Dienstag, 4. Juni 2024

Die höchste Synthesis.

                     zu Wissenschaftslehre - die fast vollendete Vernunftkritik

Von der höchsten Synthesis aus ist zu sagen: Ich schaue mich an als einbildend, und da-durch schaue ich ein Bestimmbares [an]
________________________________________________________________

J. G. Fichte, Wissenschaftslehre nova methodo, Hamburg 1982, S. 203


Nota. - Was ist eine höchste Synthesis? Ein Satz, der das ganze Denksystem der Wissen-schaftslehre ausspricht. Der müsste wohl möglich sein, denn deren erster, analytischer Gang hatte das reine Wollen als Grund der Vernunft ausgewiesen, und ihr zweiter, rekonstruktiver Gang hat das gesamte System der Vernunft erfolgreich daraus hergeleitet. Alles steckt daher in diesem Satz.

Das ist eine günstige Gelegenheit für eine metalogische Bemerkung:

Fichtes Gang ist nicht, wie herkömmlich, ein diskursiver, der vorab von zwei Seiten zu sehen ist: hier die logische, da die historische. Sein Gang ist vielmehr von vornherein syn-thetisch - genetisch, wie er es nennt. Denn er trägt nicht einerseit Stoff vor, verpackt in vorgebliche, nämlich vorgegebene Begriffe, und reiht sie nebenbei logisch einen an den andern. Indem er den Gang der Vernunft als die Entstehung einer begriffenen, intelligiblen Welt aus der Entwicklung der Vorstellungen auseinander dargestellt hatte, hatte er nämlich die Bedeutungen aus ihrer mechanischen Zerlegung in Punkte und Linien erlöst und in ihren wirklichen dynamischen Zusammenhang zurückgestellt.

Das ist nicht neu, darauf habe ich schon manches Mal herumgeklopft.

Neu ist die Zumutung, vor die sie den Leser stellt und die sie scheinbar so schwer ver-ständlich macht. Wenn ich mir das Ganze System begrifflich denke, folgt überall eines aus dem vorigen. Doch es gibt keinen Anfag und kein Ende. Es schwebt in der Luft und beruht auf nichts. Wenn ich mir das System vorstelle als ein vorgestelltes, fängt es mit dem Vor-stellenden an und hat kein Ende, sondern einen Fluchtpunkt: das immer neue Bestimmen des Vorgestellten... 

Der Haken ist: Die Wissenschaftslehre ist Reflexion der Vernunft auf sich selbst, und Re-flexion ist nichts anderes als Abstraktion - von ihrer andern Seite betrachtet; das ist das Tagesgeschäft der Logik. Die Wissenschaftslehre mutet ihren Hörern und Lesern nun ab-strahieren in der Vorstellung zu. Das ist ein Gewaltakt der Einbildungskraft, der schon an sich nicht einfach ist; aber fast unmöglich ist für einen, dem man in der Schule beigebracht hat, dass Definitionen das A & O der Vernunft ausmachen.

Dem System der Vernunft liegt aber ein Unbestimmtes zu Grunde, und ein Unbestimmtes ist sein Zweck. Dazwischen liegt bestimmen. Das ist die Wirklichkeit der Vernunft im Raum und in der Zeit: Ein Ich schaut sich an als einbildend, und dadurch schaut es ein Bestimm-bares an. Damit ist Alles gesagt.
JE


Nota. Das obige Bild gehört mir nicht, ich habe es im Internet gefunden. Wenn Sie der Eigentümer sind und seine Verwendung an dieser Stelle nicht wünschen, bitte ich um Nachricht auf diesem Blog. JE

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen

Bestimmt, unbestimmt, bestimmbar; setzen, abstrahieren.

                       aus Wissenschaftslehre - die fast vollendete Vernunftkritik   Im vorigen Paragraphen war es uns um die Erkenntn...