Montag, 16. September 2024

Umschlagen und übergehen.

andramedia                           zu  Philosophierungen, oder Das Vernunftsystem

Das Mysterium der Hegel'schen Dialektik und damit seines ganzen Systems ist das Um-schlagen des Begriffs in seinen Gegensatz. Wie es vor sich gehen soll, kann man sich nicht vorstellen, es wird nicht erläutert, es bleibt ein Mysterium, man muss daran glauben wie an die Dreifaltigkeit. Tatsächlich findet es bereits im Begriff selber statt: Er trägt seinen Gegen-satz schon in sich. So wird es behauptet.

Bei Fichte schlagen keine Begriffe um, sondern eine Vorstellung geht über in eine andere. Nämlich so: Sie soll bestimmt werden, doch das geht nur durch Entgegensetzung. Es ist ein Subjekt, das bestimmen soll, es muss die Entgegensetzung selber vornehmen. Muss? Nein. Es geschieht aus Freiheit; es könnte das Bestimmen auch unterlassen, und seine Vorstellung blieben unbestimmt.

Ist nicht die Freiheit auch ein Mysterium? Ja, ausdrücklich: "Hier ist etwas Unbegreifliches; und es kann nicht anders sein, weil wir an der Grenze aller Begreiflichkeit, bei der Lehre von der Freiheit in Anwendung auf das empirische Subjekt, stehen. ... Denn ein Akt der Freiheit ist schlechthin, weil er ist, und ist ein absolut Erstes, das sich an nichts anderes an-knüpfen und daraus erklären lässt. ... Begreifen heißt, ein Denken an ein anderes anknüpfen, das erstere vermittelst des letzteren denken. Wo eine solche Vermittlung möglich ist, da ist nicht Freiheit, sondern Mechanismus. Einen Akt der Freiheit begreifen wollen, ist also ab-solut widersprechend. Eben wenn sie es begreifen könnten, wäre es nicht Freiheit."* 

Es ist das Mysterium, das dem ganzen System Grunde liegt. Liegt es? Nein, es wurde ge-legt – von dem Philosophen, er hat es als Erklärungsgrund (aus Freiheit!) gewählt. Er hat es nicht begründet, er kann es rechtfertigen nur durch die Ausführung des Systems. Er hätte ein anderes wählen können? Nur, wenn sich damit ein System rechtfertigen ließe.

Die Freiheit rechtfertigt das System vom Anfang bis... zum Schluss? Wenn die Freiheit zu einem Schluss käme, wäre sie keine. Wird sie als Freiheit gedacht, ist sie ohne Ende: Die Reflexion ist unendlich, so wurde sie zu Anfang aufgefasst. Soll ein Schluss dennoch für möglich gehalten werden, müsste eine zusätzliche Prämisse eingeführt werden. Aber dann läge sie dem System zu Grunde und nicht die Freiheit, und Fichte hätte nicht sagen dürfen, dass auf sie "mein ganzes Denken aufgebaut ist
".
*) J. G. Fichte, Das System der Sittenlehre nach Prinzipien der Wissenschaftslehre, SW IV, S. 181f
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8. 12. 15 

 
Wir erinnern uns: Eine Bewegung ist im Denken, weil und sofern eine Vorstellung be-stimmt werden soll. Die Vorstellung "gibt es" nicht, sondern jemand stellt vor. Tut er es schon in einer Absicht? Dann wäre sie bereits bestimmt. Doch immerhin tut er es aus freien Stücken, nichts und niemand hat ihn gezwungen. Dann aber ist sie noch unbestimmt und bedarf der Bestimmung - durch wen? Durch ihn selbst.

Man kann nicht "überhaupt" vorstellen, sondern immer nur Etwas: Dieses oder Jenes. Man mag das Vorstellen abbrechen, aber dann verfällt es wieder. Soll es bleiben, muss es - immer weiter bestimmt werden, anders kann es nicht behalten werden. Und das Bestimmen ge-schieht, wie schon das anfängliche Vorstellen selbst, immer neu aus Freiheit, anders ist es nicht möglich. Nur wer frei ist, kann selbst bestimmen. Es gibt da keine anderen Vorschrif-ten als die, die ich mir durch meine vorangegangenen Bestimmungen selbst gegeben habe.
 
Und hier taucht nun endlich der "dialektische" Gegensatz auf: Wenn ich einem relativ noch Unbestimmten eine Bestimmung - Prädikat, Eigenschaft, Qualität - zuschreiben will, kann ich es nur, indem ich sie durch ihre gegenüberliegenden äußersten Punkt beschreibe: oben und unten, heiß und kalt, hell und dunkel, neu und alt. Jedes dieser Merkmale wäre ohne Sinn - ohne Bestimmung! - ohne das andere. Nicht der Begriff bewegt sich, sondern ein Begreifender bewegt ihn.
15. 12. 20 
 
 
 

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Bestimmt, unbestimmt, bestimmbar; setzen, abstrahieren.

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