Verloren ging nach Portmann die Sicherheit, und gewonnen hat er eine Freiheit, durch die ihm die “Führung des Daseins eine nie endende Aufgabe” ward.
Mit andern Worten, der Mensch funktioniert nicht, denn er ist, sagt Nietzsche, “das nicht festgestellte Tier” ist. Sein Gattungscharakter ist Plastizität.
Zur
Welt werden die vorhandenen (und immer neu hinzukommenden) Dinge nicht
durch sukzessive Addition. Sie ist kein Aggregat, sondern ein Ganzes,
das gewissermaßen vor seinen Teilen “da ist”. Die Welt ist der ‘Raum’
der Bedeutungen: Das teilt sie mit den tierischen Umwelten, aus denen
sie hervor gegangen ist.
Der
Unterschied: Dieses Ganze ist “da”, weil es gedacht wird. In der
wirklichen Vorstel-lung kommt freilich immer nur dieses und dieses und
jenes vor. So erging es auch unsern Urahnen, als sie aus dem Urwald ins
offene Feld ausbrachen: Dies und das war ihnen vertraut und bedeutete,
was es schon immer bedeutet hatte. Anderes war ihnen in den Nischen
nicht vorgekommen. Aber im offenen Feld kam Anderes vor; nicht als
bedeu-tungslos, sondern als fraglich – weil nun das Ganze fraglich war.
Das war eine ganz neue Bedeutung. Der Mensch ist der, der nach
Bedeutungen fragen kann – weil er muss. Die Welt ist entstanden als
Mangel. Als das, was nach dem Verlust der Umwelt fehlte. Ein Raum, in
den ich fragend blicke.
Diesen Mangel beheben ist das Ergebnis einer Vorstellungsarbeit. Im Anschluß an Jacob von Uexküll entwickelte Ernst Cassirer seinen
Symbolbegriff. Entsprechend seiner ana-tomischen Struktur besitze
jeder Organismus “ein bestimmtes Merknetz und ein bestimm-tes Wirknetz.
Das Merk- netz, durch das eine Spezies äußere Reize aufnimmt, und das
Wirknetz, durch das sie auf diese Reize reagiert, sind in allen Fällen
eng miteinander ver-knüpft. Sie sind Glieder einer einzigen Kette, die
Uexküll den Funktionskreis des Lebewe-sens nennt. Der Funktionskreis ist
beim Menschen nicht nur quantitativ erweitert. Er hat sich auch
qualitativ gewandelt. Zwischen dem Merknetz und dem Wirknetz finden wir
beim Menschen ein drittes Verbindungsglied, das wir als Symbolnetz oder
Symbolsystem bezeichnen können. Diese eigentümliche Leistung verwandelt
sein ganzes Dasein. Er lebt sozusagen in einer neuen Dimension der
Wirklichkeit.”
Wenn
alle Dinge ‘eine Bedeutung haben’, ermöglicht diese ihre gemeinsame
Qualität, sie als eine – wenngleich artikulierte – Gesamtheit
aufzufassen, indem die Bedeutung des Einen zur Bedeutung des Andern ins
Verhältnis gesetzt wird; so dass idealiter die Bedeu-tung eines Jeden in
den Bedeutungen aller Andern ihre Grenze findet. Die Welt ist dann die
Totalität der Verweisungszusammenhänge.
Logisch
mag man das Verhältnis umkehren: Indem man die (gedachte) Totalität
aller (möglichen) Verwei-sungen an den Anfang setzt und die tatsächlich
statt-findenden Verweisungen und schließlich die je einzeln
bestimmt-werdenden Bedeutungen daraus “hervorge-hen” läßt. Doch wenn es
auch so wäre, daß die Welt, einmal erfunden, gegeben ist wie es die
tierischen Um-welten sind – so müßte sie sich ein jedes neu
hinzu-kommendes Individuum doch jedesmal wieder neu aneignen. Und es
könnte das mehr oder weniger tun. Wenn
ihm das auch am vorgege-benen Material leichter fällt als den
abertausenden Generationen vor ihm, die alles erst erfinden mussten – im
Prinzip ist es doch “so gut, als ob” er mit dem Bedeuten der Dinge ganz
von vorn anfinge. Und die ‘erste’, elementare Bedeutung: die Scheidung
von Ich und Nichtich. Indem ich ein Anderes “bedeute”, bedeute ich ipso
facto ‘mich’ als das Andere dieses – und jedes andern – Andern. In einer
natürlichen Umwelt kann es ein Ich nicht geben. Aber ohne Ich kann es
die Welt nicht geben.
Und das regelmäßige in-Beziehung-Setzen von Ich und Welt nennen wir landläufig Ver-nunft.
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