Dienstag, 15. Oktober 2024

Kurt Gödel suchte Wahrheit.

Gödel und Einstein, beide mit Hut, posieren für die Kamera. 
Der Universalgelehrte Gottfried Wilhelm Leibniz, der Anfang des 18. Jahrhun-derts starb, ist selbst für einen enorm umfangreichen und nicht vollständig aufgearbeiteten Nachlass bekannt. Diese Tatsache faszinierte Gödel, der bei seiner Beschäftigung mit dem Denker ein ganz bestimmtes Ziel verfolgte: "Er dachte, dass sich da ein Geheimnis für die Menschheit verbirgt. Wenn man es herausfände, würden ganz viele Dinge klar", sagt von Plato. Es sei die Suche nach einer "absoluten Philosophie" gewesen.
 
 
Kurt Godel and Albert Einstein

Natürlich darf einer der Meinung sein, dass es Wahrheit gibt, nämlich einen Satz von Sät-zen, der ohne willkürliche, d. h. vom Willen zu entscheidende Bedingungen gilt. Dann darf man von ihm erwarten, dass er diesen Satz von Sätzen ausspricht und nachweist, dass er unter allen möglichen Bedingungen und das heißt ohne Bedingung gilt. Tut er das aus dem einen oder andern Grund nicht, darf man ihn einen Dogmatiker nennen und ihm jeden Skeptiker vorziehen.

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Von Galileo stammt die Annahme, das Buch der Natur sei in den Formeln der Mathematik geschrieben. Descartes fügte hinzu, die Menschen könnten die Welt erkennen, weil ihre Ver-nunft aus demselben Stoff geschaffen sei wie die Gedanken Gottes. Leibniz erwog, Gott den-ke in mathematischen Gleichungen. Als Gödel seinen Zugang zur Philosophie suchte, stieß er auf Leibniz.

Dass Mathematik ein Werk Gottes ist, darf man glauben - muss man aber nicht. Doch nur, wenn man es glaubt, darf man annehmen, sie läge der Welt zugrunde und spräche deren Wahrheit aus. Anders müsste man meinen, irgendwie hätten die Menschen sie selber er-funden, weil sie ihnen bei der Bearbeitung der Natur so guten Dienst leistet. Ins Schloss passt der Schlüssel, weil der Schlosser sie für einander angefertigt hat.

Der Schlüssel offenbart aber keine Wahrheit, er öffnet nur einen Zugang - die dahinter liegende Wahrheit muss man schon selber aufsuchen. Das Schloss, das den Zugang ver-sperrt, sind all die in Symbolen, Begriffen und Bildern angelagerten Vorstellungen, die tau-sende uns vorangegangener Generationen über die Erscheinungen der Welt geschichtet haben und die wir deshalb für den Schlüssel halten, obwohl sie doch selber die Wand aus-machen, die uns die Sicht versperrt. Wie der Dieb mit dem Dietrich nach einander die Rie-gel fortschiebt, die die Denkgeschichte der Menschheit über die Ansicht der Welt gelegt hat, muss die Kritik eine begriffliche Hülle nach der andern vom Weltbild abziehen, bis der Blick auf den Anfang* frei liegt. *) I = I, oder besser: Dieses ist nicht Jenes; oder doch?

Dieser gesamte kritische Vorgang liegt formalisiert vor uns als Mathematik. Wie wahr sie ist, lässt sich seinerseits nicht analytisch rekonstruieren - es muss sich pragmatisch erweisen, in-dem sich die Mathematik in den reellen Wissenschaften bewährt. Diese Bewährung ist ihr Wahrheitskriterium, und nicht ihre mehr oder minder fragliche Übereinstimmung mit sich selbst.

Das ist alles ziemlich gewagt, zumal ich von Mathematik nicht viel verstehe. Und wenn es sich auch beweisen ließe: Ich könnte es nicht. Doch wenn ich Unrecht habe, müsste sich immerhin das erweisen lassen. Und da bin ich guter Hoffnung.
13. 10. 24

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