Sonntag, 15. Dezember 2024

Gibt es vernünftige Menschen?

Apollon                                                     zu Wissenschaftslehre - die fast vollendete Vernunftkritik

Ein Menscch ist nicht vernüftig. Vernünftig oder unvernünftig ist, was er tut; er selber ist es, sofern, nämlich wenn und solange er vernünftig handelt. Spritzfindig kann man sagen, ver-nünftig ist nicht die Handlung selbst, denn in die treten Faktizitäten ein, die in die Ergeb-nisse übergehen. Eigentlich vernünftig ist der Willensakt, das Urteil, das dem Handeln zu Grunde liegt, und das ist unabhängig von Zeit und Ort, sondern 'an sich'. Doch an sich gibt es kein Urteil, sondern immer nur in concreto. 

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Ich sage: Fritz ist ein vernünftiger Mensch. Das ist kein logisches, sondern ein psycholo-gisches Urteil - mit einem lebenspraktischen Anspruch.  Es bedeutet nur: Im alltäglichen Umgang handelt er öfter so, wie es für ihn oder andere vorteilhaft ist, als unvorteilhaft. Man kann ihm getrost diese oder jene Aufgabe anvertrauen: Man ist jedermann, die Aussage be-ansprucht Allgemeingültigkeit und man könnte politische Wahlen danach entscheiden - aber vor Gericht nachweisen ließe sie sich nicht. Es ist ein allgemeingültiges Erfahrungsurteil, doch wie jedes Erfahrungsurteil kann es jederzeit von einem unerwarteten Ereignis durch-stochen werden. Es ist eben eine Sache der Umgangssprache.

Sätze können vernünftig sein; ganz einfache und hochkomplexe, das macht keinen Unter-schied. Aussagen über Sachverhalte können richtig sein oder falsch. Man mag es unvernünf-tig nennen, falsche Aussagen zu machen - das läge aber nicht an der Aussage, sondern an den Umständen, unter denen sie gesagt wird; manchmal ist lügen ganz vernünftig. Nicht bloß unvernüftig, sondern ganz ohne Sinn und Verstand sein kann ein Satz, der - ohne Sinn und Verstand ist, grammatisch oder semantisch.

Ein vernünftiger Satz setzt seine formale Richtigkeit voraus. Und er setzt voraus, dass die Schlüsse, die man aus ihnen ziehen kann, als... was bewertet werden können? Richtig reicht nicht aus, vertretbar müssen sie sein. Wem gegenüber? Offenbar gegenüber Leuten, die das beurteilen können. Nach welchem Maßstab? Offenbar doch nach den Folgen, die sich aus ihnen ergäben: faktische Folgen und logische, nämlich sinn hafte. 

Sinn ist Zweck. Zweck ist, was aus einer möglichen Absicht folgen kann. Faktische Absich-ten sind Interessen. Wer die hat, wird die Zwecke gutheißen oder verwerfen. Logische, näm-lich sinnhafte Zwecke sind solche, die ohne Interessen möglich sind. Was ohne Interessen gewählt (!) werden kann, ist nach Kant schön. Was ohne Interesse nicht gewählt werden kann, ist abstoßend. Das sind ästhetische Urteile. Werden sie auf Handlungen bezogen, die aus ihnen folgen, nennt man sie moralisch.

Vernünftig sind Urteile, die nach ästhetischen und gegebenenfalls ästhetisch-moralischen Kriterien gefällt wurden. Vernünftig kann man einen Menschen nennen, der bereit und fähig ist, seine ästhetischen und moralischen Urteile vor und über seine Interessen zu stellen.

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Summa: Vernunft ist kein Begriff der Psychologie. Da kommt er nicht her und gehört er nicht hin. Vernunft ist als Begriff bloß philosophisch brauchbar in ästhetisch-moralischem Zusammnhang. In andern Zusammenhängen verwenden ihn nur logische Hütchenspieler.



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