Bodenseeschmiede aus Wissenschaftslehre - die fast vollendete Vernunftkritik
Wir handeln nicht, weil wir erkennen, sondern wir erkennen, weil wir zu
handeln bestimmt sind; die praktische Vernunft ist die Wurzel aller
Vernunft. Die Handelsgesetze für vernünf-tige Wesen sind unmittelbar gewiss:* ihre Welt ist gewiss nur dadurch, dass jene gewiss sind.
Wir können den ersteren nicht absagen, ohne dass uns die Welt, und mit
ihr wir selbst in das absolute Nichts versinken; wir erheben uns aus
diesem Nichts, und erhalten uns über diesem Nichts lediglich durch
unsere Moralität.
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J. G. Fichte, Die Bestimmung des Menschen, SW II, S. 263
*) Die
Moral sagt schlechterdings nichts Bestimmtes – sie ist das Gewissen –
eine bloße Richterin ohne Gesetz. Sie gebietet unmittelbar, aber immer
einzeln. Gesetze sind der Moral durchaus entgegen.
Novalis, Allgemeines Brouillon, N°670
Nota I. - Ab hier wird die Wissenschaftslehre zu einer Fundamentalontologie. Sein ist Da-sein und Dasein ist Handeln-müssen.
Das ist keine Metaphysik, die aus Begriffen konstru-iert. Es ist eine
Existenzphilosophie, auf theortischen Erwägungen beruht sie nur ex nega-tivo. Sie kann vielmehr als Metaphilosophie das theoretische Wissen ihrerseits begründen.
28. 4. 14
Nota II. - "Ab hier wird...": Philosophisch ist das richtig, philologisch ist es falsch. In der Bestimmung des Menschen vollzieht Fichte vielmehr auf Jacobis Einrede
hin seine dogma-tische Abkehr von der Transzendentalphilosophie.
Obiges Zitat stammt aus dem Zweiten Buch unterm Titel "Zweifel". Dort
entwickelt er mit einiger Radikalität die nihilistischen Konsequenzen
der Kritischen Philosophie. Im Dritten Buch, "Wissen", bekehrt er sich
zu einer realistischen, neodogmatischen proiectio per hiatum irrationalem (die er aber zugleich Jacobi vorwirft).
Jacobis Einwände waren ausdrücklich nicht philosophisch begründet. Er
bestätigt Fichte im Gegenteil, die Wissenschaftslehre sei wirklich, wie
jener behauptete, die regelrechte und kon-sequente Vollendung der Kantschen Kritik. Sein
Einwand ist weltanschaulisch und morali-stisch motiviert: Wäre sie nur
auf sich selbst gestellt, schwebte die Vernunft in der Luft und hätte
nichts, woran sie sich halten kann. Ein sittliches Leben sei so nicht
möglich.
Das traf Fichte härter
als der Vorwurf des Atheismus. Für ihn sollten Vernunft und Sittlich-keit
einander verbürgen und momöglich 'letzten Endes dasselbe' sein, denn
um die richtigen Zwecke geht es ja beiden. Das Problem ist dann aber die Richtigkeit der Zwecke. Der radi-kale Kritizist wird sagen: Die wird sich finden. Aber so radikal war Fichte doch nicht. Im tiefsten Herzen wollte er glauben: Sie wird sich wieder finden.
Doch ohne Streit weder dieses noch jenes.
JE, 22. 9. 18
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