Freitag, 8. Juli 2022

Ist Mathematik Kunst oder Wissenschaft?

herwig hauser                                                                         zu Philosophierungen

1. Der Unterschied zwischen Kunst und Wisenschaft ist kein gewissermaßen ergonomi-scher, der in ihren Verfahrensweisen begründet läge, da hat der Autor wohl Recht. Er liegt in ihrer Bedeutung für die Lebenswelt: Wissenschaft kann als eine solche nur betrieben werden, wenn sie bereit ist, die Ergebnisse hinzunehmen, zu denen sie eben kommt - ob sie einen erkennbaren Nutzen haben oder nicht. Aber jede ihrer Errungenschaft kann unter gegebenen Umständen die Mächtigkeit der Menschen über ihre Lebensumstände stärken, auch darin hat der Autor Recht. Doch die Gewissheit dieser Möglichkeit gehört zu ihren Bedingungen

Kunst dagegen bewährt sich als eine solche darin, dass sie außer dem Ästhetischen selbst schlechterdings keinem Zweck dient noch dienen kann. Das unterscheidet die von Kitsch und Agitprop und ist die  Bedingung ihrer kulturellen Geltung. Wahr ist allerdings, dass diese Unterscheidung erst seit rund zwei Jahrhunderten gemacht wird.

2. kann ich mich nur wiederholen: Kein gewisseres Indiz für die Abstammung der Mathe-matik aus menschlichem Geist könnte es geben, als ihre originäre Verwurzelung in seinem ästhetischen Vermögen, denn jenes - und nicht unsere Intelligenz - ist es, das die Menschen-welt unumkehrbar vom Tierreich geschieden hat. Wenn es aber nicht aus dem phylogene-tischen Marschgepäck stammt - woher denn dann? Vom Himmel gefallen ist es nicht, also muss er es wohl selbst aus sich hervorgebracht haben.

PS Mir fällt auf, dass der Autor wie auch der meines gestrigen Eintrags unter Mathema-tik ganz selbstverständlich das Operieren mit Zahlen versteht - währdend sich der gebil-dete Laie Mathematik eher als aus der Geometrie entstanden und als Anschauung von Räumen vorstellt. 

Das Operieren mit Zahlen ist anscheinend älter, jedenfalls sind die ersten geometrischen Überlegungen erst bei den Griechen bezeugt. Letztere brauchten dazu Zahlen, und dafür konnten sie auf die Inder zurückgreifen. Aber zu einer Wissenschaft ist Mathematik doch wohl erst dadurch geworden: indem den Zahlen ein ihnen spezifischer Bedeutungsraum zugewiesen wurde; prosaisch: indem ersichtlich wurde, wozu man sie brauchen kann. Bis dahin müssten Rechnungen wirkliche Kunststücke geblieben sein. 

Es sei denn, die Zahlen - oder doch Zeichen, die Verhältnisse anzeigen konnten, spezi-fisch: räumliche Verhältnisse - hätten in Astrologie und Astronomie ihre Rolle gespielt und reichten damit wohl bis in die mesopotamische Vorzeit zurück. Jedenfalls hat Pytha-goras ihre Mystifikation daraus hergeleitet; und der Vorläufer von Euklid, dem Begründer der Mathematik als Wissenschaft in specie, war er.

aus Ist Mathematik Kunst oder Wissenschaft? 20. 6. 20

 

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