Mittwoch, 10. Januar 2024

Individualität ist ein Wechselbegriff. (Das genetische Verfahren.)

picdn                             aus Wissenschaftslehre - die fast vollendete Vernunftkritik.

Der Begriff der Individualität ist aufgezeigtermaßen ein Wechselbegriff, d. i. ein solcher, der nur in Beziehung auf ein anderes Denken gedacht werden kann und durch dasselbe, und zwar durch das gleiche Denken der Form nach bedingt ist. Er ist jedem Vernunftwe-sen nur insofern möglich, inwiefern er als durch ein anderes vollendet gesetzt wird. Er ist demnach nie mein; sondern meinem eigenen Geständnis und dem Geständnis des Ande-ren nach mein und sein; /sein und mein; ein gemeinschaftlicher Begriff, in welchem zwei Bewusst-sein vereinigt werden in Eines.
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_J. G. Fichte, Grundlage des Naturrechts nach Prinzipien der Wissenschaftslehre, SW Bd. III, S. 47f.  


Nota. - Der 'Wechselbegriff' geistert immer wieder durch F.'s Texte; hier spezifiziert er ein-mal, was er damit meint.

Das wirkliche Denken geschieht nicht durch das logische Verknüpfen von Begriffen - das geschieht nur in der notwendig diskursiven Darstellung des Denkens. Wirklich heißt den-ken das Hervorbringen einer Vorstellung aus einer vorangegangenen Vorstellung. Anders als in den Begriffen kann in der einen Vorstellung nicht "im Grunde schon dasselbe ent-halten" sein wie in der andern. Diese produktive Darstellung des Denkens nennt F. im Gegensatz zur diskursiven, logischen Darstellung die genetische.

Die genetische Vostellungskette des Einen ist, obwohl sie formal einander Schritt für Schritt entsprechen, material ohne jeden Bezug auf die des Andern: Das Ich, als das sich A einem Nichtich entgegensetzt, ist materialiter ein anderes als -, und hat nichts zu tun mit dem Ich, als das sich B einem Nichtich entgegengesetzt hat: Sie sind einander nicht einmal Nichtiche.

Im Wechselbegriff geschieht es nun, dass sich die beiden Vorstellungsketten schneiden und das Glied X materialiter in beiden vorkommt; nämlich hier: die wirkliche, tätige und gegenseitige Anerkennung der Beiden, vorgestellt im Begriff des freien Wesens. So und nicht anders wird ein Ich zum Individuum in der Reihe vernünftiger Wesen.
JE, 16. 2. 19        

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