Zuvörderst - wass heißt denn verstehen oder begreifen? Es heißt festsetzen, bestimmen, begrenzen.
Ich habe eine Erscheinung begriffen, wenn ich ein vollständiges
Ganzes der Erkenntnis dadurch erhalten habe, das allen seinen Teilen
nach in sich begründet ist; wenn jedes durch alles und alles durch jedes
Einzelne begründet oder erklärt wird. Da-durch erst ist es vollendet
oder begrenzt. -
Ich habe nicht begriffen, wenn ich noch im Erklären bin, wenn mein Dafürhalten noch im Schweben
und also noch nicht befestigt ist; wenn ich noch von Teilen meiner
Erkennt-nis zu anderen Teilen fortgetrieben werde. (Ich habe A, welches
ein Zufälliges sein soll, noch nicht begriffen, wenn ich nicht eine
Ursache dafür, und, da dem A eine bestimmte Art der Zufälligkeit
zukommrn muss, eine bestimmte Ursache dazu gedacht habe.)
Ich kann eine
Erscheinung nicht verstehen, außer auf eine gewisse Art, heißt daher:
Ich wer-de von den einzelnen Teilen der Erscheinung immer fortgetrieben
bis auf einen ge-wisssen Punkt, und erst bei diesem kann ich mein
Aufsammeln ordnen und das Aufge-sammelte in ein Ganzes der Erkenntnis
zusammenfassen.
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J. G. Fichte, Grundlage des Naturrechts nach Prinzipien der Wissenschaftslehre, SW Bd. III, S. 77
Nota I. - Es ist ein Zirkel: Ich muss die Erscheinung vorab bereits als diese eine gemeint ha-ben, bevor ich sie in Teile zerlegen und sie aus ihnen wieder zusammensetzen kann. Aber es ist ein pragmatischer Zirkel. Denn ob er gelingt, muss sich bei jeder Begriffsbil-dung erst noch erweisen. Erweisen woran? An der Absicht, in der ich auf die Erscheinung gemerkt habe. Der Zweck begriff ist immer erst ein gewagter; als Begriff muss er sich noch bewähren. Das Wollen ist die Triebkraft des Erkennens.
27. 12. 18
Nota II. - Das
Ganze, von dem oben geredet wird, ist nicht zu verstehen als isomorpher
Monolith, sondern als Gestalt: ein Bild, das in sich unterschieden ist; mindestens in Figur und Grund. Ob unter Erscheinung ein Ding, eine Situation oder eine Handlung zu verste-hen ist, bleibt vorab unbestimmt.
JE, 22. 3. 21
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