Wir stehen bei der
Darstellung des Hauptgedankens: Alles Bewusstsein ist nur
Selbstbe-wusstsein. Dazu ist genetisch nachzuweisen, dass und wie aus
dem Bewusstsein unserer selbst alles Bewusstsein auf dem gewöhnlichen
Gesichtspunkte fließe. Wir /
haben vorgear-beitet: Das Ich wird gedacht dadurch, dass Sein und Denken
als absolut identisch gedacht oder vereinigt werden (Idealität und
Realität sind eins); nicht ein Sein und Denken des Ich werden als eins
gedacht, sondern durch die Vereinigung des Seins mit dem Denken kommt
das Ich selbst zustande. Denn das Ich ist ja noch nicht vorausgesetzt,
sondern wir wollen erst seiner Entstehung zusehen. Dieses ganze
Bewusstsein und Ich, dieses beides sind ganz dasselbe, nur angesehen von
zwei Seiten; im gemeinen Bewusstsein ist es Ich, in der trans-zendentalen Philosophie [ist es] Identität des Seins und des Denkens.
"Diese Synthesis nun
ist das Bewusstsein", dies wollen wir beweisen. Dafür ist schon
fol-gendes geschehen: Jenes Synthetisieren des Seins und Denkens ist
zugleich ein Analysieren, und dadurch wird das Synthetisieren erst
möglich. Das mannigfaltige Sein und Denken und die Vereinigung wird in
einem und demselben Akte gesetzt. Sehen wir nur auf die Analyse, so
bekommen wir gleichsam zwei Reihen; jedes einzelne ist ein Ich auch nur,
in wiefern es gedacht wird - und nicht angesehen wird als gedacht und
erzeugt in demselben Momente, sondern diskret in einer Zeitreihe. Dieses
zerstreute Denken ist in der höchsten Synthese eins. Mein unmittelbares
Denken ist nicht in der Zeit, sondern dadurch wird mein
vermit-teltes Denken in die Zeit heineingesetzt.
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J. G. Fichte, Wissenschaftslehre nova methodo, Hamburg 1982, S. 192f.
Nota I. -
"...wird in einem und demselben Akt gesetzt", und sobald auf diesen Akt
reflek-tiert wird, muss es so erscheinen, als sei sowohl die Zweiheit
als auch die Einheit, jede für sich, zuvor bereits 'dagewesen'. Die
Sprache schiebt dem Denken stets, wenn es sich auch eben erst davon
freigemacht hat, die Vorstellung von einem An-sich wieder unter. Die lo-gische Darstellung durch reine Zeichen kanonisiert das dogmatische Denken.
Die genetische Darstellung,
die die einzelnen Bestimmungen in ihrer Entstehung sichtbar machen
will, muss sich notdürftig damit behelfen, dass sie alles, was sie sagt,
in der nächsten Zeile wieder zurücknimmt, einschränkt oder umkehrt.
Ja ja, nein nein kann ihre Rede nicht sein. Dass die genetische
Darstellung verwirrend ('dialektisch') ist, liegt an ihrer Absicht und lässt sich nicht ändern.
28. 2. 17
Nota II. - Indem ich etwas 'setze' und als dieses 'bestimme', fülle ich nicht die Welt, sondern mein Bewusstsein, denn nur dort gibt es eine 'Welt'. Indem mein Wissen auf die Welt 'geht', geht es auf seinen eigenen Gehalt. Beide sind dasselbe.
Dass dies der Hauptgedanke der Wissenschaftlehre sei, gilt nur in einem gewissen Sinne, aber in dem gilt es absolut.
JE, 10. 9. 21
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