Wir haben eine Welt nur als Vorstellung; aber die haben wir
gemacht: Das ist der Stand-punkt der philosophischen Reflexion. Fürs
bürgerliche Leben dagegen sind Welt und Vor-stellung gleichermaßen gegeben. Das ist eine geschäftige, prosaische und enge Welt. Sie ist hässlich.
Das
Sittengesetz gebietet absolut. Aber es lautet in seiner schlichtesten
Form: Handle nach eigenem Urteil. Formal drückt es nieder, material
lehrt es uns, auf eigenen Füßen zu stehen. "Wenn wir ihm gehorchen,
gehorchen wir nur uns selbst."
Wer
vom Standpunkt der philosophischen Reflexion ins wirkliche Leben
zurückkehrt, mag die transzendentale Ansicht beibehalten: Sie wird ihm
zur ästhetischen. Auf der andern Sei-te bildet die ästhetische Ansicht den Übergang
vom gewöhnlichen Standpunkt zum trans-zendentalen, und ohne ihn wäre die
kritische und Transzendentalphilosophie gar nicht mög-lich geworden.
Ästhetischer Sinn sei nicht Tugend, sagt mein Zeuge des öftern: Das Sittengesetz fordere Selbstständigkeit nach Begriffen. Nach Zweck begriffen, setze man erläuternd hinzu: Nach einem Urteil um/zu, und da das Sittengesetz immer momentan und unmittelbar gebietet, nach einem Urteil ad hoc. Urteile ad hoc sind die ästhetischen Urteile auch. Nach Begriffen werden sie nicht gefällt, sondern aus bloßer Anschauung. Doch auch so, als wären sie mir absolut geboten, einen Raum zum Deliberieren habe ich nicht.
Fichte hätte gut daran getan, das Sittengesetz und den ästhetischen Sinn phänomenal in einem Komplex zusammenzufassen. Sein abtrünniger Schüler Herbart hat diesen Schritt konsquenter Weise getan und das Ethische als Schönheit im Reich der Willensakte dem Ästhetischen als dessen Teilbereich untergeordnet. Ethische Urteile haben streng genom-men ebenso wie ästhetische Urteile keinen Gegenstand; ihr Zweck ist nämlich nicht, dieses oder jenes so oder anders zu bestimmen. Sondern eine eingetretene Bestimmung meines Zustands zu bestätigen oder zu verwerfen.
Und dies nun macht die gemeinsame Besonderheit des ethischen und ästhetichen Urteils aus: Es geschieht nicht stückweise, 'quantifizierend', synthetisch a posteriori, sondern ganz und auf einmal: synthetisch a priori.
"Erfassen" ließe sich mein ganzer Zustand nur, soweit er von einem Teilstück zum andern übergeht und sie nach einander verknüpft. "Wenn unser Zustand auf einmal aufgefasst wür-de, so würde nicht übergegangen, und so würde nichts Ganzes aufgefasst. Was ist nun das Ganze dieses Zustandes? Nach dem soeben Gesagten ist es Synthesis des Wollens und des Seins, Beziehung beider auf einander, welches beide nicht zu trennen ist." Nova methodo, S. 155
Der springende Punkt: Ästhetische wie ethische Urteile werden nicht gefasst, aufgefasst wie das Vernunfturteil nach Deliberation, nicht bestimmt durch 'mein Ich', sondern angeschaut als ein Zustand, in dem ich bin. Es tritt zwischen Wollen und Sein eine Scheidung gar nicht erst ein. Und wenn ich zu einem Verstandesurteil komme, dann immer erst hinterher.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen