Das Vernunftwesen soll seine freie Wirksamkeit realisieren: Diese Aufforderung liegt im Begriffe, uns so gewiss es den beabsichtigten Begriff fasst, realisiert es dieselbe:
entweder durch wirkliches Handeln. Es ist nur Tätigkeit überhaupt gefordert; aber es liegt ausdrücklich im Begriffe, dass in der Sphäre der möglichen Handlungen das Subjekt Eine durch freie Selbstbestimmung wählen soll. Es kann nur auf eine Weise handeln, sein Emp-findungsvermögen, das hier sinnliches Wirkungsvermögen ist, nur aus eine Weise bestim-men. So gewiss es handelt, wählte es durch absolute Selbstbestimmung diese eine Weise, und ist insofern frei und Vernunftwesen und setzt sich auch als solches.
oder durch Nichthandeln. Auch dann ist es frei, denn es soll unserer Voraussetzung nach den Begriff seiner Wirksamkeit gefasst haben als etwas Gefordertes und ihm Angemutetes. Indem es nun gegen diese Anmutung verfährt, wählt es gleichfalls zwischen Handeln und Nichthandeln.
Der aufgestellte Begriff ist der einer freien Wechselwirksamkeit in der höchsten Schärfe: der also auch nichts anderes ist denn dies. Ich kann zu irgend einer freien Wirkung eine Gegen-wirkung als zufällig hinzudenken; aber das ist nicht der geforderte Begriff in seiner Schärfe. Soll er scharf bestimmt werden, so muss Wirkung von Gegenwirkung sich gar nicht abge-sondert denken lassen. Es muss so sein, dass beides die partes integrantes einer ganzen Be-gebenheit ausmachen. So etwas wird nun als notwendige Bedingung des Selbstbe/wusstsein eines vernünftigen Wesens postuliert. Es muss vorkommen, laut unseres Beweises.
An so etwas ist es allein möglich, den Faden des Bewusstseins anzuknüpfen, der dann wohl ohne Schwierigkeit auch über die anderen Gegenstände weglaufen möchte.
Dieser Faden ist durch unsere Darstellung angeknüpft. Das Subjekt kann und muss unter dieser Bedingung sich als freiwirkendes Wesen setzen, laut des gegenwärtigen Beweises. Setzt es sich als solches, so kann und muss es eine Sinnenwelt setzen und sich selbst ihr entgegensetzen. - Und jetzt gehen alle Geschäfte des menschlichen Geistes ohne Anstand nach den Gesetzen desselben vonstatten, nachdem die Hauptaufgabe gelöst ist.
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J. G. Fichte, Grundlage des Naturrechts nach Prinzipien der Wissenschaftslehre, SW Bd. III, S. 34f.
Nota I. - "Indem es nun gegen diese Anmutung verfährt, wählt es gleichfalls zwischen Han-deln und Nichthandeln": Das wohl. Aber als ein frei Wirkenden hat es sich eben nicht ge-setzt. Fichte beachtet ihn nicht weiter und lässt ihn in der Ecke stehn. Der andere hat sich ja als ein solcher gesetzt, und da kann der Faden angeknüpft werden...
Was aber wird aus dem andern Vernunftwesen, das 'frei gewirkt' hat, indem es sich nicht als frei Wirkendes gesetzt hat? Hört es auf, Vernunftwesen zu sein?
Das Vernunftwesen ist ja nur ein Mögliches: eines, dem Vernunft anzumuten ist. Was draus machen müsste es schon selber. Hier haben wir den Fall, dass eines nichts draus gemacht hat. Es hat nicht vernünftig gehandelt. Mehr als das könnte es ohnehin nicht: Vernünftig ist immer nur ein Handeln - im Moment des Handelns; wenn nicht diesmal, dann vielleicht das nächste Mal.
In seinem Selbstbewusstsein kommt es ihm vielleicht so vor, als ob es selbst vernünftig wäre. Doch hat es dieses Selbstbewusstsein auch nur, wenn und indem es - vernünftig handelt. Andernfalls ist es ein wirklicher, lebender Mensch - aber kein transzendentales Ich.
27. Januar 2019
Nota II. - Sofern das Individuum sich als Vernunftwesen setzt, ist es in unserer Welt, und soweit es in unserer Welt ist, ist es Vernunftwesen. Doch sofern es lebendiges Individuum ist, ist es nicht nur Vernunftwesen (=Ich), sondern lebt mit seinem Leib, seinen Gefühlen und seinen Leidenschaften und Lastern auch in seiner Welt. In der darf er selbstverständlich unvernünftig sein, so viel er mag. Doch muss er allezeit auf beider Grenzen achten, und das ist das existenzielle Grundproblem von uns Allen, weil sie in einander verschwimmen.
JE
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