d. Mein Leib muss der Person außer mir sichtbar sein, ihr durch das Medium des Lichts erscheinen und erschienen sein, so gewiss sie auf mich wirkt: wodurch der erste und min-deste Teil unserer Frage beantwortet wäre. Nun soll, nach der notwendigen Vorausset-zung, diese Erscheinung so sein, dass sie schlechterdings nicht zu verstehen und zu be-greifen ist, außer durch die Voraussetzung, ich sei ein vernünftiges Wesen; dass sonach dem anderen angemutet werden könne: So wie du diese Gestalt erblicktest, musstest du/ sie notwendig für die Repräsentation eines vernünftigen Wesens in der Sinnenwelt halten, wenn du selbst ein vernünftiges Wesen bist. -
... Ich kann die
Erscheinung eines menschlichen Leibes nicht begreifen außer durch die
Annahme, dass er der Leib eines vernünftigen Wesens sei, heißt daher:
Ich kann bei Auf-sammlung der Teile seiner Erscheinung nicht eher stille
stehen, bis ich auf den Punkt ge-kommen bin, dass ich ihn als den Leib
eines vernünftigen Wesens denken muss.
Ich will diesen genetischen Beweis strenge führen, d. i. ich will die Hauptmomente dessel-ben angeben. Ausführlich kann er hier nicht dargestellt werden. Er allein bildet eine eigne Wissenschaft, die Anthropologie.
_____________________________________________________________________
J. G. Fichte, Grundlage des Naturrechts nach Prinzipien der Wissenschaftslehre, SW Bd. III, S. 76f.
Nota. - Im Gefühl - in den Meldungen, die mir meine Sinneszellen machen - sammle ich ohnehin immer nur Mannigfaltiges; 'Teile' - von was? Von einem mutmaßlichen Ganzen, aber ob
sie das sind, liegt nicht an ihnen selbst, sondern an der Vorstellung,
die ich mir von diesem 'Ganzen' selbst gemacht habe, landläufig: vom Begriff. Ein Ganzes ist ein solches nicht an sich, sondern im Hinblick auf das, was ich mit ihm anzufangen können denke; nicht einmal 'will'; denn ob ich es will, muss ich erst noch entscheiden. Die Ganz-heit liegt im Zweckbegriff.
So weit, so gut. Das
haben wir uns denken können, bevor wir aus der Transzendentalphi-losophie
zur Rechtsphilosophie übergegangen sind. Die Frage ist nicht, ob wir
aus den Bildern einzelner Körperteile - Arme, Beine, Rumpf und Kopf -
die Gestalt eines ver-nünftigen Wesens zusammensetzen können; sondern - ob wir den Begriff eines vernünf-tigen Wesens haben. Und den haben wir spätestens, seit er uns bis zum Rechtsbegriff ge-führt hat.
Man kann es drehen und wenden, wie man will: Der springende Punkt ist, ab welchem 'Punkt' - logisch? historisch? - wir die Reihe vernünftiger Wesen nicht mehr nur als trans-zendentale Bedingung, sondern als faktisch gegeben annehmen können. Dann ist das Ver-nunftwesen apriori deduziert - und muss nicht von jedem Einzelnen aposteriori rekon-struiert werden. Aber ich fürchte, ich wiederhole mich. F. hat sich davor nicht gefürchtet.
JE, 24. 3. 21
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen