Dienstag, 10. September 2024

Die Rechtfertigung der Vernunft.

                                    zu  Philosophierungen, oder Das Vernunftsystem

...die Frage ist: Wie kann ein Vernunftwesen sein Bewusstsein erklären?
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J. G. Fichte, Wissenschaftslehre nova methodo, Hamburg 1982, S. 167.

 
Nota I. - Das ist die Frage, der die Wissenschaftslehre nachgeht. Seit anderthalb Jahrhun-derten - seit dem Ende des Dreißigjährigen Krieges - waren die Gebildeten Europas sich einig: Von nun an sollte die Vernunft regieren. Vernunft wurde zur selbstverständlichen Grundlage von Allem.

Selbstverständlich, denn was sie sei, wurde nicht gefragt. Es hätte die Vernunft ja von sich selbst reden müssen. So fragte schließlich auch Kant nicht: Was ist Vernunft? Sondern le-diglich: Wo sind ihre Grenzen?

Die Grenze, an der er selber stehenblieb, waren die zwölf Kategorien und die beiden An-schauungsformen. Er nannte sie das Apriori, womit auch gemeint war, dass man hinter sie nicht zurückfragen könne, nämlich solange man in der Wissenschaft bleiben wolle; dahinter begänne das Reich des Glaubens.

Kant war auf halbem Wege stehen geblieben, Fichte wollte ihn zu Ende gehen. "Wie kann ein Vernunftwesen sein Bewusstsein erklären?" Es ist nicht die Vernunft, die von sich selber singen soll. Es ist ein wirkliches, lebendiges, endliches Bewusstsein, das sich klarmachen will, wie es zu dem gelangte, was es als seine Vernunft erkennt. Sie sind von Anbeginn zwei, ein Subjekt und ein Objekt. Wer von beiden ist dieses, wer jenes? Begreifen können sie... einander? - nein: sich nur, indem sie die Stelle wechseln.

Doch wohlgemerkt: Nicht die Vernunft hat sich erklärt, sondern ein wirkliches Bewusstsein hat 'sich' seine Vernünftigkeit erklärt. Daher ist diese Erklärung "nicht an sich gültig"(ebd.), nämlich nicht für ein etwaiges unendliches oder überirdisches Vernunftwesen oder womög-lich den Schöpfergott selbst, sondern gilt nur für besagtes Bewusstsein selbst; aber für die-ses gilt sie.

5. 6. 17
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Nota. -
Die Frage ist wohlbemerkt nicht: "Wie ist Bewusstsein zu erklären?" Wissenschafts-lehre ist keine Theory Of Mind. Sondern: Wie kann ein Vernünftiger sich sein Bewusstsein erklären? Sein Bewusstsein nennt er Vernunft. Die hat er sich zu erklären. Das kann er logi-scherweise nicht, indem er sich ihrer dazu bedient. Das ergäbe nur Tautologien. 

Er muss so tun, als ob er noch ohne sie sei - etsi ratio non datur: Und muss sie aus der ein-zigen Bestimmung herleiten, von der er ausgehen darf, weil er sie macht und gemacht haben muss, indem er die Frage stellte; nämlich dass er ist. Wie er dazu kam, kann er nicht wissen, denn das müsste er 'sich selbst voraussetzen', was widersinnig wäre. Er kann in 'sich selbst' nur die Bestimmungen finden, die er gemacht haben muss, indem er sich als Ich behauptete. Indem er nämlich etwas voraussetzte, was nicht 'er selbst' war. Es trifft sich, dass seine Sin-ne ihn ebendas annehmen lassen - bevor er merkte, dass 'er selbst' es ist, der es annimmt.  

Das ist die Verwicklung, aus der er alles weitere entwickelt hat.

 


Nota. Das obige Bild gehört mir nicht, ich habe es im Internet gefunden. Wenn Sie der Eigentümer sind und seine Verwendung an dieser Stelle nicht wünschen, bitte ich um Nachricht auf diesem Blog.

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