Das
Mysterium der Hegel'schen Dialektik und damit seines ganzen Systems ist
das Um-schlagen des Begriffs in seinen Gegensatz. Wie es vor sich gehen
soll, kann man sich nicht vorstellen, es wird nicht erläutert, es bleibt
ein Mysterium, man muss daran glauben wie an die Dreifaltigkeit.
Tatsächlich findet es bereits im Begriff selber statt: Er trägt seinen
Gegen-satz schon in sich. So wird es behauptet.
Bei Fichte schlagen keine Begriffe um, sondern eine Vorstellung geht über in eine andere. Nämlich so: Sie soll bestimmt werden, doch das geht nur durch Entgegensetzung.
Es ist ein Subjekt, das bestimmen soll, es muss die Entgegensetzung
selber vornehmen. Muss? Nein. Es geschieht aus Freiheit; es könnte das
Bestimmen auch unterlassen, und seine Vorstellung blieben unbestimmt.
Ist
nicht die Freiheit auch ein Mysterium? Ja, ausdrücklich: "Hier ist
etwas Unbegreifliches; und es kann nicht anders sein, weil wir an der
Grenze aller Begreiflichkeit, bei der Lehre von der Freiheit in
Anwendung auf das empirische Subjekt, stehen. ... Denn
ein Akt der Freiheit ist schlechthin, weil er ist, und ist ein absolut
Erstes, das sich an nichts anderes an-knüpfen und daraus erklären lässt. ... Begreifen heißt,
ein Denken an ein anderes anknüpfen, das erstere vermittelst des
letzteren denken. Wo eine solche Vermittlung möglich ist, da ist nicht
Freiheit, sondern Mechanismus. Einen Akt der Freiheit begreifen wollen,
ist also ab-solut widersprechend. Eben wenn sie es begreifen könnten,
wäre es nicht Freiheit."*
Es ist das Mysterium, das dem ganzen System Grunde liegt. Liegt es? Nein, es wurde ge-legt –
von dem Philosophen, er hat es als Erklärungsgrund (aus Freiheit!)
gewählt. Er hat es nicht begründet, er kann es rechtfertigen nur durch
die Ausführung des Systems. Er hätte ein anderes wählen können? Nur,
wenn sich damit ein System rechtfertigen ließe.
Die Freiheit rechtfertigt das System vom Anfang bis... zum Schluss? Wenn die Freiheit zu einem Schluss käme, wäre sie keine. Wird sie als Freiheit gedacht, ist sie ohne Ende: Die Reflexion ist unendlich,
so wurde sie zu Anfang aufgefasst. Soll ein Schluss dennoch für
möglich gehalten werden, müsste eine zusätzliche Prämisse eingeführt
werden. Aber dann läge sie dem System zu Grunde und nicht die Freiheit, und Fichte hätte nicht sagen dürfen, dass auf sie "mein ganzes Denken aufgebaut ist".
*) J. G. Fichte, Das System der Sittenlehre nach Prinzipien der Wissenschaftslehre, SW IV, S. 181f.
8. 12. 15
Montag, 16. September 2024
Umschlagen und übergehen.
andramedia zu Philosophierungen, oder Das Vernunftsystem
Wir
erinnern uns: Eine Bewegung ist im Denken, weil und sofern eine
Vorstellung be-stimmt werden soll. Die Vorstellung "gibt es" nicht,
sondern jemand stellt vor. Tut er es schon in einer Absicht? Dann
wäre sie bereits bestimmt. Doch immerhin tut er es aus freien Stücken,
nichts und niemand hat ihn gezwungen. Dann aber ist sie noch unbestimmt
und bedarf der Bestimmung - durch wen? Durch ihn selbst.
Man kann nicht "überhaupt" vorstellen, sondern immer nur Etwas: Dieses
oder Jenes. Man mag das Vorstellen abbrechen, aber dann verfällt es
wieder. Soll es bleiben, muss es - immer weiter bestimmt werden, anders
kann es nicht behalten werden. Und das Bestimmen ge-schieht, wie schon das anfängliche Vorstellen selbst, immer neu aus Freiheit, anders
ist es nicht möglich. Nur wer frei ist, kann selbst bestimmen. Es gibt
da keine anderen Vorschrif-ten als die, die ich mir durch meine
vorangegangenen Bestimmungen selbst gegeben habe.
Und hier taucht nun endlich der "dialektische" Gegensatz
auf: Wenn ich einem relativ noch Unbestimmten eine Bestimmung -
Prädikat, Eigenschaft, Qualität - zuschreiben will, kann ich es nur,
indem ich sie durch ihre gegenüberliegenden äußersten Punkt beschreibe:
oben und unten, heiß und kalt, hell und dunkel, neu und alt. Jedes
dieser Merkmale wäre ohne Sinn - ohne Bestimmung! - ohne das andere. Nicht der Begriff bewegt sich, sondern ein Begreifender bewegt ihn.
15. 12. 20
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