Dem vernünftigen Bewusstsein - fast ist das eine Tautologie - erscheint die Welt als ein vir-tuell geschlossenes System von Begriffen, die einander wechselseitig bestimmen, indem sie ihre jeweiligen Geltungsbereiche gegeneinander eingrenzen: de-finieren. Dieses System ist entstanden und vervollständigt sich weiter durch den Gebrauch; die Bedeutung der Wörter ist ihre Verwendung im Sprachspiel.
Doch geschlossen ist es erst virtuell. Reell stößt die Verwendung im Sprachspiel immer wie-der auf Lücken: Die müssen geschlossen werden durch das Einpassen in die Leerstellen, die das Sprachspiel bislang frei gelassen hatte; einpassen so, dass bisherige Definitionen gegebe-nenfalls justiert werden müssen. (Ist ein ganzer Komplex von Bedeutungen berührt, ge-schieht ein sogenannter 'Paradigmenwechsel'.) Die - quasi transzendentale - Prämisse bleibt unberührt: Das System ist intakt. Es geht immer nur darum, es auszufüllen.
Denn nur, wenn der Rahmen gewahrt bleibt, ist es überhaupt ein System; nur dann kann erwartet werden, dass aktuell auftretende Lücken von uns gewiss gefüllt werden können, weil sie an sich schon gefüllt sind.
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Das gilt freilich nur für die Begriffe. Wenn das System geschlossen ist, gelten die Begriffe an sich. Oder anders, wenn die Begriffe an sich gelten sollen, muss ich mir das System als ge-schlossen vorstellen.
Rationell sollte ich aber gar nicht vom System der Begriffe - oder "der Welt" - ausgehen. Rationell muss ich mich an das halten, was ich weiß, und was ich weiß, ist lediglich das, was in meinem Wissen vorkommt. Tautologisch? Nicht, wenn ich mir klarmache, dass in mei-nem Wissen nichts anderes vorkommt als meine Vorstellungen. Dass ich mir (etwas) vor-stelle, ist nun das einzige, was ich nicht bezweifeln kann (weil anders ich auch das Bezwei-feln bezweifeln und... gleich wieder aufhören müsste, nachdem ich kaum angefangen habe).
Wenn ich zugeben muss, dass ich vorstelle, muss ich annehmen, dass ich es konnte; ich mei-ne: muss, sonst wäre gleich wieder Schluss. Wenn ich es ohne eine andere Voraussetzung konnte - und das muss ich annehmen, denn ich habe keine weitere Voraussetzung gemacht -, dann muss ich annehmen, dass ich es ohne Voraussetzung können werde; es sei denn, ich stelle mir selber Dinge vor, die zu Voraussetzungen werden, die mich am Fortschreiten hin-dern.
Vorstellen ist, nach Fichte, Übergehen vom Bestimmbaren zum Bestimmten. Annehmen musste ich: ein Vermögen dazu. Das heißt konventionell Ich. Es ist selber nicht bestimmt: Das könnte es erst selber besorgen. Wie? Indem es sich Etwas vorstellt. Ist es bestimmt? Das wird man sehen: Lässt es sich bestimmen? Dann kann ich fortschreiten; wenn nicht, dann wäre - hier wiederum Schluss.
Wenn das richtig ist, dann kann das Bestimmen kein Ende finden - und das Bestimmbare schon gar nicht. Denn anders würde die ganze Kette hinfällig, und ihre Prämisse, ihr erstes Glied: dass Ich Unbestimmtes zu bestimmen vermag. Das System, das ich mir allenfalls vor-stellen kann, ist ein System in processu, ein unabgeschlossenes System.
Und wer immer diese Prämisse bestreiten wollte - dass ich zu bestimmen vermag -, wird doch jene andere Prämisse - jene andere Seite der Prämisse -, dass es Unbestimmtes gibt, nicht bestreiten können. Das System meiner Vorstellung kann gar nicht abgeschlossen wer-den; und mit jedem weiteren Fortschritt des Bestimmens kann - mag? soll? - eine rückwir-kende Umbestimmung der gesamten Kette geschehen.
Summa: Von Einem lässt sich schlechterdings, bei gutem und bei schlechem Willen, nicht abstrahieren: dass es in der Welt, wie immer wir sie uns denken, teils Bestimmtes, teils Un-bestimmtes gibt. Ein Denken, das sich darauf keinen Reim zu machen weiß, soll sich nicht Philosophie nennen.
27. 12. 16
Nachtrag. - Das ist die Pointe: dass es in unserer Welt - in der intelligiblen der 'Reihe ver-nünftiger Wesen' - das völlig Unbestimmte gar nicht mehr gibt. Denn hier, wo ich mich schon als einen bestimmen-Sollenden vorfinde, ist alles, was mir begegnet, zumindest als ein Zu-Bestimmendes bestimmt. Vom Bestimmen Abstand nehmen und das noch-Unbestimm-te als unbestimmt anzuschauen, ist ein willentlicher Akt. Wo er in unserer, der 'Welt der Rei-he vernünftiger Wesen' geschieht, ist er der ästhetische Akt schlechthin. Er ist eine Absti-nenz vom Vernunftgebrauch.
Eine gewisse Brisanz liegt nun darin, dass auch das sittliche Urteil ein ästhetisches Urteil ist - das auf Willensbestimmungen angewandt wurde. Sittliche Urteile folgen nicht aus dem Ver-nunftgebrauch, sondern gehen ihm, sofern überhaupt ein Zusammenhang bestehen soll, al-lenfalls voraus.
24. 9. 18
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