Rechentafel, Sumer aus Ebmeiers Umtriebe
Halten
wir fest: Das Experiment setzte voraus, dass Zahlen im Gehirn
entstanden sind. Und als sie da waren, hat dasselbe Gehirn die Null hinzu erfunden. Anders ergibt die Ver-suchsanordnung keinen Sinn.
Zahlen
entstehen aus Zählen. Nicht aber die Null. Wie die Berichterstatterin
schreibt: Sie bezeichnet ein Fehlen. Erst mussten die aus abzählbaren
Mengen entstandenen Zahlen in der Vorstellung zu einer unendlichen Reihe
gefügt werden, damit auffallen konnte: Wenn es ein Ende nicht gibt,
kann es auch einen Anfang nicht geben. Die Eins, die in die
Mannigfal-tigkeit hineingesetzt wurde, um mit dem Zählen anfangen zu
können, ist vom Zählenden willkürlich plaziert worden - er hätte auch
später anfangen können. Dann musste er aber auch früher anfangen können.
Zahlen dienen nicht nur zum Abzählen.
Solange sie nur zum Abzählen gebraucht werden, existieren Zahlen nur medial, doch nicht real: Sie bezeichnen nur und haben keinen Eigen-Sinn. Werden sie aber astrologisch ver-wendet, bezeichnen sie nicht Realien, sondern Phantasmen - aber so, als ob sie Realien be-zeichneten.
Historisch hat sich aus der Astrologie die Astronomie entwickelt, und nun konnten - muss-ten - die Zahlen sich praktisch bewähren. Es konnte die Vorstellung aufkommen, sie wären Zeichen für Wirkliches - und also selber ein kleines Bisschen wirklich.
Man konnte mit dem Rechnen anfangen.
Und so konnten sie die Geometrie begründen, die ohne sie nicht reell gewesen wäre. Geo-metrie handelt von Raumverhältnissen. Ohne
Zahlen gäbe es in der Wirklichkeit keine ver-stehbaren Verhältnisse,
denn Geometrie betrachtet das Wirkliche als ein einiges Kontinuum, das
von ihnen konstituiert wird.
Zahlen sind seither nicht mehr medial, sondern konstituiv.
Wenn dem so ist, muss der Zählbarkeit ein Zustand vorangegangen sein, wo nicht gezählt werden konnte: nämlich vor der Eins. Das kann man umkehren - sofern man die Null als die Grenze der Zählbarkeit feststellt: minus Eins, minus Zwei...
Mit andern Worten, Null setzt die Mathematik voraus, nicht umgekehrt.
Kein Wunder, dass sie den Alltagsverstand befremdet.
*
Die Null war die Schallgrenze, die das analoge Vorstellen vom digitalen Denken geschieden hat. An die Stelle der Anschauung von Mengen - Äpfel und Birnen -
tritt das Operieren mit Symbolen. Konnte es auch woanders als beim
Rechnen entstehen? Wahrscheinlich - zufäl-lig und bei besonderer
Gelegenheit; doch davon ist uns nichts überliefert. Beim Rechnen aber musste es geschehen. Das Rechnen ist in diesem engeren Sinn der Ursprung des Be-griffs, nicht das Reden. Es ist das Grundmuster des diskursiven Verfahrens. In der Mengenlehre wird dieser Zusammenhang durch Umkehrung wiederhergestellt.
Kommentar zu Die Null begreifen. JE, 4. 10. 24
Dem A sieht man nicht an, wie es klingt - nämlich was es bedeutet. Einem Strich sieht man es an: dass er ein Strich - l - ist. Vier Striche - llll - sind vier. Bei der Fünf kann man sich dann schon was einfallen las-sen, muss aber nicht. Man kann auch ganz viele Striche aneinanderreihen und jedesmal neu nachzählen. Oft wird das anfangs noch nicht nötig geworden sein.*
Die ersten Zahlen haben die unschätzbare Eigenheit, dass sie analog und digital zugleich sind. Den Sprung - denn das ist er - aus dem einen in den andern Modus muss man nicht vereinbaren - und das könnte man erst im digitalen Modus -, sondern man kann ihn fließen lassen durch Variieren der Ge-brauchsweise: Er kann unmerklich eingeübt werden. Sanktioniert wurde er dann durch die Null.
*) Der bislang früheste in Südafrika gefundene Zählstab (ca. 43 000 v. Chr.) wird als Mondkaleder interpretiert.
Nachtrag. - Nein, die l war natürlich nicht das erste Symbol. Die erste Symbolisierung ge-schah, als mehrere Menschen sich darauf verständigten, einen gewissen Gegenstand mit einem bestimmten Laut zu kenn zeichnen. Sie mochte nicht lange Bestand haben, wohl nicht länger als die Gruppe selbst. Die l als Graph der ersten Zahl in der Reihe dürfte viel später in Gebrauch gekommen sein, aber auch viel länger gewährt haben, weil ihre Bedeu-tung sichtbar ist, bevor ein Laut hörbar wird. Sie kann als Objektivation ihrer Bedeutung die Sprachgemeinschaft überdauern: Spätere Sprechergruppen werden sie wiedererkennen. Der Laut war eher, aber das Zeichen ist sozusagen symbolischer.
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