aus Die Wendeltreppe
Wenn aber die Mathematik Menschenwerk ist – wie konnte sie sich dann nur so blendend in den Naturwissenschaften bewähren? Vielleicht doch, weil sie (’zufällig’) zugleich den inneren Bauplan der Natur wiedergibt?!
Nun
ja: Worin besteht ‘Naturwissenschaft’? Darin, dass der Forscher sich
bemüht, die tatsächlichen Vorgänge in der Außenwelt in einem abstrakten
Modell nach-zu-konstruie-ren! Und dann ist es kein Wunder, dass
er die Konstruktions- anleitungen, die er vorher ins Modell
hinein-konstruiert hat, hinterher auch wieder heraus-”findet”!
Der modische Ausdruck “Konstruktivismus” stammt übrigens aus der sogenannten “Erlanger Schule” der Mathematik, die in den 50er Jahren um Paul Lorenzen herum genau diese These in die Mathematik hineingetragen hat: dass es sich nämlich um eine konstruktive Disziplin handelt.
Die Kernfrage der Naturwissenschaft lautet: Steckt die ‘gesetzmäßige’ Ordnung der Welt in der Welt selber oder ‘bloß’ in unsern Köpfen? Die Naturwissenschaft hält diese Frage für “metaphysisch” und reicht sie dankend an die Philosophie weiter. Die hat sich aber längst unter die Fuchtel der Naturwissenschaft gestellt und hält sie ebenfalls für meta-physisch.
Das ist sie zwar auch, aber nicht nur. Die Frage, ob Vernunft etwas ist, das wir “verneh-men”, wenn wir aufmerksam in die Natur lauschen – und so erfahren, was wir auf der Welt sollen; oder ob Vernunft unsre eigene Erfindung ist und aus ihr nur herausgeholt werden kann, was man vorher in sie hineinsteckt – die betrifft überdies jedermanns per-sönliche Lebensführung.
‘Logisch’ bedeutete bei den ganz alten Griechen lediglich ‘das auf den Logos Bezogene’. Damit war alles irgendwie Sinnhafte gemeint, warum denn nur gesetzte Begriffe und nicht auch unfassliche Bilder? Seit Aristoteles aber wird unter Logik die Kunst (techné) des richtigen Schlussfolgerns verstanden. Als formale Logik wurde sie von den mittelalterli-chen Scholastikern systematisiert und gewissermaßen ‘vollendet’. Gegen Ende des neun-zehnten Jahrhunderts wurde sie dann so formalisiert, dass sie gelegentlich wie ein Grenz-fall des Mathematischen aussieht.
Die Kunst des Schließens ist aber nicht das Vermögen des Vorstellens. Um Einfälle zu ha-ben, muss man nicht aus Prämissen Folgerungen ziehen, sondern... einen Einfall haben. Was er taugt, muss dann freilich beurteilt werden; vorausgesetzt, man hat schon einen Zweck, eine “Absicht”, für die er taugen soll. Dann braucht man die Logik als einen Kanon, nach dem geurteilt wird. Kann der Einfall nach den Regeln des Kanons nach- ”vollzogen” werden, dann taugt der Einfall...
Die Frage “Ist die Welt logisch aufgebaut?” ist dieselbe Frage wie: “Ist Mathematik ent-deckt oder erfunden?” Weil sich die Welt in einer ganz gewissen Hinsicht in pragmatisch erfundenen mathematischen Sätzen beschreiben lässt, kann der Eindruck entstehen, de-ren Folgerichtigkeit habe in der Welt schon selber drin gesteckt. Das ist das, was Kant den “dialektischen Schein” genannt hat. Es ist die Aufgabe philosophischer Kritik, diesen Schein zu zerstreuen.
Mathematik ist Konstruktionslehre. Sie beschreibt in ihrem Zeichensystem, zu welchen Konstrukten ich gelange, wenn ich im Reich der Zahlen (=idealiter: in der Zeit; “wie oft?”) diese und im (idealen) Raum (”wo lang?”) jene Operation anstelle.
Warum lässt sich die Mathematik “auf die Welt der Dinge anwenden”? Weil ich mir die Welt der Dinge so vorstellen kann, als ob ich sie selber konstruiert hätte; dann beschreibt die Mathematik in ihrem Zeichensystem, wie ich hätte verfahren müssen, um sie so zu konstruieren.
Mathematik ist das allgemeine operative Schema der möglichen Handlungen in Raum und Zeit. Logik ist das allgemeine Schema der möglichen Handlungen in der bloßen Vorstel-lung.
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