aus Die Wendeltreppe
Alles, was als
Tatsache in unserer Welt vorkommt, lässt sich auch bestimmen; nämlich
in das allgemeine Bedeutungsgeflecht einpassen, wo Jedem seine Bedeutung
durch die Be-deutung aller Andern zugewiesen wird. Reflektieren heißt
nichts anderes als: seinen Platz im großen Verweisungszusammenhang
aufsuchen.
Was
bestimmt ist, kann Bestandteil einer Wissenschaft werden – weil sich
sein logischer Zusammenhang demonstrieren und Einverständnis erzwingen
lässt. Was demonstriert werden kann, lässt sich erlernen. Was dagegen
‘durch meine Freiheit möglich’ wurde, läßt sich eo ipso nicht bestimmen.
Es liegt allein in meiner Welt. Ich kann es nicht erlernen, sondern
muss es erfinden und mir ein-bilden. Einverständnis der andern kann ich
nicht erzwingen, sondern höchstens ihren Beifall heischen: sie
animieren, meine ‘Anschauung’ nach-zu-erfinden.
Das
Nacherfinden kann nicht gelehrt werden: dazu muss man verführen, und
das ist Kunst. Gegenstand von Wissenschaft kann es nur idiographisch
werden: kritisch und historisch.
Erziehen heißt nun,
einem Menschen die Dinge zeigen und die Symbole, die ihm die Welt
bedeuten. Doch haben die in den Symbolen aufbewahrten Bedeutungen einen
andern Realitätsgrad als die Dinge. Sie ’sind’ ja nur, sofern ich sie
gelten lasse. Denn der Mensch ist das Tier, das nein sagen kann (Max
Scheler); auch dazu: den Meinungen der Andern. Fragen können heißt, ja
oder nein sagen können.
Meiner Welt liegt unsere Welt gewissermaßen zu Grunde. Und unserer Welt
liegt meine Welt zu Grunde. Das einemal kategorisch, das andermal
genetisch. Dass ich überhaupt darauf komme, die Daten, die mir meine
Sinne melden, zu einer “Welt” zu konstruieren, liegt allein daran, dass
ich in die Welt der Andern hineingeboren bin.
Und dass ich vor diesem Horizont meine Welt konstruiere, liegt daran,
dass es meine Sin-ne sind, die mir ‘Daten’ gemeldet haben, und dass ich
sie zu einander fügen muss. Dass ich meine Welt konstruieren muss, liegt
an den Andern. Dass es diese Welt sein wird, liegt... an meinen
Sinnes-Daten, die dadurch, dass ich eine Welt aus ihnen baue, zu mei-nen überhaupt erst werden!
“Ich” konstruiere
eine Welt. Es wird meine Welt sein: Darum bin ich Ich. Und in dem Maße,
wie ich hernach meine Welt mit der Welt der Andern ins Benehmen setze,
werde ich Verstand beweisen, Ernst des Lebens, Sozialkompetenz und so
weiter. Wie weit ich die eine von der andern durchdringen lasse,
entscheidet darüber, wohin ich mein Leben führen kann und wo ich
scheitern muß.
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