Die Wissenschaftslehre
knüpft nicht, wie alle andern philosophischen Systeme, vorab defi-nierte
Begriffe aneinander, sondern entwickelt ihren Gang aus lebendigem
Vorstellen, wo-bei die begrifflichen Feststellungen gewissermaßen
nebenher anfallen. Das ist der elemen-tare Unterschied zu allem vorangegangenen und allem folgenden Philosophieren. Fichte kommt immer wieder auf ihn zu sprechen.
Aber nur beiläufig wie auf ein bloßes Faktum. Die Tragweite, so mein Eindruck, wurde ihm nicht recht bewusst.
Auch an diesem systematisch entscheidenden Punkt sind die ProlegomenaVom Wesen der Gelehrten* aufschlussreich. Deren zweiter Hauptteil Über Geist und Buchstab hat, wiede-rum ohne dass es ausgesprochen wird, keinen anderen Gegenstand. Die dort angegriffenen Buchstäbler sind niemand anderes als die rationalistischen Metaphysiker,
die aus Begriffen ganze Weltgebäude auftürmen, ohne zu erklären,
woher sie ihre Begriffe haben und mit welchem Recht sie von ihnen
Gebrauch machen.
Doch Fichte fügt hinzu:
Der Wissenschaftslehre selbst ginge es nicht besser und sie verfiele
wie das Wolff-Baumgarten'sche System der transzendentalen Kritik, wenn
ihre lebendige Vorstellungstätigkeit zu toten Begriffen sistiert und als
ein lernbares Pensum aufgefasst würde.
Dass Fichte diesen Unterschied nur nebenher ausgesprochen und nicht als kategorisch festgestellt hat, steht bis heute im akademischen Raum einem angemessenen Verständnis der Wissenschaftslehre entgegen.
Der Begriff ist der Urtyp des digit. Die diskursive Rede ist die digitale Darstellung par ex-cellence. Das lebendige Vorstellen lässt sich dagegen nur analog
darstellen. Fichte hatte nicht die Wahl: Auch die Wissenschaftslehre
konnte er nur diskursiv vortragen. Dass digital vorgetragen wird, was
analog angeschaut werden soll, muss auf Schritt und Tritt
Missver-ständnisse hervorrufen.
26. 8. 17
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen