aus Die Wendeltreppe
Die Frage nach dem hinreichenden Grund lässt sich indessen ins Bodenlose weiter trei-ben. Wenn nämlich stattdessen ein allererster (oder allerletzter) doch einmal gefunden würde, so könnte er der Definition nach nicht “begründet” sein – und dürfte nicht gelten. Wenn aber das Wissen auf einem Regressus in infinitum “beruht”, ist es ebenfalls nicht begründet!
Die Philosophie ist nun diejenige Wissenschaft, die sich diesem Paradox stellt – auf die Gefahr hin, es am Ende niemals (theoretisch) zu “lösen”, sondern höchstens (praktisch) in einem Akt überspringen zu können. Reelle Wissenschaft kann indessen nicht warten, bis das Problem der Letztbegründung zu Aller Zufriedenheit erledigt ist. Sie hat auch nicht gewartet, jedenfalls nicht
Aber sie hatte ihre Vorgeschichte. Positives Wissen ist ange-sammelt worden, seit Homo sapiens die Erdoberfläche durchstreift. Mehr oder weniger zufälliges Erfahrungswissen wurde von Mund zu Mund von einer Generation auf die andre vererbt, und je spezifischer es war, umso exklusiver wurde es überliefert. Ärzte, Baumeister, Handwerker jeglichen Fachs, Seeleute, Landwirte: Alle hatten ihre Geheimnisse, die nur an Eingeweihte weiter gereicht wurden. Gelegentlich aufgeschriebene Kompendien hatte einen “aporetischen” Charakter (von gr. áporos= ohne Weg), d. h. sie waren um jeweils einzelne Probleme gruppiert, ohne nach durchgän-gigen Begründungszusammenhängen zu suchen.
Die “metaphysischen” (=jenseits der Physik angesiedelten) Spekulationen der Schulphi-losophie brachten ihrerseits kein positives Wissen zustande, und hatten auch gar nicht diesen Ehrgeiz. Sie wollten “Betrachtung” (gr. theoría) sein und keine prâxis. Dennoch ist Wissenschaft im strengen Sinn durch die Philosophie zu Stande gekommen! Nämlich als Galileo sich (gegen die aristotelische mittelalterliche Scholastik) ausdrücklich auf die Phi-losophie Platos zurück besann und dessen Lehre von den ewigen “Ideen” umformte in die Vorstellung von “Naturgesetzen”.
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