Samstag, 7. September 2024

Ästhetisch und romantisch.

                                             zu Wissenschaftslehre; zu Geschmackssachen

Der Ästhetische Geist und der Philosophische, beide stehen auf dem transzendentalen Ge-sichtspunkte: der erstere, ohne es zu wisseen, denn dieser Standpunkt ist ihm der natürliche und er hat keinen andern, von welchem er sich unterscheiden könnte; der letztere mit seinem Wissen; und dies ist der ganze Unterschied. Der letztere beweist auch, dass ihr selbst es seid, die ihr die Welt macht: der erstere erblicktsie nur so, wie sie durch uns gemacht wird.

Jedes Objekt hat zwei Ansichten. Teils ist es zu betrachten als Produkt der übrigen Welt, ist nicht, was alles übrige ist: und insofern erblickt ihr es nur begrenzt, zusammengedrückt, verzerrt. Diese Ansicht der Welt ist sehr unästhetisch. Teils ist es ein Produkt seiner eignen innern Kraft; dann seht ihr es in seiner Fülle und in seinem Leben; und diese Ansicht ist die ästhetische. Aber woher kömmt denn die Kraft und das Leben in das Ding, außer aus euch selbst. Je mehr Leben und Kraft, desto mehr Äthetisches und Philosophisches im Menschen.
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Fichte an J. E. von Berger, 11. 10. 1796, in ders., Briefe, Leipzig 1986, S. 193

 

Nota. -  1. Hier ist das Ästhetische nicht erst der Übergang vom natürlichen auf den ästhe-tischen Standpunkt, sondern schon derselbe - nur noch nicht im Bewusstsein seiner.

2. Auch macht F. hier aus seiner romantischen Grundauffassung kein Hehl: Die innere Kraft ist 'im Objekt' ganz offenbar dieselbe wie 'im Menschen'. Das ist romantischer Zeit-geist, Stimmung, "Panentheismus", wie heute allgemein gesagt wird (nicht zu vergessen, dass F. als Spinozist angefangen hat).

3. Der ästhetische Standpunkt ist dem Künstler 'der natürliche', er kennt gar keinen andern. Da ist der romantische Künstler noch naiv. Noch ist ihm nicht bewusst, dass er mit der Wahl des Künstlertums als Lebensstil sich ja aus der bürgerlichen Welt verabschiedet hatte.* Schon kam Kunst nicht mehr aus zünftiger Werkstatt, sondern aus einer Bohème, die sich als Avantgarde verstand und das Ästhetische der Normalvernunft als deren Negation ge-genüber stellte.
*) vgl. L. Tieck, Franz Sternbalds Wanderungen, 1798
JE


Nota. Das obige Foto gehört mir nicht, ich habe es im Internet gefunden. Wenn Sie der Eigentümer sind und seine Verwendung an dieser Stelle nicht wünschen, bitte ich um Nachricht auf diesem Blog. JE

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