zu Wissenschaftslehre - die fast vollendete Vernunftkriti
Die produktive
Einbildungskraft erneuert nicht: Sie ist, wenigstens für das empirische
Bewusstsein, völlige Schöpferin, und Schöpferin aus dem Nichts. ...
Die produktive Einbildungskraft, sage ich, schafft den Stoff der Vorstellung, sie ist die ein[z]ige
Beildnerin dessen, was in unserm empirischen Bewusstsein vorkommt,
die ist Schöpferin dieses Bewusstseins. Aber die Ein- bildungskraft,
auch in dieser ihrer /
produk-tiven Macht, ist doch kein Ding an sich, sondern ein Vermögen des
einzigen uns unmittel-bar gegebnen Dinges an sich, des Ich. Also muss
selbst ihre Schöpfermacht einen höhern Grund im Ich haben; d. h. auf
eine andere und für unsere Untersuchuung bequemere Art Ausgedrückt, mag
doch die produktive Einbildungskraft für das Bewusstsein Schöpferin
sein, so kann sie für das Ich überhaupt nur Bildnerin sein, und das,
woraus sie bildet, muss im Ich liegen.
Und so ist es denn auch wirklich.
Im Gefühl liegt, was
die Einbildungskraft bildet und dem Bewusstsein vorhält. Das Gefühl,
welches ich hier nicht weiter erklären weder kann noch soll, ist der Stoff
alles Vorgestellten, und der Geist überhaupt oder die produktive
Einbildungskraft lässt sich also beschreiben als Vermögen, Gefühle zum Bewusstsein zu erheben. ...
Aber unter den Gefühlen
selbst ist ein großer Unterschied; einige beziehen sich auf das
ani-malische Leben des Menschen. Diese liegen nicht so tief und werden am
leichtesten, gewis-sesten und notwendigsten - zwar nicht als Gefühle, davon ist hier nicht die Rede - aber
als Vorstellungen zum Bewusstswein erhoben. Diesen auf die bloße
Vorstellunjg einer sinnli-chen, unter Naturgesetzen stehenden Welt der
Erscheinungen sich beziehenden Gefühlen liegen wieder andere Gefühle zum
Grunde, die sich nicht auf das bloß animalische Lebend des Menschen,
sondern auf ein vernünftiges und geistiges, nicht auf die bloße Ordnung
der Erscheinungen unter Naturgesetzen,
sondern die Unterordnung derselben und aller ver-nünftigen Geister unter
die Gesetze des sittlichen Ordnung, der geistigen Harmonie, der
Vereinigung aller zu einem Reiche der Wahrheit und der Tugend beziehen.
Diese liegen, dass ich
mich so ausdrücke, um eine Region tiefer in unserm Geiste, sie liegen in
einem geheimen Heiligtume; man muss erst durch die Welt der
Erscheinungen hindurch, muss der Sinnlickeit erst absterben, um zu
diesem höhern geistigen Leben zu gelangen. Be-zeichnen und umfassen die
Gefühle von der ersteren Art das Gebiet der Begriffe, so begrün-den die
der letztern Art das Feld der Ideen und der Ideale. ...
Folgendes sind die allgemeinsten Formen der Ideen, in deren Vorstellung sich der Geist zeigt. Über die notwendigen
Formen der Körper im Raume erhebt sich der Geist zur freien Begrenzung
des Urschönen, dem nichts in dieser Sinnenwelt gleicht, über den Wechsel
der Empfindungen in der Zeit zur freien Begrenzung des Ergötzenden,
wo Empfindungen Empfindungen drängen, ohne dass sie verändert scheinen;
über die Begrenzung aller Emp-findungen in Zeit und Raum sich weg zum
Anstaunen des Urerhabenen, über den Wechsel seiner Überzeugungen zum
Gefühl einer ewigen Wahrheit, über allen Einfluss des Sinnli-chen hinweg
zur erhabenen Idee, der völlig dargestellten sittlichen Vollkommenheit,
oder der Gottheit.
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J. G. Fichte, Von den Pflichten des Gelehrten, Hamburg 1971, S. 58f.; 60; 61
Nota. - So bin ich nun also endlich auf Grund gestoßen! Und zwar gleich in dreierlei Hin-sicht. Zuerst einmal, was das intellektuelle Gefühl angeht. Er hat es keineswegs erst später aus dem Hut gezogen, um den 'Denkzwang' als Gefühl der sinnlichen Erfahrung gleichran-gig zur Seite stellen zu können; sondern es lag seiner Philosophie von Anbeginn zu Grunde.
Zweitens, und das ist von Allem das Wesentliche, er erklärt die Vernunft keineswegs, wie es in seinen akademischen Vorträgen den Anschein hat, aus dem vorwärtsgerichteten - ad quem - Trieb zum Bestimmen, sondern - a quo - als Strom aus einem Quell. Er mag immer sagen: Der Geist nimmt die Regel von innen aus sich selbst; er bedarf keines Gesetzes, sondern er ist sich selbst ein Gesetz (ebd. S. 64) - der Satz ist vorab kassiert durch die Prämisse Alle Vernunftgesetze sind im Wesen unseres Geistes begründet. (ebd. S. 22)
Und drittens
schließlich bestimmt er als wahrer Romantiker das Wesen der Vernunft
zwar nicht aus ihrem Fluchtpunkt, wohl aber aus ihrer Herkunft als ästhetisch. Da
treten das Ur-schöne auf, das Ergötzende, das Anstaunen des Erhabenen,
und noch die ewige Wahrheit ist erhaben in ihrer Vollkommenheit.
*
Die Vorlesungen über
die Bestimmung des Gelehrten hat Fichte teils vor, teils am Anfang
seiner akademischen Vorträge für die Öffentlichkeit gehalten. Die
ersten fünf erschienen noch 1794 als Broschüre; den Schlussteil hat er
später unter dem Titel Über Geist und Buchstab in der Philosophie für Schillers Horen umgearbeitet, wo sie allerdings nicht er-schienen. Die oben zitierten Passagen sind zu Fichtes Lebzeiten nicht gedruckt worden.
In den Vorträgen werden
die Grundideen der Wissenschaftslehre umrissen, aber nicht ent-wickelt.
Es sind populäre und keine wissenschaftlichen Texte. Und vor allem
trägt F. die Wissenschaftslehre vor, bevor er sie noch für sich selbst ausgearbeitet hat - streckenweise auf bloßen Verdacht und Vorahnung.
Umso ungezwungener ist
er in der Darstellung seines Ausgangspunkts. Und da gibt er sich als
mystischer Schwärmer zu erkennen. Nicht, dass er schließlich vor Jacobi
eingeknickt ist, bedarf einer Erklärung, sondern wie er es zuvor in der
Transzendentalphilosophie so weit hat bringen können. Er war eben wie
die andern Jenaer Romantiker auch ein ungestümer Freigeist. Das lässt
ihn bis heute überdauern.
JE, 13. 9. 18
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