zu Wissenschaftslehre; zu Geschmackssachen
Der Ästhetische Geist und der Philosophische, beide stehen auf dem transzendentalen Ge-sichtspunkte: der erstere, ohne es zu wisseen, denn dieser Standpunkt ist ihm der natürliche und er hat keinen andern, von welchem er sich unterscheiden könnte; der letztere mit seinem Wissen; und dies ist der ganze Unterschied. Der letztere beweist auch, dass ihr selbst es seid, die ihr die Welt macht: der erstere erblicktsie nur so, wie sie durch uns gemacht wird.
Jedes
Objekt hat zwei Ansichten. Teils ist es zu betrachten als Produkt der
übrigen Welt, ist nicht, was alles übrige ist: und insofern erblickt ihr
es nur begrenzt, zusammengedrückt, verzerrt. Diese Ansicht der Welt ist
sehr unästhetisch. Teils ist es ein Produkt seiner eignen innern Kraft;
dann seht ihr es in seiner Fülle und in seinem Leben; und diese Ansicht
ist die ästhetische. Aber woher kömmt denn die Kraft und das Leben in
das Ding, außer aus euch selbst. Je mehr Leben und Kraft, desto mehr Äthetisches und Philosophisches im Menschen.
________________________________________________________________________
Fichte an J. E. von Berger, 11. 10. 1796, in ders., Briefe, Leipzig 1986, S. 193
Nota. - 1. Hier ist das Ästhetische nicht erst der Übergang vom natürlichen auf den ästhe-tischen Standpunkt, sondern schon derselbe - nur noch nicht im Bewusstsein seiner.
2. Auch macht F. hier aus seiner romantischen Grundauffassung kein Hehl: Die innere Kraft ist 'im Objekt' ganz offenbar dieselbe wie 'im Menschen'. Das ist romantischer Zeit-geist, Stimmung, "Panentheismus", wie heute allgemein gesagt wird (nicht zu vergessen, dass F. als Spinozist angefangen hat).
3. Der ästhetische Standpunkt ist dem Künstler 'der
natürliche', er kennt gar keinen andern. Da ist der romantische
Künstler noch naiv. Noch ist ihm nicht bewusst, dass er mit der Wahl des
Künstlertums als Lebensstil sich ja aus der bürgerlichen Welt verabschiedet hatte.* Schon kam Kunst nicht mehr aus zünftiger Werkstatt, sondern aus einer Bohème, die sich als Avantgarde verstand und das Ästhetische der Normalvernunft als deren Negation ge-genüber stellte.
*) vgl. L. Tieck, Franz Sternbalds Wanderungen, 1798
JE
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen