Freitag, 8. Juli 2022

Die Krise des Alten Ägypten.

Grabrelief
aus scinexx.de                                                                                   
zu öffentliche Angelegenheiten

Krise im Alten Ägypten
Ökonomische Krisen und politische Konflikte sind keine Erfindung der Neuzeit: Auch im alten Ägypten gab es immer wieder Phasen wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Probleme. Eine davon ereignete sich vor rund 3.100 Jahren am Ende der 20. Dyna-stie. Was archäologische Funde und Grabtempel darüber verraten, erforscht zurzeit das Deutsche Archäologische Institut.

Versorgungs-Engpässe, ausbleibende Getreidelieferungen und ein Mangel an Arbeits-kräften – diese Probleme kommen uns heute sehr bekannt vor, sie trafen aber auch schon die Ägypter um 1100 vor Christus. Zeugnisse dieser altägyptischen Krise finden sich nicht nur in Papyrustexten und anderen Inschriften, sondern auch in der Totenstadt Dra‘ Abu el-Naga westlich von Theben. Dort geht ein Team des Deutschen Archäologischen Instituts diesen Spuren nach – mit ersten spannenden Ergebnissen.

Mangel und Konflikte am Ende des Neuen Reichs

Indizien eines Niedergangs

Aus kaum einer anderen Periode des alten Ägypten liegen uns so viele Textquellen vor wie aus der der Zeit der 20. Dynastie, die von 1185 bis 1070 vor Christus reichte. In dieser Zeit regierte unter anderem Ramses III., der als der letzte große Pharao der ägyptischen Geschichte gilt.

Ramses III.
Schon unter Pharao Ramses III. bahnte sich die Krise an, hier sein Bild auf einem Tempel in Karnak. © Asavaa/ CC-by-sa 3.0

Versorgungsengpässe und Nahrungsknappheit

Zu den schriftlichen Zeugnissen aus dieser Zeit gehören neben den monumentalen, vornehmlich religiösen Inschriften aus Tempeln und Gräbern auch zahlreiche Papyri und beschriftete Keramikscherben oder Kalksteinabschläge mit Verwaltungs- und Wirtschaftstexten. Aus ihnen geht hervor, dass dieser Zeitraum am Ende des Neuen Reiches von politischen, sozialen und wirtschaftlichen Problemen geprägt war, die unter den Herrschern Ramses IX., X. und XI. schließlich in eine schwere Krise mündeten.

Bereits in der Regierungszeit von Ramses III. werden Nahrungsmittelknappheit und Versorgungsengpässe greifbar. Ein vielsagendes Dokument dazu ist der berühmte „Turiner Streikpapyrus“ aus dem 29. Regierungsjahr dieses Königs: Weil die monatlichen Getreidelieferungen an die thebanischen Nekropolenarbeiter ausblieben, legten diese die Arbeit an der Baustelle im Tal der Könige nieder. Weitere Streiks wegen nicht ausgezahlter Lebensmittelrationen sind auch unter Ramses IX. und X. belegt.

Zu wenig Arbeiter und feindliche Angriffe

Im ausgehenden Neuen Reich verringert sich auch die Zahl der Arbeiter an den Königsgräbern immer weiter. Am Bau des Grabes von Ramses X. sind nur 32 Arbeiter beteiligt – nicht einmal halb so viele wie noch am Grab seines Vorgänger. Bei Ramses XI., dem letzten Pharao dieser Dynastie, sind nur noch 23 Arbeiter belegt.

Trotz anhaltender Krise und reduzierter Arbeitsmannschaft haben Ramses X. und Ramses XI. ihre Gräber aber noch im Tal der Könige anlegen lassen. Beide Anlagen sind jedoch aufgegeben worden, vermutlich aufgrund der unsicheren Situation in Theben. Die mumifizierten Leichname von Ramses VIII., X. und XI. wurden stattdessen möglicherweise in der ramessidischen Residenzstadt Pi-Ramesse im östlichen Nildelta bestattet, wo ihre Gräber bisher jedoch noch nicht gefunden wurden.

Keramikscherbe
Keramikscherbe mit den Namen von Arbeitern, die am Bau des Grabtempels des Hohepriesters Amenophis beteiligt waren. © P. Windszus/ DAI

Eine weitere beständige Herausforderung für das ägyptische Reich war zu dieser Zeit das Eindringen äußerer Feinde, vor allem aus den Gebieten westlich Ägyptens, die das Land zusätzlich destabilisierten. Diese Angriffe hatten bereits am Ende der Regierungszeit Ramses‘ III. und im Folgenden auch unter Ramses VI., IX. und X. zur Einstellung der Arbeiten am Königsgrab geführt. Die fortschreitende Mangelsituation und wachsende Sicherheitsprobleme in Theben sind besonders durch die Gruppe der sogenannten „Grabräuberpapyri“ gut dokumentiert, in denen Nekropoleninspektionen und Prozesse gegen Plünderer schriftlich festgehalten sind.

Klare Hinweise auf eine Krise

Zusammen mit weiteren Dokumenten der späten Ramessidenzeit spiegeln sie neben politischer Instabilität und Ressourcenverknappung auch die wachsende Verarmung der Bevölkerung wider. So geht aus verschiedenen Textstellen hervor, dass gestohlenes Grab- und auch Tempelgut gegen Nahrungsmittel eingetauscht wurde.

Das durch diese Quellen vermittelte Bild des ökonomischen Niedergangs und eines zunehmend dysfunktionalen Zentralstaates wird auch durch archäologische Beobachtungen bestätigt. Infolge eines sich stetig vergrößernden Rohstoffmangels werden zum Ende der 20. und insbesondere in der 21. Dynastie verstärkt ältere Grabinventare, vor allem Holzsärge, umgearbeitet und wiederbenutzt. Der vorherrschende Ressourcenmangel ist auch am Fundmaterial abzulesen, das in der Grabanlage des Hohepriesters Amenophis in Dra‘ Abu el-Naga geborgen wurde.

Was das Grab des Hohepriesters Amenophis verrät

Ein Fenster in die 20. Dynastie

Der Hohepriester des Amun, Amenophis, hatte sein Amt in der ersten Regierungshälfte von Ramses IX. übernommen und war einer der Hauptakteure am Ende der 20. Dynastie. Als erster Gottesdiener im Karnak-Tempel und Vorsteher der Amun-Domäne, deren Wirtschaftsmacht im Neuen Reich stetig gewachsen war, war Amenophis die höchste politische Instanz und Inhaber der größten Machtfülle in Theben.

Grabtempel-Ruinen
Blick über den Vorhof der zerstörten Grabtempelanlage des thebanischen Hohepriesters
Amenophis. © U. Rummel/ DAI

Doppelgrabanlage von hoher Bedeutung

Sein Grabtempel und der seines Vaters und Amtsvorgängers Ramsesnacht werden im Rahmen eines Projektes der Abteilung Kairo des Deutschen Archäologischen Instituts in Dra‘ Abu el-Naga erforscht. In dieser altägyptischen Nekropole westlich von Theben wurden neben Pharaonen und Würdenträgern aus der 17.Dynastie auch die Beamte und hohe Würdenträger aus dem Neuen Reich bestattet – unter ihnen Amenophis und sein Vater.

Die Grabtempel dieser beiden Amun-Hohepriester liegen in der Doppelgrabanlage K93.11/K93.12. Mit einer Hofterrasse von über 1.600 Quadratmetern zählt sie zu den größten Felsgrabanlagen des Neuen Reiches in Theben-West.

Seit 1993 erforschen Archäologen des Deutschen Archäologischen Instituts diese Doppelgrabanlage. Sie haben unter anderem festgestellt, dass die Anlage auf besonders Weise in die religiöse Topografie der Nekropole eingebunden ist: Von K93.11/K93.12 aus gibt es eine direkte Sichtlinie zum Haupttempel von Karnak auf der Ostseite des Nils. Außerdem ist die exakt genordete Hauptachse des naheglegenen Tempels des Königspaares Amenophis I. und Ahmes-Nefertari namens Meni-set offenbar auf die Doppelgrabanlage ausgerichtet, wie die Forschenden berichten.

Einblick in die Zeit des Ramses XI.

Bereits in der Anfangszeit des Projekts stießen die Archäologen in den offenen Vorhöfen von K93.11 auf die Relikte des zerstörten Grabtempels von Ramsesnacht, der in der Regierungszeit von Ramses VI. ausdekoriert wurde. Unter den Funden waren tausende Fragmente der reliefdekorierten Wandverkleidung, Teile von Säulen, Kapitellen und Friesen aus Sandstein und die Reste einer monumentalen Lehmziegelarchitektur. Die Bestattung des Ramsesnacht wurde jedoch nicht gefunden. Seit 2006 untersucht das Forschungsteam auch den Grabtempel des Amenophis im südlich gelegenen Bereich K93.12. Auch dort wurden tausende Relief- und Architekturfragmente aus Sandstein geborgen.

Amenophis
Dieses Wandfragment aus dem Grabtempel zeigt Amenophis, der Text darüber erwähnt seine Namen und Titel sowie ie seines Vaters Ramsesnacht. Amenophis. © U. Rummel/ DAI

Die in den Gräbern von Amenophis und Ramsesnacht dokumentierten Funde und Befunde haben nicht nur unsere Kenntnis der Architektur und religiösen Funktion des spätramessidischen Monumentalgrabes erweitert, sie gewähren außerdem Einblicke in die politische und ökonomische Situation der Zeit von Ramses IX. bis Ramses XI. So enthielt die geplünderte, in Resten geborgene Grabausstattung des Amenophis wiederbenutztes Inventar – obwohl der Hohepriester der höchste Vertreter der lokalen Elite war.

Priestergrab mit Einsparungen

Auffällig ist auch das Fehlen eines Steinsarkophags, der in den Jahrzehnten zuvor integraler Bestandteil von Elitebestattungen gewesen ist. Amenophis wurde in einem Holzsarg bestattet, der in seiner Gestaltung, von der Farbgebung bis hin zum Stil seiner Dekoration und Beschriftung einen Sarkophag aus Rosengranit imitiert – ein Hinweis darauf, dass zu seiner Zeit keine logistisch aufwendigen Steinbruchexpeditionen mehr erfolgten.

Und noch etwas fällt auf: Vergleicht man die Bauausführung und das Wandrelief in den Anlagen von Ramsesnacht und Amenophis, ist ein deutlicher Qualitätsabfall in der Steinbearbeitung erkennbar. Zwischen der baulichen Ausgestaltung der Grabtempel des Ramsesnacht und des Amenophis liegt ein Zeitraum von mindestens 25 Jahren. In dieser Zeit hat sich die Verfügbarkeit von spezialisierten und versierten Arbeitskräften vor allem in der Steinbearbeitung offenbar drastisch reduziert. Die „erste Garde“ der wenigen noch vorhandenen Steinspezialisten war vermutlich an der Baustelle des Königsgrabes im Tal der Könige gebunden.

Politischer Konflikt im materiellen Befund

Spuren vom Ende einer Ära

Bei der Untersuchung der Hohepriester-Grabtempel in der Nekropole Dra‘ Abu el-Naga stießen die Archäologen des Deutschen Archäologen Instituts auf ein weiteres Anzeichen für politisch-religiöse Umbrüche: Die Grabtempel der Amun-Hohepriester Ramsesnacht und Amenophis wurden am Ende des Neuen Reiches absichtlich zerstört.

TRümmer
Sandsteintrümmer und leere Säulenbasis im ersten Vorhof des Grabes K93.12. Amenophis. © S. Michels/ DAI

Davon zeugt die in beiden Anlagen nahezu flächendeckende Schicht aus Sandsteintrümmern, die auf dem Boden des damaligen Hofes liegt. Sie besteht aus tausenden Fragmenten der zerschlagenen Wandverkleidung und Architekturteile, von denen viele eindeutige sekundären Meißelspuren aufweisen.

Zeugnisse für den „Krieg des Hohepriesters“

Dieser Befund lässt sich mit einer historischen Ereignisfolge verbinden, die zugleich das Ende des Neuen Reiches markiert, nämlich dem sogenannten „Angriff gegen Amenophis“ beziehungsweise dem „Krieg des Hohepriesters“ um 1085 vor Christus. Dabei kam es während des 17. und 18. Regierungsjahrs von Ramses XI. zu einem gewaltsamen Konflikt zwischen Amenophis und Panehsi, dem Truppenführer und Verwalter der nubischen Provinzen. Wann genau dies passierte und wie dieser Konflikt ablief, ist aber unklar, weil dieses Ereignis nur in wenigen Schriftquellen erwähnt wird.

Mit dem materiellen Befund in den Grabanlagen K93.11/K93.12 konnten nun auch aussagekräftige archäologische Daten in die umfangreiche Diskussion um die Ereignisse am Übergang von der 20. zur 21. Dynastie eingespeist werden. Sie bilden einen wichtigen Beitrag zum besseren Verständnis der historischen Situation, die mit dem Tod des Amenophis und dem Ende der einflussreichen Ramsesnacht- Familie zur vollständigen Auflösung der lokalen Machtstruktur geführt hatte.

Programmatische „Wiedergeburt“ und Ende einer Dynastie

Dieser tiefe Einschnitt war der Ausgangspunkt eines politischen Neuanfangs, der damals auch programmatisch als solcher kenntlich gemacht wurde: In Jahr 19 seiner Regierungszeit lässt Pharao Ramses XI. eine neue Jahreszählung beginnen, die „Wiederholung der Geburt“. Diese Zählung, bei der das 19. Jahr von Ramses‘ Herrschaft als Jahr eins gezählt wurde, sollte für die Überwindung des instabilen Ausnahmezustands stehen. Sie endet mit dem Tod des Königs in dessen 29. Regierungsjahr.

Mit dem Installieren einer neuen Hohepriester-Dynastie noch unter Ramses XI. wurde zudem die Grundlagen für die darauffolgende landesweite Reorganisation der Machtverhältnisse gelegt. Unter seinem Nachfolger, Smendes, vollzieht sich die Teilung Ägyptens in zwei politische und administrative Einheiten: Der südliche Teil wird vom thebanischen Hohepriester regiert, im nördlichen Landesteil herrschen die in Tanis residierenden libysch-stämmigen Könige der 21. Dynastie.

Ägypten war nicht das einzige betroffene Reich

Der spätbronzezeitliche Kollaps

Aus archäologischen Funden und schriftlichen Zeugnissen wird klar, dass Ägypten um 1100 vor Christus von einer umfassenden Krise betroffen war. Diese muss jedoch im größeren Zusammenhang betrachtet werden – mit einer Entwicklung, die den gesamten östlichen Mittelmeerraum und Westasien betraf – dem Late Bronze Age Collapse.

Löwentor in Mykene
Auch das Reich von Mykene war in er späten Bronzezeit von einem Niedergang betroffen, hier das berühmte Löwentor von Mykene. Amenophis. © Lefteris / Getty images

Umfassender Niedergang

Ausgelöst durch eine Bandbreite an Stressfaktoren brachen damals über einen Zeitraum von etwa 200 Jahren viele Staaten und urbanen Zentren der Ägäis und Vorderasiens zusammen und verloren an Macht und wirtschaftlichem Einfluss. Dazu zählen die Hochkultur von Mykene, das Reich der Hethiter und auch die Stadtstaaten Kanaans in der Levante. Die Ursachen dieses Niedergangs sind unklar, neben Naturkatastrophen und Migrationsbewegungen steht aber vor allem ein Klimawechsel im Verdacht.

Als Teil des ökonomischen und diplomatischen Netzwerks war Ägypten von diesem großräumigen Zusammenbruch ebenfalls betroffen. Die durch Handel fest etablierten Warenströme und Rohstofflieferungen versiegten. Dadurch war auch in Ägypten aufgrund der veränderten sozio-ökonomischen und politischen Rahmenbedingungen ein materieller Rückgang zu beobachten – erkennbar unter anderem am Einstellen des umfangreichen Grab- und Tempelbaus oder der materiellen und räumlichen Reduktion des Bestattungsaufwands in oft unmarkierten Kollektivgräbern.

Angepasster Neubeginn

Dennoch kann in der 21. Dynastie von einem kulturellen Stillstand keine Rede sein. Betrachtet man allein die minimierten, neuartig konfigurierten Bestattungsinventare als Indikatoren, zeugen diese von einer besonderen kulturellen Dynamik und intellektuellen Produktivität. Dabei haben die Särge mit ihrer verdichteten religiösen Ikonografie die rituelle/transformative Funktion des früheren dekorierten Felsgrabes übernommen. Mit ihnen wird eine bestehende Tradition der Jenseitsvorsorge fortgeführt, die in Reaktion auf veränderte externe Umstände in eine neue materielle Ausdruckform übersetzt wurde.

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