Dienstag, 18. Juni 2024

Was sich bestimmen soll, muss sich schon haben.

                                          aus Wissenschaftslehre - die fast vollendete Vernunftkritik

Das Ich bestimmt sich selbst. Das Wörtchen Selbst bezieht sich auf es. Es bestimmt sich, aber indem es sich bestimmt, hat es sich schon; das sich bestimmen soll, muss sich selbst haben, und was sich selbst hat, ist eine Intelligenz.
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J. G. Fichte, Wissenschaftslehre nova methodo, Hamburg 1982, S. 52



Nota I. - Weniger 'selbst' bedarf der Erläuterung, als sich. Sobald 'es' sich bestimmt, muss es annehmen, es sei δυναμει schon 'da' gewesen, ehe es sich ενεϱγειαι als ein 'Selbst' gesetzt hat. Es ist die Grammatik, die vom Satz ein Subjekt verlangt, welches ein Objekt prädiziert. Der Akt, das Handeln selbst, füllt keinen Satz. Es
kommt auch nicht zuerst und Subjekt und Ob-jekt ergäben sich aus ihm. Sondern sie müssen schon da sein, und aus ihrem Verhältnis er-gibt sich erst die Handlung.

Es ist in der Grammatik eine - historisch-genetisch unumgängliche - dogmatische Vorstel-lungsweise verewigt, die die kritische Absicht der Transzendentalphilosophie von vornher-ein immer wieder verbaut. Genauer gesagt: eine Vorstellungweise, in der die Nomina 'onto-logisch' vor den Verbis kommen; wo die Begriffe die Bilder längst ruhiggestellt haben.

Die denk
würdige Auflösung ist das Begriffsbild Intelligenz: ein Nomen, das nur als Tätiges gedacht werden kann. Es tritt in der Philosophie erst spät auf und ist dem gesunden Men-schenverstand bis heute ein Rätsel.
9. 4. 19

 
Nota II. -  Verwirrung kann aufkommen durch die semantische Rivalität von setzen und bestimmen. Ein X  'setzt' sich, indem es 'überhaupt' tätig wird. So aber nur in der abstrak-tiven Reflexion des philosophierenden Betrachters. In der Wirklichkeit kann ich nicht 'überhaupt' tätig sein - ich muss dieses oder jenes tun, nicht überhaupt, sondern bestimmt. Einen Zweckbegriff entwerfen, wie Fichte sagt. Indes wird in der Wirklichkeit ein Zweck-begriff nur im Ausnahmefall wirklich (neu) entworfen. Vielmehr handeln wir in der Vor-stellung, dass eine Mannigfaltigkeit von Zwecken 'uns zu Gebote steht', aus der wir uns mal diesen, mal jenen aussuchen - und ihn als 'Begriff' nur in dem Maße fassen, als wir ihn im Verlauf der Tätigkeit selbst anschauen können. 

Ich 'habe' mich, indem ich einen Willen fasse - eben nicht als Begriff, sondern als Tat-Sache. Ab da kann ich - und muss wohl - bestimmen
 
 
Nota III. - Und nicht vergessen: Setzen geschieht reell nur als ein Setzen-als. Setzen-als ge-schieht durch Entgegensetzen. Nur in der Abstraktion sind setzen und bestimmen unter-scheidbar. In der Wirklichkeit geschieht beides zugleich als das andere. Das gilt für ein Ich wie für ein jedes Andere. Darum klänge der Satz 'Was sich selbtbestimmen soll, muss sich schon haben' beinahe tautologisch.
JE, 5. 8. 21




Nota. Das obige Bild gehört mir nicht, ich habe es im Internet gefunden. Wenn Sie der Eigentümer sind und seine Verwendung an dieser Stelle nicht wünschen, bitte ich um Nachricht auf diesem Blog.  JE

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Bestimmt, unbestimmt, bestimmbar; setzen, abstrahieren.

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