Sonntag, 9. Juni 2024

Die zwei Gänge der Wissenschaftslehre.

Aivasovski                               zu Wissenschaftslehre - die fast vollendete Vernunftkritik

Unsere Aufgabe ist längst die: die Bedingungen des Bewusstseins nach den schon bekann-ten Regeln zusammen zu setzen und das Bewusstsein vor unseren Augen gleichsam zu kon-struieren, nur nicht wie der Geometer tut, der sich um die Frage, woher die Fähigkeit, Lini-en zu ziehen und Raum, herkomme, nicht bekümmert, dieser setzt schon Wissenschaftsleh-re voraus.

Denn die Wissenschaftslehre muss das, womit sie / verfährt, sich selbst erkämpfen, und in dieser Rücksicht hat das System bestimmt zwei Teile. Bis dahin, wo gezeigt wurde, reiner Wille ist das wahre Objekt des Bewusstseins, wurde ausgemittelt, womit verfahren werden sollte. Von da ging der andere Teil an. Wir konstruieren nun wirklich - wir haben nun Feld und Boden gewonnen und nun ein Verfahren zu schildern und anzuwenden.

Wir setzen so zusammen: 

Anfangs hatten wir bloße Erkenntnis als Anfangspunkt des Bewusstseins, dann setzten wir hinzu, dass diese nicht ohne ein Wollen möglich sei, i. e. nicht ohne etwas, das
[von] dem Ver-nunftwesen als Wollen gesetzt wird, das nur Erscheinung sei. So ist demnach an das Erstge-schilderte etwas angeknüpft; wir müssen auch eine immer fortfließende Reihe des Bewusst-seins beschreiben. 

Was ist denn nun eigentlich das Objekt, das außer uns angenommen werden soll? Hier ist zuerst die Rede von einen Herausgehen aus uns selbst; hier muss streng deduziert werden; den schon angefallenen Punkt müssen wir da näher bestimmen, was in der beschriebenen Erkenntnis für ein Objekt außer uns enthalten ist?

________________________________________________________________               J. G. Fichte, Wissenschaftslehre nova methodo, Hamburg 1982, S. 178f.


Nota I. - 'Zuerst' verfährt die Wissenschaftslehre analytisch, sie sucht: Von dem Bewusst-sein, das sie (historisch) vorfindet, geht sie zurück auf dessen als notwendig eingesehenen Voraussetzungen. So gelangt sie zur Annahme eines reinen Wollens als dem An-sich des Bewusstseins. Von da an verfährt sie synthetisch: Sie konstruiert, sie re konstruiert – näm-lich 'wie aus dem Wollen wirkliche Objekte außer uns entstehen'. Aus dem Kreis des Be-wusstseins tritt sie nirgends heraus.

Nota II. - Dies ist die richtige Stelle für eine Zäsur. Der transzendentale Sprung des 'reinen' Ich rückwärts vom vernünftigen Individuum zum Glied einer vernünftigen Reihe ist die entscheidende Klippe, die zu meistern war. Es ist auch die richtige Stelle, um zu erinnern: Es gilt darzustellen, wie das Bewusstsein des Vernunftwe- sens für sich wird, denn nur so wird es. Was in der Rekonstruktion als Voraussetzung erscheint, war in der Analyse Resul-tat. Es findet eine ständige Verkehrung der Perspektive statt.
12. 2. 17

Nota III. - Doch wohlbemerkt: Den ersten Teil des ersten Ganges ist Fichte nicht selber gegangen. Es ist vielmehr die ganze Kritik der reinen Vernunft bis ran ans Apriori, die F. hier für sich in Anspruch nimmt.  
JE

 

 

Nota. Das obige Bild gehört mir nicht, ich habe es im Internet gefunden. Wenn Sie der Eigentümer sind und seine Verwendung an dieser Stelle nicht wünschen, bitte ich um Nachricht auf diesem Blog. JE 

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen

Bestimmt, unbestimmt, bestimmbar; setzen, abstrahieren.

                       aus Wissenschaftslehre - die fast vollendete Vernunftkritik   Im vorigen Paragraphen war es uns um die Erkenntn...