Sonntag, 30. Juni 2024

Das Nichtdürfen und die Begierde.

Cranach d. J..          zu Wissenschaftslehre - die fast vollendete Vernunftkritik

Anmerkung. Kant hat sich oft, auch in der Einleitung zum Naturrecht insbesondere, so erklärt: als ob die gegen das reine Wollen strebende Begierde unerklärlich sei. Sie ist aber allerdings erklärbar, sie ist Bedingung des Selbstbewusstseins, denn sie ist Bedingung des Gefühls des reinen Wollens, welches erst dadurch ein reines Wollen, ein Gesetz wird; und / ohne Voraussetzung des reinen Wollens ist kein Bewusstsein möglich. 

Die Begierde gilt für alle endliche Vernunft; wer der Begierde entledigt sein will, der will des Bewusstseins entledigt werden.

Heilig ist für uns kein endliches Vernunftwesen, das Bewusstsein hat. Das Bewusstsein Got-tes ist unerklärbar.

Aus der Vereinigung des reinen Wollens mit der Begierde entsteht das Gefühl eines Sollens, eines inneren, kategorischen Treibens zum Handeln (worauf dieses Handeln sich bezieht, vide infra).

Aus der Vereinigung des Nichtdürfens und der Begierde entsteht ein Erlaubtsein der Befrie-digung der Begierde. Dasjenige, was innerhalb des Umkreises dessen liegt, was ich darf, ist erlaubt.

Jenes reine Wollen hat Einfluss auf das Gefühlsvermögen. Dies kommt daher, weil eine Be-gierde da ist, die eingeschränkt werden soll.

Im Naturrecht ist die Rede nicht vom Sollen, sondern von Erlaubtsein. Das Naturrecht be-zieht sich lediglich auf den empirischen Willen. Das, was vor dem Forum des Naturrechts ein Erlaubtsein ist, ist vor dem Forum der Moral ein Sollen.

In diesem Gefühle des Sollens ist ganz eng zusammengedrängt, was wir oben zur Auflö-sung des Widerspruchs forderten. Begrenztheit unserer Begierde und Freiheit, absolut an-zufangen.

Dieses Gefühl ist kategorisch, nicht nur der Materie nach fordernd ohne weiteren Grund, sondern auch der Form nach, es ist so gewiss, als ein Vernunftwesen da ist; aus ihm folgt notwendig Bewusstsein; es ist daher notwendig ein bestimmtes Bewusstsein und kommt im Bewusstsein des Vernunftwesens vor.
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J. G. Fichte, Wissenschaftslehre nova methodo, Hamburg 1982, S. 144
f.  



Nota I. - Wird hierdurch irgendetwas klarer? Mir nicht. Nochmal von vorn: Der reine Wille kollidiert mit dem Elementarfaktum meiner Beschränktheit und verendlicht (
=verwirklicht, objektiviert) sich dadurch zur Begierde; und das Gefühl der Beschränktheit verendlicht sich dadurch zum Gefühl des Nichtdürfens. (Vom Was ist hier noch gar nicht die Rede.) Was außerhalb des Nichtdürfens liegt, ist in rechtlicher Hinsicht das, was mir erlaubt ist, und in moralischer Hinsicht das, was ich soll. 

Sollte ich ihn nun recht verstanden haben, wird mir zwar klar, was er meint, aber nicht, dass es richtig ist. Seine Gründe erscheinen mir nicht, wie sie doch sollten, deduziert, sondern eher aus der Luft gegriffen, mit andern Worten: Er hat weniger Gründe als Absichten. Er
hat die Absicht, die Transzendentalphilosophie zu naturalisieren und in eine materiale Rechts-lehre und eine materiale Moral zu transformieren. Für die Rechtslehre geht das unter Um-ständen an, weil, wie wir sehen werden, die Aufforderung zum Vernünftigsein von einer 'Reihe vernünftiger Wesen' ausgeht und eo ipso eine gegenseitige Verbundenheit voraus-setzt. Für die Sittenlehre geht es nicht an, weil sie sich an den Einzelnen richtet und die Pflichten betrifft, die er gegen sich selber hat; nicht gegen das Gemeinwesen.
23. 12. 16

Nota II. - Ich habe nunmal damit angefangen, meine früheren Kommentare nicht nach-träglich  zu verbessern, sondern so stehen zu lassen, wie sie meinem jeweiligen Verständnis entsprochen haben. Wo es angezeigt ist, sie zu korrigieren, füge ich neue Kommentare hin-zu. Auch die sind ja vielleicht nicht das letzte Wort - und es kann sogar sein, dass ein letztes Wort dümmer ist als das vorletzte.

Nun zur Sache: Transzendentalphilosophie geht auf Dinge, von denen wir keine Erfahrung haben können - andernfalls wäre sie überflüssig. Aber auf Dinge, die, obwohl wir von ihnen keine Erfahrung haben, dennoch real sind - sonst wäre sie nämlich nutzlos. Und eben des-halb kann sie nicht in Begriffen fortschreiten - denn die haben nur soviel Inhalt, wie Erfahr-ung in ihnen steckt, und sonst wären sie leer.

Darum verfährt sie pragmatisch: Sie experimentiert mit der Vorstellung - nämlich nicht, um unbekannte Sachverhalte neu zu ersinnen, sondern um Bedeutungen hervorzubringen, die es vermögen, reinen Sach verhalten einen Handlungen ermöglichenden Sinn beizumessen. Pragmatisch insofern, als man es immer ausprobieren muss; Bedeutungen können nicht be-wiesen werden, sondern müssen sich so oder anders bewähren. 

So ist es mit der Annahme eines reinen Wollens, das 'da ist', bevor es noch wüsste, was es will. Das ist sogar die sinnstiftende Ur annahme. In der Wirklichkeit kommt dagegen nur bestimmtes Wollen vor, ein 'reines' Wollen ist eine noumenale Abstraktion, die nur in der und für die Reflexion erscheint.

Hier nun kippt F. die Sache um: Er führt ein reales Wollen an-sich ein: die Begierde! Der Mensch ist von Natur begehrlich, wer wollte ihm widersprechen? Doch der Satz frommt einem schottischen Moralphilosophen und keinem deutschen Kritiker. Der deutsche Kriti-ker würde die Begierde der sinnlichen Leiblichkeit des Menschen zuordnen und mit der Vernunft nur insofern in Verbindung bringen, als sie ihr in den wirklichen Deliberationen der endlichen Vernunftwesen oft genug in die Quere kommt.

Bemerkenswert ist jedenfalls, dass er die Begierde gebraucht, um ein (intellektuelles!) Gefühl "des Sollens" plausibel zu machen. Das ist erstens systemwidrig und zweitens gar nicht nö-tig; sofern man nicht an der Vorstellung intellektueller Gefühle überhaupt zweifelt. 

Hinzu kommt der wunde Punkt, dass er - wiederum eigentlich systemwidrig - Sittenlehre und Rechtslehre miteinander vermengt, indem er überflüssigerweise Sollen und Erlaubtsein nebeneinander stellt, wo sie gar nicht hingehören.
JE 2. 1. 22




Samstag, 29. Juni 2024

Die Brücke zwischen Ich und Welt ist der Begriff der Kraft.

                                               zu Wissenschaftslehre - die fast vollendete Vernunftkritik

[Der Begriff von Kraft ist kein bloß sinnlicher und kein bloß intelligibler Begriff, sondern beides zum Teil. Der Stoff, die Willensbestimmung ist intelligibel, die Form aber, in welche meine Sinnesbestimmung fällt, die Zeit, ist sinnlich. Er ist die Brücke zwischen der intelligiblen und sinnlichen Welt, das, wodurch das Ich heraus- und zu einer Sinnenwelt übergeht.

Durch ihn stellt sich das Ich vor sich selbst als Objekt hin und knüpft sein Bewusstsein an eine objekive Welt. So werde ich mir zu einem Objekte, zu einem Gegenstand der Wahrneh-mung, und an die Objektive knüpft sich mir eine Sinnenwelt an; von da geht alle Ansicht der Welt aus. 

Darin lag der Fehler aller bisherigen Philosophen, dass man diese Erkenntnis als übersinn-lich ansah; da doch unser Bewusstsein von der Wirklichkeit anhebt.
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J. G. Fichte, Wissenschaftslehre nova methodo, Hamburg 1982, S. 131

 

Nota. - Ich und Welt sind Noumena. Man kann sie nicht anschauen, sondern nur vorstellen. Anschauen kann man die Kraft - aber nicht 'als solche' (als solche kann ich auch sie nur vor-stellen), sondern indem ich sie ausübe: als Tätigkeit, nicht als Begriff.
JE,
4. 1. 22

 

Nota - Das obige Bild gehört mir nicht, ich habe es im Internet gefunden. Wenn Sie der Eigentümer sind und ihre Verwendung an dieser Stelle nicht wünschen, bitte ich um Ihre Nachricht auf diesem Blog. JE

Freitag, 28. Juni 2024

Alles empirische Denken geht aus von der Wahrnehmung der Veränderung meines Zustands.

peter-frodermann;             zu Wissenschaftslehre - die fast vollendete Vernunftkritik

7. Das Sollen oder das bestimmte reine Wollen ist nach Obigem selbst etwas Objektives. Das Bewusstsein als etwas Fließendes hebt nur an mit dem Gefühle der Veränderung in unserem Zustande; die Veränderung wird aber auf das Wollende bezogen, welches gleich-sam als schon bekannt vorausgesetzt wird, da es schlechthin da ist.

Das Mannigfaltige des Gefühls ist eins, inwiefern unsere eigene Selbstbestimmung in dem [sic] Mannigfaltigen hineingesetzt wird. Wir haben hier zwei Hälften,

α) die des Mannigfaltigen,
β) die unserer Selbstbestimmung; die letztere setzen wir in die erstere hinein, und so ist Selbstbewusstsein möglich.
 
/ Das im vorigen Paragraphen Aufgestellte ist der Punkt des empirischen Denkens. Alles empirische Denken geht aus von der Wahrnehmung der Veränderung des Zustandes, aber es wird nur wahrgenommen, in wiefern die Veränderung verknüpft wird mit dem Wollen. Ich verhalte mich dazu als das für das Denken Vorausgesetzte, und dieses Ich ist das Wol-lende und hat sonach den Charakter des Objektiven. Sonach entsteht das reine Wollen nicht durch das Denken, sondern jenes wird diesem schon vorausgesetzt.  

Wenn ich wirke, so bringe ich mich eigentlich aus einem Zustande des Gefühls in einen an-deren, hier ist ein Übergehen durch meinen freinen Willen; so wenn ich mir einen freien Begriff entwerfe, z. B. wenn ich mir an die Stelle eines Objekts im Raume irgend ein ande-res denke. Diese Veränderung soll geschehen sein durch meinen Willen zufolge eines Be-griffs.
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J. G. Fichte, Wissenschaftslehre nova methodo, Hamburg 1982, S. 147f.
 
 
Nota. - Empirisches Denken ist Denken eines Empirischen; eines sinnlich in Raum und Zeit Erfahrbaren: desjenigen, das denkt, sowieso (Von einem Nichtempirischen, das denkt, haben wir schlechterdings keine Erfahrung) - und desjenigen, das gedacht wird. Es wird nur gedacht, weil es wahrgenommen wurde, und ebendarum heißt es empirisch. Es wird wahr-genommen, weil es meiner Tätigkeit widersteht. Dass es ihr widersteht, erkenne ich an einer Veränderung meines Gesamtzustandes. Würde meiner Tätigkeit nichts entgegengesetzt, so ginge sie in den unendlichen Raum hinaus, ohne dass ich etwas bemerkte. Mein 'Gesamtzu-stand' bliebe unverändert, und ich würde nichts fühlen. Das ließe sich ausführen...     

Das erste Unmittelbare, das, wovon alles Wahrnehmen und Bewusstwerden ausgeht, ist - die Veränderung meines Gesamtzustandes. Ist die Veränderung etwas Geistiges, ist sie et-was Sinnliches? Um einen Gesamt zustand handelt es sich, weil ebendies noch gar nicht unterscheidbar ist: Er ist ein und derselbe. Einen Unterschied bringt erst die Reflexion hin-ein, und die verfolgt eine Absicht: Die findet ihre Prädikate - Qualitäten - nicht in den Wi-derständen auf, sondern legt sie an sie an. Anders kann es ein Transzendentalphilosoph gar nicht denken.
JE, 8. 1. 22

Tätigkeit ist das eigentlich Reale.

Tätiger                                                                       aus  Philosophierungen

Tätigkeit ist die eigentliche Realität. Weder Gegenstand noch Zustand sind allein rein zu denken. Durchs Reflektieren mischt sich das Entgegengesetzte hinein und selbst schon durchs Streben – Begehren – denn beides sind identische Handlungen. Der Begriff der Identität muss den Begriff der Tätigkeit enthalten – des Wechsels in sich selber.
wechsel___________________
  Novalis, Fichte-Studien
in: Gesammelte Werke,
Herrliberg-Zürich 1945,
 Bd. 2, S. 83
 

Nota.
Ist der Mensch an und für sich an-schauend? Angenommern, er wäre nicht an und für sich tätig, so bliebe ihm vor langer Weile nichts als das Anschauen, um sein Leben hinter sich zu bringen. Das hat er gottlob nicht nötig, denn an und für sich ist er tätig. Anschauend ist er auf jeden Fall; aber eben stets als ein Tätiger. Und nur, weil er tätig ist, stößt er auf einen Gegen-Stand. Der bloß Anschauende kann, was er sieht, liegen lassen, ohne es für wahr zu nehmen. Der Tätige hat einen Gegenstand für sich. Und der ist es, den er anschaut; er schaut ihn an als Gegenstand seiner Tätigkeit.

Tätig wäre er nicht ohne Absicht. Was also schaut er an, wenn er den Gegenstand seiner Tätigkeit anschaut? Er schaut an die Vergegenständlichung seiner Absicht. 

So ist es unmittelbar.

Wenn er nun betrachtet, was er angeschaut hat, kann er einen Gegenstand und eine Absicht unterscheiden, da aber nun die Absicht objektiviert ist, erscheint sie ihm als Begriff. In der Reflexion treten beide auseinander. Ontologisch scheinen Sein und Sinn getrennt und gleich ursprünglich - während 'in Wahrheit' doch die Tätigkeit 'als erste da' war.
JE
, 12. 3. 19


 

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Donnerstag, 27. Juni 2024

Wollen ist das erste.

                               aus Wissenschaftslehre - die fast vollendete Vernunftkritik

Also das erste und höchste der Ordnung des Denkens nach, was ich finde, bin ich, aber ich kann mich nicht finden ohne Wesen meinesgleichen außer mir; denn ich bin Individuum. Also meine Erfahrung geht aus von einer Reihe vernünftiger Wesen, zu welcher auch ich gehöre, und an diesem Punkt knüpft sich alles an. Dieses ist die intelligible Welt, Welt, inso-fern sie etwas Gefundenes ist, intelligibel in wiefern sie nur gedacht und nicht angeschaut wird.

Die Welt der Erfahrung wird auf die intelligible gebaut, beide sind zugleich, eine ist nicht ohne die andere, sie stehen im Geiste in Wechselwirkung.

Beide entstehen aus den Gesetzen der idealen Tätigkeit; die intelligible aus den Gesetzen des Denkens, die empirische aus den Gesetzen der Anschauung, sie sind etwas Ideales (noumene), aber keine Dinge an sich.

Der Grund von beiden ist schlechthin ursprünglich, die Bestimmung des reinen Willens; wenn man von etwas an sich reden könnte, so wäre es der reine Wille, der sich in der Em-pirie zeigt als Sittengesetz.
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J. G. Fichte, Wissenschaftslehre nova methodo, Hamburg 1982, S. 151 


Nota I. - Ich habe Die Welt als Wille und Vorstellung nicht im Kopf, sie ist zu dick und doch nicht voll genug; ich weiß also nicht, ob Schopenhauer je zugegeben hat, dass der Einfall, Kants Ding an sich im reinen Willen aufzufinden, von seinem Lehrer, dem Wind-beutel Fichte stammte (den Konditional hat Sch. freilich fortgelassen). Er ist bei ihm gleichbedeutend mit dem Sein, dies aber ist das Übel: der persische Ahriman.

Nota II. - Also Vernunft, die intelligible Welt, ist schon da, wenn ich die Kette meiner Er-fahrungen beginne, sie besteht in der 'Reihe vernünftiger Wesen', in die ich selber hineinge-boren bin. Unter ihnen finde ich mich, erfahre ich mich als Individuum, nach ihrer Maßga-be denke ich mich als Ich. Nämlich jeweils, wenn ich mich als wollend vorfinde. Für die (rückblickende) Reflexion ist das Wollen daher das Erste.
26. 12. 14 

Nota III. - An dieser Stelle, wo 'das Ich' sich vorfindet als Individuum in einer Reihe ver-nünftiger Wesen, ist die Vernunftkritik im wesentlichen abgeschlossen und beginnt das Er-fahren in der allein realen Sinnenwelt: nachdem es der Aufforderung zu freiem Handeln nachgekommen und aus dem 'reinen' Willen einen empirischen gemacht hat.
JE 6. 8. 21

 ..

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Mittwoch, 26. Juni 2024

Kategorischer Imperativ ist das reine Wollen.

Michelangelo                                          aus Wissenschaftslehre - die fast vollendete Vernunftkriti

4. Die Schwierigkeit war eigentlich, ein Wollen zu erklären ohne Erkenntnis des Objekts. Der Grund der Schwierigkeit lag darin, dass das Wollen nur betrachtet wurde als ein empiri-sches, als ein Übergehen vom Bestimmbaren zum Bestimmten. Diese Behauptung ist nun geleugnet worden; es ist ein Wollen postuliert worden, das die Erkenntnis des Objekts nicht voraussetzt, sondern schon bei sich führet, das sich nicht auf Beratschlagung gründet. Und dadurch ist nun die Schwierigkeit völlig gehoben.

Das reine Wollen ist der kategorische Imperativ; es wird aber hier nicht so gebraucht, son-dern nur zur Erklärung des Bewusstseins überhaupt. Kant braucht den kategorischen Impe-rativ nur zur Erklärung des Bewusstseins der Pflicht.

Aus dem reinen Wollen wird nun das empirische, und aus dem Objekte des reinen Wollens werden alle andere
[sic] Objekte abgeleitet. 

Allenthalben mussten wir, um das Bewusstsein zu erklären, etwas Erstes, Ursprüngliches annehmen, oben beim Gefühl, hier beim Wollen. Alles Denken, alles Vorstellen liegt zwi-schen dem ursprünglichen Wollen und der Beschränktheit durchs Gefühl in der Mitte. Der idealen Tätigkeit können wir zusehn, weil wir nur ideale Tätig- keit anschauen und auffassen können.
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J. G. Fichte, Wissenschaftslehre nova methodo, Hamburg 1982, S. 143



Nota I. - Das ist also das Anschauliche an der intellektuellen Anschauung: dass das Objekt - das Ich - nicht mittels Deliberation 'erkannt', d. h. bestimmt wird, sondern als (schon) be-stimmt ursprünglich angeschaut. Als das Objekt des reinen Wollens findet sich bestimmt das reine Ich. Und dem reinen Wollen entspricht ein 'reiner Zweck'; das wäre das (unend-liche) Fort bestimmen des (nun nicht mehr reinen) Ich. Oder etwa nicht?
21. 12. 16
 
Nota II. - Wie soll ich das verstehen: 'nur ideale Tätigkeit ist anschaulich'? Ich denke, so: Reale Tätigkeit ist bilden. Bild, und also anschaulich, ist erst ihr Produkt, nicht sie selbst: Anschauen des Bildes ist ideale Tätigkeit.

- Angeschaut wird in der intellektuellen Anschauung das Ich als ein schon Bestimmtes: nämlich als schlechthin zu Tätigkeit Bestimmtes: denn nur in sofern lässt sich sagen, dass es 'ist'. Es ist gar kein kategorischer Imperativ, denn der richtet sich an ein Ich, das schon da ist - und schon dieses odere jenes gewollt hat. So bei Kant: Der kategorische Imperativ wird rückblickend zum Grund der 'praktischen' Vernunft, und die steht gleich-ursprünglich ne-ben der 'reinen' (wie auch neben der Urteilskraft...). Bei Fichte kommt ein unbestimmtes und also noch unwirkliches x durch seine ursprüngliche Bestimmtheit als Tätiges überhaupt erst zu da-Sein. Das reine Wollen ist kein Imperativ ex post, sondern eine ontische Bedin-gug ex ante. Und kann natürlich als solche nicht erfahren oder erwiesen werden, sondern muss sich als sinnstiftendes Postulat immer wieder erst bewähren.
JE 


Dienstag, 25. Juni 2024

Wollen ist das unendlich zu Bestimmende

wxyz                        zu Wissenschaftslehre - die fast vollendete Vernunftkritik

Ich werde nicht müde, es zu wiederholen: In der transzendentalen Auffassung, als Noume-non, ist das reine Wollen als das höchste Bestimmbare aufgefasst, denn es ist von Allem das allererste. Weil es aber reines Wollen ist, wird seine Bestimmbarkeit und das Übergehen zur Bestimmtheit nie zu einem Schluss kommmen, das Bestimmen geht ins Unendliche fort. Den fiktiven Zielpunkt kann oder muss ich sogar mir denken als das Eine Absolute, Zweck-begriff an-sich als Gegenstand des Wollens an-sich; Noumena alle beide. 

In der transzendentalen Analyse ist das Wollen das letzte Aufgefundene, in der syntheti-schen Rekonstruktion ist es das erste Vorauszusetzende. In der Realität kommt das Denken - "Deliberieren" - vor dem Wollen, empirisch ist das Wollen immer schon bestimmt als das Wollen von diesem oder jenem, erst in der transzendentalen Reflexion scheint auf, dass es dem Denken noumenal immer schon zu Grunde lag.

3. 6. 17

 

Merke

a. Bestimmen ist das einzig Reale.
b. Was bestimme ich? Mein Wollen.
c. Wer bestimmt? Ich mich als den dies-Wollenden.

B und c uno actu: a.


 
 

Montag, 24. Juni 2024

Am Anfang ist Wollen.

                                              zu Wissenschaftslehre - die fast vollendete Vernunftkritik

Der Anfang alles Bewusstseins ist Synthesis und Analyse zugleich, und durch letztere ent-steht ein Mannigfaltiges. Ein erster Moment des Bewusstseins, der dafür erkannt wird, kann nicht sein, denn alles ist immer ein Stück.

Ein Kind komme in dem Momente X zum Bewusstsein, das wäre der erste Moment, es findet sich wollend, es kann dies nicht erklären, ohne ein [sic] Moment Y vorauszusetzen. Für Gott ists der erste, aber nicht für das Kind. Dieses müsste wieder Z voraussetzen und so fort. Kein / Mensch weiß, wann er stirbt. Dies ist klar, wir denken immer mehr Zweck-begriffe. Aber kein Mensch hat auch gewusst, wann er anfange. -

Das Bewusstsein ist überhaupt in keiner Zeit, nur sie hat Anfang und Ende. Die ganze Zeit ist bloß Ansicht, die [dadurch] entsteht, dass wir an das erste angenommene Wollen ein ande-res als Erklärendes anknüpfen, und auch vorwärts etwas anknüpfen, was daraus folgen soll.

...Das Beschriebene ist nur ein Wollen, und eben in der Synthesis durch die Beziehung des Seins aufs Denken, und umgekehrt, wird es ein Wollen... Aber das Wollen ist doch nur Er-scheinung; es ist genau das, was oben geschildert worden ist, die Identität von Sein und Denken; diese ganze Wechselwirkung und nichts anderes ist das Wollen. Der Anfang des Bewusstseins und der eigentliche Mittelpunkt, an den das Übrige angeknüpft wird, ist Wol-len. -

Aber haben wir uns nicht verirrt? Der Begriff der Aufforderung ist analysiert worden. Wir sind aber aufs Zweite gekommen, wir haben geredet von etwas anderem. Aber wir haben gefunden: Der Begriff der Aufforderung ist nicht das Erste, sondern das Wollen. Das Be-wusstsein hebt von keinem Momente an, es ist Wollen. An diesen Moment des Willens wird durch die bloße Erscheinung das Übrige angeknüpft. 
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J. G. Fichte, Wissenschaftslehre nova methodo, Hamburg 1982, S. 186f.


 

Nota. - "Aber das Wollen ist doch nur Erscheinung" - nämlich mein reales Wollen von die-sem oder jenem Mannigfaltigen: 'Erscheinung' von einem vorauszusetzenden 'reinen' Wol-len. Und als eine solche geschieht sie reell 'durch die Beziehung des Denkens aufs Sein'.

Das ist vertrackt ausgedrückt, aber es ist auch vertrackt gemeint. Es gibt Punkte, an denen Vereinfachung Verfälschung wäre.
JE 

 

Nota - Das obige Bild gehört mir nicht, ich habe es im Internet gefunden. Wenn Sie der Eigentümer sind und ihre Verwendung an dieser Stelle nicht wünschen, bitte ich um Ihre Nachricht auf diesem Blog. JE

Merkmale der Dinge.

Winslow Homer, Boy fishingWinslow Homer, Boy fishing 

Es sind die Absichten der Menschen, an denen die Dinge Merkmale bekunden.
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Merke: Ein Merkmal ist ein Mal, das merkbar ist.
3. 9. 13

Erst durch ihre Merkmale ähneln oder unterscheiden sich Dinge. Besser gesagt - 'sich' unterscheiden die Dinge überhaupt nicht. Nur wer etwas mit ihnen vorhat, unterscheidet sie, denn nur dann merkt er was.
19. 4. 15

 

 

Noumena.*

                                        zu Wissenschaftslehre - die fast vollendete Vernunftkritik    Ein Begriff, der uns in die intelli...