Freitag, 11. Oktober 2024

Beifall und Missbilligung.

Moulin, Objet trouvé à Pompéi                                       aus Philosophierungen

In seiner Umwelt "erscheint" dem Tier nur das, was durch seinen Platz in der ökologischen Nische "für es bestimmt" ist: seinen Stoffwechsel und seine Fortpflanzung. Für das Tier sind Bedeutung und Erscheinung ungeschieden. Genauer gesagt, "für" das Tier ist nichts. Etwas ist "da" und damit basta.

Der Mensch hat mit seinem Ausbruch in eine fremde Welt die Vorbestimmtheit alles ihm Erscheinenden verloren: Ihm "erscheint" auch das, was für Stoffwechsel und Fortpflanzung (zu einem gegebenen Zeitpunkt) ohne Bedeutung ist. Er muss Dinge selbst-bestimmen. Zu-erst, ob sie für Stoffwechsel und Fortpflanzung 'in Frage kommen'. Von ihm fordert jede Erscheinung ein Urteil. Das ist die Grundbedingung des Existierens in einer Welt. Das Ur-teilen ist: im Wahrnehmen ipso actu entscheiden zwischen Beifall und Missbilligung. 

So tritt er in eine apriorischen Distanz zu allem Etwas. Was erscheint, wird zu 'etwas' erst in diesem distanzierenden Akt. (Der lässt sich prinzipiell umkehren: So kann er zu "sich" in Distanz treten und zu "ich" werden.)

Die Distanz zu Dingen setzt ihn in einen Zustand der Freiheit. Sie erzwingt Abstraktion und eo ipso Reflexion. Diese Distanz macht ihn zu einem ideellen, seine physische Organi-sation (Folge und Voraussetzung des zur-Welt-Kommens) setzt ihn in den Zustand eines sachlichen Produzenten

Die Erfahrung mögliches Überflusses setzt ihn in Lage, zu sich, das heißt zu seinem Be-dürfnis, in Distanz zu treten.
aus e. Notizbuch, 13. 3. 07


"Im Wahrnehmen ipso actu entscheiden zwischen Beifall und Missbilligung" - da ist mir, ohne es recht zu bemerken, die anderwärts vergeblich gesuchte Herleitung unseres Geistes alias Einbildungskraft aus unserem ästhetischen alias 'poietischen' Vermögen unterlaufen. Beifall und Missbilligung erfolgen nämlich einstweilen versuchsweise: 'Ob es was taugt?' - Mal sehen, zu was.

Man muss nicht demonstrieren, dass es so kommen musste. Es reicht zu zeigen, weshalb es so kommen konnte.
15. 4. 20

Nachtrag. - Der Ausdruck 'Beifall und Missbilligung' spielt an auf die kanonische Formel, mit der Joh. Fr. Her-bart das Reich des Ästhetischen von dem Metaphysischen unterschieden hat. Letzteres umfasse diejeinigen Vor-stellungen, die durch Verknüpfungen mit einander verbunden sind - durch das diskursive Denken -, während das Ästhetische jene Vorstellungen umfasst, welche notwendig von Beifall oder Missbilligung begleitet würden. Die Ethik sei davon eine Untergruppe und umfasse solche Geschmacksurteile, die auf Willensakte bezogen werden.



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