, dass ich zu Fichtes Sittlichkeitsbegriff et-was niedergeschrieben habe. Die Irritation kommt daher, dass Fichte in verschiedenen Weisen vom Begriff redet. Hier wird er offenbar im Sinne von Zweckbegriff verwendet: "Wir sind uns unmittelbar bewusst unseres Begriffes vom Zwecke, des eigentlichen Wol-lens". Sittenlehre, SW IV, S. 70ff. Hier liegt das Augenmerk nicht auf 'Begrifflichkeit', son-dern auf der Bestimmtheit, und das heißt: auf der Bewusstheit des Wollens.
Irrig ist das obige Zitat nicht hinsichtlich des sittlichen Willensakts, sondern im Verständ-nis des Ästhetischen in seiner Realität: Das Ästhetische gewinnt seine im modernen Zeit-alter immer weiter reichende Bedeutung nicht organisch oder natürlich "von selbst", son-dern durch die Absichtlichkeit, mit der das normale Bewusstsein von der historisch vor-gegebenen, nämlich materiellen Zweckhaftigkeit der Welt absehen muss, um sich in den ästhetischen Zustand allererst zu versetzen.
Merke:
Das sittliche Urteil ist in seinem Wesen ein ästhetisches Urteil. Das
heißt, ein Ur-teil ohne Gründe und ohne Reflexion; ein Urteil aus bloßer
Anschauung. Doch dass es ohne Begriff geschieht, verschlägt seiner
Entschiedenheit garnichts: Es ist bestimmt nicht durch Begriffe, sondern durch deren Abwehr. Transzendentalphilosophie ist selbst an kei-nem Punkt historisch; doch ihr Zweck ist es, im Historischen einen Sinn aufzufinden.
21. 8. 20
Nota III. - 'Selbstständigkeit nach Begriffen' - so als müsse der Begriff vor dem pflicht-mäßigen Handeln dagewesen sein? Dann wäre da ein Widerspruch. Der Begriff kann aber erst gefasst werden als Urteil über das Handeln - spätestens, wenn schon nicht wäh-rend der Tat, als Rechenschaft. Die aber ist es, die wir im eigentlichen Sinn Gewissen nen-nen, und als Forderung ist es 'schon immer da' und urteilt 'ohne Gründe und Reflexion'. Ohne Reflexion? In Anschauung des Handelns, und die ist Reflexion ohne Begriff.
JE
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen