Sonntag, 30. Juni 2024

Das Nichtdürfen und die Begierde.

Cranach d. J..          zu Wissenschaftslehre - die fast vollendete Vernunftkritik

Anmerkung. Kant hat sich oft, auch in der Einleitung zum Naturrecht insbesondere, so erklärt: als ob die gegen das reine Wollen strebende Begierde unerklärlich sei. Sie ist aber allerdings erklärbar, sie ist Bedingung des Selbstbewusstseins, denn sie ist Bedingung des Gefühls des reinen Wollens, welches erst dadurch ein reines Wollen, ein Gesetz wird; und / ohne Voraussetzung des reinen Wollens ist kein Bewusstsein möglich. 

Die Begierde gilt für alle endliche Vernunft; wer der Begierde entledigt sein will, der will des Bewusstseins entledigt werden.

Heilig ist für uns kein endliches Vernunftwesen, das Bewusstsein hat. Das Bewusstsein Got-tes ist unerklärbar.

Aus der Vereinigung des reinen Wollens mit der Begierde entsteht das Gefühl eines Sollens, eines inneren, kategorischen Treibens zum Handeln (worauf dieses Handeln sich bezieht, vide infra).

Aus der Vereinigung des Nichtdürfens und der Begierde entsteht ein Erlaubtsein der Befrie-digung der Begierde. Dasjenige, was innerhalb des Umkreises dessen liegt, was ich darf, ist erlaubt.

Jenes reine Wollen hat Einfluss auf das Gefühlsvermögen. Dies kommt daher, weil eine Be-gierde da ist, die eingeschränkt werden soll.

Im Naturrecht ist die Rede nicht vom Sollen, sondern von Erlaubtsein. Das Naturrecht be-zieht sich lediglich auf den empirischen Willen. Das, was vor dem Forum des Naturrechts ein Erlaubtsein ist, ist vor dem Forum der Moral ein Sollen.

In diesem Gefühle des Sollens ist ganz eng zusammengedrängt, was wir oben zur Auflö-sung des Widerspruchs forderten. Begrenztheit unserer Begierde und Freiheit, absolut an-zufangen.

Dieses Gefühl ist kategorisch, nicht nur der Materie nach fordernd ohne weiteren Grund, sondern auch der Form nach, es ist so gewiss, als ein Vernunftwesen da ist; aus ihm folgt notwendig Bewusstsein; es ist daher notwendig ein bestimmtes Bewusstsein und kommt im Bewusstsein des Vernunftwesens vor.
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J. G. Fichte, Wissenschaftslehre nova methodo, Hamburg 1982, S. 144
f.  



Nota I. - Wird hierdurch irgendetwas klarer? Mir nicht. Nochmal von vorn: Der reine Wille kollidiert mit dem Elementarfaktum meiner Beschränktheit und verendlicht (
=verwirklicht, objektiviert) sich dadurch zur Begierde; und das Gefühl der Beschränktheit verendlicht sich dadurch zum Gefühl des Nichtdürfens. (Vom Was ist hier noch gar nicht die Rede.) Was außerhalb des Nichtdürfens liegt, ist in rechtlicher Hinsicht das, was mir erlaubt ist, und in moralischer Hinsicht das, was ich soll. 

Sollte ich ihn nun recht verstanden haben, wird mir zwar klar, was er meint, aber nicht, dass es richtig ist. Seine Gründe erscheinen mir nicht, wie sie doch sollten, deduziert, sondern eher aus der Luft gegriffen, mit andern Worten: Er hat weniger Gründe als Absichten. Er
hat die Absicht, die Transzendentalphilosophie zu naturalisieren und in eine materiale Rechts-lehre und eine materiale Moral zu transformieren. Für die Rechtslehre geht das unter Um-ständen an, weil, wie wir sehen werden, die Aufforderung zum Vernünftigsein von einer 'Reihe vernünftiger Wesen' ausgeht und eo ipso eine gegenseitige Verbundenheit voraus-setzt. Für die Sittenlehre geht es nicht an, weil sie sich an den Einzelnen richtet und die Pflichten betrifft, die er gegen sich selber hat; nicht gegen das Gemeinwesen.
23. 12. 16

Nota II. - Ich habe nunmal damit angefangen, meine früheren Kommentare nicht nach-träglich  zu verbessern, sondern so stehen zu lassen, wie sie meinem jeweiligen Verständnis entsprochen haben. Wo es angezeigt ist, sie zu korrigieren, füge ich neue Kommentare hin-zu. Auch die sind ja vielleicht nicht das letzte Wort - und es kann sogar sein, dass ein letztes Wort dümmer ist als das vorletzte.

Nun zur Sache: Transzendentalphilosophie geht auf Dinge, von denen wir keine Erfahrung haben können - andernfalls wäre sie überflüssig. Aber auf Dinge, die, obwohl wir von ihnen keine Erfahrung haben, dennoch real sind - sonst wäre sie nämlich nutzlos. Und eben des-halb kann sie nicht in Begriffen fortschreiten - denn die haben nur soviel Inhalt, wie Erfahr-ung in ihnen steckt, und sonst wären sie leer.

Darum verfährt sie pragmatisch: Sie experimentiert mit der Vorstellung - nämlich nicht, um unbekannte Sachverhalte neu zu ersinnen, sondern um Bedeutungen hervorzubringen, die es vermögen, reinen Sach verhalten einen Handlungen ermöglichenden Sinn beizumessen. Pragmatisch insofern, als man es immer ausprobieren muss; Bedeutungen können nicht be-wiesen werden, sondern müssen sich so oder anders bewähren. 

So ist es mit der Annahme eines reinen Wollens, das 'da ist', bevor es noch wüsste, was es will. Das ist sogar die sinnstiftende Ur annahme. In der Wirklichkeit kommt dagegen nur bestimmtes Wollen vor, ein 'reines' Wollen ist eine noumenale Abstraktion, die nur in der und für die Reflexion erscheint.

Hier nun kippt F. die Sache um: Er führt ein reales Wollen an-sich ein: die Begierde! Der Mensch ist von Natur begehrlich, wer wollte ihm widersprechen? Doch der Satz frommt einem schottischen Moralphilosophen und keinem deutschen Kritiker. Der deutsche Kriti-ker würde die Begierde der sinnlichen Leiblichkeit des Menschen zuordnen und mit der Vernunft nur insofern in Verbindung bringen, als sie ihr in den wirklichen Deliberationen der endlichen Vernunftwesen oft genug in die Quere kommt.

Bemerkenswert ist jedenfalls, dass er die Begierde gebraucht, um ein (intellektuelles!) Gefühl "des Sollens" plausibel zu machen. Das ist erstens systemwidrig und zweitens gar nicht nö-tig; sofern man nicht an der Vorstellung intellektueller Gefühle überhaupt zweifelt. 

Hinzu kommt der wunde Punkt, dass er - wiederum eigentlich systemwidrig - Sittenlehre und Rechtslehre miteinander vermengt, indem er überflüssigerweise Sollen und Erlaubtsein nebeneinander stellt, wo sie gar nicht hingehören.
JE 2. 1. 22




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